Wissen macht Ahbeit Allerdings weniger für Redakteusen und Redakteure der immer jungen Abteilung einer gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Anstalt. Die müssen sich nämlich nicht vorher wenigstens klugmachen, bevor sie etwas als Innovation in den Äther posaunen. Das erinnert mich ein wenig an den jungen Künstler, ich meine nicht Daniel Ambühl, der Vom Genie der Neuigkeiten ... erzählt, ein anderer war's, dessen Namen ich vergessen habe, der in den Achtzigern Marcel Duchamps Weinflaschentrockner neu erfunden hatte, da er der Lektüre nach hinten, der Historie seines Gebietes nicht sonderlich zugetan war. Da kann's einem durchaus passieren, daß man für ein Genie gehalten wird, obwohl es gar keinen Neuschnee gibt. Kunst müsse man nun nicht mehr kaufen, man könne sie mittlerweile auch leihen, hieß es frühmorgenlich (und vor ein paar Minuten wiederholt) im Kinderkanal Hirnradio. Ein neuer Trend sei aus La Défense, einer Randgemeinde des Zentrums der Îl-de-France zu vermelden. Kraft einer dort ansässigen Artothèque, so hat ein halbes Ohr die ungemein witzige Moderatorin noch mitgekriegt, werde das Risiko gefälschter Kunstwerke insofern minimiert, als man sie gegen Gebühr ausleihen und zurückgeben könne, nach einem halben Jahr sogar müsse. «Die Bürger können zwischen rund 90 Gemälden auswählen, die Sammlung hat das Rathaus zusammengestellt. Solche Artothèques gibt es mittlerweile in vielen Gemeinden Frankreichs — ein französisches Erfolgsmodell, das schon von einigen Kunstvereinen kopiert wird.» Da hat wohl die Reporterin ein Ausflug nach La Défense gemacht, für sich eine Neuheit entdeckt und diese sofort nach Köln gezwitschert oder gesimst, und die Entscheider des Bildungsauftrags haben ihr flugs den Zuschlag erteilt. Die Worte von Martine Dallennes fallen mir dabei ein, die beim Lesen des Buches Und Gott schuf Paris sich und die Leser fragte: «Zehn Jahre soll er dort gelebt haben? Seine zweite Heimat soll er dort gefunden haben? Er tut geradeso [...], als habe er Paris und Frankreich immer nur in der Rolle des Auslandskorrespondenten erlebt [...].» Andererseits ist das Nichtwissen der vermutlich Paris für Frankreich haltenden Berichterstatterin einleuchtend, wenn man weiß, wie schwer sich sogar die einstige Metropole d'art mit der zeitgenössischen bildenden Kunst tut. Die Trennung zwischen Kirche und Staat, das möglicherweise so entstandene Desinteresse an immer noch katholisch befeuertem Bildhaften, die übermächtige Liebe zu Literatur und Theater hat erhebliche Wissenslücken entstehen lassen. Trotz aller Bemühungen beispielweise eines Bildungsfindungsministers wie Jack Lang, auch via Museen mehr Siècle des Lumières in die dunkelsten Provinzen des Landes zu bringen, hat man's dort nach wie vor nicht unbedingt mit den bunten Bildern, während in der rechtsrheinischen Republik bald jedes Kuhkaff eine eigene Skulpturenmeile unterhält. In Frankfurts Klappergass', dort, wo die Frau Rauscher gerne einen gehoben und deshalb e Beul am Ei hot, was Sachsenhausen vermutlich im Bembelsommer mehr äbbelwoiselige Handkäs'-mid-Musigg-Touristen beschert als dem Museumsufer ganzjährig, feierte man unlängst fünfundzwanzigjähriges Bestehen. Dort kann man, wie wohl auch in den meisten anderen Bildereien, wie diese Bildleihstellen auch genannt werden, Kunst von Zeitgenossen vor und/oder nach der Ausleihe kaufen. In der Artothèque von Puteaux ist das nicht möglich. Wahrscheinlich ist es deshalb «ein französisches Erfolgsmodell». Wer's mit dem Hinkucken nicht so hat, für den ist alles fortschreitend neu, auch wenn's anderswo längst ein alter Hut ist. La Défense könnte die Metapher für diese typisch französischen Grundhaltung lauten: Abwehr von allem, was nicht aus dem Ei Grande Nation geschlüpft ist. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich schon gegen Mitte der achtziger Jahre in der Münchner Artothek zwei-, dreimal Gemälde ausgeliehen, quasi zum Probekucken. Seit den Neunzigern wird sie (mit)betreut von Johannes Muggenthaler, der dazu den einzig richtigen Kommentar gezeichnet hat: «Mondrian geht unerkannt spazieren». Da ich auf diese Zeichnung nicht zugreifen kann, weil sie von Frau Braggelmann konfisziert wurde, zeige ich Wiederholer ersatzweise ein weiteres seiner Erkenntnisse (die mir wenigstens als Photographie geblieben sind):
«Die Fallhöhe entfällt. Es rauscht. So grün.» Davon möchte ich mehr lesen. Es bezündelt mich dermaßen, daß ich sehr gerne hätte, auch andere hätten gerne mehr davon, da «es noch anderes gibt, eine Literatur nämlich, für die Sprache mehr ist als Briefträgerin für Botschaften». «[...] Auch ich bin eine Irre. Ich glaube nicht an die Marktwirtschaft. In Ewigkeit. Amen. Aber an die unerschöpfliche Produktivität der Menschen. Ich glaube sogar daran, dass es ein nachkapitalistisches Zeitalter geben wird. 1986 stellten Jean-Marie Straub und Daniele Huillet im Frankfurter Filmmuseum ihren Hölderlin-Film ‹Der Tod des Empedokles› vor. (Der Philosoph, der sich in den Ätna stürzt, weil er sieht. Wie hörbar der Wind durch die sizilischen Bäume streicht.) Jean-Marie Straub legte sich fest: Es begann mit dem Geld. Von da her: der Untergang der Menschlichkeit. Das glaube ich nicht. Es geht weiter. Eben auch: von da her. Wohin ? — Das können nur die Götter sagen. Und die Seher. Die stürzen müssen. Doch wir — sollen leben! Vielleicht ohne Geld. Tauschhandel wird verboten! Stell dir das mal vor! Kann eine denken. Kein Grund, sie einzusperren. Kein Sturz in den Ätna. Die Fallhöhe entfällt. Es rauscht. So grün. [...] »Ob man Melusine heißen muß oder darf, um so weise zu sagen? Ja, immerzu muß ich dabei, bei ihr an die Undine der Bachmann denken, an Das dreißigste Jahr, an diesen Hans: «... daß ein Mann Hans heißen muß, daß ihr alle so heißt, einer wie der andere. Es ist immer nur einer, der diesen Namen trägt.» (♥)
Musikalische Zerreißprobe Ich bin mir im klaren darüber, daß es wieder einmal schiefgehen wird mit der (Selbst)Ironie. Ein sich letztlich viel zu ernst nehmender Mensch bin ich dann doch, ein zerrissener obendrein, und zeitlebens werde ich das wohl bleiben. Seit frühester Zeit. Bereits zu Zeiten, als ich noch gar nicht eigenständig denken konnte, als das Gefühl noch übermächtig war, ahnte ich, ich würde es in die Schranken, es zurückweisen müssen, so etwas wie eine europäische Außengrenze errichten, weil ich meine Autonomie in Gefahr sah; der Unterschied zur Autarkie war mir noch nicht so recht bewußt. Also beschloß ich, der ich bis dahin die großen Denker allenfalls bruchstückhaft mitbekommen hatte, weil ich, auch in oder besonders gerne in der Schule, immer schon recht vor mich hinträumte (längst habe ich das umformuliert in Langsamdenken), dennoch ein Philosoph zu werden und mein Denkgebäude mit einer fundamentalen Formel zu beginnen: neunundvierzig Prozent. Diese sollten fortan nicht mehr überschritten werden. Der Rest sei Ratio. Diese Erinnerung an die kontinuierlichen Geistesgefechte in meinem oberen Marsfeld kam mir, als die kontroversen Meinungen zur Musik von Hanns Eisler geäußert wurden, in denen es hieß: er sei ein politischer Komponist; er sei alles andere als das; Musik sei niemals politisch. Schon letzteres ist insofern äußerst schwierig nachzuvollziehen, als die Aussage bereits das Gegenteil belegt. Alleine die Behauptung, man könne mit Musik keine politische Überzeugung zum Ausdruck bringen, entbehrt jeder Grundlage, ist doch jedes unpolitische Verhalten bereits politisch. Wer mit einer solchen Begründung nicht wählen geht, leistet entsprechenden Auswirkungen Vorschub. Ich will mich auch gar nicht mal auf Eisler alleine berufen, der ausgeführt hat, was falsches Pathos anrichten kann: «Ich bin gegen die schlechten Komponisten, die Dummheiten, Schwulst, Dreck und Schwindeleien in der Musik ausüben. Ich bekämpfe das seit 1918. Heute ist 1961. Ich gebe zu, ich bin besiegt worden.» Karajan als Beispiel fällt mir soeben (Kleist, paraphrasiert) ein, der Gefühle sensibler Menschen zugrunde zu richten vermochte, indem er Beethovens Neunte dirigierte, als würde ein Führer möglichst prunkvoll zu Grabe getragen werden müssen, um ihn schneller vergessen zu können, wie mich seine Interpretation des gehörlosen Meisters sanftes städterdenkerisches Hirtenspiel Mein Dekret: nur im Lande bleiben. Wie leicht ist in jedem Flecken dieses erfüllt! Mein unglückseliges Gehör plagt mich hier nicht. Ist es doch, als ob jeder Baum zu mir spräche auf dem Lande: heilig, heilig! Im Walde Entzücken! Wer kann alles ausdrücken? Schlägt alles fehl, so bleibt das Land selbst im Winter wie Gaden, untere Brühl usw. Leicht bei einem Bauern eine Wohnung gemietet, um die Zeit gewiß wohlfeil. Süße Stille des Waldes! Der Wind, der beim zweiten schönen Tag schon eintritt, kann mich nicht in Wien halten, da er mein Feind ist.»als mich des schönen und reichen k.u.k-armenischen Ritters Herbert Pastorale fast taub machte wegen der lärmenden Nebengeräusche, den dieser Schwulst verursachte, wie der Deutschen Liebster Sibelius' Lande in einem Pathos durchritt, als ob er Goethes Erlkönig durch Karelien bringen müßte, um nur den Anschluß an die deutsche Breitenwirkung der Leidkultur nicht zu verfehlen. Nun gut, dieser zur Parade aufrufende Fahnenschwinger aus Österreich war schließlich kein Komponist, sondern eher Obermusikverwalter von Nachkriegsgefühlen, die den Meister aus Deutschland sterben lassen sollten und ihn doch immer wieder aufweckten. Außerdem trenne ich mich offensichtlich allzu schwer von einmal gefällten Urteilen. Das meine ich nicht, weil ich eine Art Nazirichter auch nach Kriegsende bin, sondern weil ich's immer wieder mal versuche, diesem Herrn zuzuhören. Gerade habe ich, um mich zu prüfen, nochmals Beethovens Fünfte angehört, obwohl das Wetter zumindest von innen nach draußen eigentlich eher eine pastorale Stimmung vermittelt, bei der der Stabschwinger ausnahmsweise mal richtig Geschwindigkeit in Formel-1-Manier vermittelt hat, vielleicht um die Touristen nicht zu vergraulen, die auch für europäische Musikgeschichte nicht mehr als eine Stunde Zeit haben, und ich muß dem Kommentator recht geben: «Vollgasfahrt». Das wird nichts mehr mit gemeinsam empfundenen Gefühlen zwischen uns beiden. Diese Hoffnung sei politisch, meinte ein wenig unwirsch der Dirigent in der profunden Dokumentation von Ellen Fellmann zu den Bläsern, als die ihm während der MusikTriennale Köln 2010 in den Proben zu Eislers Deutscher Sinfonie offenbar zu getragen daherflöteten, -posaunten, -fagottierten et cetera. «Blasen sie sich die Lungen aus dem Hals.» Eine, eben diese eigenartige Ruhe sollte herrschen, so interpretiere ich das, die den konstanten Wind von hinten herantrug, der den Rücken stärkte gegen die übel paradierende Wind- und Rauchmaschine, die einem die Wahrnehmung vernebeln sollte. Und dann wankte es wieder einmal in seiner Brüchigkeit, mein altes, mittlerweile historisch zu nennendes Fundament auf der Basis 49 versus 51, dieses Gewühl gegen Hertie. Mir verlärmtem Großstädter war nach Landleben wenigstens im Gehör zumute, und dann schmetterte es mir neutönende Hoffnung in die ohnehin lädierten Ohren. Wieder einmal zerriß es mich schier zwischen meiner hingabebereiten Sehnsucht nach sanften Harmonien, wie sie beispielsweise auch bei Edward Grieg oder Jean Sibelius säuseln, wenn man nicht genau hinhört, wie bei diesen Gefühlsduseleien, wie sie völlig verfehlte Geräuschkulisserien in ernsthaft ernstgemeinten Dokumentionen verursachen oder gar zielgerichet bei Werbekonsumenten jede Kritikfähigkeit außerkraft setzen sollen. Doch dann ging wenigstens der mir innewohnende schrebergartige, alles noch so winzige Chaos durch Ordnung ausgrenzende Jägerzaun hoch, der mir alpengleich den freien Blick aufs Mittelmeer verstellt. Ich stellte die Lauscher auf. Richtig. Ich schaute ins Innere hinterm Horizont. Wie bei den Composer's, Schlippenbachs oder ähnlichen Krankheiten. Den urteils- beziehungsweise Karajan prüfenden Beethoven hatte ich also wieder ins Gestell zurückgelegt, die olle Scheibe aus dem Regal genommen, die ich bei meinem trödelnden Nachbarn endlich mal gegen eine ganze Kiste voller Schwachheiten eingetauscht hatte, und Eislers Auslegung von Hoffnung zugehört. Und höre da: das Wohlgefühl des Erkennens und Verstehens kam auf in diesem Bekenntnis, nach dem Ratio und Emotio keineswegs Gegner sind, sondern über die obere Festplatte gesteuerte Partner. Man muß lediglich die korrekte Einstellung zulassen. Denn es ist letztlich ein leichtes, beim Gehen den Boden zu berühren, wie Herbert Achternbusch mal notiert hat. Wem nach Nachhören zumute ist: Wie einst von arte aufgezeichnet und von Andershörenden in die Tube gestellt, kann's klingen.
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