Einsteins Formel ist mittlerweile endgültig im Bereich der ikonokryptischen Interpretation angelangt. Seemuse weist mich wohl zu recht sanftironisch darauf hin, daß ich sie ohnehin nie kapiert haben könnte, diese Raum-Zeit-Problematik, die in ihrer Raserei längst die Formel 1 überholt haben dürfte. Immer mehr greifen zu diesem vermutlich auch mir angeratenen Mittel der Auslegung des Schlichten. Nun ja, Albert Einstein selbst hat schließlich einmal geäußert: Wenn das Weltall die Frucht blinden Zufalls sein sollte, so sei das so glaubwürdig wie eine Druckerei, die in die Luft fliege und alle Buchstaben geordnet wieder zur Erde fielen. Manchmal hat auch der Meister selbst es eben dann doch noch etwas vereinfacht und (beispielhaft für alle [Be-]Zweifler der Evolution?) ein Glaubenslöchlein offengehalten. Bliebe als Anregung: irgendwann in einem Café einen trinken gehen und vielleicht dort darüber sinnieren. Es muß ja nicht unbedingt an der Stätte sein, wo die Geistesgrößen Unter den Linden ihre genialischen Ergüsse der Einfachheit haben. Es gibt (nicht nur in Berlin) unter demselben Namen beschaulichere (und wärmere) Orte der Nachdenklichkeit. Schräg gegenüber haben Architektur, Kunst und Design, also nicht immer nur einfach gestaltete Schönheit in Buchform eine Heimstatt. Doch sollten die eigenen Gedanken allzu barfüßig daherkommen — rechts und links vom inneren Einstein werden quasi ohne jede Hemmschwelle, also barrierefrei übergangslos Schuhe angeboten. Beileibe nicht nur für Frauen.
Ikonokryptisches Immer wieder mal kommt es zu Irritationen wegen meiner Abneigung gegenüber diesen Internethieroglyphen, die in unserer ach so wenigen, schnellebigen Zeit uns dieselbe zumindest teilweise zurückgeben möchten, indem wir uns dieser beschleunigenden Strichpunkte oder -männchen bedienen, aus denen dann hervorgehen soll, ob wir etwas dann doch nicht so ernst gemeint haben. Ich wurde in einer Umgebung in Richtung des Erwachsenwerdens geschoben, ob ich nun wollte oder nicht, in der Ironie eine wesentliche Rolle spielte. Ständig wurde in irgendeiner Weise gewitzelt. Daraus entwickelte sich ein (Selbst-)Verständnis, das sich auch während meiner Adoleszenz und noch verstärkt später als allgemein gesellschaftliches sprachliches Stilmittel auszeichnete, das mir bis heute anhaftet und das ich auch nicht abzulegen gedenke, weil es mir viel zu sympathisch ist, aber in zunehmendem Maße nicht mehr verstanden wird, ja sozusagen ausgerottet zu werden scheint zugunsten dieser Hilflosigkeiten, die meine hochgeheiligte Ironie dürftig ersetzen sollen. So sah ich mich einmal mehr genötigt, vorgestern der nicht nur deshalb geschätzten Seemuse mitzuteilen: «ich werde nie mögen, was man auch mit Wörtern und Worten ausdrücken kann; und sei es es, daß man's eben nochmals lesen muß». Worauf sie auf die historische Bedeutsamkeit des in den sechziger Jahren (Ironie oder nicht — ich habe verstanden oder tue jedenfalls so) entwickelten, hinters Digitalglas gemalten Hauptikone hinwies. Nun gut, die kenne ich. Aber ans Revers heften tät' ich mir die auch nicht, wenn ich auch eingestehe, daß an einen meiner Waffenröcke ein solches Ikönchen geheftet ist, das ich in den Neunzigern vielfach gekauft und verschenkt habe, weil ich Idee und Einsatz von Imi Knoebel und dessen Gattin überzeugend fand. Gleichwohl ich mich sehr darüber ärgere, daß ich diesen Kinderstern nicht aus den Seiten herauskopieren und hier darstellen darf, sondern zu meinen unzulänglichen photographischen Mitteln* — nicht jeder ist ein Kunsthandwerker — greifen muß, um zu zeigen, was ich seit Mitte der Neunziger unbeirrt und bei voller Bewußtheit mahnmalend an mir herumtrage. Unlängst fragte mich nach einer angenehmen Plauderei in einem zentral, aber dennoch abseits der touristischen Marzipanitäten gelegenen Lübecker Café mit ungarischem Namen, allerfeinsten Törtchen und Crèmeschnittchen und echter Trinkschokolade mit Sahne direkt aus der Kuh und sehr gutem Espresso sowie einer zauberhaften Bedienerin gut Ü 40 eine Dame nach der Bedeutung meiner Sakko-Zierde, die sie bereits eine ganze Weile forschend fixiert hatte. Sie ging ihre Frage vorsichtig an, vielleicht weil sie nach meinem kurz zuvor abgegebenen knappen Hinweis befürchtete, einen über alle Maßen theoretischen Altachtundsechziger-Vortrag über antiautoritäre Erziehung ins Gehör gemeißelt zu bekommen (dabei werde ich von sogenannten Gegenallesseier «Leutnant» genannt). Ich erhob keineswegs meinen gefürchteten Zeigefinger und hub an, sondern berichtete naturgemäß sanft, wie ich zu diesem Kind kam. Der Name Imi Knoebel war ihr noch nicht untergekommen, aber sie meinte, immerhin erführe sie auf diese Weise, daß Künstler nicht immer nur an das einzig Eine denken würden, an sich. Sprach's, verlor noch einen Satz übers Internet, nicht über Hieroglyphen und Kryptik, sondern darüber, daß sie darin nach diesem Kinderstern schauen wolle, nicht zuletzt, da Weihnachten nahe. — Und fröhlich winkt der Weihnachtsmann mit einem kompletten Adventsmarktgartenzaun. * Ich bestehe allerdings, und hier im besonderen gegenüber Rechtehabern, nicht zuletzt wegen der außergewöhnlichen künstlerischen Note, auf meinen Rechten — ausgenommen sind diejenigen, die mein Wackelkindersternchen ohne böse, also kommerzielle Absichten funkeln lassen mögen.
Kunst kommt dann von dann von Können, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist und dann darin ruht. Avant-garde bedeutet (militärisch) vorausgehen und -sehen. Die Planung im voraus ist nicht jedem gegeben. So kommt es des öfteren zum Nach-Denken.
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