Geteiltes Leid Zwar hängt alles mit allem zusammen, aber der Adel soll jetzt in Ruhe seiner Asche frieden. Jedenfalls hier. Nun ja, ich weiß nicht so recht, geschätzter gonzosophischer Genosse, vielleicht nicht so sehr das Leid als vielmehr der Verdruß über die Schlampigkeiten und deren Folgen, die wir Politiker und Medien gleichermaßen zu verdanken haben. Wobei ich nach wie vor unsicher bin, wer da zuerst gekräht beziehungsweise nachgeplappert hat — der homo politicus oder der den homo ludens spielerisch interpretierende Autor. Es gibt ja nicht eben wenige, die das unter Sprachwandel zusammenfassen, während ich das für einen nachlässigen und nicht etwa -haltigen, teilweise recht beschönigenden, also zeitgemäß oder -geistig kosmetisch-chirurgischen Umgang mit dem geschriebenen und im Anschluß gesprochenen Wort halte, auch ließe sich sagen und schreiben: deren Entsorgung. Man schmeißt die Sorge auf den Müll, Wörter könnten eine bestimmte Bedeutung haben und präziser sein als hohle Worte. Das Laubacher Feuilleton hat das in den neunziger Jahren immer wieder aufgegriffen, weil die große Runde der Dilettanten sich durchweg einhellig wunderte, was da alles so herauskam, wenn man die Zeitung aufschlug oder das Radio- oder auch das Fernsehgerät einschaltete. Ob es dieses vor Ort war, das aus dem Bergbau stammt und allerdings bereits lange vor dieser sich abzeichnenden Entwicklung Einzug hielt in eines Politikers Mundwerk, der das Gewerk unter Tage lediglich von Besuchen in Polen kennen dürfte (meines Wissens war er es, der diesen Begriff während der über Tage stattfindenden hamburgischen Sturmflut von 1962 bundesweit einzuführen versuchte, dabei allerdings mindestens dreißig Jahre warten mußte, bis er sich durchzusetzen begann). Ich selbst habe das lange Zeit redigiert und Autoren benachrichtigt, sie unter anderem darauf hingewiesen, daß wenn die Feuerwehr sich vor Ort befinde, den Brand nicht gelöscht und sie gleich gar nicht nicht gerettet kriege, wenn sie nicht hineinfahre in den Ort. Es hat nichts genutzt, diese sprachliche Kurzärmeligkeit hat sich ebenso nachhaltig ausgewirkt wie diese ganze Anglisiererei, die besonders grundiert in den hamburgischen Hanseaten verankert ist, die sich den Angeln und den Sachsen historisch nunmal verbundener fühlen, ob das nun Sinn macht oder ergibt oder sinnvoll ist oder man das korrekt erinnert, beispielsweise das mit dem Denken. Begierig wird letzt- oder schlußendlich alles geschluckt, was wenigstens ein bißchen einen schicken Geschmack hat. Das schließt den AKüFi mit ein, denn es klingt nunmal rasanter, von Doku oder Info et cetera zu sprechen und unterstreicht zudem die eigene Wichtigkeit, denn heutzutage will schließlich jeder keine Zeit mehr haben, weil auch er soviel zu tun haben will wie diese ganzen Leute aus den bunten Blättern, die im Wartezimmer der Arztpraxis herumliegen, in dem sie sich, wie Frau Braggelmann mir erzählt hat, lieber aufhalten als zuhause, weil's da so langweilig ist. Nun gut, nennen wir's, meinetwegen, Sprachwandel. Aber es geht mir zusehends auf die Nerven, wenn Menschen, die bislang in der Lage waren, plastisch und anregend von ihrem Alltag in der Tischler- oder Fleischerei zu erzählen, mit einem Mal im Hofladen hinterfragen müssen, was denn das Huhn aus dem Freilauf für in die Suppe nochmal gekostet hat. Ich kann nur ahnen und vermuten, wer oder was dahintersteckt, wenn eigentlich genügsamen Menschen solche pseudoakademischen Sprachflöhe ins Ohr gesetzt und die von denen dann logischerweise auch benutzt werden. Dabei haben sie das nicht unbedingt aus dem Blatt mit den vier Buchstaben, dem man nicht entkommt, liegt es doch wirklich auf jeder Brötchen- oder Wursttheke, sogar auf der des biologisch orientierten Dorfkramers. Selbst aus Blättern oder Radio- und Fernsehsendungen, denen wenigstens sprachlich eine gewisse Qualität nachgesagt wird, quellen solche Sprachverunfallungen längst zuhauf hervor. Lieschen und Fritzchen saugen es begierig auf, von Bedeutungen nichts ahnend, weil es in der Schule nicht (mehr?) vorkommt und ohnehin das Internet seit Mitte der Neunziger für die Alphabetisierung der Gesellschaft zuständig ist (ganz unten im Text). Denn auch Frau Dr. Müller, das ist angesichts mancher Lektüre meine Erkenntnis, plappert längst genauso unsortiert vor sich hin. Wahrscheinlich hat auch sie keine Zeit mehr gehabt, ihre Dissertation vor Abgabe zu lesen. «Die Menschen seien nicht dumm und hätten ein feines Gespür dafür, worauf es [...] ankomme.» Eine solche Sprechblase hätte auch ein Politiker von sich geben können, am ehesten noch oder am liebsten im Zentralorgan der deutschsprachigen Bildungspolitik.
Carne vale Heute, nachdem ich vor dem Nickerchen in die Stunksitzung hineingeraten und tatsächlich gelacht habe, als Moses die Heiligen Lobbyisten anschleppte, auf daß der Liebe Gott hoch oben auf einem Turm aus Pfeffersäcken (?) stehend die zehn Gebote neu verkündete und in Stein meißeln ließ, will ich eingefleischter Anti-Faschingst mich beteiligen. Nein. Ich verstehe diese seltsamen Rituale nicht einmal annähernd. Noch immer sitzt der Schock tief in mir, den ich Anfang der Siebziger erlitt, als ich an einem Karnevalsfreitag in Aix-la-Chapelle das Hotel verließ, um gemütlich einen Kaffee trinken zu gehen. Ich hatte die abendlichen Warnungen der Dame an der Reception ignoriert. Diese verzerrten Gesichte anläßlich meines mehrfach geäußerten Getränkewunschs werde ich mein Lebtag nicht vergessen, dachte ich doch, die wollen mich, bevor sie mich runterwerfen in Charons Vorgarten, vorher noch massakrieren. Dabei hatte ich, aus London kommend, meine Bahnfahrt nach Berlin lediglich unterbrochen, um mir die heiligste Architektur dieser Stadt anzuschauen. In die war ich anschließend geflüchtet. Aber selbst dort hatte man Pappen an der Nase und auf dem Kopf und war überhaupt von seltsamer Fröhlichkeit. Nun, ich habe auch nie dieses Cowboy und Indianer gespielt. Ich fand das immer sehr langweilig. Vielleicht, weil mein geologischer Vater sein Söhnlein ein paarmal zu den Indios hinauf in die sieben Berge mitgenommen hatte. Aber nachdem ich bei MelusineB, deren Protokolle zu ihren Gleisbauarbeiten ich ohnehin immer sehr gerne lese, heute deren Maskeraden verfolgt habe, beginne ich wenigstens so langsam zu verstehen, weshalb ich mich von klein an unter Mädchen immer irgendwie wohler gefühlt habe als unter faden Meinesgleichen: „Warum verkleidest du dich nicht als Indianer oder als Cowboy?“, fragte meine Mutter, als ich ihr mein Leid klagte. „Ich will nicht immer an den Pfahl gebunden werden.“ Ich bin kein Mann. Warum muss ich das sagen? Sie weiß es doch. Ich will auch keiner sein. Ich will eine Frau sein, die mit der Faust zuschlägt.“Ich danke für diese wunderschöne Auslegung des Karnevals und verleihe Ihnen hiermit den ortsunüblichen Orden für den tierischen Ernst.
(Musik-)Experten für die Altenpflege Zwar behaupte ich gerne, mit zunehmendem Alter kehre zwischenzeitlich wenigstens meine Langzeiterinnerung zurück. Doch seit ich überhaupt keine Stoffe aus Drogerien mehr zu mir nehme, scheint mich auch noch das Kurzzeitgedächtnis zu verlassen. Irgendetwas drängt mich zunehmend aus der Mitte (des Lebens?). Also nehme ich einfach mal so Altenpflege aus meinem kleinen, um so geschätzteren Lesezirkel in Anspruch. Irgendein abendliches Kunst-TV-Magazin ging gestern aus sich und dem Programm heraus mit einem zweiundzwanzigjährigen Sänger von der Insel der Angeln und Sachsen. Dessen Namen habe ich, wie zu erwarten, bereits wieder vergessen. Sein Vortrag allerdings ist bereits seit den ersten Takten und seiner Stimme wegen in meinen offensichtlich gerade noch verbliebenen Windungen hängengeblieben. Vermutlich eher weniger wegen dessen Musik, sondern mehr, weil sie sofort eine (durchaus positive) Erinnerungsstarre in mir auslöste. Da gab es nämlich einen US-Amerikaner, dessen sinistre Balladen sogar mich der Popularmusik eher Abgeneigten Anfang der Achtziger derart ergriffen, daß ich mir seine beiden Schallplatten kaufte, die ich immer und immer wieder abhörte. Doch nicht nur der Name des Jüngeren ist mir entschwunden, ebenso der dieses Urhebers, den ich nun suche, obendrein auch dessen Vinylscheiben, so daß ich nicht mehr nachschauen kann, wie er hieß. Ja, richtig: hieß. Denn das ist das einzige, das mich an diese Personalie erinnert: Irgendwann in jungen Jahren stürzte er nämlich mit einem Flugzeug ab, dunkel schwant mir, es müsse ein kleines gewesen sein, für das er eigens einen Pilotenschein erworben hatte, er seine Klänge also alleine mit in die Hölle genommen hat, an deren Vorhof ich immer dachte, wenn er mit fast unterdrückter, aber möglicherweise gerade deshalb ausdrucksstarken Stimme seine Klagelieder sang. Vom Klang her wäre eine entfernte Nähe zu Tom Waits zulässig, aber nicht so verraucht-kneipig, denn diese Lieder unterschieden sich in ihrer dramatischeren Erzähltechnik musikalisch erheblich, da waren wesentlich mehr sängerische Kunstfliegereien enthalten. Ob mir jemand zu meiner Erinnerungs verhelfen kann? Und sollte jemand gestern auch an diesem Kulturmagazin hängengeblieben sein, von dem ich eben ebenfalls nicht mehr weiß, welches es war, dann könnte er mir vielleicht auch noch den Namen des jungen Insulaners von der Alten Welt nennen.
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