Spaziergang von Champ de Foulage nach Pokensé Auf den Seiten von Blogger.de wird viel von großen Reisen in die weite Welt berichtet oder erzählt. Manchmal finden kleine Erzählungen Erwähnung, die große, großartige Abenteuer sind. Ich denke dabei zum Beispiel an das Buch, für das der hinkende Bote auf seinem Weg nach Sizilien bedauerlicherweise keine Zeit fand: Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus von F. C. Delius. Es gehört zu denen der letzten Jahre, die mir beim Lesen mit am meisten Freude gebracht haben, bei weitem nicht nur, weil er damit Seumes Wanderweg aus neuer Perspektive ergänzt hat, sondern auch weil er ein aus westlicher Sicht ungeahntes Abenteuer erzählte. Beschwerlich war der eine wie der andere Weg, Erkenntnis und Lust förderten sie gleichermaßen. Lust, ja Sucht haben auch mich bewogen, das Abenteuer eines Spaziergangs einzugehen, nach Pokensé. 1230 steht auf dem Grabstein am Eingang dieses Ortes, der für seine vielen herumhüpfenden Froschschenkel bekannt ist, die aber außer mir niemand ißt, weil der Bauer un sin Fru solche Sauereien nicht kennen, kennen wollen, schließlich sind sie tierlieb. Seit August vergangenen Jahres war es mir aus gesundheitlichen, besser krankheitlichen Gründen kaum mehr möglich, eine Strecke zu Fuß zu gehen, die über hundert Meter hinausging. Zur Ente oder zu einem anderen, zu meiner Mobilität bereitstehenden Fahrzeug schaffte ich es nur im Ruhegang, fast im Leerlauf. So sollte es auch gestern sein: einsteigen, um im direkt anschließenden Nachbarort zum Hof meiner Gelüste zu gelangen: Erdbeeren. Seit das Beet vor meiner Sommerresidenz wegen Überfüllung eingeebnet werden mußte ![]() verlangt mich nach den süchtig machenden von Berodts. Sie machen mich wilder als jedes Weibes Mund. Alles in mir schreit nach Penetration des meinen. Essen ist bekanntlich der Sex des Alters. Der Deux Chevaux, eigentlich für den Transport von Obst sowie dessen im vergorenen Zustand zu ziemlicher Spiritualität verhelfenden Saft konstruiert, verweigerten sich meinem begierlichen Ansinnen. Auch dessen Batterie ist endgültig leer, seit einiger Zeit wird sie während der Fahrt nicht mehr geladen. Auch ihr persönlicher Autoschmied ist seit einiger Zeit gehbehindert, er allerdings, weil er allzu heftig Fußsport getrieben hat, und kann sie deshalb nicht Huckepack nehmen, um ihr in seiner Werkstatt das Funktionieren wieder beizubringen. Eine lange Weile dachte ich darüber nach, wie ich wohl trotzdem an den Stoff kommen könnte, ohne den ich sicherlich in extreme Halluzinationen des Entzugs fallen würde. Also riß ich mich von etwaigen Lösungstheorien los und setzte die Praxis ingang. Ich spazierte los. Wenn es nicht mehr ging, würde ich mich einfach mitten auf die Dörpstraat legen und mich von hilfsbereiten Menschen abtransportieren lassen. ![]() Es kam dazu, wenn auch erst kurz vorm noch dreihundert Meter entfernten Ziel. Vier Versuche, als Anhalter weiterzukommen, waren fehlgeschlagen. Am frühen Nachmittag eines Sommersonnabends kommt es mir in Holstein beinahe vor wie in der Gegend nördlich von Béziers, wo das faule Pack des Südens auch an Werktagen nur noch unter Früchten liegen und dösen will. Die vier jungen Pärchen in ihren bis ins tiefste energetische Innenleben hochpolierten Karossen ignorierten den einsam vor sich hintippelnden Wanderer mit hilfesuchend hochgerecktem Daumen. Die zwei am Zaun stehenden und tratschenden mitteljungen Weiber hielten es nicht einmal für nötig, dem grundsätzlich alle grüßenden Vorbeihumpelnden zuzunicken. Die Sehnsuchtsstation fast in Sichtweite, noch fünfhundert Schritte eines normal fürbaß Schreitenden nach meinen zweitausend vorsichtig gesetzten verhieß das Schild, nur das Siechenheim mußte ich noch überwindend passieren, wurde ein noch noch vom Werk her hochglänzendes Automobil der Art abgebremst, mit der ein sozialdemokratischer Bundesrepublikkanzler die Wende der Markentreue im offensichtlich ebenfalls von ihm dirigierten Fahrzeugpark einleutete und neue Glanzlichter setzte. Heraus stieg ein wochenendlich adrett betuchter Mann, Sohn eines der verbliebenen drei Bauern des Dorfes, mit dem ich lange nicht geplaudert hatte. Mit ihm war ich vor einigen Jahren mal unterwegs, um Schweine nach Nordfriesland zu transportieren und von anderswo im Schleswiger Land welche abzuholen, um die dann nach Holstein zu bringen, auf daß sie dann erschossen in einem Supermarkt zur endgültigen Ruhe kämen. Sogar einen firmeneigenen Arbeitsanzug hatte er für mich. In dem saß ich neben dem Klein-fuhrunternehmer auf dem Beifahrersitz des Tiertransporters, als wir auf der Autobahn vom Fahrzeug einer Institution ausgebremst wurden, von der ich bis dahin noch nicht einmal gehört hatte. BAG war darauf zu lesen, Bundesamt für Güterverkehr. Aber der uniformierte Herr vom Lastkraftwagenbundesprüfungsamt kontrollierte mich nicht einmal. Er lächelte lediglich freundlich. Es ist schon schade, da begibt man sich ins Abenteuer, und man ist nicht einmal verdächtig, ein illegal Eingereister zu sein. Offensichtlich nicht einmal Schwarzarbeit stand mir ins Gesicht geschrieben. Aber vielleicht hatte der Lebenskenner ja auf meine Hände geschaut, denen er ansah, daß die nie und nimmer arbeitend einer Sau den Speck über die Haut gezogen hätten. Das Vortäuschen von Arbeit kann arg langweilig sein. Mein für mich Anhaltender hatte mich bereits einmal gerettet. Angesichts der ganzen hochsommerlichen Schweinerei und deren Ausdünstungen war mein Blutkreislauf aus dem Rhythmus geraten und mein Körper zu Boden. Da zog er den in den Schatten uralter Apfelbäume, haute mir zwei-, dreimal ordentlich rechts und links eine rein, worauf ich relativ rasch wieder fähig war, anderen bei der Arbeit zuzuschauen. Im ehemaligen Pferdestall wird nicht mehr geäppelt, wie wir Buchhandelsbesucher unser gemütliches Beisammensein bei vergorenem Apfelsaft nennen, einem Tun, das wir seit Jahrzehnten pflegen, wenn wir nach Bankfurt und sein Sachenhausen kommen. Wo früher Gäule wieherten, tschilpen heute nur noch die Schwalben. Rund zwanzig Paare siedeln und vermehren sich fröhlich quiekend an dem Ort, in dem's auch mal Hausschweinereien gab, der in der Neuzeit einem Dorfkrug gleichkommt, auch wenn er eigentlich dem Verkauf dient. ![]() Ab Mai geht's los mit Spargel, nach Johannis schickt Bauer Uwe dann seine seit ewigen Zeiten bei ihm wirkenden und wohnenden Polen auf die Erdbeerfelder, für solche wie mich, die zu faul sind zum Selberpflücken. Gestern waren's auch noch Himbeeren. Auch für die bin ich bereit, lange Wege zu gehen. Von Lyon aus bin ich einige Male einem Erzeuger in die heimatliche Ardèche nachgereist, nachdem ich an seinem zwischen Saône und Rhône gelegenen Wochenmarktplatz schmecken durfte, um wieviel gehaltvoller und feiner die waren als die der anderen Händler, deren Plätze sich dort befanden, wo die Mehrheit hinlief und freiwillig auch noch mehr dafür bezahlte. Eine Schale hatte ich gestern bereits während unseres Gesprächs am Tisch des temporären Dorfkrugs aufgefuttert. Letzterer war auch das Hauptthema der Runde, neben dem Tratsch, den man früher innerhalb einer solchen Institution erfuhr. Auch die Dorflebenserfahrenen konnten mir keine nachvollziehbaren Gründen für das Wirtschaftssterben nennen, das die kleinen Gemeinden so schweigsam macht und das mich mehr noch dauert, seit ich Großstädter auch Domizil auf dem Land genommen habe. Eine gute Tat tat ich dann noch, wenn auch ohne das eventuelle Ziel einer Vorteilnahme, als ich von den Erdbeeren schwärmte, derentwegen ich meinen langen, abenteuerlichen und beschwerlichen Spaziergang nach Pokensé angetreten war. Das müsse ihm runtergehen wie Öl, meinte mein mich aufs neue gerettet habender Chauffeur zum neben ihm sitzenden Früchteerzeuger, der beweist, daß es auch ohne BioÖko geht, beispielsweise mit ganz vielen Pferdeäppeln, die es in der Gegend zuhauf gibt, weil die Landwirtschaft zugunsten von aus Hamburg anfahrenden Freizeitreitern in den immer beleibter werdenden Speckgürtel zurücktritt, und auch ohne viel Gespritze nach dem monsantoischen Prinzip. Eine recht lange Pause des Nachdenkens war den Bauern überkommen, der bekannt ist für seine wenigen Worte. Behutsam hatte er sie sich wohl zurechtgelegt, als sie dann in seiner brummeligen Art, als ob er aus Nordfriesland stammte, dabei kommt meines Wissens seine Frau von dort, fast ausstieß: Ja, das könne er gar nicht oft genug hören, es würde ohnehin so gut wie nie gesagt, was endlich mal gesagt worden war, genau deshalb mache er das, allein das mache ihm Freude, zu hören, wie gut es anderen dabei ginge. Da mußte ich gleich noch ein Schälchen Himbeeren zukaufen. Als Wegzehrung. ![]() Denn der Schweinetransportunternehmer wollte mir Alles- und Vielfresser noch zeigen, wo im winzigen und glücklicherweise versteckten, abseits der Wege von freizeitsüchtig in die Unfreiheit anderer rasenden Motorradler gelegenen Dorf meiner bald auch nicht mehr ganz so neuen Ansiedlung bis vor rund fünfundzwanzig Jahren noch ein Kramer alles mögliche, wahrlich Eßbare aus der naheliegenden Region verhökerte. Daß sich zuvor in meiner Revolutionskate unten in der Wohnung rechts ein Krug befand, dort, wo jetzt ein Emeritus der Germanistik aus Kiel beherbergt ist, den er nicht brechen kann, weil er ihn schon aus Gründen eventuell aufkommenden spirituellen Unwohlseins nicht anrührt, das war mir bekannt. Gäbe es ihn noch, ich müßte keine abenteuerlichen Reisen mehr antreten, der Krug ginge nie zu Bruch, deren Betreiber könnten wahrscheinlich allein von mir, von meinen Eß- und Trink- sowie Tratschgelüsten leben. Nicht nur für den Notfall habe ich zwar die öfter mal einen auf ihrer Terrasse einschenkende Madame Lucette. Das ist zwar immer kostenlos, aber ein Stammtisch mit Dorfneuigkeiten ist das nunmal trotzdem nicht. ![]()
Spielanalyse. Vorfeldbericht und Abtritt. Nachgetreten ![]() Wie mir aus unerfindlichen Quellen, vermutlich aus den sizilianischen Gengeistern meines bastardisch überquellenden Kopfes, zugetragen wurde, war die deutsche Bundeskanzlerin bei Herrn Monti vorstellig geworden und hat ihm alle Rettungsschirme dieses globalisierten Europas versprochen für den Fall, daß er seinen Einfluß auf die Spieler seiner Mannschaft geltend machen würde; es würde ihm angesichts deren Bestechlichkeit sicherlich nicht allzu schwer gemacht werden. Sie wolle nicht nach Kiew reisen, um dann auch noch neben diesem verlogenen Arbeiterkind Janukowytsch sitzen zu müssen. Sie sei schließlich Bundeskanzlerin aller Europäer und habe das zu demonstrieren. Aus der lahmend satirischen Ecke meines von Picabia gesteuerten Rings kam dann noch der Zusatz, sie wolle sich für den gleichwohl unwahrscheinlichen Fall, daß der sozialkommunistische Mob ihres zweifellos geliebten, weil mittlerweile auch im Westen glühend blühenden Landes ihr bei der nächsten Wahl einen Knock out versetze, wenigstens die Möglichkeit offenhalten, als Hauptkommisarin die führende Rolle Europas zu übernehmen. Im Notfall sei sie auch mit dem europäischen Friedensnobelpreis nicht uneinverstanden. Ich habe mir im Fernsehen ein Fußballspiel in gesamter Länge das letzte Mal angegeschaut, als derlei Beerdigungen noch nicht neudeutsch public viewing genannt wurden. Ich meine, es war 1974, und mich zu erinnern, es wäre spannend gewesen. Heutzutage scheint mir selbst ein Tatort kurzweiliger zu sein. Da ich andererseits nicht ganz so interesselos bin, wie ich bisweilen vorgebe, schalte ich, etwa bei quotiell erforderlichen Liebes- oder sozialpsychologischen Traurigkeitszenen, mich hin und wieder zu, um wenigstens den Spielstand zu erfahren. Das war auch gestern so. Beim ersten Mal las ich, aus deutscher Perspektive dargestellt: 0 zu 1. Dabei ertappte ich mich bei einem lautlachenden Jauchzer, den ich angesichts dieses Spiels bei mir nie auch nur geahnt hätte. Beim zweiten Zuschalten hieß es dann 0 zu 2. Kein Jubel mehr, die Gefühle unterdrückende Vernunft hatte mich wohl zurückgemäßigt, aber ein leicht breites Lächeln ließ sich dennoch nicht verhindern. Vor- und Nachberichte tue ich mir eigentlich nie an, da mir analytische Äußerungen wie die gestrige einer Führungspersonalie — Das ist aber auch eine abgezockte Truppe! Diese Italiener. — zu sehr mein Sprachverständnis irritieren, das daran ausgerichtet ist, daß diejenigen von Zockern abgezockt würden, die an Gewinnspielen teilnähmen. Gestern aber blieb ich dran. Ich wollte es immer und immer wieder sehen und auch die Klagelieder der Begründung hören, nach der mal wieder eine Schlacht gegen die übermächtige Statistik verloren wurde. Nein. Ich habe nichts dagegen, daß eine deutsche Fußballmann- oder Frauschaft ein Spiel gewinnt. Es ist mir so egal wie Sieg oder Niederlage der Equipe Tricolore, der Quadra Azurra, der Kiwi oder anderer Nationalumwehten. Aber das damit immer wieder verbundene Gebrüll um den Stolz, der auch deutscherseits bei allzu vielen aufkommt, die auf diese Weise Familienersatz zu finden hoffen für beispielsweise die im Altenheim zurückgelassenen Omis und Opis oder weil sie sonst nichts haben, über das sie sich freuen könnten, der geht mir auf die Nerven. Und vor allem verletzt das Rundum-Geflagge mein formalästhetisches Empfinden. Ich hab's nämlich nicht so mit derartigen Sommermärchen. Mir kommt dazu eher Shakespeare in den Sinn. Ich bin schließlich (Kultur-)Pessimist. Mit ihm also warte ich leise zweifelnd für mich hin. Im Frühling bin ich fern von Dir gewesen. ![]()
Von Menschen und Juden Angeregt wurde ich zu den folgenden Zeilen von Henner Reitmeier. Ursprünglich sollte es lediglich eine lobende, zur eventuellen Multiplikation führende Erwähnung sein. Dann hat einmal mehr sich der Gaul in meinem Kopf losgerissen und ist unaufhaltsam dorthin galoppiert, was die einen Heimat nennen oder andere ein von Stolz geprägtes Nationalbewußtsein, ohne darüber nachzudenken, daß sie zufällig in ein bestimmtes Land geboren oder von Mächten mit häufig wechselndem Geschlechtsverkehr adoptiert wurden; gegen den wahrlich nichts einzuwenden ist, würde er nicht allzu häufig von geradezu dämonisch verantwortungslosen Politikern sozusagen mißbraucht, um ihre Machtphantasien orgiastisch zu reproduzieren. Vieles in Reitmeiers Aufsatz Schwarze Löcher führt hin zu seiner offensichtlichen Abneigung gegenüber dem Staat Israel. Das sei ihm unbenommen. Aus unterschiedlichen, im Privaten, in der Kulturation wurzelnden Gründen teile ich diese Ablehnung nicht. Ich bin offenbar zu sehr geprägt von dem, was der israelische «Installateur», der «plastizierende» Bildhauer Yaakov Agam mir gegenüber einmal treffend als «Kulturjude» bezeichnet hat. Das ist ein Mensch, der keinerlei Wert auf diese Religion legt, seine entwicklungstechnischen Wurzeln dennoch darin sieht. In meinem Fall ist das der Sohn eines sibirischen Schtetl-Bewohners in der Oblast, dem Verwaltungsbezirk Swerdlowsk, geboren noch im russischen Kaiserreich und ausgewandert aus der Sowjetunion nach Palästina, und einer mehrfachen Konvertitin aus der nicht nur geographisch entgegenzusetzenden Seite, dem an Lothringen grenzenden Elsaß, die ihr Kind, zweifellos männlich meinungsführend, bewußt ohne jede religöse Erziehung aufwachsen ließen, weil sie der Meinung waren, eine Entscheidung für oder gegen einen Glauben könne nur ein Mensch treffen, der in der Lage sei, ein eigenes, also klares, eindeutiges Urteil zu fällen. Bei den meisten des hiesigen Kulturraums geschieht das auch nicht bei Einsetzen des politisch wahlfähigen Alters oder geschieht das nie, weil sie bereits kurz nach der Geburt mit dem Implantat eines Denkmechanismus versehen werden, dem zu entrinnen sie kaum in der Lage sind; heutzutage werden viele das vermutlich als Algorithmus der eigenen oberen Festplatte bezeichnen, obwohl sie's eigentlich nicht unbedingt mit Komplexitäts- oder Berechenbarkeitstheorie haben. Deshalb sind sie auch nicht in der Lage, klar zu denken. Das Bild vom Holzschuppen mit Kripplein ist eingemeiselt wie in biblische Tafeln, auch wenn längst erwiesen ist, daß am Ort des Herrn alle Bäume verbrannt wurden, also alle in Steinhäusern lebten und ohnehin belegt ist, daß die heutige Zeitrechnung falsch ist. Ein einmal gewaschenes Gehirn bleibt rein, nur eben in der Art einer Jungfrau, die ohne jedes biologische Zutun eines irdischen Wesens schwanger wird. Das muß es sein, daß nach wie vor geradezu unglaublich viele Frauen sich wieder in den von Teilen auch der hiesigen Gesellschaft gewünschten vorehelichen Stand der Jungfräulichkeit zurückversetzen lassen. Mein wildwuchsiger Unkräutergarten, erwachsen aus aus allen möglichen Literaturen, darunter Bibel, Koran, Thora et cetera, wird dennoch von den Auswürfen eines Komposthaufens immer wieder gedüngt und durchaus auch besamt; es gibt in der zivilisierten Welt keine nicht kultivierte Natur, auch wenn manche auf dem Geist des Schöpfers beharren, dessen biblische Kreativität all das in ein paar Tagen oder, das sind allerdings bereits die Aufgeklärten unter ihnen, über einen etwas längeren Zeitraum hin geschaffen hat. Böse Menschen unterstellen deren geistigen (sic!) Führern gar eine Wischiwaschi-Theologie: „Der Glaube an Gott als den Schöpfer vermittelt die Gewissheit, dass diese Welt die Möglichkeit zum Guten in sich enthält; er erschließt einen Zugang zur Welt, der sich auf diese Güte verlässt und zu ihr beizutragen bereit ist. Dass Gott es mit der Welt im Ganzen ebenso wie mit meinem persönlichen Leben gut meint, ist der Grundsinn des Schöpfungsglaubens.“ (W. Huber, “Der Christliche Glaube“, S. 37 Mitte)Noch heute spüre ich in mir diesen Geist derer, in deren Umgebung ich mich bewegte, da ich nunmal zur Familie gehörte und immer wieder an diese ausgeliehen wurde. Das hinterläßt Spuren. In den Sechzigern hätten die mich unter Umständen mein Leben kosten können, hätte ich in einem lichten Moment meines damals noch recht von der geistigen Diffusität meiner Verwandtschaft bis in die USA umnebelten Denkens meine Umsiedlung nach Erez Israel nicht abgebrochen. Zwar habe ich mich von der Familie geschieden, nicht zuletzt, weil ich mich deren seltsamem Verständnis von Gesetzgebung, deren Einfluß grundsätzlich entziehen wollte. Aber aus unerklärlichen Gründen fühle ich mich dem Land nach wie vor verbunden. Ich mag Reitmeier vor allem in einem folgen, worüber ich fortwährend Ärger in mir aufkeimen sehe, wenn es, wie dieser Tage erst wieder, in einem der Bildung verschriebenen, letztlich der objektiven Darstellung verpflichteten öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramme. Es ging um historische Hintergründe unter anderem der Ukraine: Es sei ein, hieß es in der «Dokumentation», Völkergemisch aus, um nur beispielhaft zu zitieren, Galiziern, Bukowinern, Wolhyniern — und Juden. Das ist eine, nochmal: unglaubliche, allerdings nicht einmal mehr gezielte Verwirrung oder Verunsicherung der immer dringender informationsbedürftigen Zuschauer, ist es doch längst integriert in das Faktendenken, bedingt durch den letzten großen Massenmord an Gläubigen einer Richtung. Für den Kaiser in den Krieg zogen Bayern, Holsteiner, Preußen — und Juden. Ich weiß gar nicht, welche Passage ich aus Reitmeiers Aufsatz zitieren soll. Sein literarischer Essay ist von oben bis unten prall gefüllt mit Subtilitäten, auch mit stilistischen Feinheiten, derentwegen ich ihn empfehlen wollte und weiterhin will. Also schließe ich die Augen, bilde ein Zentrum und wähle damit den Abchnitt aus, bei dem es es um den Götzen Mammon geht, bei den erstmenschgeborenen Kain und Abel, wobei der eine den anderen erschlug, was als Metapher gelten darf für all das Gemetzel, das Menschen untereinander angerichtet haben und weiterhin anrichten. Kain war bekanntlich Landwirt. Beide waren also Männer und erfolgreiche Unternehmer. Doch sie waren nicht gleichberechtigt. Gott Mammon, dem sie wegen ihres Erfolges Dankopfer darbringen, verschmäht die Gabe Kains. So darf sich Kain zurückgesetzt, ungerecht behandelt, verhöhnt genug fühlen, um seinen Bruder Abel zu erschlagen. Denn an Gott kommt er ja nicht heran. Solange wir an Gottes Allmacht glauben, zwingt uns der Vorfall zu der Folgerung, Gott selber als Oberverbrecher und Vater allen Geschwisterkampfes und Krieges anzusehen.Meine sich hin und wieder dagegen wehrenden Gefühle schalte ich dabei aus, auch den Bedenkentäger, als der ich früher einmal bezeichnet wurde. Das Stück ist einfach zu gut, zu zeitlos schön. Das ist Lust am Text. Mit dem „Zigeunertuch“, auf dem sich jenes Handgemenge abspielte, hatte es gleichfalls eine etwas ungewöhnliche Bewandtnis. In den Adern der impulsiven Maren kreiste auch ein Schuß Romablut. Zum 30. Geburtstag hatten ihr entfernte Verwandte aus Rumänien dieses handgewebte, mit Perlen besetzte bunte Tuch geschickt, das sie in der Folge fast überallhin mitnahm und wie ihren Augapfel hütete. Als ich Maren in einer Weinheimer Kneipe kennenlernte, lag das Zigeunertuch zusammengefaltet neben ihr auf einem Barhocker — und zwar so einladend, daß ich sie fragte, ob ich für einen Moment darauf Platz nehmen dürfe. Ihr kleiner Schrecken deutet bereits auf die Weihe des Tuches. Sie nahm es vom Hocker und erklärte mir, es wäre ein Sakrileg, wenn sie diesem Wunsch eines wildfremden Mannes entspräche. Also nahm ich ungepolstert Platz, womit der Anbändelei nichts mehr im Wege stand.
|
![]() Jean Stubenzweig motzt hier seit 6173 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 07.09.2024, 02:00 ... Aktuelle Seite ... Beste Liste (Inhaltsverzeichnis) ... Themen ... Impressum ... täglich ... Das Wetter ... Blogger.de ... Spenden
Zum Kommentieren bitte anmelden.
AnderenortsSuche: Letzte Kommentare: / Echt jetzt, geht noch? (einemaria) / Migräne (julians) / Oder etwa nicht? (jagothello) / Und last but not least ...... (einemaria) / und eigentlich, (einemaria) / Der gute Hades (einemaria) / Aus der Alten Welt (jean stubenzweig) / Bordeaux (jean stubenzweig) / Nicht mal die Hölle ist... (einemaria) / Ach, (if bergher) / Ahoi! (jean stubenzweig) / Yihaa, Ahoi, Sehr Erfreut. (einemaria) / Sechs mal sechs (jean stubenzweig) / Küstennebel (if bergher) / Stümperhafter Kolonialismus (if bergher) / Mir fehlen die Worte (jean stubenzweig) / Wer wird schon wissen, (jean stubenzweig) / Die Reste von Griechenland (if bergher) / Richtig, keine Vorhänge, (jean stubenzweig) / Die kleine Schwester (prieditis) / Inselsommer (jean stubenzweig) / An einem derart vom Nichts (jean stubenzweig) / Schosseh und Portmoneh (if bergher) / Mit Joseph Roth (jean stubenzweig) / Vielleicht (jagothello) «Ist Kultur gescheitert?» ? «Bitte gehen Sie weiter.» Suche: Andere Worte Anderswo Beobachtung Cinèmatographisches + und TV Fundsachen und Liebhaberstücke Kunst kommt von Kunst La Musica Regales Leben Das Ende © (wenn nichts anders gekennzeichnet): Jean Stubenzweig |
![]() |
![]() |
![]() |
![]() |