Der Apfel fault nicht weit vom Stamm

Nein, um solche verfaulten Äpfel geht's nicht dieses Mal. Das habe ich längst abgefeiert, es bereits mit der Diskussion um die Design-Genetik? quasi beerdigt. Die im schönen Schein des Nichtwissens hochglänzenden, von der mehrstreamigen Vielheit im Superdiscounter gekauften sind auch nicht gemeint, derentwegen alle anderen keine Chance mehr haben, noch einen Winzling am Marktanteil zu ergattern. Um die letztgenannten Apples geht es, die kaum noch jemand haben will, obwohl sie mit Abstand besser schmecken als diese in Schönheit allzu rasch dahinsiechenden Luxusgebilde der inneren Fahlheit. Immer wieder wird auf deren und andere Vorzüge beziehungsweise den Lebensmittel genannten Müll hingewiesen, aber keiner geht mehr hin, um sie zu ernten, weil die meisten nicht auf die Idee kommen mangels Anregung, die im Privatfernsehen kaum oder überhaupt nicht stattfindet, die Information darüber nämlich, wie schmackhaft, vom Vitamingehalt erst gar nicht zu reden, auch oder gerade beispielsweise ein grün- bis gelblicher Apfel sein kann. Sie lassen sich lieber volldudeln mit diesem Werbegedöns, in dem alles herrscht, nur keine Aufklärung darüber, was einen alles von innen heraus zerstört. Macht kaputt, was euch kaputtmacht, hat ausgedient. Wir wollen Luxus, lautet die neojugendliche Devise, zur Not, wenn's Geld nicht reicht, geht's auch von Hempel & Moritz, dieser anderen schwedischen Nichtsnutzigkeit des sogenannt Billigen.



Aber na gut, ich habe leicht reden, ich gehöre schließlich der Kaste der Privilegierten an. Ich habe einen Garten Eden vorm Haus, und ich bekomme dessen Früchte auch noch persönlich serviert. Am Sonnabend war's, ich wollte mich aufmachen zu einem Besuch bei Frau Braggelmann, die mich mit Apfelpfannkuchen gelockt und auch etwas von einem solchen ohne Pfanne in Töchterleins zitronenknallgelbes (unnatürliche Aromen?) EiPhone, weil wochenendlich gebührenfreies gesprochen hatte. Da ereilte mich von hinten ein Ruf. Der Gatte von Madame Lucette war's, meinetwegen von einem seiner vielen Spielzeuge abgestiegen, in den vorgestreckten Händen drei frisch gepflückte Äpfel, die ohne die wenigen bräunlichen Fleckchen jede Schönheitskonkurrenz eines Supermarkthyperdiscounters hätten gewinnen können.

Nun ließe sich zwar nicht behaupten, Frau Braggelmann wäre mir nicht grün, aber daß sie eine solche sei, am Ende noch eine alles Fleischliche, gar Schweinernes verachtende, das wäre dann doch zu weit hergeholt. Dennoch äußerte sie, zurückgekehrt von einem Schwatzausflug nach Lübeck, die Altgrünen seien ihr lieber, selbst wenn sie nur Vegetarisches böten. Häkeln und stricken tut sie gelegentlich auch, für mich sogar einen Schal aus feiner, unchinesischer Seide, auf daß ich mich nicht verkühle wie ihr Lieblingshaustier namens Harrald. Und sie kam nicht nur wegen meines Präsents darauf, dieses leuchtendfleckigen, vor allem aber wohlschmeckenden Apfels. Bei alteingesessenen Grünen war sie nämlich zum schwatzen, in einem Gasthof, der in dem Jahr eröffnete, in dem ihnen der Einzug in den Bundestag gelungen war. Einige Male lobend erwähnt hat sie es, das Café Affenbrot, so daß ich beinahe schmerzlich daran erinnert wurde, welche Schwierigkeiten ich seinerzeit hatte mit denen, nicht zuletzt wegen der teilweise vielen braunen Flecken auf ihren Apfelgesichtern. — Und wie sehr ich mir sozusagen heutzutage Abbitte leistend wünsche (nein, kein Konjunktiv!), es gäbe ein paar mehr von ihnen, die kämpferisch gesinnt auf die Straße gehen und davon erzählen, daß es noch anderes gibt, das kaputtmacht. Und nicht diejenigen, die Fallobst predigen und doch nur noch den EiKult der Postnachmoderne propagieren.
 
Mo, 10.10.2011 |  link | (3313) | 5 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Form und Sinn


kopfschuetteln   (10.10.11, 22:36)   (link)  
wollte man unken, sollte man glauben: echte äpfel, jenseits eines (supermarkt)designs könnten bald wieder echte währung werden.
die gartenarbeiten (die üblichen im herbst) sind fast abgeschlossen: sommerwiese im nächsten jahr ist möglich, aber auch ernsthaft angelegte beete.

alteingesessene grüne schon wieder fehlt mir was ...


jean stubenzweig   (19.10.11, 13:43)   (link)  
Alteingesessene Piraten
kann man offensichtlich auch bald sagen, nachdem die mittlerweile überall angefegt werden wie seinerzeit die Grünen, etwa in der Art wie gestern (vorgestern?) im Report des Bayerischen Fernsehens mit seiner Gastmoderatorin vom Häßlichen Rundfunk. Ich kam mir vor wie damals, als die Grünen fast genauso abgebürstet wurden, und nicht nur in Bayern und dessen damalig zweifelsohnigem Staatsfernsehen, auch Bayerischer Buntfunk genannt — dessen Rolle wohl der mitteldeutsche übernommen hat, vermutlich nicht zuletzt, da der Intendant von dort gekommen ist.

Also: alteingesessene Piraten, das hat etwas sehr Komisches. Und mir fällt dabei auch noch das nicht minder komische Ereignis um einen jungeingetretenen ein.


g.   (11.10.11, 06:50)   (link)  
Ist bei Ihnen in sonnausflugstäglicher Reichweite nicht das Alte Land? Vor so stücker 30 Jahren war ich da mal auf einem Ökohof, der Name ist mir nicht erinnerlich, zu einer Apfelsortenverkostung. Auf dem Hof wurden alte Apfelsorten gezüchtet, bzw. bewahrt, die vor dem Aussterben stehen, weil sie niemand mehr haben will. Ein riesiger Hof inmitten von weithin sich erstreckenden Streuobstwiesen. Zum Auftakt gab es einen Apfelkuchen mit Schlagsahne (leider mit Dinkelmehl) und eine Erläuterung, warum wir in der Laube hinter dem Haus nicht von Wespen belästigt würden. Die Leute hatten ein Hornissennest im Apfelbaum direkt neben dem Kaffeetisch. Auf unseren Einwand, dass Hornissen gegenüber Wespen keine Verbesserung darstelle, wurde uns versichert, dass Hornissen zwar echt gefährlich aussähen, aber immer in etwa drei bis vier Meter Höhe fliegen und Wespen jagen und vertilgen würden. Das stellte sich als wahr heraus und nach einigen Minuten hatten wir uns an die Hornissen weit über unseren Köpfen gewöhnt.
Auf den Tisch wurde dann eine große Schale mit Äpfeln gestellt. Der Bauer schnitt mit seinem Messer die Äpfel in einzelne Spalten, die wir dann probieren durften: Dieser kleine rote Apel heißt soundso und ist ein sehr ergiebiger Saftapfel, jener heißt soundso und ist einer der aromatischsten Speiseäpfel, heute leider so gut wie unbekannt, und so weiter und so weiter. Es hat großen Spaß gemacht. Die nächsten Tage (wir waren dort zu einem Seminar) fanden wir jeden Morgen und jeden Abend eine Schale mit verschiedenen Äpfeln in unserem Seminarraum.
Leider kann ich mich an die Namen der vielen Apfelsorten nicht mehr erinnern.


jean stubenzweig   (11.10.11, 11:57)   (link)  
Ins Alte Land
kann ich quasi mit dem Schiffchen fahren, von den Landungsbrücken aus mit dem schwimmenden öffentlichen Nahverkehr, wie mich der siebenunddreißigjährige Kid (möge er rasch genesen) mal aufklärte. Na gut, zunächst einmal mit dem Automobilchen, denn vom holsteinischen Dörp aus wäre das, wenn morgens um sieben die Welt eigentlich noch in Dortmund ist, zunächst mit dem Schulbus eine halbe Tagesreise, erst ins nächste Dorf, dann an jeder Milchkanne vorbei ins nächste Städtchen, dann ins wieder nächste, von dort aus zwei Stunden lang in die große Stadt am Hafen zur Welt, dann rüber auf die andere Seite der Elbe, und dann weiter, nein, zu Fuß muß man nicht, aber mit der altfranzösischen Chaise roulante geht's eben doch rascher und bequemer, in einer Stunde in die Stadt, die gut vierzig Kilometer, wenn man wie ich die Autobahn meidet und außerhalb der Hauptrasezeiten über die Dörfer bummelt, dann kann man immer noch die Tageskarte benutzen für Hoch- und Tiefbahn und die gern benutzten Busse, wie ich's ohnehin immer mache, wenn ich mich im Norden aufhalte, und hin- und herfahre zwischen Alsterdorf und ländlichem Paradies.

Doch ach, das Alte Land vor dreißig Jahren ist nicht mehr. Da gibt es zwar sicher immer noch oder immer mehr Bio(apfel)höfe, aber das meiste der Früchtchen dürfte doch ziemlich verspritzt sein. Gärten im Sinnlichen von Eden gibt es kaum, das sind riesige Plantagen, für die Effizienz im Lot aufgereihte Bäume für die großen Abnehmer, wenn auch sicherlich immer noch weitaus besser als die rotgülden glänzende Massenware aus China oder Chile oder sonstwo. Aber was soll ich der Äpfel wegen ins alte Land reisen, habe ich das gute doch vor der Nase, ich kucke drauf, mit all den alten Sorten, teilweise bis zu hundert Jahre alte Bäume (hoffentlich stimmt das, und ich habe nicht zwanzig hinzugedichtet), an die kein Giftspritzer kommt, deren kleinere der Gatte von Madame Lucette mal umnieten wollte, weil er Trecker-Formel-eins rasen wollte, aber seine Frau hatte ihm gedroht, wieder in die naturbelassenen Ardennen zurückzukehren für diesen Fall.

Die, aber auch ihn könnte ich mal fragen, wie diese alten Sorten alle heißen. Denn die beiden kennen sich aus, schließlich haben sie rund vierzig Jahre Apfelsaft erzeugt, einen, den auch ich gerne trinke. Bio ist das zwar keiner, weil die anliefernden Nebenerwerbsapfelbauern starkvermutlich doch zur Spritze greifen, weil der Gartenexperte der Chemieindustrie aus dem Werbefernseher das allabendlich rät, obwohl es nun wirklich nicht nötig wäre, da ohnehin alles in die Presse kommt, vom Vater gesammelt und mittlerweile vom Sohn gepreßt. Aber immerhin pflücken sie die Früchte noch und lassen sie nicht, wie mittlerweile die meisten, einfach verfaulen – und gehen dann zum Supermarkthyperdiscounter, weil sie sich nicht bücken oder recken mögen.

Doch ich habe schon wieder gut reden: Ich muß das Kreuz nicht biegen. Für mich Gartenzwerg läßt man immer noch ein paar im unteren Bereich des kleinwüchsigen Geästs hängen. Und manchmal reicht sie mir sogar ein Landlord. Hätte mir eingeborenem Großstädter vor acht Jahren jemand prophezeit, ich würde irgendwann jeden Tag mindestens einen Apfel essen, ich hätte dem Propheten erklärt, seine Weisheiten hätten keine Gültigkeit im alten Land. Aber jetzt bin ich ja zu einem Gutteil ebenfalls so etwas wie ein LandEiLord.




jagothello   (12.10.11, 21:47)   (link)  
Obstverächter
Also, ich finde, Sie hätten wenigstens mal ein dekoratives Stückchen vom Apfel abbeißen können, bevor Sie ihn so nett drapierten. So sieht das ja aus wie die erste Design-Katastrophe in der Post-Jobs- Ära.
Statt heut Abend "Raus aus den Schulden" zu gucken werde ich mich mit mir selbst beraten ob das stimmt: Dass all der schmucke, verführerische Design-Kram mich korrumpiert. Wahrscheinlich muss ich zu Kreuze kriechen.















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