Flaggeleien

Was wird das noch werden nach dem gestrigen Basel? Kommt jetzt Verdun?

Eine Erinnerung (an ein probates Mittel, ein Volk davon abzulenken, daß es gelenkt wird und noch ein bißchen mehr):

Anfang April vergangenen Jahres hatte unsereiner Fahrdienst und mußte deshalb gegen einen spätnachmittäglichen Sonntag zum Bahnhof der Kleinstadt. Mitten auf dem Parkplatz standen drei von diesen rallyfizierten Altautos Parade. Deren Dächer hoben sich rythmisch mit jedem Technobaß um zwei bis drei Zentimeter. Das ist an sich nichts ungewöhnliches auf dem Lande, sogar in größeren Städten sieht man sie. Zum Wochenende werden diese gerade noch dem Schrotthändler entrissenen und mit Unterstützung von mehreren Monatslöhnen und über jede erdenkliche Freizeit hinweg in die Sparte Edelschrott hinaufdesignten ehemaligen Rostlauben ausgeführt. In München kommen sie gerne aus dem östlichen Hinterland und tragen auf dem Nummernschild das schlichte Kürzel EBE. In Köln heißen sie, wie von Jürgen Becker in dessen Rheinischem Kapitalismus zu erfahren war, «Bereifte Mörder», was für BM = Bergheim steht, eine Gegend, aus der die meisten deutschen Rennheroen kommen. Rainer sacht dazu «BlechMörder». Für Hamburg oder Lübeck (aber letzteres rubriziert ohnehin unter Kleinstadt) fällt mir dazu kein Synonym ein. Auf jeden Fall Alltag auf deutschen Straßen.

Doch die drei erwähnten mobilen Einheiten stellten dann doch zweifelsohne einen Höhepunkt in unsereiner Korrespondentenlaufbahn dar (der Photoapparat lag selbstverständlich im Büro). Sie waren national positioniert und eingefärbt: der Linke schwarz, der Mittlere rot, der Rechte gold (oder war's andersrum?). Nicht nur, daß sie prachtvoll glänzend die Gesinnung ihrer jugendlichen, leicht leergesichtigen Eigner repräsentierten, auch oben trugen sie noch Wichs. Zwar dürfte den jungen Herren die Bedeutung des Begriffes Wichs nicht sonderlich geläufig sein beziehungsweise sie dabei andere Assoziationen haben als farbentragende, einstens für Treue, Volk und heimatliches Vaterland kämpfende Studiosi. Aber solche flaggigen Nationalfarben an den Autofenstern machen sich auch lange Zeit nach dem letzten Beinahesieg über den Rest der Welt noch gut. Selbstverständlich waren sie hochpoliert wie die Bannerhalter selbst. Vermutlich hat Mutti sie ihnen hochgebügelt, vielleicht sogar ein bißchen stolz und glücklich darüber, daß Söhnchen solch eine schöne Freizeitbeschäftigung hat und nicht immer nur am Computer hängt und diese Negermusik hört oder herumlungert und dieses Zeugs raucht, das die Nachbarjungs statt gesundem Kohl in den Gewächshäusern ziehen. Außerdem wäscht und bügelt sie Papis permanenten Ständer an dessen flottem Reisbrenner ja auch immer.

Mir kam die deutsche Flaggomanie im Gastgeberland für Sommermärchenfreunde bereits seltsam bis ungeheuerlich vor. Vorsichtig äußerte ich manchmal mein Unverständnis über diese Massenhysterie. Ausgerechnet ihr Froschfresser, war die bevorzugte Entgegnung. Und das mir, der ich anläßlich der Fahnenschwenkerei, vor allem bei den Paraden der Fête Nationale jeweils am 14. Juli immer lachen muß. Nachdem ich mir einige Male böse Blicke eingefangen habe, tue ich es vorsichtshalber mit vorgehaltener Hand. Andererseits muß ich zugeben, mit der Tricolore einmal die Vereinigten Staaten von Amerika besiegt und alle Franzosen, wenn nicht gar die Alte Welt gerächt zu haben für die ganzen Kulturschäden, die diese Cowboys in französischen (und exterritorialen) Fluren angerichtet haben. Zuallererst für die Supermärkte, die wir in den fünziger Jahren bei ihnen eingekauft haben (USA in unseren Köpfen).

«Was hast Du getan?» fragte die ungläubig schmunzelnde Freundin, die aus Kurz-vor-Afrika zu Besuch gekommen war und der ich die Geschichte erzählt hatte. «Hast Du geschossen? Mit French frites und der Marseillaise? Und wenn ja, gegen wen?»

So ähnlich, berichtete ich. Da erdreistete sich gegenüber, dort oben in der letzten Etage, jemand, Stars and Stripes ins Küchenfenster zu hängen. Nicht so extrem, sie wollten ja noch durchschauen können, vielleicht so groß wie ein DIN-A-4-Blatt. Aber es hat mich geärgert. Ziemlich. Und da bin ich am nächsten Tag losgezogen und habe einen schön großen drapeau national gekauft. Bei dem ebenfalls heimatlosen André, der den Deutschen recht erfolglos Kultur in Form von Baguette beizubringen versuchte und sich deshalb mit dem Verkauf von weiteren französischen Devotionalien über Wasser hielt. Das Mehl fürs Baguette bezog er aus dem Ursprungsland für gutes Weißbrot, aber die Tricolore lieferte eine Fahnenfabrik in Thüringen. Und da es frühsommerlich warm war, habe ich einen der beiden dreißig Jahre alten, aber immer noch fein tösenden Lautsprecher zur Tür der Loggia hingeschoben und dann die Marseillaise donnern lassen. Ich hätte ja La fanfare en pétard abspielen können, diese köstlich-wilde Schrägheit. Aber das wäre möglicherweise am Ende für einige gar dauerhaft genußverheißend geraten. Der persönliche Mitschnitt war da doch geeigneter: eine phantastisch eiernde Aufnahme des Blasorchesters der Feuerwehr von Grandrieu, die es zwar hervorragend verstand, Durst zu löschen, es aber mit dem Blasen ansonsten nicht so hatte. Wenn ich mich recht erinnere, ungefähr eine halbe Stunde lang oder auch länger. Bei dieser Gelegenheit habe ich mich gleich für alles mögliche an Lärm gerächt, was als Musik aus allen Richtungen auf mich losgelassen wurde.

Am nächsten Tag war die Amiflagge weg.
 
Do, 26.06.2008 |  link | (4281) | 9 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ansichten


fluechtig   (26.06.08, 12:10)   (link)  
eine phantastisch eiernde Aufnahme des Blasorchesters

Ich hasse Blas- und Marschmusik, aber liebe eiernde und unmelodiöse Versuche. Gäbe es da eine Hörprobe, irgendwo? :)


jean stubenzweig   (26.06.08, 13:01)   (link)  
Im Prinzip ja, aber marchand, marchand hat sich mir (wie so manches Buch) in einen dieser vielen, vielen Bücherumzugskartons entzogen.


fluechtig   (26.06.08, 14:09)   (link)  
Schade. Ich stelle mir gerade vor, wie alle Wut im Bauch, alle Trauer und nervöses Nervenzucken von einem langgezogenen, schiefen, zum Ende hin zittrigen Blaston fortgeweht wird.

Mir fehlen auch einige Bücher. Ausgeliehen. Und vergessen an wen.


jean stubenzweig   (26.06.08, 17:02)   (link)  
ÖHA am Hartz
ouf! das war jetzt auch nicht besser. Aber vielleicht ginge ÖHA dann doch: für gelungene Fahrleistungen? Aber das haben diese tiefergelegten (früher VokuHila-)Piloten wieder nicht in ihrem Repertoire.

Ja, es war großartig. Nicht nur das Dahingeblasenwerden von Ärger und durchaus auch Wut durch die Trompeter vom Lozère, die marschierten wie damals die Marseillais gen Paris, genauso kaputt (hier allerdings vom Blasenüben bei Madame in der Bar du Centre). Ich hatte gar heimelige Gefühle. Und gesiegt!

Das hochwertige Tondokument suche ich schon sehr lange, da ich diese Schrägtöner nur zu gerne auch hier in Kurz-vor-hinter-Sibirien manchmal in den Kampf schicken möchte, wenn der sehrspätabendliche Körnerchor erklingt: «Der Willen zum Grillen. Norddeutsche Griller sind härter». Geflaggt ist bereits umfassend (siehe auch das Banner oben). Aber es ist ein eher hoffnungsloses Unterfangen, aus fünfzig, (sechzig? siebzig?) über- und nebeneinandergestapelten Umzugskartons den richtigen rauszugucken (ich hatte im Zusammenhang mit Villon berichtet). Ich fürchte ja, die grandrieuse Musik ist perdu. Denn etwas Suchen, das gehört nicht eben zu meinen herausragenden Eigenschaften.


itha   (26.06.08, 12:15)   (link)  
im raum hamburg kommen die aus pinneberg. die synomyme, meine ich.


jean stubenzweig   (26.06.08, 12:47)   (link)  
Nun gut. Aber was nimmt man bloß für PI?

Für Pinneberg, lese ich gerade, wird Perverse Irre vorgeschlagen. Das käme ja hin. Aber die fahren eigentlich eher in OD, RZ oder SE herum ...


fluechtig   (26.06.08, 14:11)   (link)  
Hier, am Harzrand, steht OHA (Osterode am Harz) für "Oberhammerarschlöcher". Ach nee, Sie haben Recht, das ist recht kindisch. Aber irgendwie auch wieder nett. Na, egal.


richard graf rappoldstein   (26.06.08, 23:37)   (link)  
Flaggen
Man kann die Franzosen vom Verdacht des Flaggenkultes nun wirklich frei sprechen. Ausser an der Mairie und der Prefecture und dem Modellstadel aka Elysee finden sich keine Fahnen. Da ich nun einen grossen Teil meiner Zeit in der Schweiz verbringe weiss ich was Flaggenkult ist. Deim Blick aus dem Wohnzimmerfenster oben am Hang über die Häuser hinweg flatterr mindestens in jedem dritten Garten eine Schweizer Fahne. Als ich vor zwanzig Jahren die Bonner Republik verliess, flaggte dort auch niemand. Dort aus Scham. In Frankreich aus Selbstverständlichkeit. Eine Bürger der Grande Nation muss sich die Zugehörigkeit nicht durch eine Fahne im Wind beweisen. Einmal sah ich allerdings eine Tricolore in einem Garten. Ich war neugierig und sah in den Hof. Ein Auto stand da. Das Kennzeichen ein schweizerisches


jean stubenzweig   (27.06.08, 12:47)   (link)  
Grande Nation
Es sei denn, Monsieur le Comte, zum alljährlichen Die Welt zu Gast in der Grande Nation (ist ja nicht mehr lange hin). Oder aber eben ex terra, in der Verbannung.















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