Versuch der Befreiung von der alten Emanzipation

Das Hauptproblem «in dieser Debatte um PoC, Gender usw.» scheint mir zu sein, daß sich ohnehin viel zu wenige Menschen für die Thematik interessieren. Das geht bei der Emanzipation los, mündet in den Mäander der Geschlechterdefinitionen und verliert sich dann sozusagen naturgesetzlich im unendlichen Meer der Ahnungsloskeit, da kein bißchen Horizont mehr in Sicht ist. So lesen sich auch einige Kommentare auf der Seite von DA. Man beharrt gerne auf dem bequemeren Status quo, der kaum neuere Fragen zulassen will.

Erst gestern wieder sah ich mich im kleinen Familienkreis gezwungen, einer jungen Frau erklären zu müssen, welche Bedeutung die weibliche Bewegung vom kleinen Unterschied und den großen Folgen auch für sie haben sollte. Sie hat mir nicht sonderlich gespannt zugehört. Und als ich erläuterte, wie schwierig es für bereits ältere Menschen ist, den neuen Definitionen oder auch Reizwörtern in der Genderdebatte zu folgen, wenn schon die jungen das mit einem schlichten Was soll das überhaupt? abtun, kam es zum Streit. Das auf diese Weise kundgetane Desinteresse der erst in Germanistik und dann in der Juristerei Karriere machen wollenden und dann doch lieber überhaupt erstmal pausierenden Studentin hatte mich aufgebracht, vor allem deshalb, da ich gerade über die Komplexität des Themas gesprochen hatte und ich merkte, daß sie mir gar nicht richtig zuhören wollte, als ich die Zusammenhänge von Befreiung und Emanzipation, wenn ich das mal so wissensfrei erklären darf, versucht hatte zu erläutern. Aber möglicherweise lag's an meiner zweifellos vorhandenen Ungeduld, vielleicht, weil ich an die Fast-Germanistin erinnert worden war, die mir Mitte der Neunziger eine DIN-A-4-Seite mit einem nicht einmal übermäßig anspruchsvollen Text zur Literaturrezeption mit der Begründung zurückgereicht hatte, sie verstehe das nicht. Es mag auch daran gelegen haben, daß ich mal wieder zu Adam und Eva zurückgekehrt war: über PoC zum Farbigen, zum Schwarzen, zum Neger, zur in den USA, in Südafrika et cetera auch heute noch gebräuchlichen Bezeichnung Caucasian, zum Herrchen wahrlich nicht nur in Ländern oder Kontinenten mit überwiegend dunkelhäutiger Bevölkerung, zu Nationalbewußtsein, Kolonialisierung und so weiter.

Noch nicht allzu lange ist es her, daß mich die verärgerte Abwehrhaltung einer jungen Frau sehr irritierte, von der ich aufgrund ihres auf mich südländisch wirkenden Aussehens wissen wollte, wo genau ihre Wurzeln wurzeln, weil mich das von jeher interessiert hat und auch weiterhin interessieren wird, das ich mich mittlerweile aber fast nicht mehr zu fragen getraue, um nicht Gefahr zu laufen, als politisch unkorrekt oder schlicht unhöflich dazustehen. In Frankreich, wo ich solche Fragen immer wieder mal stelle, beispielsweise, weil ich wissen möchte, ob meine bei mir alles andere als rassis(tis)ch orientierten Kenntnisse in der Physiognomik noch in Ordnung sind, ob ich richtig liege mit Tunesien oder Algerien, ist mir das noch nie passiert, daß ich deshalb angegiftet werde. Im Gegenteil, häufig genug ist es geschehen, daß mir jemand freundlich lächelnd erzählend den gesamten Stammbaum mitliefert, etwa die junge Frau in der Kneipe im Butte aux Caille, über deren dunklen und gekräuselten Locken über ihrem fast extrem hellhäutigen Gesicht ich verwundert war und die daraufhin mit mir über ihre berberische Familiengeschichte plauderte, die sie, wie sie es nannte, bis zu ihrer barbarischen Herkunft, also vermutlich zu den Vandalen, zurückverfolgt hatte.

Diese in Deutschland zunehmende rigide Abwehr gegenüber Fragen nach der Abstammung halte ich für nicht weniger ignorant als das oben geschilderte Desinteresse. Es gibt nunmal Menschen, die unter anderen Bedingungen als den heutigen aufgewachsen sind. Und oft genug frage ich mich und andere dabei, warum die aus anderen Regionen dieser Erde ins Land Gemischten nicht hin und wieder mal über den Tellerrand ihrer Einbürgerung zu blicken versuchen. Von der Problematik der Kolonialisierung wurde Deutschland schließlich lediglich qua Befreiung durch die Befreier befreit. Anderen Ländern wie etwa dem bereits erwähnten Frankreich, aber auch Belgien, den Niederlanden oder Großbritannien hing und hängt das einfach noch länger an. Mir kommt die heutige Diskussion manchmal vor, als ob Hoffmann von Fallersleben gerade das Lied von den Deutschen geschrieben hätte, als es die in der heutigen Form noch nicht gab, weil von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt alles in Kleinstaaterei zerfasert war, was er geändert haben wollte, für das er seinem Verleger Campe von Helgoland aus schrieb Aber es kostet fünf Louisidor! und in dem es heißt: Einigkeit und Recht und Freiheit.

Das sollte fürwahr herrschen (auch hierbei hat ein Wandel in der Begriffsbestimmung stattgefunden). Dazu gehört aber nunmal das Wissen, die Bereitschaft, sich zu informieren und nicht einfach die Geschichte revolutionär in die Luft zu sprengen wie ein lästiges, das Neue behindernde Denkmal. Wer über Geschlechter und Befreiung debattieren will, sollte zumindest annähernd wissen, um was es geht. Aber vermutlich ist es der Vorteil fortgeschrittenen Alters, der die Einsicht beschert, daß man ohne die Bereitschaft, nicht nur nach hinten, sondern auch nach vorn hinzuzulernen, stehenbleibt. Das will auch ich nicht. Also muß ich mich zunächst einmal ausreichend über die Genderdebatte informieren, bevor ich hier weiterhin spekuliere, mich in die Wüste der Logorrhoe begebe und am Ende gar bei Zusammenhängen ende, die zwischen dem einen und dem anderen bestehen könnten, beispielsweise dem bewußten oder unbewußten «Reproduzieren von Herrschaftsstrukturen» bei der Rede über die Geschlechter oder gar Rassen, die es zwar nicht gibt, die aber in einer älteren Sprache nunmal so hießen.
 
Mo, 07.11.2011 |  link | (2372) | 15 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele


jagothello   (07.11.11, 21:33)   (link)  
Das Leben. Ein Kampf!
Ist es eigentlich schon inkorrekt (also, ähhhh, politisch), wenn ich eine türkische Schülerin frage, ob sie die Ferien in der Türkei verbracht hat? Ich suggeriere ja das unfeine Klischee: Hier arbeiten, da zuhause. So sind sie, die Türken. Nichts liegt mir ferner (oder: fast nichts) zumal ich denke und finde: Mehr unverkrampfte Natürlichkeit braucht´s im menschlichen Umgang.


jean stubenzweig   (08.11.11, 11:12)   (link)  
Verständnis bringe ich
durchaus auf für Menschen, die darauf hinweisen möchten, daß es nicht von der Herkunft, weder der des «Blutes» noch einer geographischen, abhängig sein darf darf, welcher Gütegrad jemandem in der Gesellschaft zugewiesen wird. Aber mich beschleicht das Gefühl, daß hier «revolutionär», also überwiegend emotional über die Ufer tretend gleichgemacht wird. Oder, wie oben erwähnt, gleich ganze Kulturen in die Luft gesprengt werden. Von denen gibt es nunmal (glücklicherweise) viele, und die sollten bewahrt werden dürfen. Sonst leben wir bald endgültig nach den Prinzipien der Landlords dieser Mehrwerttaliban, die sich mittels quasireligiösen Vorgaben die Massen dieser Erde untertan machen wollen, die aufgrund ihrer Unverbildetheit erreichbar sind (an die geistig Bessergestellten kommen sie ohnehin nicht ran mit ihrem Wegwerfmüll), indem sie gewachsene Strukturen zerstören. Das scheinen aber einige dieser ideellen Globalisierer im modernen Deutschland nicht zu merken. Ich führe das auf ein Selbstwertgefühl zurück, das noch ein bißchen wachsen muß. Aber auch das ist das gute Recht aller Menschen.


kopfschuetteln   (07.11.11, 23:16)   (link)  
Noch nicht allzu lange ist es her, daß mich die verärgerte Abwehrhaltung einer jungen Frau sehr irritierte. von der ich aufgrund ihres auf mich südländisch wirkenden Aussehens wissen wollte, wo genau ihre Wurzeln wurzeln,

herr stubenzweig, ich glaube nicht, daß die "debatte" die sie hierzu verlinkt haben, die debatte ist. eine debatte ist nicht draufhauen und weichklopfen.

ansonsten haben sie hoffentlich an mehr als fünf andere leser appelliert. mit recht.


jean stubenzweig   (08.11.11, 14:51)   (link)  
Als Debatte
hat das der immerzu freundliche und höfliche hinkende Bote bezeichnet (das scheint ein untrügliches Zeichen zunehmender Alterschwäche zu sein). Auseinandersetzung könnte man es vielleicht nennen, aber dazu gehörte wieder die Bereitschaft zur Offenheit. Die scheint bei vielen nicht (mehr?) möglich zu sein, die im gepolsterten Harnisch der einmal übernommenen herrschenden Meinung festsitzen.

Ich weiß das, habe ich diese Gemütlichkeit schließlich selber eine Zeitlang praktiziert. Das war mein Mittelalter. Doch irgendwann wurde mir das zu eng, zumal meine Rüstung ein paar derart heftige Schläge abbekam, die zu meinem Inneren durchdrangen und ich also rauswollte. Seither bin ich zwar gefährdeter und lebe nicht mehr ganz so kommod wie hinter dem Visier, aber der Rundblick läßt mich freier leben. Und schneller und beweglicher bin ich auch geworden, kann mich (und andere) seither besser verteidigen. Außerdem hat mir die Erfahrung die Stellen der Hermetik gezeigt, wo sie leichter zu durchdringen ist.

Meine Güte, diese auf vital machenden jungdynamischen Alten. Da könnte man meinen, sie nähmen demnächst den Olymp in Angriff, um einen Stein hinaufzurollen (Drachensegeln und kopfüber am Seil zu hüpfen ist mir zu unkuhl).


kopfschuetteln   (11.11.11, 22:46)   (link)  
vielleicht bin nur ich engstirnig, was debatte ist oder nicht. ich habe ihr zitat nicht ohne grund vorangestellt. vielleicht, vielleicht auch mit sicherheit führten auseinandersetzungen in dieser art und weise zu solchen reaktionen. oder, umgekehrt.


jean stubenzweig   (12.11.11, 09:12)   (link)  
«art und weise»
Gut. Aber ich nehme an, daß Sie dem eine Link genannte Füllung eingeben wollten. So erschließt sich mir das nämlich nicht so recht. Machen Sie sich nichts aus der Vergeßlichkeit. Sie menschelt so angenehm.


kopfschuetteln   (12.11.11, 12:14)   (link)  
ich neige leider zur verknappung bis hin zum kryptischen
ich meinte diese art und weise. und, das reichte ja nicht: das nachtreten.


jean stubenzweig   (12.11.11, 13:29)   (link)  
Ja, Ursachen
könnten das sein, da will ich Ihnen rechtgeben. Teilweise kommt das daher wie's Katzl- oder Schlagzeilenmachen bei der vierbuchstabigen Super-Illu.


g.   (08.11.11, 05:51)   (link)  
Die Ignoranz,
die Sie ansprechen, kommt bei Einigen von ungefähr, bei anderen nicht und sie wirkt sich sowohl auf den Bereich der Anschauung (Erfahrung, ...) um mal auf den preußischen Philosophen aus Königsberg anzuspielen eben so sehr aus wie auf die Begriffe, die man zur Erkenntnis braucht. Ohne eine gehörige Portion Neugier (so der Vorwurf des Interviewers von Alice Schwarzer, dessen Name mir gerade nicht einfällt) auf die Sichtweisen, Erfahrungen und strukturierenden Begriffe von Anderen bezüglich Klasse, Geschlecht, sexuellen Orientierungen, Herkunft usw. wird man in seiner Ignoranz fest sitzen bleiben.
Auf die Ignoranz draufzuhauen finde ich völlig in Ordnung, nicht in Ordnung ist der Meute der Ignoranten Raum zu geben (ob und wie sich das vermeiden ließe, weiß ich allerdings nicht.).


jean stubenzweig   (08.11.11, 20:06)   (link)  
Als junges Hähnchen
wurde ich einige Male in familiares Ferienfreiland verschickt (im zarten Alter von zehn war damit Schluß, weil die Tante mir immer Brot zu essen gab, auf dem sich zuviel [aus dem Reich eingeschmuggelte] Butter befand, in der man meine Zähne sah, worauf das ansonsten wesentlich gesünder ernährte Kind an Leber und Galle erkrankte), in den Teil Frankreichs, der 1957 heim ins Wirtschaftswunderreich durfte. Da hieß es oft, nun sei es aber langsam genug mit dem Gerede über Schuld oder Nichtschuld aller Deutschen an dem Debakel. Als noch lange nicht einmal adoleszenter Junge habe ich das inhaltlich nicht verstanden, zumal mir als anderswo einen anderen Alltag Lebender ohnehin der Zugang zu den Inhalten solcher Aussagen verwehrt war. Aber als ich dann in den frühmittleren Sechzigern vom elterlichen Harnisch befreit und in die Freiheit des später eingemauerten Berlins verschickt worden war, aber glücklicherweise überall hin reisen durfte, wenn es nur westlicher Richtung war, kam mir diese Aussage ständig entgegen: Nun sei aber endlich genug, das habe sich schließlich überlebt. Kurz davor war ich, das selber zu glauben. Aber dann kam glücklicherweise das Wissen über mich, noch kein eigenes, aber immerhin solches, das mir das Verstehen zugänglich machte, das dieses Gerede vom Genug deutlicher wurde, allem voran: Genug ist nicht genug (ich assoziiere da eher Gottfried Benn denn Konstantin Wecker, aber der hat's schließlich vom anderen und in weiser, vom Elternhaus befeuerter Jugendlichkeit mit genug kann nie genügen erweitert). Doch nun lese ich das wieder und wieder, wenn auch vor anderem Hintergrund und in einem anderen Bedeutungszusammenhang. Im benachbarten Département oder besser, in der VIP-Lounge des «Fonsiimus» heißt es, gleichwohl insgesamt moderater oder auch illustrer als in der Böller und Kracher zündenden Don-Fankurve: Der Feminismus sei überaltert, habe sich überlebt, er gehöre «auf den Schrottplatz der Geschichte» (Veil of ignorance). Das kann sowohl heißen, der Krieg sei gewonnen, aber auch, daß eine zivilisierte Gesellschaft Kriege nicht führe, also nicht «draufhauen und weichklopfen», sondern allenfalls debattierend miteinander umgehe. Da schwingt auch etwas mit von der Aussage eines auch mit sechzig noch altklugen Pennälers aus gutem Haus namens Icke: «Der französische Feminismus wurde nur durch die privilegierte Position seiner Protagonistinnen möglich ...» Als ob in Deutschland nichtprivilegierte Protagonistinnen wie die heilige Johanna der Schlachthöfe die Schlachten schlügen.

Jedem sei unbenommen, Alice Schwarzer für klug, schön und weise oder dumm, häßlich und deshalb für unattraktiv zu halten, aber eines kann man ihr nicht absprechen, daß sie, priviligiert hin, priviligiert her, den Kopf (einen Schwanz scheint sie ja nicht zu haben, aber dann wären wir wieder bei der Genderproblematik) eingezogen hätte. Ich für meinen Teil, möglicherweise aus Gründen der Alterssolidarität, gestehe ihr zu — was ich von ihrem Engagement bei der Zeitung, in die ich nicht einmal als seit Wochen vor mich hinstinkender Fisch eingewickelt sein möchte, steht sozusagen auf einem anderen Blatt —, nicht mehr mithalten zu können oder sich zu wundern, was aus alldem geworden ist, daß kaum noch eine Frau im weiten Feld und in der Masse Schlachten schlagen möchte, jedenfalls nicht (mehr), wenn sich kein Verschönerungssalon in unmittelbarer Nähe befindet. Ich weiß nicht, welches Interview Sie meinen, und kann deshalb nicht auf den Vorwurf der mangelnden Neugier eingehen. Aber womöglich zielt das auf den kleinen Unterschied und die großen Folgen zwischen einer weiblichen Emanzipationsbewegung von gestern (nicht gestrigen, soweit ist sie meines Erachtens noch nicht) und der heutigen hin: Wer ganz vorne kämpfen muß, hat wenig Zeit für die Feinheiten, die Planspiele am Strategietisch mit sich bringen. Dazu bedingt es der Erfahrung, die in der Regel die Jahre mit sich bringen. Aber dabei gerät man leicht in einen Harnisch, unter ein Visier, das einem den Durchblick verweigert. Abgeschottet im Bunker im schaukelnden Stuhl des Denkmals sinnierend über den zurückliegenden Ereignissen sitzend verliert man leicht den Durch-, Rund- und damit den Überblick. Als wär's ein Bild von mir.

Mich dauert die heilige Berta der Legebatterien ein wenig. Denn mittlerweile kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, es gäbe letztere nicht mehr, sondern nur noch jungdynamische Biohühner als ideologische Nachfahrinnen solcher Altlegehennen wie die aus dem Stall der hannoverschen Keksfabrik, die immer so tut, als habe sie sämtliche Eier der Frauenrechte, überhaupt alles alleine und ohne jede Unterstützung oder gar Hilfe durch andere gelegt. Frei herumlaufende Hühner vom Biobauernhof also, die ohnehin Wichtigeres zu tun haben als ihre Köpfe aus der Nebensächlichkeit eines benachbarten Hähnchenschlachthofes herauszuhalten, zum Beispiel auf den weltweit in den Vorhöfen der Finanzmetropolen ausgerollten roten Teppichen herumzustöckeln. Vielleicht ist das jetzt ein bißchen unsachlich, weil ja das eine das andere nicht ausschließen muß, aber das Bild des Modischen und der damit zusammenhängenden Priviligiertheit will mir nicht aus dem Kopf. Doch ich hänge schließlich noch immer im moddrigen Moor der ewig gestrigen Aufklärung fest.


g.   (09.11.11, 05:59)   (link)  
Zu dem von Ihnen ausgeführtem: Kein Widerspruch meinerseits. Ich habe nur die Debatte anders wahrgenommen. Zumindest die Protagonisten (bei der Fankurve mag das anders ein) wollen meiner Wahrnehmung nach keineswegs die Themen auf den Schrottplatz der Geschichte werfen.


g.   (09.11.11, 06:04)   (link)  
In einem guten Haushalt geht doch nichts verloren. Dieses Interview meinte ich. André Müller interviewt Alice Schwarzer


jean stubenzweig   (09.11.11, 14:26)   (link)  
Meine kryptische Schreibweise
hatte ich da wohl nicht recht im Griffel. Aus der VIP-Lounge habe ich dieses eine Beispiel herausgenommen, das sich nun liest, als käme es aus der Fankurve. Sie haben selbstverständlich recht. Vom «Schrottplatz der Geschichte» ist dort nur einmal die Rede. Das meiste andere liest sich sehr viel differenzierter.

Den André Müller, ach ... Das Interview lese ich später. Wahrscheinlich habe ich's bereits schon einmal gelesen. Aber solche Gesprächsaufzeichnungen sind schließlich Literatur, die in der Regel mehr als einmal zu lesen lohnt. Dank auf jeden Fall mal vorab.


mark793   (08.11.11, 11:35)   (link)  
Diese in Deutschland zunehmende rigide Abwehr gegenüber Fragen nach der Abstammung halte ich für nicht weniger ignorant als das oben geschilderte Desinteresse.

Ich empfinde da durchaus ähnlich, und womöglich muss man die rigide Abwehr vor dem Hintergrund der Tatsache sehen, dass hierzulande in der nicht so fernen Vergangenheit um die Abstammungsfrage ein übergroßes Gewese veranstaltet wurde, (um es mal sehr verharmlosend zu sagen).

Das Problem mit der Frage "wo kommen Sie her?" hat mir eine Kollegin (die sich seinerzeit als "afrodeutsch" bezeichnete) so erklärt, das impliziere, dass der oder die Gefragte nicht hierher gehöre, es handele sich also - egal ob vom Frager beabsichtigt oder nicht - um verbale Ausgrenzung. Tja. Das muss man so stehen lassen können, auch wenn mans als Angehöriger der weißen heterosexuellen einheimischen Mehrheit ohne diese Ausgrenzungserfahrungen vielleicht nicht so empfindet. Wobei ich gestehen muss, dass mich neulich die Ohrenärztin mit Blick auf meinen leidlich slawischen Nachnamen auch fragte, wo ich denn herstammte, worauf ich korrekterweise antwortete: "Baden-Württemberg". ;-)


jean stubenzweig   (09.11.11, 12:27)   (link)  
Wo komm' ich her?
Wo will er hin? fragt ja in letzter Zeit die Grenzpolizei aus aller Herren Länder gar jeden dritten Wohnwagenfahrer. Generalverdacht. Wie die Frau, die sich im Internet so gut auskennt, daß sie, wie ihre Politikerkollegin, wahrscheinlich manchmal sogar reinschaut.

Wer bin ich eigentlich? «Meines jüdischen Vaters europäisches Kind, dessen Exil die Buchstaben sind? Oder bin ich ein Eulenspiegel aus Wien, zur Zeit an die Nutzlosigkeit verliehn?»

Vielleicht hätte die Gehörprüferin geschickterweise auf diese differenzierte Weise fragen sollen: Woher stammt dieser Name? Aber wer denkt (über so etwas) schon nach, bevor er den Mund aufmacht? Andererseits schildert es aufschlußreich die Problematik, die mit einer neuen Zeit aufgekommen ist: «dass der oder die Gefragte nicht hierher gehöre». Darüber ist zweifellos nachzudenken. Mir ist das bisher schwergefallen und wird es mit wohl auch weiterhin nicht leichter machen, da Ausgrenzung nie in meinen Hintergedanken mitlief. Wer selber überall als Ausländer unter Ausländern, unter Schülern aus aller Welt aufgewachsen ist, dem stellen sich solche Fragen höchst selten. Das ist das Wunderbare und Angenehme an Kindern, die nie nach Nationalitäten fragen – bis sie von den Eltern auf dessen Existenz hingewiesen werden. Es ist auch mit ein Grund für mein Unverständnis über die anfänglich strikte Ablehnung anderer Hauptpigmentierungen gewesen. Zwar waren auch mir innerhalb Deutschlands vor der Grenzöffnung lediglich zwei eingeborene PoC bekannt, aber mir gefiel die von uns am nicht nur des Alkohols wegen heure bleue genannten Stammtisch geheißene Durchrassung (2) außerordentlich gut, da ich immer der Meinung war, daß frisches Blut einer Nation nur gut tun könne. Zudem hatte ich viel Erfahrung mit anderen Ländern, angedeutet in Proud to be .... Gerne verweise ich in allen erdenklichen Zusammenhängen unter anderem gerne auf das hier:
... daß die Welt ihrer Palette einige Farbgebungsmöglichkeiten mehr aufgelegt hat als das kompositionell beschränkte Weiß-schwarz-Denken derer, die sich als christlich in sieben Tagen Mitschöpfende nicht nur in Bekannt-, besser Heiratsgesuchen, als Caucasian gerne mehr oder minder klammheimlich nach wie vor als Herrschende über alle anderen empfinden. Frankreich hatte zumindest fußballerisch das beste aus seiner einst fragwürdig erfolgreichen Kolonialpolitik herausgeholt und seine schwatten Perlen wenigstens zeitweise dem Volk zugeführt.
Auch gab es in meinem Münchner Bekanntenkreis einige aus diesem anderen Hochkulturkreis Stammende, die ich teilweise über einen aus Deutschland stammenden, mit entsprechendem Paß ausgestatteten Freund kennengelernt hatte, der in der damaligen Kleinstadt Antalya aufgewachsen war, dessen Vater als evangelischer Pfarrer später allerdings nach Cypern strafversetzt (so klang das jedenfalls) worden war. Fragen nach Ausgrenzung stellten sich in unseren vielen Gesprächen über Politik, Religion Lyrik und Fußball, die wahrlich nicht immer harmonisch verliefen, niemals, wir wären auf eine solche Idee gar nicht gekommen. Allerdings habe ich auch andere kennengelernt. In einer Auseinandersetzung im österreichischen Magazin Datum schrieb ich am 30. Oktober 2007:
Etwa fünf Jahre dürfte es zurückliegen, daß ein aus Italien eingewanderter Politiker am liebsten alle Nicht-Schweizer aus der nicht-europäischen Insel der Glückseligen gejagt hätte. Und mir sind in deutschen Landen mindestens zwei Türken bekannt, die politische Bleichmittel gebrauchen, mit deren Hilfe sie ihren Abstammungs-Teint zu beseitigen versuchen und alle Landsleute am liebsten in anatolische Lager deportiert haben möchten. Nicht zu vergessen die vielen aus arabischen Ländern Eingewanderten, die Frankreichs Le Pen zu ihrem Führer auserkoren und bei der vorletzten Présidentielle diesem Rechtsaußen mit in die Stichwahl befördert hatten. Es störte sie dabei überhaupt nicht, daß dieser Prediger des «Frankreich den Franzosen» ständig für deren Ausweisung plädierte. — Sie fühlten sich ja nicht angesprochen.
Der Gedankenaustausch vor allem mit einem sich selbst Shadow1962 nennenden Diskutanten ging dann in Richtung Groteske, wenn auch nicht im Sinn der klassischen Komödie etwa eines Herrn Karl, die Realität überholte die Satire in rasender Geschwindigkeit auf der Fahrspur (der für die Reinheit eines Volkes plädierende Kärnter Rennpilot lebte noch) titels Nationalitätsbewußtsein oder Patriotimus.

Und nun, ich werde wohl damit leben müssen, verstärkt etwa zehn Jahre seit Beginn des neuen Jahrtausends, quasi zeitgleich mit der Einführung des Disputs um das Harmonisierungsmittel Euro(pa) haben wir eine Meinung, die darauf hinauslaufen kann: «dass der oder die Gefragte nicht hierher gehöre». Gut, das mag berechtigt sein, vor allem vor dem Hintergrund, «dass hierzulande in der nicht so fernen Vergangenheit um die Abstammungsfrage ein übergroßes Gewese veranstaltet wurde (um es mal sehr verharmlosend zu sagen)». Das mag verständlich sein insofern, als die auch nach Achtundsechzig und von den nach dieser Epoche benannten, nach wie vor gefürchteten 68ern nicht gelöst wurde. So werde auch ich spätmittelalterlicher Altherrenritter von meinem zwar realitätsfernen, aber eben gemütlichen Sattel auf meiner Rosinante steigen müssen, um zu Fuß gegen die Rotweinschläuche und Gespenster zu kämpfen, die durch meinen Kopf geistern. Ein wenig degradiert fühle ich mich. Aber ich gebe mich meinem Schicksal hin. Hauptsache meine Dulcinea geht mir nicht aus dem Sinn.















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