Die öffentliche Hand

Sollte ich noch wirrer als sonst sein, führe man das getrost auf ungesundes, aufgeklärtes Leben bis zum Alter zurück.

kann viele Aufgaben nicht mehr wahrnehmen. Sagt sie, die offene Hand, aus der sich so viele bedient haben und bedienen, indirekt auch diejenigen, die daraus ihre Gewinne, wie das neuakademisch volkshochschulisch heißt, generieren. Nun, da der löchrige Schirm gerettet werden darf, da er lediglich noch aus einem Loch besteht, wird erst gar nicht mehr darüber nachgedacht, wer oder was es gerissen haben könnte. PPP wurde zu Zeiten angesetzt, als es noch nicht wirklich Anlaß dazu gab. Es waren die unentwegten Privatisierer, die das immer betrieben haben. Datiere ich es jetzt mal assoziativ zurück in die Zeiten, in denen Frau Thatcher zum Sturm auf die Bastion einer geregelten Finanzwirtschaft geblasen hatte. In den Folgen meinte manch ein von der Freiheit des Monetären beseelter Kleinstadtpolitiker, wo auch immer, in der gemeinsamen Tätigkeit mit allen möglichen Geldgebern, die behaupteten, sie fühlten sich qua Eigentum der Gemeinschaft gegenüber verpflichtet, einen Verein gründen zu müssen, der die Steuersäckel zu «erleichtern» vermochte, was auch geschah, indem auch die Sparstrümpfe dünner wurden. In der Fortsetzungsgeschichte fällt mir dazu beispielhaft die Aufforderung an Griechenland ein, aber auch wirklich alles zu verhökern, mit dem sich trödeln läßt. Wenn alles in die private Hand gelangt ist, dann hat die öffentliche nichts mehr, das sie gesunden ließe.

Womit wir bei der Marginalie zur Gesundheit wären, die mir bei der Gelegenheit einfällt. Was in den selteneren Fällen angegriffen wird, da findeln sie sich eher via EiPhone zu einem Blitzkriegmob gegen die GEMA zusammen: die pharmazeutische Industrie, dieser andere Gewinnmoloch. Da geht man lieber auf die Ärzte los. Dorf- oder Kinderärzte verdienen eben nicht unbedingt allesamt hunderttausend Euro und mehr jährlich bei sechzig, siebzig, achtzig, so manches Mal end- oder ruhelosen Wochenstunden Arbeit. Die Landärztin, die sich um ihre Patienten sorgt und ihnen lange zuhört, erhält oft genug gegen die hintere Mitte eines Quartals überhaupt kein Honorar mehr, da sie ihren Etat überzogen hat. Eine meiner guten Bekannten bittet immer wieder mal darum, ein von anderen dringend benötigtes Medikament bei anderen verbuchen zu dürfen. Es sind beispielsweise die Radiologen mit ihren ebenso von einer anderen Industrie preisbestimmten teuren Gerät-schaften, die es sich leisten können, immer wieder neue Geräte wie auch die mit dem beSUVten Stern zuzulegen. Und was ist mit den gesetzlichen Krankenkassen? Sie zahlen den Ärzten eben teilweise nur wenige Minuten für eine Behandlung. Die privat Versicherten erhalten mehr Aufmerksamkeit, sprich Zeit, sprich Geld. Aber im Alter sind auch die Alten oftmals ratlos, wenn die entsprechende, über die Rente hinaus abgeschlossene Lebens- bis hin zur Krankenversicherung nicht ausreicht für eine sorgloses Restdasein. Die Völker werden doch auch in der Gesundheit oder der Altersversorgung auf geradezu perfide Weise auf Privatisierung hin getrimmt, die müssen das doch für «normal» halten. Weshalb geht denn so gut wie niemand mal auf die Straße gegen diese Machenschaften aller möglichen, nenne ich sie mal seltsamen Vereinigungen? Man darf dafür ruhig auch sein EiPhone benutzen. Wie bei allden frühlingsartigen Revolutionen der Neuzeit.

Ich habe wahrlich nichts gegen Eigentum. Aber das ist scharf zu trennen von dem der Gemeinschaft. Vor Jahrzehnten habe ich gegen das US-amerikanische System beispielweise in der Kunst- und Kulturvermittlung gewettert. Es war klar, daß mal wieder niemand auf mich hören würde, der ich behauptete, die reichen Amis würden nunmal keine Steuern für cultural events zahlen, weshalb sie auch Geld reinstecken müßten dafür, hier aber erledige das die Gemeinschaft, die damit die Freiheit der Kunst vor dem Diktat des Geldes erhalte. Heutzutage geht nahezu nichts mehr ohne den Einfluß sogenannter Sponsoren. Längst üben sie, ich habe es kommen sehen, erheblichen Einfluß, ja Macht durch die Hintertür aus, indem sie Lehrstühle, letztendlich also die darauf Sitzenden bezahlen, Laboratorien, auch die des Geistes, finanzieren. Das ist dasselbe wie mit den Wasserspielen. Bildung ist ist ein Grundnahrungsmittel, das nicht den Gesetzen eines dubiosen Marktes unterworfen sein darf. Wohin Deutschland, aber auch andere Länder mit der Bildung geraten sind, wird ersichtlich, wenn man sich der verkürzten, auf «Effizienz» zielenden Studienzeiten vergegenwärtigt.

Man will meines Erachtens offensichtlich keine eigenproduzierten Gedanken aufkommen lassen, die möglicherweise darin münden könnten, es gäbe eventuell noch Angenehmeres, als sich für irgendwelche Firlefanzereien abzuarbeiten. Gäbe es den in den letzten zwei, drei Jahrzehnten in Mitteleuropa, Deutschland, geh' du voran, extrem vorangetriebenen, allein darauf ausgerichteten Konsum nicht, würde sich möglicherweise manch einer griechisch oder auch levantisch einfach aufs Stühlchen unter den etwas anderen Schirm setzen, unter den, der vor allzuviel Sonne schützt. Aber das wird's sein, man hat zuwenig Sonne, dafür zuviel protestantische Arbeitsmoral.

Ich weiß, ich wiederhole mich. Aber wie ich's Ihnen heute früh ins Poesiealbum geschrieben habe: Es gibt so manches, das man, bevor ich jetzt dann mal weg bin zu Frau Braggelmann, gar nicht oft genug sagen kann, auch auf Seite eins, wo ansonsten zunehmend mehr Belanglosigkeiten Platz nehmen, in diesem Wartezimmer der Privatmenschen, die in der Antike Idiotes hießen und die wohl in der Sehnsucht nach dem guten Alten dort heutzutage wieder so gerne viele bunte Bildchen kucken. Genau, wenn mir danach ist, wenn ich derartige Visionen habe, gehe ich, wie der Allesgesunder namens Herr Schröder Deichgraf und Sintflutretter namens Schmidt empfahl, zum Arzt.
 
Sa, 15.09.2012 |  link | (3539) | 19 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele



 

Lesen wie ein Toter im Meer

Jemandem ein Hörbuch ans Herz legen täte ich nie, jedenfalls keine Schrift, die meines Erachtens fürs Lesen geschaffen wurde, auf daß die Phantasie sich im Kopfkino entfalte, wie ich es nenne. Geschrieben, gemeint hatte ich: Für Menschen, die beim Lesen nicht mehr fühlen können oder keine, meinetwegen auch keine Zeit mehr dafür haben, für die gibt's das (auch) auf die Ohren. Also allenfalls ersatzweise. Auch ein Christian Brückner, an dem sich viele überhört haben mögen, den ich dennoch auch nach Jahrzehnten als Sprecher nach wie vor schätze, kann mir die Blumen des Bösen nicht derart vermitteln, wie mein Gehirn, je nach Stimmung, also unter Zufuhr aller möglichen Botenstoffe, dazu in der Lage ist. Das mag, um bei Baudelaire zu bleiben, wie bei gesungener Musik Melancholie hervorrufen oder auch den kritischen Geist in mir wecken. Les Fleurs du Mal kamen zögerlich aus dem Bücherregal auf mich zu, da ich in einem anderen Zusammenhang nach einem Bild suchte, sie sich anboten, und ich mich daraufhin in diesen gemeinhin als unbeschreibbaren Landschaften verlor, ich nach langer Zeit wieder einmal durch diesen Sumpf versuchte voranzukommen, darin steckenblieb, ich in diesen an allen erdenklichen hervorquellenden Quellen der Sehnsuchtssprache lag wie im Toten Meer.

Tatsächlich sehe ich auch ich beim Lesen von Belletristik kein Experiment. Das mag daran liegen, daß ich seit langem keine Neuerscheinungen mehr lese. An eine erinnere ich mich insofern bemerkenswert negativ, als ich Folgen im Radio gehört hatte und ich nach der zweiten begeistert in die, mittlerweile auch nicht mehr existierende, Buchhandlung des nächst-gelegenen Städtchens gerannt war, um das Buch zu erstehen. Es stellte sich heraus, daß der Autor, ein bekannter Schauspieler, sich sein Werk quasi aufs Maul geschrieben haben muß; ich kenne das aus meiner Hörfunkzeit, als ich bei sogenannten Hörbildern, auch unter Feature bekannt, mich bemüht habe, mit Vergnügen meine Diktion den mir bekannten Sprecherinnen und Sprechern anzupassen. Im Nachhinein hatte ich gar den Eindruck, das Buch (nach der Sprache?) könnte überhaupt erst nach der Ausstrahlung entstanden sein. Kurzum, gelesen war es eigentlich eine ermüdende Angelegenheit. Ich war eben einem Sprechartisten aufgesessen, der kein Artist der denklichen Sprache war. Es erwies sich als ein verbales Soufflé, das in sich zusammenfiel und flach liegenblieb. als im Kopfkino eine Tür aufging und Frischluftzug entstanden war, Nehme man's als Marginalie. Es ist mir eben spontan, wenn auch zusammenhanglos eingefallen, nachdem ich bei Melusine Barby gelesen habe.

Auch früher habe ich gerne auf das Neueste verzichtet, doch die später dann nebenberufliche Beschäftigung mit der unterhaltenden Materie Buch hat mich immer wieder mal hineingestubst. Da landete so manches an. Heutzutage tue ich das, was ich mir für den Eintritt des Ruhestands vorgenommen habe: Altes wiederlesen oder überhaupt zum ersten Mal lesen. Da ist einiges liegengeblieben, das sich vermutlich nicht einmal mehr auf der Liste der lieferbaren Bücher befindet, weil es längst im Ramsch gelandet ist, wie so vieles bereits nach einem halben Jahr. Es besteht kein Respekt mehr vor Autorinnen und Autoren, die sich häufig jahrelang an ihren Büchern abgegearbeitet haben. Ich kann mir durchaus vorstellen, daß es lesenswertes Neues gibt. Aber ich sehne mich nicht danach. Ich liege im Toten Meer auch der Belletristik.
 
Do, 13.09.2012 |  link | (2929) | 6 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Kopfkino



 

An den Leser

Assoziativ von mir senilem Bettflüchter in noch tiefschwarzer, dunkler Nacht nachgedacht und nun vorgelesen beim Gedanken an
Vom Fensterbankerl zur Schlachtbank, ein wenig auch Verbindung herstellend zum nicht stinkenden Geld.


In Dumpfheit, Irrtum, Sünde immer tiefer
Versinken wir mit Seele und mit Leib,
Und Reue, diesen lieben Zeitvertreib,
Ernähren wir wie Bettler ihr Geziefer.

Dummheit und Knauserei, Irrtum und Sünde setzen
In unserem Geist sich fest, bringen dem Leib Gefahr,
Und die Gewissenbisse, diese liebe Schar,
Ernähren wir, wie Bettler ihre Läuse letzen.
La sottise, l'erreur, le péché, la lésine,
Occupent nos esprits et travaillent remords,
Et nous ailimentons nos amaibles remords,
Comme les mendiants nourrisent leur vermine.
Halb sind die Sünden, matt ist unsre Reue,
Und unsre Beichte macht sich fett bezahlt,
Nach ein paar Tränen rein die Seele strahlt
Und wandert froh den schmutzigen Pfad aufs neue.

Die Sünde ist sehr zäh, die Reue zaudert gerne.
Wir fordern fetten Lohn für ein zerknirschtes Wort
Und wandern dann vergnügt im Schlamm des Weges fort,
Gewiß, daß Tränenwasser jeden Fleck entferne.
Nos péchés sont tétus, nos repentirs sont lâcges;
Nous nous faisonspayer grassement nos aveux,
Et non retronts gaiement dans le chemin bourbeux
Croyant par de vils pleurs laver toutes nos taches.

Charles Baudelaire: Die Blumen des Bösen/Les Fleurs du Mal
Die normal gesetzten Strophen entstammen der Übersetzung von Therese Robinson aus dem Jahr 1925; sie ist komplett nachzulesen unter Gutenberg.Spiegel. Wobei für diejenigen, die's nicht wissen, angemerkt sein möchte, daß das Project Gutenberg 1971 von Michael Hart, einem Freund der Literatur, privat, also meines Wissens ohne jede kommerzielle Absicht, auf den Weg gebracht wurde.

Die fett gesetzten in der Übersetzung von Siegmar Löffler sowie das kursiv dargestellte Original — nach Œuvre complètes de Baudelaire, Bibliothèque de la Pléiade, Edition Gallimard, Paris 1961 — ist zitiert nach: Poetische Werke/Schriften zur Literatur, zwei Bände, französisch und deutsch, © 1973 Insel-Verlag Anton Kippenberg, Leipzig. In der Auflage von 1992 ist die in Band 2 zweisprachige Ausgabe nach wie vor erhältlich.
Für Menschen, die beim Lesen nicht mehr fühlen können oder keine Zeit dafür haben, gibt's das auf die Ohren.

 
Di, 11.09.2012 |  link | (4024) | 7 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Kopfkino



 







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