Sparstrumpf Kunst?

Mit großem Erstaunen stelle ich fest, daß es Menschen gibt, die sich Kunst als Wertanlage zulegen. Mit Kunst ist hier jetzt kein van Gogh, kein Rembrandt, kein Rodin, nichtmal eine Claudel, auch keine abgetragene Hose von James Dean oder ein einstmaliges Hörrohr an Beethovens Ohr gemeint. Es geht um Zeitgenössisches — gekauft von einem Ehepaar offensichtlich jüngeren Bildungsstandes: eine hölzerne Plastik, geschaffen von einem Bildhauer, dessen Werk nicht unbedingt dominant am Markt vertreten ist. Um Sicherheit gehe es den beiden, ließen sie verlauten. Die Inflation stünde vor der Tür. Die Immobilie dazu habe man sich bereits zugelegt. Nun füge man mittels bildender Kunst weitere bleibende Werte hinzu.

Das ruft zunächst die neuere Untersuchung der Verbraucherverbände bei mir ab, nach der nahezu alle Banken, ob die des Volkes oder der weiter oben Angesiedelten, mit ihrer Beratung so weitermachen wie bisher, als sei nichts geschehen, als hätte man diesem Geldgewese nicht deutsch einen gesetzlichen Riegel vorgeschoben. Der auf Wahrung seines Besitzes bedachte Mensch will seine paar Kröten behalten, weshalb er ausdrücklich jede Zockerei ablehnt — und läßt sich ein feines Stückchen Kunst ins klein Häuschen stellen, an dem mit Sicherheit nur einer verdient: der Händler. Dessen braver Angestellter handelt wie das Bankkauffräulein, das sich am frühabendlichen Tresen von Harry-Charles' Bar als Bänkerin umschwänzeln läßt und nächtens vom Zauber träumt, der sie umgibt und an den sie tagsüber in der wirklichen Welt möglicherweise selber glaubt, weil ihr das von oben so vermittelt wurde. Wenn dann für die Kunden wieder mal eine heile Welt unheilvoll zusammenbricht, ist es mit einem Kirchenaustritt nicht getan.

Dieser religiöse Wahn um das goldene Kalb nimmt Tanzfigurationen an, denen jedwede Abstraktion der Vernunft abgeht. Was für die Aktie an der Börse gilt, ist am Markt der Kunst von noch wesentlicherer Bedeutung: Spekulation gibt keine Sicherheit, und etwas anderes ist die Tapete an der Wand nicht. Aber die Priester des Geldes haben es dank ihrer Gefolgschaft in den Medien geschafft, ihre Schäfchen vom Gegenteil zu überzeugen. In Information gewandeter Glaube ist das. Ständig wird, wie im dauernden Lauf der Spruchbänder im privaten (Geld-)Fernsehen (mittlerweile sogar im öffentlich-rechtlichen), der Eindruck vermittelt, mit Kunst sei Geld zu machen (irgendwo habe ich in letzter Zeit gelesen, zwei oder auch vier Prozent des deutschen Volkes besitze Aktien, aber hundert würden darüber dauerinformiert). Das ist derart über die Ufer getreten, daß sich gar ein Kunstraubhandel entwickelt hat, obwohl es dafür überhaupt keinen Markt gibt, weil das Bild vom kunstwahnsinnigen Diebesgutkäufer nur in den obligatorisch informationsfreien und deshalb wohl inniglich konsumierten TV-Serien existiert und die meisten Museen und Galerien aus Kostengründen Gemälde nicht versichern, also kaum Kasse erlöst werden dürfte. Und nun hält sie auch noch als Sparstrumpf her, von edlem Lampenlicht aus dem feinen Laden an irgendeiner Kö oder anderen Champs Élysées beleuchtet und gelagert vor dem Kaminfeuer des Zeitgeistes.

Fast vierzigtausend Euro schob das jungbegüterte Paar für die zweifelsohne anregend anzuschauende Plastik aus Holz dem Galerist genannten Kunstverkäufer ins Täschchen. Etwa diese Summe wollte auch die Scheinkundin bei den Banken bleibend in ihre Zukunft investieren. Das Geld könnte sich problemlos halbieren, da trotz aller Gesetzesvorgaben wieder windige Papiere hineingeflossen waren in das angebotene Portefeuille. Den Kunstfreunden wird das nicht passieren, behält das Gebilde doch zumindest rein äußerlich sein Gewicht, wenn auch unter Umständen nicht seinen Wert. Wer mal Kunst von lebenden, vermutlich noch länger werkenden Künstlern zu verkaufen versucht hat, wird davon wissen. Zwar ist es bereits ein Weilchen her, fand also zu einer Zeit statt, als die Marktgänger noch nicht am blinden Durchdrehen waren, noch eine gewisse bleibende Ruhe im Getriebe vorherrschte, da versuchte ein Freund ein Gemälde eines zu dieser Zeit durchaus gefragten Künstlers zu verkaufen. Mit dem Verkauf sollte eine Steuerschuld getilgt werden, eine Nachzahlung, mit der das Finanzamt dem Freund in den Haushalt gerückt war. Nimmt man den mittlerweile heutigen Wert des Euro, also eins zu eins, dann war das genau die obige Summe, die sich dieser ernsthafte Sammler für diesen Notverkauf erhofft hatte, da er sich am Marktwert orientierte. Erhalten hat er ein Drittel weniger (worauf er leidgeprüft noch was verkaufen mußte). Kein «Galerist» bot mehr. Man habe noch ausreichend auf Lager, zumal der Maler weiterhin wie besessen male (nichtmal acht Jahre nach dessen Tod kennen seinen Namen nur noch tatsächlich an Kunst und weniger am Markt Interessierte, von seinen phänomenalen Gemälden abgesehen). Und auch ich befand mich mal in Nöten und habe mich, ohne Leid, aber unter Druck, von einem Bild trennen wollen oder auch müssen. Als ich schließlich einen Käufer gefunden hatte, dessen Freizeitbeschäftigung im Sammeln von Anerkennung via (Kunst-)Geld bestand, gab er mir die Hälfte des Preises, den ich bezahlt hatte.

Zwar habe ich deshalb schon mal laut Oh Lord! ausgerufen. Aber das gerät zusehend in die Mühlen der Vergessenheit. Dieser Tage rief mich eine neuerdings kunstinteressierte Exdame eines pillendrehenden Gatten an und fragte mich, von dem sie wisse, er habe die Kunst am Hut, ob ich ihr zu dem im Internet aufgespürten Blatt von Joan Miró in einer Auflage von fünfzig aus fünfzig Exemplaren für elfhundert Euro rate, ob dessen Wert sich beim baldigen Wiederverkauf denn auch steigern ließe ... Ach ja, davon mal abgesehen, daß nicht nur Dalí seine Druckblätter zu tausenden blanko signiert hat, wodurch es zu ziemlichen Marktverirrungen kam, auch die mehr oder minder geglückten Nachbildungen sind nicht unbedingt unter Rarität einzuordnen. Und diejenigen, die mit Sicherheit gut an der Kunst von Lebenden verdienen, sind die nichtvirtuellen Händler (die zusehends mehr ihre Stände in Boom-Berlin installieren). Die Etablierten unter ihnen, die seit langem eine Art Numerus clausus erlassen haben, kassieren für eine in jüngerer Zeit entstandene Arbeit traditionell fünfzig Prozent, durchaus auch mal mehr. Und eines möge nicht vergessen werden: Wie im richtigen Geschäftsleben treiben sich auch oder gerade die Seriösen gegenseitig die Preise in die Höhe. Auf daß sie nicht fallen. «Das Problem des Kunstbetriebs», formulierte Hans Platschek mal als einzig bleibenden Wert, «besteht darin, das richtige Verhältnis zu finden zwischen dem Ohr- und dem Halsabschneider.»
 
Mi, 21.07.2010 |  link | (7274) | 25 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Marktgeschrei


prieditis   (21.07.10, 17:36)   (link)  
Ich
muss mich erstmal setzen und den Textinhalt sacken lassen...


vert   (21.07.10, 17:41)   (link)  
ohren anlegen!


jean stubenzweig   (21.07.10, 22:07)   (link)  
So schwer verdaulich?
Und dann schon wieder windschnittig?


prieditis   (22.07.10, 13:14)   (link)  
Ohren anlegen...
um dann in den nächsten ... zu kriechen!?
Och nee, laß mal ;o)


prieditis   (22.07.10, 13:26)   (link)  
Wetter und kacken: gut
Mit diesem Zitat, von einer meiner Urlaubspostkarten, möchte ich nur kurz andeuten, daß der Text nicht schwer verdaulich ist.
Sitzen und sacken lassen, daß war die Zahl Vierzigtausend...

"Nun, wenns keiner zahlt, dann ist der Preis zu hoch. Aber wenn ein Kunde - und ich brauch nur EINEN Kunden - zahlt, dann war der Preis goldrichtig!" (Bruno Jonas, aus einem seiner Programme, irgendwann in den 1980er Jahren)


jean stubenzweig   (22.07.10, 14:25)   (link)  
So gewaltig ist der Preis
für eine halbmannshohe Plastik oder für ein gutes, quadratmetergroßes Gemälde ja nun wirklich nicht; Sie wissen doch, was eine Leinwand alleine an natürlichen Pigmenten oder Ölen aufzusaugen vermag. Aber wissen Sie etwa nicht, was «Angebot und Nachfrage» auch abseits von van Gogh, Rembrandt und Rodin an Summen in Bewegung bringt? Unter hunderttausend europäische Taler geht mittlerweile kein vielnachgefragter Leipziger Schüler und schon gar kein Rauch mehr vom Markt (der Tannert-Artikel ist längst von der Wirklichkeit überholt). In dem Zusammenhang gibt es einen GaleristHändler, der den Kapitalismus im Kommunismus gelernt hat und ihn möglicherweise deshalb besser beherrscht als jeder alte Geldfreier. Und zu der Zeit, als der gute Bruno Jonas – der als Kunstmäzen Metzgermeister Müller-Frischart mir freundlicherweise auch mal ins Mikrophon kabarettisierte – das geäußert hat, war der Kunstmarkt ja gerade dabei, die Eierschalen von den Ohren zu streifen. Wobei allerdings auch damals die Jungen Wilden längst für nicht eben geringe Summen in die USA verpilgert worden waren.


prieditis   (22.07.10, 20:16)   (link)  
Völkerkunstdenkmal
Ich finde den Preis durchaus gewaltig. Allerdings verspüre ich keinerlei Neid. Hätte ich diesen Preis erzielt, tät ich mich auch freuen... nicht zu knapp. Doch selbst dann, hätte ich kurz gestutzt.

(womit ich mir meine Preise nun völlig ruiniert habe...hehe)


kid37   (23.07.10, 20:02)   (link)  
Verderben Sie mir den Herrn Prieditis nicht. Ich will den noch billig günstig kaufen können.

Vor Jahren, zu Zeiten des Aktienbooms, plädierte ich dafür, statt monatlich 50 Euro in obskuren Fons zu versenken, lieber monatlich für 50 Euro Kunst zu kaufen. Anders als Aktien macht sich die ganz gut an der Wand und das auch schon sofort und wenn sie - wie hier verschiedentlich schon angemerkt - sowieso gefällt, hat sie und behält sie ihren Wert. So richtig habe ich es nicht angefangen, was bekommt man auch schon für 50 Euro? (Es gibt da Sammelgebiete, aber die verrate ich nicht.)

Ich habe vor Jahren ein Bild verschenkt, das ich dem Künstler einst für 100 Mark abkaufte. Bilder dieser Serie liegen jetzt bis 150 bis 200 Euro. Das klingt nach einer Rendite von über 300 Prozent. Nur: Man muß auch erst mal einen Käufer für diese Preise finden.

Doch, doch. Wie heißt das Klagelied des unbekannten Künstlers so schön: Kunst kann man kaufen. Prima Idee - kommt nur keiner drauf.


prieditis   (24.07.10, 00:02)   (link)  
Recht und billig
Hehe...ich verweise mal auf einige "Kurzgespräche" einer Ausstellung...gleich das erste Beispiel!


jean stubenzweig   (24.07.10, 14:34)   (link)  
Ihre Preiserinnerungen
rufen bei mir die Zeit ab, als die Künstlers ihre Brotlose Kunst bei Bratwurst am Meter, Bieren und Körnern noch verschenkten oder wie Jupp Beuys seine Zeichnungen für fünf Mark am Stück verkauften. Heute würde man sowas vielleicht Schutzgebühr nennen, aber genutzt hat es nichts, manch einer hat sie paketweise spekulativ gehortet und später einzeln für viel Geld in Umlauf gebracht. Aber selbst hohe Auflagen, die heute unter Multiple firmieren (wogegen wahrlich nichts zu sagen ist – gegen hohe Auflagen; mein meines Wissens seinerzeit unlimitierter Uecker-Hammer aus dem Remscheider VICE-Verlag* nagelt nach wie vor kunstfest, und der hat gerademal fünfzig Mark [!) gekostet, im Gegensatz zu heute), sorgten kurz nach dem Tod des Meisters aus Düsseldorf für Inflation – die Preise stiegen und stiegen. Der Marktgänger hatte Geld geleckt. In einem Fall gab ein «Sammler» ein ebenso nach oben offenes Beuys-Kästchen, das auch um die fünfzig Mark (!) gepreist war, für siebzigtausend auf eine Auktion. Seither ist die Kunst versaut. Für die meisten ist sie allenfalls Devotionalie. Vielleicht deshalb, weil sie ständig Rückhalt beim Beten benötigen – auf daß der Herr den Preis für die frisch erstandene Skulptur oder besser Plastik** nicht in die Hölle fallen lasse.

Zwar empfinde ich die diese Posterkunstkultur ebenfalls ziemlich abwegig (ich gestehe allerdings, mir in einem dieser einschlägigen Läden gegenüber dem Centre Boubou selbst mal eines [damals noch unzensiertes] für rund zweihundert Francs gekauft zu haben, nachdem mich die Qualität des in Strasbourg erstandenen flohmarktigen Zehn-Francs-Raubdrucks leicht unglücklich gemacht hatte). Aber es ist mir immer noch sympathischer, es hängt sich jemand so ein überquerformatiges gedrucktes Gauguin-Damenlager an die Wand als sich die mit einer oder gar mehreren dieser zartfarbigen Volksaktien aus den Häusern zuzudekorieren, mit denen dieser alte Schwede von der durch und durch kommunistischen Volksrepublik China aus den Ästhetik-Markt aufgerollt hat. Aber die wissen wahrscheinlich nicht, daß es da einen gibt, der seine Originale kostenlos in den Wind der Öffentlichkeit hängt.

Und diese Art von Kurzgesprächen über Kunst – ich meine mich zu erinnern, ähnlich lautende das eine ums andere Mal auch auf den Märkten dieser Eliten der neueren Wohnraumgestaltung vernommen zu haben.

* in dessen Privatgemächern manch ein bereits in den Siebzigern berühmter Künstler oft wochenlang zu Gast war; eine wirklich wohlige Zeit war das
** Eduard Trier: der Bildhauer «nimmt weg», der Plastiker «baut auf»



damenwahl   (22.07.10, 11:03)   (link)  
Von Kunst habe ich ja wirklich keine Ahnung, aber ich denke: man sollte nur das kaufen, wovon man überzeugt ist - also: was einem gefällt. Dann spielt es keine Rolle, wie der Wert sich entwickelt.


jean stubenzweig   (22.07.10, 12:21)   (link)  
Ja, sicher doch.
Dann hat es immer einen Wert. Und wenn einem etwas wert ist, dann will man es ohnehin nicht (mehr) verkaufen. Allenfalls verschenken.


jean stubenzweig   (22.07.10, 12:43)   (link)  
Um weitere Mißverständnisse
zu vermeiden, sollte ich hier vielleicht besser etwas geraderücken: Selbstverständlich ist nicht jeder Galerist ein schlichter Propagandist vorm Supermarkt des neuen Glaubens. Selbstverständlich gibt es sie nach wie vor, diejenigen, denen an Inhalten gelegen ist, an dem, was Kunst kennzeichnet, hier in einfacher Form(el): die andere Sicht. Auch kenne ich manche, sogar solche, die damit handeln, die sich das eine ums andere Mal nicht eben leicht von dem trennen, was ihnen da in den Geist und in die Freude gefahren ist, die sich behutsam um die Kunst und ihre Künstler bemühen. Manch einer ist daran gewachsen. Oder hat mitwachsen lassen. Nicht vergessen werden möchten vor allem auch die sogenannten Kleinen auf diesem großen Rummelplatz, die häufig unbemerkt trotzdem unermüdlich dranbleben oder auch neu hinzukommen, denen an der Kunst und deren Artisten selbst gelegen ist, die nicht selten am Rand des Existenzminimums dahinkrebsen und anderswo Wände streichen gehen, auf daß ihnen die häßliche Farbe des Hungerödems nicht vollends ins Gesicht fährt, die lediglich dreißig oder gar zwanzig Prozent Provision nehmen, wenn überhaupt. Was nicht heißen soll, daß grundsätzlich kostenlos vermittelt oder gar verschenkt werden soll. Schließlich ist Kunst nicht nur schön, sondern macht auch dem Vermittler viel Arbeit und kostet ihn Miete und Strom und Vernissagewein und Druckerei und so weiter. Ein Ärgernis sind (mir) diejenigen, die zu anderen Zeiten Klamotten oder devotionalen Tinnef verkauft haben und nun nach einem Crashkurs Kunstgeschichte des Jakobswegs an der Greizer Volkshochschule dann mal weg sind nach Berlin-Mitte in einen Hinterhof mit hoher Mieterfluktuation und nun Kunst verticken wie Biogemüse aus China im Supermarkt. Nichts gegen Bioobst oder Rohmilchkäse, auch oder gerade für die Massen. Aber man sollte als Verkäufer zumindest wissen, wie das alles gewachsen und was darin enthalten ist und vielleicht auch, wie das hergestellt wird. Auf daß der Kunde erfahre, was ihm da für eine Aktie oder Blase an die Wand genagelt wird.

À propos Kunstverkäufer: Ich krame die nächsten Tage noch einmal im Archiv herum und lade hier nach.


alea torik   (22.07.10, 23:56)   (link)  
Die Inflation steht vor der Türe?
Bei mir hat sie die schon längst eingetreten. Aber ich find‘s auch nicht so schlimm. Es lässt sich ganz nett mit ihr plaudern.

Ich kann den Kunstmarkt nicht einschätzen, ich kann nicht einschätzen, wer da dem Geld hinterherrennt, alle vermutlich rennen auf die eine oder andere Weise; und alle zeigen mit dem Finger auf die anderen, wenn gefragt wird, wer da rennt. Und warum.

«Das Problem des Kunstbetriebs», formulierte Hans Platschek mal als einzig bleibenden Wert, «besteht darin, das richtige Verhältnis zu finden zwischen dem Ohrabschneider und dem Halsabschneider.» Das ist ja eine großartige Formulierung! Ich denke, dass es unter den Künstlern mehr Ohrabschneider gibt, unter den Händlern mehr Halsabschneider.
Aléa


jean stubenzweig   (23.07.10, 12:40)   (link)  
Die Geldentwertung,
die Sie, liebe Aléa, offensichtlich eher weniger ängstigt, löst bei mir im Zusammenhang mit der Kunst als Hort der Marktsicherheit einmal mehr eine derartige Logorrhoe aus, daß mir das zu einem fast eigenen Thema geraten will. Deshalb wird sie etwas großflächiger auf einer neuen Seite eins erscheinen – quasi als (Ant)Wort zum Wochenende, hier.


jean stubenzweig   (23.07.10, 16:46)   (link)  
Bürgerliche Schönheiten
gehört doch hierher. Ich lagere deshalb um:

Die Geldentwertung ist anzunehmenderweise für jüngere Menschen vor allem dann nicht so ein Schreckgespenst, wenn sie nicht zu denen gehören, deren Erbschaften sich durch sie erheblich dezimieren könnte. Aber unter letzteren verursacht das Gerede um sie — sicherlich mit ausgelöst von groß- oder besser urgroßelterliche Erinnerungen — geradezu panische Anflüge von Bedürfnissen nach Sicherheit. Um so grotesker ist die Flucht auf die Rettungsinsel zeitgenössische Kunst. Denn nichts ist kurzlebiger als diese. Selbst die wa(h)re Antiquität, bislang eigentlich eher als Garant gewertet, unterliegt nicht mehr berechenbaren Wertschwankungen. Wer wegen des Platzens irgendeiner Blase dringend seinen seinerzeit völlig überteuert erstandenen drittklassigen Jawlensky zu veräußern hatte, der mußte durchaus mit einigen zigtausend Abstrich rechnen gegenüber dem einstmals gezahlten Preis. Aber selbst im Geringerwertigen sind Verluste angezeigt. So sind beispielsweise die Preise für barocke Möbel oder Teppiche und viel anderes mehr dieser Art in den letzten Jahren rapide in den Keller gegangen, da nahezu sämtliche Individualisten brav den handelsbelebenden Direktiven der Einrichtungsblätter oder der vielen Innenarchitekten, die sich ihre Anregungen aus selbigen geholt haben, gefolgt sind. Die Sehnsucht nach dem gesellschaftlich angepaßt schönen neuen Wohnen in der leicht aufgefrischten alten Moderne — auch dabei dürfte es sich um eine Randerscheinung des Rummelplatzes Kunst(markt) handeln — hat nunmal im museumsartigen Ambiente zeitgenössischen Designs Ausdruck gefunden, in dem so ein oller Fußabtreter die noch ältere, gleichwohl frisch abgezogene Eiche (die ebenerdigeren, aber deshalb nicht unbedingt neugestaltungsunwilligen Stände nehmen Laminat, das klickt so schön), überhaupt jedwede Krümmung des Mobiliars la ambiance euphorique nur verstümmeln würde. Mit der Folge, daß alles früher ins Höfische zielende Barocke, nicht selten aus der Erbmasse altlandadliger Ommas und Oppas und zwischenzeitlich gerne ein wenig entzerrt durch mehr oder minder niedliche Applikationen (heutzutage hat man die allerdings im Telephon) der (Post)Moderne, aus dem Zuhause entfernt wurde, verfrachtet in die bald überquellenden Lager des Antiquitätenhandels; wodurch eine eigenartige Inflation geschaffen wurde.

Momentan mag die Gestaltungsindustrie nichts rundlicher Geformtes. Die abstruse Ab-Art von Gesundheitsreform hat den BodyMaßIndex auf minimalistische Schlankheit gesetzt. Da der mittlerweile offenbar auch schon wieder überholt zu sein scheint, könnte es durchaus geschehen, daß die vermutlich zuviel wirtschaftsbelebende Informationen konsumierenden mitteljungen Leute, die der Inflation mittels zeitgenössischer bildender Kunst zu entfliehen gedachten, demnächst das Interieur ihres schönen neuen Hauses zu verändern gezwungen sein werden, weil die Mode das Schlanke quasi pfeilgerade in die temporäre Vergangenheit geschickt haben wird. Sie hätten in ihrem Verlangen nach Geldbewahrung möglicherweise doch besser ein bißchen vorbedachter gehandelt und vielleicht Altbewährtes zu extrem günstigen Preisen gekauft und so den Keller ihrer Immobilie in einen antiquarischen Sparstrumpf umgewandelt. Denn die Kurse ziehen mit Sicherheit wieder an — recht gut erinnere ich mich daran, wie Anfang der Achtziger der aufstrebende, des Hippie-Chaos' überdrüssigen Verwaltungsakademiker unbedingt von Sicherheit bietendem Biedermeier umgeben sein wollte (die Sehnsucht nach Neuer Bürgerlichkeit ist also keineswegs ein schwarzgelb oder gar -grün gefärbtes Phänomen seit den Anfängen des dritten Jahrtausends, sondern hat längst Jahrzehnte auf dem Buckel) —, wenn die kreative Modeblattindustrie wieder eine geschwungenere Form von Gradlinigkeit neu entdeckt. Allerdings führte ein solches Handeln dann doch wieder weg von der Sicherheit, die einem die zeitgenössische Bildhauerei bietet. Im Konsum bereits vorgefertigter Gedanken liegt schließlich die ruhende Kraft.

Meine Beschäftigung mit dem Inflationären der wa(h)ren Kunst hatte mich bereits Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre Hans Platschek zugeführt. Der Maler und Essayist war bereits über Kunst, Neukunst, Kunstmarktkunst in die Gedankengänge gekommen und hatte das Notierte 1971 über den Äther zugänglich gemacht. Im Lauf der Zeit erweiterte er seine Gedanken und ließ sie 1978 (nicht 1987, wie es überall zu lesen ist) in ein Buch mit dem Titel Engel bringt das Gewünschte einfließen. Ein Kapitel daraus hat dieser Kunstkassandrist Der Makler und der Bohèmien genannt. Darin nahm er vorweg, was heute aus Museen und Galerien nicht mehr wegzudenken ist:
«Die Arrangeure von Kunstausstellungen äußern sich direkter. Einer Ausstellung britischer Plastik wurde einmal einige Diskussion zuteil, weil nicht die Plastiken auffielen, sondern ihr Arrangement. Man hatte Laufstege aufgeschlagen wie für eine Modenschau, die Werke auf den Fußboden gestellt oder auf farbige Sockel, eins aus Draht an die Decke gehängt und alle mit versteckten Punktscheinwerfern ausgeleuchtet. Die Tate Gallery unterschied sich in nichts von einer Abteilung des Kaufhauses Harrods. Das Beispiel steht nicht allein, und außergwöhnlich ist es schon deshalb nicht, weil einer ganzen Gruppe von Ausstattern der Effekt die Mittel heiligt. Kunstausstellungen, so sieht es aus, finden ihre zeitgenössische Note nicht durch die ausgestellte Kunst, sondern durch die Inspiration der Ausstellungsleitung. Auch sie gebärdet sich künstlerisch, was vor allem darauf zurückzuführen ist, daß sie den Bildern und Plastiken, was deren Wirkung angeht, nicht mehr traut. Der Beschauer ist an andere Vorstellungen gewöhnt, er kommt aus der Weltausstellung, der Mustermesse, der Eisrevue oder auch nur aus dem nächsten Kaufhaus, und überall hat man ihn mit derben Zusammenstellungen von Raum, Licht und Farbe gehörig beansprucht. Kein Wunder, wenn Ausstellungsmacher das Nächstliegende aufstöbern und ihre Inspiration von den Dekorateuren beziehen. Zwar weiß man, die Dekorateure haben ihrerseits vor nicht allzu langer Zeit ihre Einfälle aus den Bildern und Plastiken der Kunstausstellung bezogen, aber inzwischen reicht die Wirkung armseliger Kunstwerke wohl nicht mehr aus; was ist schon groß ein Tryptichon von Bacon, verglichen mit Disneyland? Man wird einwenden, der Vergleich sei plump und Disneys Kunde ohnehin nicht Bacons Beschauer. Die Arrangeure jedoch sind anderer Meinung: sie haben die Warenwelt entdeckt.»
Ein Teil der Frage, wer da auf dem Kunstmarkt wessen Geld hinterherrennt, dürfte nun beantwortet sein. Ansatzweise finden Überlegungen zu diesem Thema bei mir eigentlich immer statt. Aber vielleicht überkommt mich in nächster Zeit eine götzliche Eingebung, die mich das alles mal zu einem Blog verdichten läßt. Das würde zwar wieder polemisch, aber ein wenig Unterhaltung möchte schließlich sein.


prieditis   (29.07.10, 12:17)   (link)  
der Kunstmarkt
Wenn der Zirkus in die Stadt kommt, stehe ich am Straßenrand und bewundere die hübsch bunt bemalten Wagen und winke. Dann renne ich hinterher.


jean stubenzweig   (29.07.10, 18:42)   (link)  
Mit dem Zirkus
habe ich's nicht so sehr. Auch nicht mit dem Affentheater. Aber zu beiden neige ich eher als zu diesem Laufsteg der Eitelkeiten, der überwiegend (sogar hier gibt's Ausnahmen) von Blasiertheiten berannt wird, die sich von fremdem Glanz bestrahlen lassen. Hollywoodianismus für Andersglaubende. Kirchgänger eben.


prieditis   (30.07.10, 12:05)   (link)  
Vergessen
habe ich, den letzten Satz zu vervollständigen. Hier nun der Nachtrag:

Dann renne ich hinterher. Denn die Clowns kommen immer zum Schluß.


edition csc   (13.02.11, 19:00)   (link)  
Es sei deshalb Kunst,
weil Nachfrage bestehe, weil es einen Markt habe. Das verkündete heute in Arte ein Fachmann über Gilles Barbier.


jean stubenzweig   (14.02.11, 06:00)   (link)  
Philosophie nennen sie es
mittlerweile, selbst diese Kunstwissenschaftler. Längst lehrt man es sie, sie wissen es nicht anders. Das Leben besteht nur noch aus Markt, sagen die Professoren, die auf einem privat «geförderten» Lehrstuhl sitzen. Die Meister singen nicht mehr ohne PPP, der letzten Kulturölung.


tropfkerze   (28.07.10, 20:05)   (link)  
Wenn man sich mal überlegt...
... dass das Schreiben eines Romans oder eines Gedichts mitunter mehr Mühe macht als die Herstellung eines sog. Kunstwerks (mitunter auch weniger), ist das Missverhältnis schon krass.

Allerdings liegt dazwischen die Reproduktion. Solange man die Bücher noch abschreiben musste, waren auch sie nur für bestverdienende Kleriker oder Adlige zugänglich. Und bildende Kunst ohnehin nur für Kirchen oder Paläste.

Also nicht wirklich ein neues Phänomen.


prieditis   (29.07.10, 11:06)   (link)  
sog. Kunstwerke
Das ist aber böse wertend!

In meinem Falle gebe ich Ihnen vollkommen recht, was die "Mühe" betrifft!

Jawohl, einen Roman, und sollte er nur 64 Seiten umfassen, würde ich als Lebensaufgabe sehen. Und bei Lyrik, da komme ich selten über 3-4 Zeilen hinaus. Hier sind es nun immerhin 5 Zeilen - aber das ist Prosa.


jean stubenzweig   (29.07.10, 11:19)   (link)  
Entartet?
bei «sog.» denke ich immer sofort an «entartete» Kunstwerke, wird es hier gleich heißen. Ich muß nur noch mal drüberlesen. Ob's nicht wieder zuviel (schlechte) Lyrik geworden ist.


tropfkerze   (30.07.10, 14:16)   (link)  
Dzz dzz
Das mit der "Entartung" ist aber jetzt arg auf die Pauke gehauen. Es ist nur meiner Unkenntnis von Kunst verschuldet, da ich mich nicht in der Lage fühle, ein "Kunstwerk" von einem "sog. Kunstwerk" zu unterscheiden.

Im übrigen ist auch nicht die Mühe entscheidend für die Qualität, sondern allein das Resultat, selbst wenn es gerade mal in 5 Minuten entstanden wäre. Doch in Fragen des Geldes hat eben auch die Zeit, die man aufwendet, ihre Bedeutung, denn der knurrende Magen wartet nicht.















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