Auch auf Kirschbaumästen

sitzend mag ich nicht lesen, und schon gar nicht im Sommer, wenn's heiß ist. Womit ich Sie, lieber Enzoo, zu Erhöhung oder Höhe des Lebens ungefragt umziehe und zum Thema mache. Lesen ist kein Naturzustand, das ist Civilisation, sag' ich mal im französischen Sinn von Kultur. Ich bin religionsfrei Zivilisierter oder auch undogmatisch aufgewachsener Pazifist. Bereits der Mont Ségur nahe dem Albigensischen ängstigt mich angesichts des Blicks von unten, was aber auch am Gedanken an die nichts als Gott fürchtenden Ketzer liegen mag, die trotz allem Kampfeswillen und Blutsbereitschaft schon im dreizehnten Jahrhundert von ihm verlassen wurden. Anstrengung um einer Sache willen ist mir fremd. Ich brauche also nicht einmal eine schützende Burg mit meterdicken Mauern aus Stein, mag aber gerne eine oldschool coole Behausung, in der der Kopf eine Möglichkeit findet, kühl zu bleiben. Bei erhitzter oberer Festplatte sind bei mir rasch alle Verbindungen zuende.

Mir war auch schon immer ein Rätsel, wie man sich stundenlang zum Braten in den Sand legen und dabei auch noch schmökern kann. Das ist das Angenehme an meiner Heimat gewordenen Stadt Marseille, die einst direkt am Wasser der Liebe wegen errichtet wurde, weshalb wohl Léo Ferré ihr 1972 die Zeilen mitgab: «O Marseille, man könnte meinen, das Meer habe geweint.» Es kann aber auch sein sein, daß der weise Sangesprophet vorausgesagt hat, man würde das ohnehin schon kaputtmodernisierte Griechenklo auch noch zur Kulturhauptstadt Europas erhöhen. Noch strebt dort alles Volk, das sich temporär befreit fühlt vom Joch der Arbeit, an diesen sogenannten freien Tagen oder auch Wochenenden (der Samedi gehört allerdings dem Einkauf) an den Strand. Unsereins hat dann die etwas kühleren, schattigeren Plätze für sich. Noch. Denn wenn endgültig eingetreten ist, was damit beabsichtigt wird, nämlich mehr Touristen anzuziehen, dann bin ich auch ich heimatlos geworden, der Stadt meiner Liebe beraubt, die nur den einen Pfeil von Cupido benötigte und derentwegen, ich geb's zu, ich mich trotz aller Höhenangst ganz nach oben begeben habe, um hin und wieder einen Blick über den Horizont nach Afrika zu erhaschen, wohin die schöne Verlotterte eigentlich gehört, von dessen Einwohnern Jean-Claude Izzo einst notiert hat, sie äßen alle gefüllte Weinblätter, seien also Teil der Levante. «O Marseille, man könnte meinen, das Meer habe geweint.» Weil die seit einiger Zeit, jedenfalls deren verkommenen, nichts anderes als intérêt pour l'argent in Kopf habenden oberen Einhundert von anderthalb Millionen, den Gipfel der europäischen Kultur erklimmen wollen.

Überhaupt diese Höhe. Ich hätte Angst auf diesem Ast, den mir unbemerkt jemand absägen könnte, sei es, ich wäre es in umwölkten Zustand selbst, und ich würde hinunterfallen wie eine Kirsche, die noch via Nabelschnur am Mutterbaum hängt. Ich erinnere mich dunkel, als Kind, wenn sich mir die Gelegenheit bot, lieber im Unterirdischen herumgekrochen zu sein, in der Unterwelt. Heute täte ich mich auch dort fürchten. Aber ich bin im Kindesalter, wenn auch von meinen Eltern dorthin verschleppt (wer fragte seine Kinder früher auch, ob sie irgendwoanders hinwollen, und sei es zur Klavier unterrichtenden Tante) auch hoch oben in La Paz in den Anden gewesen und später sogar freiwillig auf mitteleuropäischen Gipfeln, die ich heute allesamt nie wieder betreten würde. Bei meinem letzten Gipfelsturm mit Hilfe eines tunneldurchquerenden Bähnchens brach ich oben zusammen, worauf man mich auf dem schnellsten Weg wieder auf den Boden der Tatsachen meiner Lebenswelt zurückschickte. Nein, man stieß mich nicht hinunter von der Zugspitze, aber man übergab mich eilends einem elektromechanischen Gondoliere und anschließend einem Notarzt, der mir empfahl, das mit dem Streben nach olympischer Höhe fortan zu unterlassen. Später, als ich das kurzzeitig freiwillig (!) mitbevölkerte Alpenvorland (Gruß nach oben an den lieben Hans) längst verlassen hatte und meinte, doch mal wieder hinzufahren, um nachzuschauen, ob das berechtigte Verlangen vieler sich in den Süden Sehnender endlich umgesetzt worden wäre — Nieder mit den Alpen! Freier Blick aufs Mittelmeer! —, überfiel mich das Grauen vor soviel Höhe.

In der Nähe von Normalnull fühle ich mich nunmal am wohlsten, es darf auch darunter sein. Etwa dort, wohin es Elias Rönnrot hinziehen und in den niederen Landen landen und dort untergehen wird. Oder aber nahe meinem jetzig ruhenden Sitz unweit des Mare Balticum, der wohl mein letzter bleiben wird, nicht zuletzt, weil ich zum Lesen ein schattiges Plätzchen auf dem Boden unter Pflaumen habe, während andere für mich Kirschbaumäste erklimmen und mir von dort die süßesten Früchte holen.


Obendrein habe ich's nicht weit, wenn ich auf dem anderen Bänkchen sitzend das Wasser weinen lassen will, als ob's das Meer wäre. Ich muß nur hinters Haus.


 
Fr, 09.03.2012 |  link | (4120) | 8 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ansichten


vert   (10.03.12, 01:16)   (link)  
schön haben sie's da.


jean stubenzweig   (10.03.12, 12:08)   (link)  
Nichts verändert
hat sich da. Bis auf ein paar zur jeweiligen Hälfte umgenietete Bäume, deren Stümpfe angeblich neues Leben austreiben sollen. Aber wahrscheinlich wollte der als Rentner Unterbeschäftigte lediglich, daß das Kultivieren von der Macht kommt, Herr über die Natur zu sein, und mir ersparen, mich übenderweise auf Äste setzen zu wollen. Hätte er mich gefragt, meine Antwort wäre gewesen: Er solle es sein lassen, ich würde mein Lebtag keine Höhen mehr erklimmen wollen. Aber es hätte auch nichts genutzt, er ist schließlich seit über dreißig Jahren mit Madame Lucette verheiratet, die ihm ein bißchen was von Montaigne erzählt hat, dem sie im Alter ein wenig mehr folgen kann: «Die Franzosen schienen Affen zu sein, die rückwärts von Ast zu Ast auf einen Baum hinaufklettern und oben angekommen den Hintern zeigen.» Ansonsten: schön, ja.


enzoo   (12.03.12, 17:59)   (link)  
endlich mal wieder
auf der titelseite, nach 30 jahren, könnte ich jetzt jubillieren, doch der jubel fällt dem erstaunen zum opfer. ich hatte bisher weniger gedacht als gefühlt sie seien auch so ein überall- und alleslesender buchstabenverschlinger wie etwa mein älterer bruder, der, nachdem ihm unsere mutter alle in reichweite der buttersemmel herumliegenden bücher und zeitungen beim frühstückstisch entzogen hatte, weil er sich sonst nicht aufs frühstück konzentriere, was ernährungsphysiologisch falsch sei, die auf dem milchpackerl notierten inhaltsstoffe las und noch am tag und in der woche darauf in der richtigen reihenfolge, mit den richtigen chemischen formeln und inhaltsangaben in milligramm rezitieren konnte. er las, und soweit ich weiss, liest er alles und ständig, weil er den zustand des nicht-lesens nicht kennt, wenn er nicht grad was anderes macht oder schläft, was so manches gespräch mit ihm mühsam werden lässt.

aber natürlich kann das nicht stimmen. sie hören ja nicht jede musik, sie sehen nicht jeden film, sie essen ja nicht alles, was man ihnen vorsetzt. warum sollten sie dann gourmandesk lesen? dass sie allerdings auch bei der wahl der lokation des lesens so, hm, heikel sind überrascht mich dann aber schon. natürlich, wenn man so wie sie am gestade eines hübschen kleinen teiches im schatten sitzen kann, hat das schon was feines. aber passt eigentlich jede lektüre zu jedem platz, an dem man liest? ist es wirklich gut, in nepal ein buch über die ungarische tiefebene zu lesen? im gemässigten regenwald alaskas über die sahara? in den vereinigten staaten von amerika über demokratie?

manchmal ist erstaunen aber eh wichtiger als freude. das zeigte sich, als mir mein bruder damals vor 30 jahren die zeitung hinschob mit einem foto auf der titelseite, auf dem aus dem brunnen auf dem hauptplatz unserer provinzhauptstadt eine 10 meter hohe schaumsäule, hervorgerufen durch eine packung weisser riese waschmittel, emporstieg. dass das etwas mit meiner abiturfeier, der wir absolventen uns damals tags und nachts zuvor ergeben hatten, zu tun hatte, war nicht zu lesen. und csi gabs damals noch nicht.


jean stubenzweig   (14.03.12, 10:54)   (link)  
Bisweilen sitze ich
einfach nur so rum, wenn eben auch nicht auf Ästen. Aber dort dränge schließlich auch erschwert die Frage zu mir: Woran denkst du gerade? Doch selbst wenn sie an mich dränge, beispielsweise gefragt von Frau Braggelmann, die sich des öfteren bei mir einschleicht, um sich beispielsweise nach meinem Befinden zu erkundigen oder mich zu ermahnen, nicht ständig so herumzuhängen, käme wahrscheinlich die nicht sonderlich ergiebige und schon gar nicht der Wahrheit antsprechende Antwort: An nichts. Das geht nämlich nicht, wie mir mein persönlicher Neurologe mal erklärt hat. Auch wenn ich's gerne hätte. Wenn ich also vermeintlich an nichts denke, lese ich vermutlich in mir selbst, um dann festzustellen, es könnte angenehmer sein, die obere Festplatte zu deaktivieren, also nur einfach so nichts zu tun und sich vom Nichtstun auszuruh'n. Ich gehöre nämlich der Gattung der Hühner an, ich bin ein an einem Sonntag geborenes Konstantin-bogenhuhn.

Nein, ich war und bin kein Allesleser. Ich war schon immer ein allzeit bereiter Herumhocker, der nicht nur die Beine, sondern auch die Seele baumeln lassen kann. Früher ging das meistens nur am Meer, etwa mit Baguette, Fleur du maquis, der das Ungestörtsein garantiert, und einem netten Cahors. Heute kriege ich das überall hin.

Was, bitte, ist denn CSI? Das da?


enzoo   (16.03.12, 18:17)   (link)  
CSI
das ist nix zum essen und schon gar nicht sonstwie zum genuss geeignet. Crime Scene Investigation, was wie so manches amerikanisch ordinäre besser weil cooler (sic!) klingt als das deutschsprachige pendant, schimpft sich eine reihe von fernsehsendungen, in denen nicht mehr kommissar zufall oder gar intelligenz das sagen hat, sondern gen-analyse und gaschromatographie. verpackt wird das ganze in schoene koerper und hochchromatisierte landschaften floridas und new yorks. ein übel erster klasse, weil darin eine schoenstilisierung des verbrechens in hieronimus bosch'scher detailgenauigkeit stattfindet. begonnen hat damit die us-schriftstellerin patricia cornwell in den 1990er jahren.

(mit der verwendung zweier sch hintereinander habe ich mir jetzt einen jugendtraum erfüllt)


jean stubenzweig   (17.03.12, 13:37)   (link)  
Jugendtraum schsch?
So jung sind Sie? Andererseits, das mit der Reform, die empfahl, hinter Bosch erstmal ein Tüttelchen zu setzen, bevor das zweite in Erscheinung tritt, liegt auch schon wieder sehr gut anderthalb Jahrzehnte zurück. Ein auch das Deutsche, wenngleich sekundär lehrender Freund, bis heute ein klammheimlicher Verehrer der alten Schreibweisen, sprach sich seinerzeit fürs trennende Tüttelchen aus, da so der Namensgeber besser erkennbar sei. Da will ich ihm nach wie vor zustimmen, zumal vor Herrn Dudens Umschreibung 1905 (1904?) bereits abapo'strophierend geschrieben wurde. Aber ich unermüdlicher Dagegenseier behalte dennoch die Regel bei, die mir auferlegt, mich beim Lesen zu konzentrieren. Mir gefällt es nunmal, nicht nur Kryptisches zu verfassen, sondern auch Rätselhaftes zu entziffern. Ich möchte nicht apo'strophieren müssen beim Schreiben von Opiumgebung, wenn ich Opiumgebung meine. Manchmal ist es angenehm, keiner Mehrheit mehr anzugehören, die gezwungen ist zu müssen.

Was diesen Crime Scene Investigation-Kram betrifft, da gehöre ich vermutlich ebenfalls einer Minderheit an. Es mag ignorant und vielleicht gar ein bißchen einschränkend sein, aber auch da bleibe ich dabei: maingestreamt US-amerikanisches nicht nur dieser Art geht schwerlich an mich heran. Mich stört bereits extrem, daß die hiesige kulturelle Entwicklung sich dem zunehmend hingibt, ganze Dramaturgien und Techniken darin geradezu aufgehen. Andere mögen darin einen typischen, pathologischen Fall von sogenanntem Antiamerikanismus sehen. Doch es sind meine persönlichen Erfahrungen mit der neuen Welt. Es hat den Anschein, als seien es absolut nachhaltige. Nach denen in jugendlichen Jahren kamen keine Aufmunterungen hinzu, meine Meinung zum US-typical way of life zu ändern. Ich gestehe, sogar schon Stars and Stripes bekämpft zu haben. Wenn ich also Krimis überhaupt lese, dann altbackene in der Art von Jean-Claude Izzo, Janwillem van de Wetering oder Sjöwall/Wahllöö. Ich bin durch und durch Alteuropäer, woran ein sibirisches Würzelchen nichts ändert.


enzoo   (19.03.12, 11:01)   (link)  
wenn ich
so bisweilen ins narrenkastel schaue, wie man hierzulande das scheinbar gedankenlose vor sich hinstarren nennt, stelle ich mir derlei aufgaben, wie eben zwei sch hintereinander folgen zu lassen, ob mit oder ohne tüttelchel (herzallerliebst übrigens, ich denke dabei an weichen weissen stoff mit roten punkten, und entsprechendem inhalt, ja, so jung bin ich noch!) ist mir dabei eher egal. als ich unlängst unsere gemeinsame freundin, die seemuse besuchte, um ihr neuestes werk so ganz aus der nähe anzusehen (ich bin auch allerdings schon so alt, dass ich kurzsichtig bin) stellte ich mir während der ob der die sicht auf die dahinterliegenden landschaften verhinderenden lärmschutzwände, in die die österreichischen autobahnen eingepfercht sind, langweiligen autobahnfahrt die aufgabe, einen satz, in dem viermal unmittelbar hintereinander die silbe "die" vorkommen soll, zu finden. vielleicht half mir ja das geräusch meines autos, das, obschon modernerer bauart als ihr 2CV, um den ich sie hemmungslos beneide, mit der selbstzündenden und damit geräuschreicheren variante des ölverbrennenden antriebs ausgestattet ist, zu dem schönen satz, "die melodie, die die dieselmaschine von sich gibt"; schön vor allem deshalb, weil die vier hintereinanderfolgenden "die" das nageln eines kalten dieselmotors, besonders eines alten 15er steyr-traktors, welche hierzulande nach 60 jahren noch immer in betrieb sind, und nicht nur aus nostalgischer sentimentalität, ins gedankliche gehör rufen.

...

die krimi welt ist auch nicht meine, weder im film noch gedruckt. die menschliche seele hat weitaus interessantere abgründe als mord und totschlag, die von gier und neid induziert werden, was gefühlte 90 prozent der krminihandlungen abdeckt. über diese anderen abgründe lese ich dann auch viel lieber. und die amis können mir sowieso samt und sonders gestohlen bleiben. ich finde, man hat als nicht-amerikaner ein menschenrecht auf völlig undifferenzierten antiamerikanismus.


jean stubenzweig   (20.03.12, 16:31)   (link)  
Da werden Unterschiede
gewahr im (Hin-)Blick auf rote Punkte. Der eine denkt dabei an eine kürzlich kurzzeitig wegen des öffentlich streikenden öffentlichen Personennahverkehrspersonals, dieser gleichwohl etwas schwachatmig wiederbelebten Mitfahrgelegenheit, die einst im Mai 1968 entstand und 1969 in Hannover auflebte, als es um Fahrpreiserhöhungen ging und daraufhin jeder bei jedem durfte. Der andere hat dabei Bücher mit roten Sprenkeln im Kopf. Doch der gesteht, daß ihm dabei ebenfalls so etwas wie weicher weißer Stoff mit roten Pünktchen in die Sinnlichkeit geriet, hatte er die Autorin doch derart oder zumindest ähnlich gewandet in Erinnerung. Erinnerung ist der Vorteil des Alters, der jedoch nicht unbedingt Weitsichtigkeit mitgegeben ist ...

Mehrmals die, die, die gefällt mir stilistisch auch besser als dieses von mir seit je als rückwärtig empfundene welches, das in letzter Zeit besonders von jüngeren Menschen wiederbelebt zu werden scheint. Interessanterweise sind es vornehmlich Kunsthistoriker und -Innen, neudeutsch Kunstwissenschaftler, von denen meine Sekretärin mir mal zur Kenntnis gab, von ihnen gäbe es so viele, daß man mit ihnen ganz München gegen allzuviele freizeitbeflissen in die Stadt Eilende dämmen könne, die sich seit einiger Zeit dieses offensichtlichen Style-Mittels bedienen. Es könnte sein, man erinnere sich neuerdings daran, ihr Fachgebiet verfüge doch über eine weiter nach hinten reichende Halbwertzeit des Wissens, als das marktgängigere Verständnis von Kunst es vorsieht.

Ach, ich bin schon wieder beim Tausendsten, bevor ich das Hundertste genannt habe.

Eine Melodie kennt die Ente nicht. Die macht nur Geräusche, die man allemale überhört. Als ich meine Charleston vor etwa zwölf Jahren in beide Hände gedrückt bekam (davor betrieb ich kurzzeitig noch eine blaßblaue, aber meinem Entenverleaser lief dann die bunte zu, und er meinte, die passe besser zu mir Grauhäutigem, mit ihr würde man mich ständig im grellen Licht des Südens Herumschwirrenden besser sehen), war ich ständig versucht, eine nächstgelegene Werkstatt anzusteuern. Ein völlig Durchschlafender im Sieste-städtchen Cassis belehrte mich daraufhin, eine Deux Chevaux mache immer irgendwelche Geräusche, wie alle Weiber. Tatsächlich aber ereilte mich einige Zeit danach der Warnschrei einer vernachlässigten Kreatur. Zwar wurde ich daraufhin etwas hellhöriger, aber es kam nicht wirklich eine gesteigerte Aufmerksamkeit auf, da sich die Gewöhnung relativ rasch einstellt, den Klappern und Scheppern gehört bei diesem Gerät zum Handwerk, und das ist so laut, daß man meinen könnte, der Motor sei so leise wie ein moderner Selbstzünder. Ich habe vor ein paar Monaten nicht einmal vernommen, daß die etwas ältere Madame ihren Auspuff abgestoßen hatte. Wie üblich, hatte ich wohl wiederholt gedacht, sie macht mal wieder irgendein Geräusch. Als ich auf dem Wischhof angekommen war, kam der mit allem möglichen handelnde Nachbar aus seiner Aufbewahrungsgarage, wies nach unten und fragte, ob es sein könnte, daß ich da gerade etwas verlöre und entfernte einem Rotwelschen gleich stiekum das vorn durchgerostete und hinten einwandfreie Teil. Ein Trödler kann alles wiederverwenden. Heute heißt das wohl Recycling.

Ich bin allerdings auch so ein Allesaufheber, jedenfalls fast. Bücher gehören dazu. Zwar habe ich zugestandenermaßen mal versucht, einen Teil davon loszuwerden. Aber da nicht einmal eine Gelehrtenanstalt für höhere Töchter vierzig Jahre Kunst und deren Geschichtsschreibung haben wollte, jedenfalls nicht die vom Herrn Direktor eigens dafür abgeordnete, aber ziemlich unlustige Lehrerin für ästhetische Ethik oder so, rottet alles auf den Dachböden für sich hin. Deshalb dürften auch noch einige Krimis aus alten Zeiten in den Kartons dieselben überdauern, wenn sie nicht längst von Mäusen und Mardern aufgefressen oder zu Tode zerfranst worden sind. Ein Freund und Kollege, dem ich das nie zugetraut hätte, von dem ich bis zu diesem Zeitpunkt immer angenommen hatte, er läse außer seinen eigenen Texten ausschließlich sogenannte gute Bücher, also etwa Goethe, Habermas und vielleicht den frühen Enzensberger, schlug mir vor, doch mal zu van de Wetering und Sjöwall/Wahllöö zu greifen. Das tat ich, und das war's dann auch. Lediglich Izzo kam später krimitechnisch noch zu Ehren, aber weniger wegen Mord und Totschlag, sondern in erster Linie, weil er solch ein spannend zu lesender Autor der Geschichte meiner neuen Heimatstadt Marseille war. Darin enthalten war auch immer ein wenig, ich beglückwünsche Sie zu dem prächtigen Bild, «ein menschenrecht auf völlig undifferenzierten antiamerikanismus».















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