Ententätische Herzinsuffizienz

Zur Verfügung gestellt von der Europäischen Zentralbank.

Ich hätte sie zwar noch selber in meiner Schublade der bewährten Währungen, andere haben dafür einen Trésor, wie der Schatz zuhause, wo schließlich gegessen wird und sonst nirgends, genannt wird, als der genannt zu werden ich unter Androhung von Liebesentzug, also strengstens untersage, wie die hundertsechzig Schekel, die mir mein Vater Mitte der Sechziger mit der Anmerkung zusteckte: «Man weiß ja nie.» Das war nicht eben wenig. Heutzutage reicht's fürs Taxi, um vom Flughaufen wegzukommen. Da aber so zart und feingliedrig wie die EZB mein Geldvervielfältiger nunmal nicht in der Lage ist, zu agieren, leihe ich es mir eben, wie die europäischen Großpleitiers, von der Zentrale. Hinzu kommt, daß meine einst für, wenn ich mich recht erinnere, knapp dreitausend Mark erstandene, Jahre später für immerhin nochmals sechshundert Euro aufgepeppte Photo-shoppinghopping-Weichware am großen EiMäck G5 sich seit kurzem weigert, solche Transaktionen auszuführen: «Konnte den Vorgang nicht ausführen, weil ein Programmierfehler auftrat.» Ob's an der einen oder anderen Technik liegt, kann ich nicht beurteilen, die Technologie wird's kaum sein, es sei denn, die Geisterhand des toten Magiers zaubert Störungen hinein, ich bin schließlich kein Experte wie Herr Jedermann aus Salzburg und sonstwo. So greife ich einfach auf das Altbewährte zuzück, wie beispielsweise auf meine nicht durchelektronisierte entitätische Ente, die Seiende, im hier besonderen Fall auf den ollen, langsamen, aber beschwerdefrei laufenden G4-Apfel. Manchmal überkommt mich ohnehin das Verlangen, den 1991 für tausend Mark im Sonderangebot gekauften Klassiker aus dem Dachboden archäologisieren zu wollen, an dem ich das Digitalisieren meiner Gedanken einigermaßen in die Griffel bekommen habe, aus der Zeit, als Steve Jobs noch kein modischer Gott der massenhaften Individualisten und noch Ideenleiter einer noch etwas kleineren Klitsche war, die noch nicht die taiwanesisch-chinesischen Massen ausbeutete, auf daß das westliche Volk aus Prinzip das schick-kreativliche Adebai ausleben konnte.

Fünfzehnmal das Konterfei von Claude Debussy vorn und hinten, das war der Betrag, den der Dépanneur mir abverlangte, als der Deux Chevaux vor einigen Jahren wegen Herzmuskelschwäche mit lautem Kreischen ihre Funktion verweigerte. Es war, wie auch anders, Notfälle wie Wasserrohr- oder Zahndurchbrüche geschehen nunmal zu Wochenenden hin, an einem Freitagabend. Dunkel war's, lediglich die Batterie gab noch ausreichend Helle, um's bis nach Lyon-Nord zu schaffen. Dort, ich habe es schon einmal beschrieben in Enten(aus)flüge.
Der Tankwart rief den Dépanneur. Und ich trank einen nach dem anderen von diesen Sechs-Francs-Automaten-Espressi, die entsprechend schmecken: kaffee-ähnlich. August war's. Sämtliche Wohnmobile Nord-Europas sowie ein paar bis unters Dach mit Kleidungsstücken und Kindern gepolsterte Kleinwagen, deren Insassen wohl allesamt gerade dem gegenüber Frankreich sehr viel kosten-günstigeren spanischen Sonnenbränden entronnen waren, befanden sich auf dem Rastplatz Lyon-Nord — in dieser Richtung eben so eine Art Alien-Tor. Denn Menschen, so heißt es im Süden des Landes, könnten nördlich von Lyon ja wohl kaum leben.
Widerwillig, erschielte er doch das deutsche Kennzeichen, dann aber doch freundlicher werdend, denn er operierte schießlich an einem französischen Nationalheiligtum zumindest der über Fünfzigjährigen herum, neben Les Bleus, den Siegern aller Altersgruppen, man schrieb das Jahr 2000, und auch keine Verständigungsschwierigkeiten waren weiter zu monieren, dieser Nothelfer also fingerte unter dem funzeligen Licht einer Laterne am Rand der überbevölkerten Raststätten-gesellschaft wie ein Blinder ein paar Minuten in den Eingeweiden, um dann lapidar festzustellen: l'alternateur, der Dynamo, die Lichtmaschine. Die samt dem Rest des fahrbaren Gartenstuhls wollte er in der nächsten Werkstatt abladen. Die öffnete erst am darauffolgenden Montag ihren Einlaß wieder. Der Herr, Gott über lässiges Weiterfahren, mußte lange bekniet werden von mir, bis er sich bereit fand, in seiner artfremden Werkstatt die Operation vorzunehmen. An Tag danach klingelte im Hotel frühmorgens das Telephon, wo ich denn, bon Dieu de merde, bleibe, der Deux Chevaux pumpe wieder Energie. Er war zu seinem Copain gegenüber auf den Schrottplatz geschlurft, hatte sich eine dieser Erleuchtungsmaschinen geholt und diese bon gré mal gré, also nolens volens auch eingebaut, um endlich seine Ruhe vor mir zu haben, erstmal einen petit Rouge zu nehmen und sich anschließend zum Nickerchen hinzulegen.. Dreihundert Francs mußte ich ihm über den Tresen reichen, für alle von ihm erbrachte Leistungen. Über ihn gezogen hatte er mich damit wahrlich nicht, war das doch weniger, als mich die Übernachtung im dreisternigen Mercure kostete, zu dem er mich kutschiert und an dem er mich abgeladen hatte, nachdem mein seinerzeitig bevorzugtes Novotel belegt war wie alle anderen mietbaren Schlafstätten auch, es war schließlich Hauptreisezeit. Ich gab's ihm in Zwanzigern, die mir zuvor und aus unerfindlichen Gründen ein Geldautomat zu acht von diesen mich nicht eben enzückenden neueren Eiffel-Francs, den Zweihundertern geliefert hatte. Dreihundert Francs. das war leicht und rasch umgerechnet: durch drei minus zehn Prozent. Also ewa neunzig Mark kostete die Energiepumpe, die den Lebenssaft zum Entenherz liefert, einschließlich der Operationskosten.

Zweihundertachtzig Euro mußte ich hinlegen, nachdem der Autoschmied das wie ich herzinsuffiziente Tier mit dem Anhänger abgeholt und auch wieder gebracht hatte, weil eben auch die Batterie nicht mehr mitgemacht hatte, wie das ebenso ist, wenn das eine Organ das nächste in die Tiefe des Nonfunktionalen zu ziehen bereit ist. Das ist immer noch weitaus weniger als die Summe oder gar der Stundenlohn von rund hundert Euro und auch mehr, die beispielsweise mein Vermieter, der Gatte von Madame Lucette, hinblättern muß, wenn er seinen Porsche, der nur wenig jünger ist als meine Ente, auf den Hof fährt. Der Privilegierte muß eben ran, weil er der besseren Wünsche hat. Wobei Autoschmied Johann A. Berlenbach eingestand, sich etwa bei einer Riemenreparatur vom Zahn, als wär's ein nur fürs Private bohrender Dentist, des ebenfalls betagten achtzylindrischen Renners zunächst einmal um des Nachdenkens willen ins stille Kämmerlein einzuschließen, bevor er ihm in den Leib greife. Aber er tut das auch für zweiundvierzig Euro die Stunde. Beim Deux Chevaux reicht das für Aus- und Einbau einer Lichtmaschine. Man fährt also besser mit dem Altbewährten.

Deshalb habe ich mir auch wieder eine dieser alten Geräte zur Kaffeezubereitung zugelegt, etwa zu dem Preis einer französischen Entenpumpe aus dem ersten Jahr des neuen Millenniums. Letzte Woche hat, vermutlich aus Solidarität mit der hiesigen, aus Mimi, der Ente und mir bestehenden Kleinfamilie, nämlich auch die letzte Picco aufgehört zu pumpen. Die immer um das Wohl anderer besorgte Frau Braggelmann war dieses Mal meine Dépanneuse. Zum einen hatte sie noch ein Uraltmodell da stehen, für den Fall eines besuchlichen Überfalls meinerseits und einen meiner mich überfallenden Anfälle von Kaffeepausen. Und zum anderen ging sie hurtig an in ihr neues Lieblingsspielzeug, so ein EiPäd, das alles mögliche kann, nur eben (noch?) keinen ordentlichen Espresso zubereiten, um bei ihrer anderen Lieblingsbeschäftigung iBai nach einem Ersatz zur Befriedigung meiner allgewaltigen Sucht nachzuforschen. Da stellte sich heraus, daß es diese vom neben Kaffee überwiegend nutzlos Nettes verkaufenden Großröster wegen Altertümlichkeit ausgemusterten Geräte wieder zu kaufen gibt, vom Althersteller oder einfach nur ewig alten und seriösen Lieferanten niegelnagelneu vorbeigebracht, und zwar zum Preis von anno dunnemals. Nur daß sie jetzt Ciclonetta heißt, dieser nette kleine Zyklon, der meine Droge und mich mit ihr in den Tag oder über den Tag hin schleudert.



Nein, so ein neupostmodischer Kram kommt mir nicht mehr ins Haus. Seit langem nicht mehr. Denn diese immerzu auf dem neuesten Stand Befindlichen liefern mittlerweile viel zu oft verfaulte Äpfel.
 
Do, 12.07.2012 |  link | (3575) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Form und Sinn


einemaria   (13.07.12, 11:13)   (link)  
Die negativen Wunder dieser Welt
Es muß die Woche der toten Kaffemaschinen gewesen sein, denn letzte Woche kamen auch bei mir die beiden langgedienten "Expresso-"Kannen auf die seltsame Idee zu streiken. Vielleicht war es ein Gewerkschaftsaufruf der Kaffeeautomaten-Union. Bei der einen drängt sich das schwarze Gold noch hoch bis zum Sieb, um dann seitlich auszutreten und lieber auf der Herdplatte zu landen als in meinem Rachen. Die kleinere ergießt sich direkt durch ein vom Hochdruck initiiertes Löchlein am Kannenboden auf die gleiche Platte - ein Selbstheilungsprozeß sozusagen, um Kühl- und Löschwasser direkt unter den perforierten Kannenboden einzubringen. Ich kann sie beide verstehen, nur mein Magen nicht. Aber wie das mit alten Lieben so ist: Eine Neue will ich nicht. Ich kann nur hoffen, daß der Prozeß der Verkalkung jene Bruchstellen in einem ähnlichem Heilprozeß wieder auf natürliche Weise flickt.


jean stubenzweig   (14.07.12, 12:41)   (link)  
Einen Tag des Kusses
gibt es schließlich auch mittlerweile, das schließt wohl an an den Weltfrauentag, dessen Hymne lauten dürfte: Gern hab' ich die Frauen geküßt. Weshalb also nicht auch eine Woche der toten Kaffeemaschinen? Die Wirtschaft braucht schließlich Wiederbelebung; hier als Rénaissance des Altbewährten. Auf ein Prinzip der Ver- beziehungsweise Entkalkung würde ich dabei allerdings nicht setzen. Aus der Erfahrung einer alternden Maschine kann ich weisheiten: Neben den Stellen, an denen die (Ent-)Dichtung durch Reparatur wieder hergestellt wurde, brechen andere auf. Bleibt der Schluß: Nur die völlige Neugeburt kann helfen. Vielleicht die der Vernunft. Aber mit Sicherheit nicht die, unter der man heutzutage die Zivilisiertheit versteht.















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