Mikrokosmisches Frühjahrslamento

Niemand, aber auch niemand, meinte mein, gleich meinem Anwalt, Haus- oder Zahnarzt persönlicher Autoschmied, als ich meine Voiture à Deux Chevaux, die neunundzwanzig-spännige, mit vier gemütlichen Gartenstühlen (im)möblierte Ente abholte, die er von einem Verein geprüfte und somit gesetzesgerecht wieder zurechtgedengelt und hin- und hergerichtet hatte, auch weil so ein Viech im Norden sich gegen die permanent nässende und obendrein versalzte, weil durch die paar Zentimeter winterlichen Flöckchen völlig verängstigte Gesellschaft sich mit Rostblasen wehrt und wir im Laufe unseres Gesprächs vom hundertsten der immer neuen Abgas- und sonstigen Vorschriften kommend in der zunehmend verdrossenen Welt angelangt waren, niemand, sagte er fast wütend, aber auch niemand in seinem Bekannten- und Freundeskreis unterläge den Irrtümern, die über die Politiker ständig als das einzig richtige Leben vorgeschrieben würden.

Ja, manchmal schreibe ich gerne nahezu atemlos lange Sätze auf, so, wie sie mir manchmal schier punktlos und komatös für andere ins Gehirn dringen, die ich notieren darf, weil mir kein Verein zur Reduktion von Denkluft vorzuschreiben hat, in welcher Form ich über kurz oder lang meinen Ärger in den Äther lasse.

Alle wüßten, sprach mein Entenrichter, daß Vorschriften und Gesetze vorange- und weiterbetrieben würden, die durch Untersuchungen und Gutachten und was sonst noch alles längst widerlegt seien. Er, der sinnvollen, besser noch, vernünftigen Maßnahmen zur Rettung der Welt wahrlich aufgeschlossen gegenüberstünde, sowohl im ökonomischen, was schließlich nicht alleine raffgieriges oder turbokapitalisches Vorgehen bedeute, sondern in seinen Vorstellungen Erzeugung von Produkten und deren Handel zur Verbesserung von Lebensqualität, aber mehr noch im ökologischen Sinn, denn auch er wisse, daß er, wie es fast sprichwörtlich heiße, obschon es in Vergessenheit zu geraten scheine, die Erde von seinen Kindern lediglich geborgt bekommen habe, auf daß er sie, weshalb er stets bemüht sei, sie auch oder gerade in seinem Mikrokosmos zu erhalten, sehe nicht ein, daß die global alles Kleine kaputtherrschende Groß- oder Sonstwasindustrie ihren von Politikern gesegneten Dreck ungehindert in noch jedes winzige Mittel zum Leben hineinblasen darf, während er bemüht sei, Altes im Kleinen zu bewahren und er damit auch noch dem übermäßigen Verbrauch von Rohstoffen vorbeuge, der etwa durch die Produktion von kurzlebigen Maschinen entstünde, die die Menschen nicht bräuchten, aber dennoch von ihnen gekauft würden, weil sie sich, aus welchem Grunde auch immer, wohler fühlten im kreditierten Schein einer höfisch anmutenden Karosse mit mehrhundrig Gäulen davor und mit ihr dann auf den Hof derer führen, die alles zu geizgeilen Knickerpreisen verhökerten, auch die Botschaft, nur billig sei das Leben zu genießen.

Genau so hat er's nicht gesagt. Aber so ähnlich atemlos und wütend und in zwei, drei Sätzen gesprochen ist mir's im Gedächtnis geblieben, dem ich sicherlich unwillentlich noch ein wenig beigefügt habe. Worum ging's eigentlich? Ach ja, niemand in seinem Freundes- und Bekanntenkreis glaube an die Weltheilsoffenbarungen nahezu aller Politiker mit deren Regulierungen, die alles und alle kleinmachten, nur nicht die großen Alleskaputtmacher, irgendetwas mit Feinstaub- und sonstigen Ausstößen der Kleinen, die die Umwelt belasteten, es aber längst nachgewiesen sei, daß nicht sie, sondern es die Großen, die dicken Gewinnbrummer des Globalen es seien, die den Dreck produzierten.

Und dennoch, wagte ich anzumerken, würden nahezu alle immer wieder denjenigen die Mehrheiten verschaffen, die sie kaputt machten. Warum, lud ich die Frage nach, weshalb und wieso komme eigentlich kaum jemand auf die Idee, kaputtzumachen, was sie kaputt mache? Aber ich Mikroko(s)miker, resignierte ich schließlich, verstünde von all dem nichts. Mein hühnerhaftes Dasein sei von schicksalhaftem, petitbourgoisem Wutbürgerdasein gekennzeichnet. Aber alles egal. Hauptsache, die Ente flöge wieder. Schließlich nahe der Frühling. Seine gleichwohl noch unrasierten vorbotischen Bande seien bereits eingetroffen: die Müdigkeit, die komplizierte Gedankengänge in klaren Sätzen einfach nicht zulasse.

Hier mal die legendäre Münchner Ente, die einmal ein Fiat Panda werden sollte und mittlerweile von keinem Rost angegriffen auf einer mittelmeerischen Insel herumflattert.

 
Mi, 14.03.2012 |  link | (1829) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Unterwegs



 

Sonntägliche Fernsehstunde

In einem Teil von Opis großer Familie gibt es einen dreijährigen Jungen, dessen Weisheiten er trotz des wohl kleinkindlich bedingt überhasteten Schnellsprechs und seines seine Mitmenschen erheblich belastenden Gehörs dennoch vernimmt, weil er in ganzen Sätzen spricht, bis hin zu grammatikalischen Feinheiten etwa eines Genitivs und gar eines Konjunktivs. Immer wieder aufs neue ist dieser Opi erstaunt, aber auch entzückt davon. Im Kindergarten lernt der Lütte das nicht, schon gar nicht im Fernsehen.

Das darf er nämlich dennoch schauen, weshalb sollte er wirklichkeitsfremd aufwachsen, er trifft ja auch längst die richtigen Knöpfe im Computer. Einmal täglich darf er kucken, wenn scheinbar Kindergerechtes zur Ausstrahlung kommt. Alleine in die Glotze glotzen darf er nicht. Schließlich tauchen immer wieder Fragen auf, die beantwortet sein wollen. Meistens ist es Papa, der dann ohne jeden Anflug von fortgeschrittener Babysprache erklärt, worum es eigentlich geht in dieser Sendung, in der irgendwelche aufgedrehte, etwas ältere Jungs mit dem vermutlichen Karriereziel Berufsjugendliche in einem Operationssaal herum-hampelnd und grimassenschneidend die Bedeutung von Bakterien erläutern: Hände-waschen ist enorm wichtig, will man nicht krank werden. Nein, nicht so wie der dabeisitzende Opi, der ist lediglich von der Altersstarrheit angefressen, was aber auch jedem passieren könne, wenn er so lebe, wie er gelebt habe, was diesem Opi aber egal sei, da er gut gelebt habe, weil er nicht vorhatte, mit dreiundneunzig Jahren zwar gesund, also körperlich einigermaßen intakt, dafür völlig verblödet dahingeschieden zu sein.

Dieser das nicht gehört, aber zwischen den Zeilen wahrgenommen habende Opi durfte, mußte aber nicht kommentieren. Er denkt sich seinen Teil und ist eher erheitert über solche leichte Sarkasmen, kann jedoch, da er von jungen Jahren an an schwerst und unheilbarem, weltverbesserischem Wortdurchfall leidet, deshalb dann doch seine Klappe nicht halten und spricht gen Kindwelterklärer: Ob er ihm bitte erklären könne, weshalb dieser schrecklich künstlich aufgeregte Worttröter in dieser Kiste eigentlich von diesen «komischen» grünen Anzügen spräche, die das Personal im Operationssaal trägt, anstatt mit einem oder auch zwei Sätzen klarzumachen, daß sie vielleicht komisch auf den Kleinen wirken, weil diesem komischen Onkel da in der Kindsglotzredaktion niemand gesagt hat (oder vielleicht sagen konnte?), warum dort grün getragen wird oder auch blau, nämlich weil die Götter in weiß in sonstiger Tracht nicht reflektionsfrei, also klar sehen und so die Gefahr erhöht wird, noch mehr Scheren und Putzlappen neben Niere oder Leber im Körper eines Frischoperierten zurücklassen.

Und endgültig tritt dann die Logorrhoe, während Opi einleuchtet, woher das alles kommt, was ihm seine Sprachumwelt so drastisch verdreckt, aus allen seinen Sprechöffnungen, als dann noch einige virtuelle, neudeutsch post it geheißene Notizzettel aufscheinen, nach denen alles mit Super, umgangssprachlich Supa!, unterstrichen wird. Und das, spricht der immerfort zur mindestens leichten Ironie neigende Papi, in klaren, grammatikalisch einwandfreien Sätzen, so, daß auch der Kleine es versteht, kommt aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramm, das stetig bemüht sei, es von den Privaten abzuschauen und es anschließend immer noch ein bißchen weiter nach unten zu nivellieren, etwa so, wie man immerfort bemüht sei, Ansprüche in Schule und Universität abzusenken, statt sich nach oben zu orientieren. Hamburg zum Beispiel, würde sich entschieden dagegen wehren, bayerische Abiturkriterien als Maßstab nehmen zu müssen.

Auf Opis Entgegnung, das seien aber auch nur Kriterien des Auswendiglernens zur Verbesserung von Schulnoten und nicht etwa geeignet, zum selbständigen Leben anzuleiten, meldete der Kleine sich zu Wort: Man möge bitte aufhören, ständig in seine Fernsehstunde hineinzuquasseln. Auch Kinder, das habe ihn Papa gelehrt, hätten ein Recht darauf, ungestört kennenzulernen, wie sich Erwachsene die Welt des Nachwuchses vorstellen. Anschließend käme die Sendung mit der Maus. Das wäre was von der älteren für die ältere Generation.
 
Mo, 12.03.2012 |  link | (1928) | 6 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Kinderkinder



 

Auch auf Kirschbaumästen

sitzend mag ich nicht lesen, und schon gar nicht im Sommer, wenn's heiß ist. Womit ich Sie, lieber Enzoo, zu Erhöhung oder Höhe des Lebens ungefragt umziehe und zum Thema mache. Lesen ist kein Naturzustand, das ist Civilisation, sag' ich mal im französischen Sinn von Kultur. Ich bin religionsfrei Zivilisierter oder auch undogmatisch aufgewachsener Pazifist. Bereits der Mont Ségur nahe dem Albigensischen ängstigt mich angesichts des Blicks von unten, was aber auch am Gedanken an die nichts als Gott fürchtenden Ketzer liegen mag, die trotz allem Kampfeswillen und Blutsbereitschaft schon im dreizehnten Jahrhundert von ihm verlassen wurden. Anstrengung um einer Sache willen ist mir fremd. Ich brauche also nicht einmal eine schützende Burg mit meterdicken Mauern aus Stein, mag aber gerne eine oldschool coole Behausung, in der der Kopf eine Möglichkeit findet, kühl zu bleiben. Bei erhitzter oberer Festplatte sind bei mir rasch alle Verbindungen zuende.

Mir war auch schon immer ein Rätsel, wie man sich stundenlang zum Braten in den Sand legen und dabei auch noch schmökern kann. Das ist das Angenehme an meiner Heimat gewordenen Stadt Marseille, die einst direkt am Wasser der Liebe wegen errichtet wurde, weshalb wohl Léo Ferré ihr 1972 die Zeilen mitgab: «O Marseille, man könnte meinen, das Meer habe geweint.» Es kann aber auch sein sein, daß der weise Sangesprophet vorausgesagt hat, man würde das ohnehin schon kaputtmodernisierte Griechenklo auch noch zur Kulturhauptstadt Europas erhöhen. Noch strebt dort alles Volk, das sich temporär befreit fühlt vom Joch der Arbeit, an diesen sogenannten freien Tagen oder auch Wochenenden (der Samedi gehört allerdings dem Einkauf) an den Strand. Unsereins hat dann die etwas kühleren, schattigeren Plätze für sich. Noch. Denn wenn endgültig eingetreten ist, was damit beabsichtigt wird, nämlich mehr Touristen anzuziehen, dann bin ich auch ich heimatlos geworden, der Stadt meiner Liebe beraubt, die nur den einen Pfeil von Cupido benötigte und derentwegen, ich geb's zu, ich mich trotz aller Höhenangst ganz nach oben begeben habe, um hin und wieder einen Blick über den Horizont nach Afrika zu erhaschen, wohin die schöne Verlotterte eigentlich gehört, von dessen Einwohnern Jean-Claude Izzo einst notiert hat, sie äßen alle gefüllte Weinblätter, seien also Teil der Levante. «O Marseille, man könnte meinen, das Meer habe geweint.» Weil die seit einiger Zeit, jedenfalls deren verkommenen, nichts anderes als intérêt pour l'argent in Kopf habenden oberen Einhundert von anderthalb Millionen, den Gipfel der europäischen Kultur erklimmen wollen.

Überhaupt diese Höhe. Ich hätte Angst auf diesem Ast, den mir unbemerkt jemand absägen könnte, sei es, ich wäre es in umwölkten Zustand selbst, und ich würde hinunterfallen wie eine Kirsche, die noch via Nabelschnur am Mutterbaum hängt. Ich erinnere mich dunkel, als Kind, wenn sich mir die Gelegenheit bot, lieber im Unterirdischen herumgekrochen zu sein, in der Unterwelt. Heute täte ich mich auch dort fürchten. Aber ich bin im Kindesalter, wenn auch von meinen Eltern dorthin verschleppt (wer fragte seine Kinder früher auch, ob sie irgendwoanders hinwollen, und sei es zur Klavier unterrichtenden Tante) auch hoch oben in La Paz in den Anden gewesen und später sogar freiwillig auf mitteleuropäischen Gipfeln, die ich heute allesamt nie wieder betreten würde. Bei meinem letzten Gipfelsturm mit Hilfe eines tunneldurchquerenden Bähnchens brach ich oben zusammen, worauf man mich auf dem schnellsten Weg wieder auf den Boden der Tatsachen meiner Lebenswelt zurückschickte. Nein, man stieß mich nicht hinunter von der Zugspitze, aber man übergab mich eilends einem elektromechanischen Gondoliere und anschließend einem Notarzt, der mir empfahl, das mit dem Streben nach olympischer Höhe fortan zu unterlassen. Später, als ich das kurzzeitig freiwillig (!) mitbevölkerte Alpenvorland (Gruß nach oben an den lieben Hans) längst verlassen hatte und meinte, doch mal wieder hinzufahren, um nachzuschauen, ob das berechtigte Verlangen vieler sich in den Süden Sehnender endlich umgesetzt worden wäre — Nieder mit den Alpen! Freier Blick aufs Mittelmeer! —, überfiel mich das Grauen vor soviel Höhe.

In der Nähe von Normalnull fühle ich mich nunmal am wohlsten, es darf auch darunter sein. Etwa dort, wohin es Elias Rönnrot hinziehen und in den niederen Landen landen und dort untergehen wird. Oder aber nahe meinem jetzig ruhenden Sitz unweit des Mare Balticum, der wohl mein letzter bleiben wird, nicht zuletzt, weil ich zum Lesen ein schattiges Plätzchen auf dem Boden unter Pflaumen habe, während andere für mich Kirschbaumäste erklimmen und mir von dort die süßesten Früchte holen.


Obendrein habe ich's nicht weit, wenn ich auf dem anderen Bänkchen sitzend das Wasser weinen lassen will, als ob's das Meer wäre. Ich muß nur hinters Haus.


 
Fr, 09.03.2012 |  link | (4317) | 8 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ansichten



 







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