Niveau von unten

betrachtet sieht nach Überheblichkeit aus, sprach Enzoo. Etwa vierzig Jahre ist es her, daß ich in vergleichenden Geschichten der Literaturen Ausgebildeter einem um einiges älteren, nur auf der Bühne agierenden Kollegen aus dem Flüsterkasten der Dramaturgie heraus etwas über die Geschichte des Begriffes Arroganz richtigstellen wollte, der sich über die Hochnäsigkeit des spiritus rector genannten Regisseurs beklagt hatte. Ich hatte ihn darauf hingewiesen, daß die von ihm beklagte Hochmut als Gegensatz zu Demut eher in die Religionsgeschichte gehöre, sie sich im Laufe der Moderne überdies ein wenig weiterentwickelt habe und von einem Stolz zu unterscheiden sei, der sich auf das eigene Können und nicht etwa, beispielsweise, auf die Zugehörigkeit zum Theater einer Nation beziehe, der der -ialist rein zufällig angehöre.

«Perspektive des Grases» nannten wir es, manchmal lese ich es heute noch verniedlichend als die des Frosches, also im Gegensatz zum Blick von der Burg. Es sollte mir einige Jahre später wiederbegegnen. Ein Freund selig gab es als gesellschaftlich wertende und bedeutende Metapher mir gegenüber 1977 zum besten. Freund war er geworden über meine damals noch überwiegende Tätigkeit am und über das Theater, das seinerzeit auch politische Bedeutung hatte, Stücke wie Armer Mörder gehörten zu den vielgespielten. Wir hatten erhebliche Gemeinsamkeiten entdeckt in Denkansätzen, dazu gehörte diese Perspektive des metaphrischen Grases. Ausgangspunkt war eine festspielige Aufführung des goetheschen Ritters Götz von Berlichingen, der mit seinem «Möge er mich im Arsche lecken» nach wie vor sozusagen in aller Munde ist, das lange vor der sensiblen, später (wie ich) zum Elegischen neigende Kreativität des Namensgebers deutscher Dichtung ein geflügeltes Wort war; im Französischen klingt es (in deutschsprachigen Ohren) nach wie vor feiner (abgeschmeckter?) als das deutsche Allerweltsgericht: Va te faire enculer. (Kurzform Cul). Wir saßen vor Beginn der Vorstellung für das Volk — ein in Maßen bekannter, wahrhaft großartiger Schauspieler sprach mir einen solchen Anlaß mal ins Mikrophon, allerdings erst, nachdem ich seiner Bitte gefolgt war und es ausgeschaltet hatte: Das ist für mich Afterkunst. Ich mache es nur des Geldes wegen, ein anderer, weitaus berühmterer säuselte mir an einem anderen Festspielort im selben Jahr ins eingeschaltete: Ist es nicht wunderbar, wenn die Kostüme kommen?! Ich glaube kaum, daß man den Cyrano de Bergerac, den ich hier spiele, auf einer normalen Bühne schöner realisieren kann als hier auf dieser Felsenbühne. Die hier gemeinte kostümierte Aufklärung würde auf der Frei(lufttheater-)treppe von Schwäbisch Hall vor ungefähr tausend Zuschauern kommen. Aber zuvor saßen wir noch friedlich auf dem Balkon eines für den lieben Theatergast ländlich herausgeputzten Hauses, in der Landschaft, wo im 16. Jahrhundert die Bauernkriege ihre anfänglichen Fetzen hatten fliegen lassen, in einer Zeit, in der auch ein anderer Lieblingsheld der Deutschen angesiedelt war, letztendlich wie dieser Ritter Götz von Goethe ein Fürstenknecht, der mit dem Sprichwort gewordenen Rülpsen und Furzen.

Wir waren beide aus sogenanntem guten Haus. Er hatte sich vom Studium der Mathematik und Physik ab- und dem Beruf des Schauspielers zugewandt, da er der Meinung war, über diese Tätigkeit mehr für die Gesellschaft tun zu können und näher an ihr dran zu sein. Ich war mittlerweile zur theaterkritischen Gegenseite übergelaufen und hielt das aufgrund meiner Erfahrung für ein an der Wirklichkeit vorbeigehendes Hirngespinst (ein späterer deutscher Bundeskanzler sollte das in etwa so umschreiben: wer Visionen habe, der solle gefälligst zum Arzt gehen). Er ist seinem Ideal bis zum Ende treu geblieben und hat die Botschaft von der Revolution bis zur bitteren Neige hinausgetragen in die Welt der kleinen Leute, denen heutzutage vor allem eines abgeht: die Klasse, aus immer wieder wiederholten Fehlern hinzuzulernen und nicht unten stehenzubleiben, sondern sich im Niveau mit nach oben zu begeben — und nicht fortwährend bewundernd hinaufzuglotzen zu denen da oben, sei es im Adelsfernsehen oder in der gehobenen Fernsehküche.

Er hatte für uns, ich als sein Besucher, beide seinen Einheitsbrei gekocht, gemäß des andauernden Klassenkampfes in und aus ihm: Eintopf aus Kartoffeln, Kraut und Rüben, gewürzt mit Salz und Pfeffer, davon jedoch möglichst wenig, denn das waren schließlich sündhaft teure Spezereien, die ein schlichter Mensch des ausgehenden 18. Jahrhunderts sich nicht leisten konnte. Andere Kräuter und Gewürze, die zwar schon in den ausgehenden Siebzigern sowohl über den Handel zu beziehen waren und (noch) in den Gärten wuchsen, in Bälde sollten sie zugunsten pflegeleichten Betons verschwunden sein, kamen für den Kämpfer für eine bessere Welt deshalb wohl nicht infrage. Und er aß konsequent dieser seiner (?) Natur, der Sache gemäß: Wie er es von in Heimatmuseen gezeigten Gemälden kannte, die die gute alte Zeit zeigen, knapp über dem Teller hängend und äußerst geräuschvoll, geradezu, als wolle er seine Solidarität mit den Tieren bekunden, die er vermutlich aus diesem Grund nicht in seinem Topf haben wollte. Ihm gegenüber saß einer, dem Benimm in einer Form beigebracht worden war, die heutzutage nicht nur von Amnesty International als Folter angeprangert würde, und der unbedingt für Erleichterungen innerhalb dieser Gefangenschaft war. Aber nicht für die völlige Aufgabe von Haltung, sondern zugunsten einer evolutionären Entwicklung, für eine Anhebung des Niveaus, die da heißen könnte: besser machen.


Ich breche ab. Mir fehlt jedwede Energie, der lange Schlaf hat dem Körper keine gegeben, es fehlen die Worte. Der Infekt. Der Tod. Vielleicht hilft es ja, mich über eine bäuerliche Erbsensuppe zu hängen. Ich versuche morgen weiter, das Niveau hin zum verbalen Pisam farsilem auszugleichen. Wenn der Rührlöffel in meinem Kopf es zuläßt.
 
Mo, 06.02.2012 |  link | (2363) | 7 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Geschmackssache


cut   (06.02.12, 22:52)   (link)  
Zum Abbruch
Nein. Ihnen. Alles Gute und gute Besserung!


jean stubenzweig   (07.02.12, 12:25)   (link)  
Das ist lieb. Danke.
Ich will ja gar nicht groß jammern. Die letzten Monate hat mir mein Körper ja einiges zugemutet. Aber dieser Infekt ..., der hat mich mehr noch plattgemacht als alles Vorausgegangene an Wässrigem im Herzlichen, Angiologischem et cetera. Keinen klaren Kopf zu haben halte ich für die wesentlichere Krankheit, denn dagegen helfen keine Pillen. Doch daß einer wie Sie hier auftaucht, das wird mich sicherlich aufrichten.


cut   (07.02.12, 13:13)   (link)  
Haha. Einer wie ich ... Ich treibe mich hier doch regelmäßig rum. Halte aber meist verschüchtert die Klappe.


jean stubenzweig   (08.02.12, 11:26)   (link)  
Verschüchtern?
Sollten Sie damit auf Ihre Schüchternheit hinweisen wollen, dann läßt mich das eher verständnisvoll schmunzeln, vor allem im Hinblick darauf, daß ich ähnliches mal einem Kollegen von mir mal über mich gesagt hatte, ganz ohne Koketterie. Es hat ihn sehr irritiert, da er meinte, mein immerwährendes Vorpreschen gehe mit Schüchternheit kaum konform. Doch, es geht durchaus. Es ist Hilfsmittel, die eigene Zurückhaltung zurückzuhalten. Denn Zurückhaltung bewirkt oft, daß andere mit wesentlich inhalts-schwacherer Argumentation das Sagen bekommen. Diese Einsicht hat mich Anfang der Achtziger dazu gebracht, vor etwa tausend Zuhörer einer politischen Veranstaltung zu treten und ihnen klarzumachen, daß es auch andere Meinungen gibt als die des Haupt-, meines Vorredners. Von da an ging's andersrum als bei Hilde Knef.


cut   (08.02.12, 22:24)   (link)  
Beeindruckt
Passt auch. Aber Hauptsache, es geht bergauf. Gerade auch in Sachen Gesundheit.


enzoo   (07.02.12, 10:36)   (link)  
richtigstellung
tut not - der satz ist nicht von mir, bloss zitat

bitte schonen sie sich und kommen sie wieder zu kräften!


jean stubenzweig   (07.02.12, 12:48)   (link)  
Ebenso Dank
fürs Aufrichten. Und für Ihre Aufrichtigkeit. Aber wer auch immer es gesagt oder aufgeschrieben haben und aus welcher Zeit es stammen mag, es ist in anderen Variationen mehrfach notiert worden, aber eben in dieser Sentenz passergenau. Es hatte in etwa die Richtung, die an das Bühnenmethusalem ging und das ich meinem Freund immer wieder klarzumachen versuchte.

Wenn mein Kopf sich etwas entmatscht hat — die klirrende Sonne ist ja bereits in die Knietiefe gegangen und damit die Kälte —, plaudere ich meine Auslegung des Niveaus von unten weiter.

Deshalb jetzt erst mal wieder Horizontale.















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