Voller Stolz ...

Heute erreichte mich über den wegen seines vorauseilenden Gehorsams und dem damit verbundenen, geradezu lächerlichen Bildverbot menschlicher Nacktheit — pietistisch geprägte US-amerikanische (Doppel-)Moral eben — zu unrecht einzig und allein gescholtenen Photographie-Aussteller Flickr (ich habe mich zu ihm mal geäußert) die Nachricht, eine meiner Abbildungen von Wirklichkeit sei in eine sogenannte Galerie aufgenommen worden. Nun nehme ich zwar zwischendrin auf einer solchen eine ordentliche Mütze Schlaf im oberen Teil meines Dorfbüros, aber im anderen Zusammenhang reißt mich der Begriff nicht unbedingt aus ebensolchem. Vor allem die Entwicklung der auch bereits in die Tage gekommenen jüngeren Entwicklung im Geschäft mit der (bildenden) Kunst als merkantil geprägtem Religionsersatz schläfert mich eher wieder ein; zu umfassend sind meine Erfahrungen mit den allgemein doch recht kümmerlichen Absichten, in den Künsten mehr sehen zu wollen als mehr oder minder gut unterhaltende Hochkultur.

Nun gut, ich bin ohnehin alles andere als ein Künstler, von daher gesehen betrifft mich diese Veröffentlichung auch eher weniger — zumal nicht ich gemeint bin, sondern der abgebildete Gegenstand —, wenn ich auch jemand bin, der seit jungen Jahren damit beschäftigt ist. So gesehen empfinde ich als kunstbegrifferweiternd die Rubrik, innerhalb der sie stattfindet: Worauf die Deutschen stolz sind. Glücklicherweise steckt da eine gewisse (Selbst-)Ironie drinnen; dieser Nationalstolz war mir nie geheuer. Ein in China lebender Deutscher mit vermutlich chinesischer Ehefrau hat sie offensichtlich begründet. Da reiht er dann solche Perlen auf wie die deutsch-deutsche Grenze; das Denkmal dessen auf dem im Städtchen so genannten «Fäkalienmarkt», der als der Roider Jackl in die Münchner Geschichte einging; die (mir unbekannte, aber was heißt das schon) Rockband Epsilon; ein mir bis dahin ebenfalls noch nie vorgekommenes Stück Thüringer Wald; Carl Friedrich Gauß als Repräsentant der guten alten Deutschmark; das Bier der Brauerei, die mir unvergessen bleiben wird, da ich aus deren Gaststätte im Bamberg mal rausgeflogen bin, weil ich in ebendieser, für alle sichtbar, mehrmals eine Frau (auf den Mund!) geküßt habe und sie auch noch zurück, sie also ebenfalls; eine Anspielung auf den mir als unser Hausphilosoph wohlbekannten Werner Enke; die Bratwurst, selbstverständlich für einen Coburger die fränkische; das Goggomobil; ins Japanische mutiertes DDR-Automobil-Design; mit Hans Holbein die Erinnerung an Lukas Cranach und Albrecht Dürer, das hölzerne Laufrad des Karlsruhers Karl von Drais und deshalb Draisine genannt — und dann eben «German modernist literature's glorious monument», die von mir abgelichtete Zettelei. Bemerkenswert dabei ist unter anderem, daß der deutsch-chinesische, chinesisch-deutsche Chronist zur Erklärung offenbar gezwungen war, nicht nur die deutschsprachige Wikipedia einzuspannen, da es diesem Denkmal zeitgenössischer deutscher Literatur offensichtlich nicht gelungen ist, ins Englische einzudringen, obwohl das Werk durchdrungen ist von ihm. Womit wir wieder bei der guten alten Kunst wären — als Instrument der Wahrnehmung.

Wenn ich mich recht erinnere, hatte dieses Nacktheitsverbot seinerzeit unter anderem mit der noch nicht so ausgeprägt kapitalistischen kommunistischen Volksrepublik China zu tun. Nun kommen ausgerechnet von dort solche entblößenden Photographien. Nun gut, da macht sich niemand über die fernöstliche Kultur und deren spätere revolutionäre Absage an die Abbildung geistiger Nackedeis lustig, sondern da apokalypst fröhlich subjektiv wohlfeiler deutscher Humor für sich hin. Daß offenbar daraufhin ein weiterer Chronist diesen Traum auch noch in Europa Fotografie-European photography-la photographie d'Europe eingliedern wollte, entspricht ja dann durchaus auch den von mir mal erwähnten Intentionen, hier geäußert von ennalyt: «Der 37. Bergsee, die 18. Kirche oder der Tick, alles in einen schrägen Rahmen zu setzen: ok! Das sprengt dann Toleranzgrenzen.»

Und wer weiß, vielleicht erhält Arno Schmidt auf diese Weise der Vermittlung am Ende doch noch einen englischsprachigen Wikipedia-Eintrag.
 
Fr, 30.10.2009 |  link | (1893) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ansichten


g.   (02.11.09, 06:43)   (link)  
Ich stelle mir gerade den armen Übersetzer von Zettels Traum vor, wie er vielleicht in Bangor am Schreibtisch sitzt, auf den Hafen sieht und an seiner Übersetzung des «German modernist literature's glorious monument» verzweifelt.


jean stubenzweig   (03.11.09, 00:23)   (link)  
Kaum wieder im Land,
und schon wieder für Verwirrung sorgen – zum Beispiel mir meine Such-Faulheit durch die Blume unter die Nase zu reiben. Aber fein gemacht haben Sie's.

Ich behaupte einfach, die US-Wikipedia war gerade mal nicht erreichbar.

Nebenbei: Welch andere Aufgabe könnte ein Übersetzer haben als die des Verzweifelns?


g.   (03.11.09, 06:54)   (link)  
So oberwässrig
sollte es gar nicht klingen. Ich habe mehr durch Zufall gesehen, dass John Woods an einer Übersetzung arbeitet und so frage ich mich, wie er wohl den 'Traum' übersetzen will? Ich denke das ist ein noch schwierigeres Unterfangen, als beispielsweise den 'Ulisses' von Joyce ins Deutsche zu übertragen. Nun ja, und dann dachte ich, wenn man sich schon mit einem Text so quälen muss, sollte man es in einer schönen Umgebung tun und dann kamen mir der Indian Summer in den Apalachen und die berühmten Hummer aus Maine in den Sinn.


jean stubenzweig   (03.11.09, 12:11)   (link)  
Einer der interessantesten
Aspekte, dachte ich mir gleich zu Beginn Ihrer Nettigkeit, dürfte sein, wie er beispielsweise das englische Mitsommernachtstraumige ins Amerikanische übersetzt – auf daß es noch schmidtsch klingt?

Da sagen Sie was. Hans Wollschläger hat, wenn ich mich recht erinnere, für den Ulysses zwölf Jahre gebraucht. Oder denken wir beispielsweise an Georges Perec oder Raymond Queneau und weitere großartig Verrückte. Mir ist bis heute ein Rätsel, wie Ludwig Harig und Eugen Helmlé (für mich ohnehin einer der größten Übersetzer) Exercices de Style in die Stilübungen rübergekriegt haben – nun gut: «Nachdichtung», wie der frühere Qualitätsjournalismus seinerzeit meinte (was ich für leicht respektlos halte angesichts schier unübersetzbarer Stoffe).

Über die Hummer von Maine und deren Umgebung kann ich nicht mitreden. Man kann ja nicht alles kennen (aber wer weiß, vielleicht hat sich schon mal einer in mich hineinverirrt, und ich erinnere mich lediglich nicht).















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