Ein Bild ist ein Bild ... Multiple oder Eine Kopie ist eine Kopie (aus der Berliner Zeitung vom 29.8.2005)

 
Sa, 29.10.2011 |  link | (2400) | 3 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ansichten



 

Auf der Suche nach der verlorenen Identität

Über das Alter sprachen wir, der an Jahren auch nicht mehr so ganz Frische und ich, der in meiner Jugend von Zukunftsweisen darüber belehrt worden war, daß ich in meinem heutigen Alter ziemlich über das Verfallsdatum hinaus gewesen wäre. Allenfalls noch tägliches Rasenmähen, Laubrechen und überhaupt den Garten sauberhalten durch den vitalen Einsatz von chemischen Vernichtungsmitteln von Unkraut würde mein Leben als Rentner noch erträglich machen, in dem es ansonsten kaum noch etwas zu tun gäbe. Wobei des anderen Gedanken sich ausgesprochen mit meiner Parallelwelt verquickten und wir gemeinsam auf den Punkt kamen, ach, das vielzitierte Unkraut und so, das vergehe ohnehin nicht, und ob's das überhaupt gebe, auch eine rote Rose sei nunmal eine Art eßbares Kraut, ob sie nun aus Afrikas Gewächshäusern zu den Billigheimern angeflogen käme oder auf einem Grabstein für die Ewigkeit dahinwelke oder gar in einen solchen hineingemeißelt sei, letztlich gehe es bei den Rösleins doch nur immer um ein und dasselbe, zähle am Ende nur die Liebe wie bei Frau Stein. Und schließlich sei das heutzutage ohnehin kein Alter mehr, fügte er mit dem Nachdruck einer gehobenen Augenbraue an. Wahrlich, dachte ich so in mir drinnen für mich hin, Unkosten gebe es ja auch nicht, allenfalls Belastungen, die man sich selber auferlege, überdies fingen viele mit siebzig an, sich mittels Motorsegler in den Himmel zu erheben, gleichwohl mit Fallschirm versehen, oder sich in die Hölle zu stürzen, vorsorglich durch ein Gummiseil gesichert. Kurz ins Grübeln kam ich noch, da ich mich zu erinnern gezwungen war, daß mein Vater seinerzeit kurz vor Vollendung seines siebten Jahrzehnts war, als mein erster Schrei ihn ein wenig, in Maßen auch die damals vierzigjährige Gefährtin und zu dieser Zeit alles andere als junge Mutter, aber keinesfalls die Welt beglückte.

Wie alt oder jung also man sich fühle. Das letzte Gespräch lag einige Jahre zurück, aber es war, als ob einer von uns lediglich kurz abgelenkt worden wäre und den Austausch direkt fortsetzte, wie das so ist bei Veranstaltungen, die wir beide nicht sonderlich schätzen, die zu besuchen wir aber beruflich genötigt waren, bei denen selbst in der verstecktesten Ecke jemand vorbeikam, den man kannte und zu begrüßen hatte, manchmal auch wollte, weil es schließlich auch auf den zu seelenlosen, zum Event verkommenen Kunstmärkten Menschen gibt, die interessant oder sympathisch oder etwas ähnliches sind und mit denen es durchaus, also nicht nur nach Rockkonzerten, glücklich beisammensitzen war. Es lag in der Natur unserer Begegnung, daß wir über Kunst sprachen. Doch die war, wie bei unserem letzten Gespräch, beinahe marginalen Charakters, wenn sich das so bezeichnen läßt bei Menschen, in deren Tages- wie Nachtgeschäft Arbeit und Leben eins sind, die sich des Privilegs bewußt sind, nicht trennen zu müssen zwischen dem mittlerweile zum Job mißratenen Broterwerb und der Freizeit, die sich nie auf die schönste Zeit des Jahres freuen müssen, weil es die nicht gibt in der eigentlichen Romantik, in der nämlich nicht das ach so romantische Wochenenddinner bei Candlelight im Wellnesshotel oder am Ende gar gleich drei davon hintereinander zählen, sondern Kunst und Leben identisch sind. Wir waren uns (mal wieder) einig, und herhalten mußte einmal mehr der Falentin Karl: Fremd ist der Fremde nur in seiner Bestimmung. Zwangsläufig kam der Gesprächspartner also auf einen Künstler zu sprechen. Über dessen Frische habe er als junger Mensch sich immer so gewundert, daß er ihn, siebzig sei er damals gewesen, der andere, gefragt habe, wie er das bloß so mache, daß er auf ihn immer so jugendlich wirke. Die zentrale Antwort habe gelautet:

Man verliert seine Identität nicht.

Nun ja, Identität hin oder her — nun kommt wieder so ein verfluchtes, verherbstetes Wochenende, während dem man nicht einmal einfach Laubsaugen oder -blasen oder Holzkreischsägen oder rasend Mähen darf. Nur noch Lyrisches hören und lesen. Was ist das denn für ein Leben?!


Eine Menge romantische Links und überhaupt Hoffnungsloses.
 
Fr, 28.10.2011 |  link | (2215) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Inneres



 

Der politische Analyst

Mein inzwischen dreijähriger Henri II, für den ich eigentlich eher eine künstlerische Karriere vorgesehen hatte, plappert mittlerweile von der Schule, in die er mal kommen wird: trilingual (chinesisch, englisch, französisch und, als Nebenfach, deutsch) und privat, weil eine normale gar nicht mehr geht, wie Maman meint.

Angedeutet hatte ich es vor einiger Zeit, als mir klar geworden war, daß neuerlich bald ein neues Wort die Gipfel aller Moden erklimmen würde, jenes Olympia, von dem die sprachlichen Himmelsstürmer meinen, es erklimmen zu müssen, um sich ganz oben zu wähnen auf der leicht geplätteten Kugel, die wohl deshalb in ihrer Form global genannt wird. Vorgestern nun war es endgültig: Da erzählte mir geistig Minderbemitteltem eine Fernsehreportin des aktuellen Tagesgeschäfts vom «politischen Analyst», der Professor sei an einer bayerischen Universität. Ein Politikwissenschaftler als politischer Analyst. Vielleicht lag's ja daran, daß er über Euro und Krise und Weltwirtschaft und die Möglichkeit sprach, irgendwelche Hebel zu nutzen, um anderen die Börse aufzustemmen, also über Blasen redete, die zu produzieren wahrlich nicht nur Angehörige der sogenannten Finanzmärkte in der Lage sind, weil sie nicht wissen, worüber sie konfabulieren, sondern auch Journalisten, deren Sprachvermögen an den heutigen Schulen mittlerweile offensichtlich auf einen kleinsten, aber auch wirklich von jedem (nicht) verstandenen gemeinsamen Nenner eingedampft, ja zu Tütensuppenstaub totreduziert zu sein scheint, so daß sie sich von anderswoher Begriffe ausleihen müssen, die alles zulassen, nur keine sprachliche Viefalt.

An die Wortführer aus der Welt der Finanzen haben die Deutschen sich längst gewohnt, wie sie sich eben an alles gewöhnen, was von drüben kommt. Nein, nicht dieses Drüben, wohin derjenige gefälligst gehen sollte, der geäußert hatte, daß ihm dieses oder jenes nicht passe. Das Drüben von der anderen, sozusagen der Gegenseite, wo alles herkommt, das gut ist, quasi wie ein warmer Regen, der Gewinn verspricht. Von den Brüdern und Schwestern aus dem wilden Westen nämlich, die den Deutschen aus reiner, christlich-altruistischer Mengenlehre so kostbare Güter wie Marshall-Plan und Care-Pakete via Rosinenbomber bescherten, ohne die sie vermutllich mindestens so arg am Hungertuch genagt hätten wie die aus dem Osten, die schier ohne Ende Reparaturleistungen abzuführen hatten und sich ohne Westkredite höchstwahrscheinlich um einiges früher im Schmieröl blühender Landschaften hätten suhlen oder eben eine sibirische Provinz werden dürfen. Mit diesem Gewinn wurde es ihnen schließlich möglich gemacht, (sich) zu behaupten, etwa: an ihnen solle die Welt, zumindest Europa genesen, beispielsweise durch eine erfolgreiche Politik des Exports, bedingt durch das Absenken realer Löhne und Erhöhung zu erbringender Leistungen. Daß Deutschland 1953 entschuldet werden mußte, unter anderem durch Griechenland, davon wird zwar immer wieder mal geredet, aber die meisten hören nicht zu. Wie bei fast allem, das sie unmittelbar betrifft. Oder ihr Leidbild ins Wanken bringen könnte.

Was ist das für ein Land, das immerfort von sich behauptet, eine Nation von Kultur, nicht im Sinne von Landwirtschaft, sondern eher französisch im Sinn von Civilisation (die Suchmaschine scheint, zumindest an vorderster Sprachfront, allerdings nur ein Computerspiel dieses Namens zu kennen), also weniger von Martin Luther als von den Encyclopédistes zu sein, und dabei ständig die aus einem anderen importiert, die das Überflüssige zum höchsten Gut und alles andere für schlecht, weil, beispielsweise, kommunistisch, erkärt hat? Weshalb sprechen die Deutschen, zum anderen Beispiel, eigentlich nur noch von Technologie, wenn Technik gemeint ist? Und wundern sich, wenn sie, wie bei ihrer Tütensauce aus garantiert nichtnatürlichen Zutaten, daß es Unterschiede gibt zwischen Ingredienzien. Klar, die kennen sie nicht (mehr). Die erste ist nämlich die Lehre von der zweiten. Bei den fortschrittlichen Brüdern und Schwestern aus dem wirtschaftlichen Westen ist das ein Klumpatsch. Und so schmeckt der sich modern gerierende, alles wesentliche abstrahierende Sprachbrei auch.

Gefragt wurde ein politischer Wissenschaftler nach seiner Meinung zur ökonomischen Situation Europas. Da Europa nach Meinung der wohl meisten Deutschen ohnehin nur noch eine Sprache zu sprechen scheint, jene, die einst vom sogenannten alten Kontinent kam und im gewinnenden Westen ohne historischen Zeitbezug endgültig auf einen Begriff, auf den des Schnellfraßes eingedampft worden war, nimmt man das, was schneller geht, was kein weiteres Nachdenken erfordert: das vereinfachende Vereinfachte. Ein vor die Kamera gebetener Experte redete davon, die «Bewegung» (siehe Delius' Unterscheidung zwischen dem 68er-Singular und Plural) in den nordafrikanischen Ländern oder die von den neunundneunzig Prozent beziehungsweise einem seien von Intellektuellen forciert. Im Nebensatz fiel der Begriff Gebildete. Genau das ist es, zu dessen Unterscheidung ich mich hier und anderswo vielfach geäußert habe: Bildung, so wie sie heutzutage verstanden wird, hat mit der Fähigkeit, zu unterscheiden, ein eigenes Denkgebäude entwerfen zu können, wenig zu tun. Intellegere bedeutet: wahrnehmen und erkennen, abwägen zu können zwischen dem Denken des einen oder der übernommenen Schablone des anderen, das eigene Wissen mit einzubringen und daraus eine eigene Meinung zu formulieren. Daß es dabei zu Übereinstimmungen mit der anderer kommen kann, steht außer Frage. Aber derjenige, der lediglich zur Steigerung des Bruttosozialprodukts (seit etwa der Jahrtausendwende Bruttonationalprodukt) nicht einmal mehr 333 als Issos Keilerei auswendig lernt, der mag, sollte er's dennoch tun, vielleicht ahnen, daß sich seinerzeit da irgendwo in der damaligen zivilisierten Welt mal wieder einige die Köpfe eingeschlagen haben, mag sein aus Macht- und Ruhm-, damit verbunden wohl Gewinnsucht, aber er weiß deshalb noch lange nicht, warum sie's tatsächlich taten. Er mag also vielleicht das Angebot kennen, auf welchen Märkten für ihn eine Markenzukunft angeboten wird, aber Merkmale zur Unterscheidung hat er deshalb noch lange nicht gelernt, die ihn befähigen könnten, zu differenzieren zwischen schwarz und weiß, zwischen gut und schlecht, als Gottesanbeter möglicherweise noch zwischen gut und böse.

Nun gut, ich mag das sein, was andere einen Sprachnörgler nennen. Zwar kann ich der Argumentation durchaus nickend folgen und gar bestätigen, daß auch das geschriebene Wort sich dem gesprochenen anpaßt, Wandlungen unterworfen ist. Auch Rezepte ändern sich. Aber mir ist es eben keineswegs wurscht, was in der Sauce oder Suppe enthalten ist, ob trockene, getrocknete Knochen, bald auch noch synthetisch rein hergestellt, oder tatsächlich Fleisch. Gut, möglicherweise wird mir demnächst das zu essen verboten, weil es nicht mehr korrekt ist, nicht mehr den Moralvorstellungen «gebildeter» Menschen entspricht. Ich hingegen habe bereits vor zwanzig und mehr Jahren, als der Konsumterror und das Billigheimerdenken sich zur Paarung entschlossen hatten, gewußt, wie schädlich Übermaß, Überproduktion sein kann. Aber solange noch ein Rest an Geschmacksnerven in mir sind, will ich schmecken, was dran und drinnen ist. Solange heißt der «Analyst», meinetwegen, so, weil der ohnehin ein-, gar weggedampft gehört. Der politische Wissenschaftler ist jedenfalls, wenn denn überhaupt dazu fähig, allenfalls ein Analytiker. Es sei denn, mein persönlicher Psycho überzeugt mich nach einem meiner nächsten Sprachwutbürgeranfälle auf dessen Couch liegend davon, auch er sei ein solcher. Dann bin ich allerdings dort, wo vor gut zwanzig Jahren die DDR war, die Globalisierung genannte Raserei einsetzte und mittlerweile auch das gesamte Deutschland zu sein scheint: sprachlos.
 
Di, 25.10.2011 |  link | (4765) | 13 K | Ihr Kommentar | abgelegt: lingua franca



 







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