Nackedeiereien

Im Hermetischen Café rieb man sich die Augen ob der SexyClips. Der Sturmfrau bliesen sie mitten ins Gesicht, hier vermerkte Jagothello, es seien die «beschlipsten und behüteten Würdenträger», denen «die außerordentlich gut gebauten Damen beim Startkommando alles mögliche» entgegenreckten. Angefangen hatte es, für mich, beim hinkenden Boten, der aus dem Urlaub auf Sizilien eine Photographie mitgebracht hatte, die sich allerdings und wohl zu recht ins Politische bog. Denn alleine dorthin gehört es meines Erachtens.

Nun gut, die Nacktheit an sich war immer ein Thema. Aber ich fange bei mir Adam an, schließlich folgt dem eine Eva. Ich habe sie erlebt wie anzunehmenderweise die meisten meiner Generation: Als eines Tages jemand ungebeten ins Bad kam, machte meine Mutter sofort das Licht aus. Und dann kam ich, ein Kind der Dunkelheit, dem erst sehr spät das Licht auf- oder anging. Ich lernte Nackheit, Sexualität als etwas Verbotenes kennen. Vieles meiner Kindheit und Jugend hat sich irgendwo in den hintersten Innenhöfen meines Langzeitgedächtnisses versteckt, was sicherlich auf einen vor bald fünfzehn Jahren stattgefundenen Gehirnaussetzer zurückzuführen ist, aber eines war bald wieder da: mein erstes sexuelles Erlebnis, nicht nur thematisch war das für mich immer von Belang. Fünfzehn Jahre war ich jung, das war, wie ich im Lauf von Gesprächen mit anderen und auch via Literatur herausfinden sollte, seinerzeit ein durchaus als frühreif zu bezeichnendes Alter, gleichwohl ich ansonsten ein Spätentwickler war, der zudem immer längere Zeiträume brauchen sollte, Zusammenhänge zu verstehen. Ich stieg heimlich bei einer unwesentlich älteren, aber eben doch noch sehr jungen Frau ein, deren Eltern abends zu irgendeinem Vergnügen unterwegs, also außer Haus waren. Es kam heraus, und es löste einen heutzutage geradezu unvorstellbaren Wirbelsturm aus, der bei mir in einem ebenso kaum vorstellbar langen Hausarrest endete sowie ziemlich hilflosen Versuchen, mich aufzuklären. Der Psychologe, der damit beauftragt worden war, konnte mehr noch als ich seine Scham nicht verbergen, mit mir darüber sprechen zu müssen. Das fand statt in einem skandinavischen Land, in dem ich die Jahre meiner Frühpubertät verbrachte.

Es war geprägt von einem Protestantismus, wie man ihn aus den niederen Landen kennen mag, in denen man allüberall in die Stuben blicken darf, da niemand etwas zu verbergen hat, schon gar kein unanständiges Treiben; die an den Rändern der Fenster angebrachten Vorhänge hatten alleine applikativen Charakter. In den Niederlanden waren und sind wohl, ich war lange nicht über einen Zeitraum dort, der zu Studien- oder Stubenkuckzwecken ausgereicht hatte, die Katholiken die sogenannt Progressiven. Und schaut man sich in den Kirchen des Südens um, ist man umgeben von nackten Engeln; wie etwa auch der Himmel der Muslime, der mit Jungfrauen bestickt ist. Sicher, auch im Süden kommen kaum noch Kinder zur Welt, so daß auch dort die Renten erheblich gefährdet sind, aber im protestantisch zivilisierten Mitteleuropa scheint gar niemand mehr faire l'amour mit dem Ziel der Nachwuchsförderung betreiben zu wollen. Liebe machen war übrigens in meinen studentischen Kreisen als Ausdruck sexueller Handlung verpönt wie das Lesen von Literatur, die das Phänomen Liebe zum Inhalt hatte. Und Schriftsteller wie etwa Baudelaire waren ideologisch des Teufels, auch sie wurden unter der Bettdecke gelesen, da sie den Geist verwirrten. Rudi Dutschke samt seinem Gretchen waren allertiefste Protestler, er dürfte seine Wurzeln, ob es so stimmt, weiß ich nicht genau, im Pietistischen gehabt haben. Gut, das mag jetzt als Argumentation etwas arg flapsig daherkommen, aber als Nachweis für die Gegenrichtung der Nacktheit mag es gereichen.

Als junger Mann kam ich in die USA. Zwar lebte ich bei meinem Onkel in einem Rentnerparadies, in Miami Beach (das mittlerweile zu einem der Jeunesse umgewandelt wurde), aber ich bekam aus dem gegenüberliegenden Teil des Landes herüberwehend die sich anbahnende kulturelle Windrichtung der freien Liebe mit. Sie war hochpolitisch. Hans Pfitzingers Aufsatz mit dem Titel Love and Peace und all die Hippies ist ein beredter Beleg dafür. Er beschreibt im Untertitel den langen, harten Sommer der Liebe. Er schwappte, wie so vieles, wenn nicht gar das Meiste oder auch alles, aus den USA herüber nach Europa, im besonderen in das Land, das aufgrund von Care-Paketen und Marshall-Plan und so weiter, das, wie wir das in den Sechzigern und auch danach noch nannten, der einundfünfzigste Staat der Bundesrepublik der Vereinigten Staaten von Amerika geworden war, quasi noch vor Hawaii, mit Spätzündung. Die Intention der Herrschaftsfreiheit auch in der Liebe, zumindest in der zu machenden, sollte bald politisch untergepflügt werden. Bald gab es nur noch Samen, mittlerweile in monsantoischer Manier, der nach Zuchtregularien ausgeliefert wurde, die einer natürlichen Fruchtbarkeit zuwiderlaufen. Geblieben ist allenfalls etwas Hippieeskes.

Längst kauft man den Punk als Mode bei, auch das eine Verhohnepipelung der Siebziger, bei Clamotten-August, was für C & A steht, ein aktuelleres Synynym mag H & M sein. Der erwähnte Kapitalismus, die Nebenreligion der Massen kriegt noch jede Strömung eines Freiheitsgedanken klein. Haben sich die Hippies noch wohlgefühlt in ihrem Naturdrang nach entbößter Körperlichkeit, was durchaus politischen Charakter hat, als Ableger mag Rainer Langhans (offenbar noch immer von ihm gelebten) Ideologie (?) beziehungsweise die Commune I gelten, so ist das heutzutage durchsexualisiert, weil es verkauft werden will. Aus den Pin-ups, die in den sechziger und siebziger Jahren die Automobile knackiger machen sollten, sind Barbie-Puppen geworden, denen man zur Gewöhnung bereits Kindern nicht nur auf den Gabentisch legt. Ich absoluter Werbeverpöner* habe zu diesem Zweck in letzter Zeit hin und wieder mal in den Reklamerummel hineingeschaut. Alles scheint nur noch auf Püppie samt ihrem in Kosmetik gebadeten Helden hinauszulaufen, und alles fast ausnahmlos mit virtuellen Botenstoffen versehen, die Hoffnung auf den raschen Bums signalisieren.

Um diesen geht es nämlich nahezu ausnahmlos. Den Veranstaltern dieses Rums- und Bumsplatzes ist es schnuppe, ob Lieschen einen Fritz oder Jeannette einen Marius abkriegt heute oder morgen oder überhaupt. Darum sollen sich die fachspezifischen Märkte kümmern, denen dann wiederum zu entnehmen ist, um was es den Mädels tatsächlich geht: um Sauberkeit, Ehrlichkeit, ein Leben ohne Lüge (wie im Internet?), daß man zwar gerne essen ginge, aber auch selber recht ordentlich kochen könne, am liebsten Hausmannskost, man am liebsten Schlager höre und durchaus auch ein bißchen, aber nicht zu lauten Rock, auf den man zwar nicht bestehe, ihn dennoch recht gerne trage. Die Jungs hingegen sind schonmal sexuell gewagter in ihren Botschaften, ob sie einen Schritt über ihre Puff-Visionen hinaus denken können, das sei dahingestellt. Aber sie alle träumen im Lauf des Betrachtens dieser schönen Werbewelt mit den vielen schönen hochgestellten sekundären Geschlechtsmerkmalen an das mögliche, nenne ich's ausnahmsweise mal virtuelle Abenteuer. Die Herausforderung fehlt vielleicht noch in dieser Aussage, dieser verbale Allgemeinplatz symbolisiert ziemlich genau das Geschehen. Sie gehen nicht einmal in die Muckibude. Sie gehen lieber am Stock auf Wanderschaft in die Felder, Wälder und die Auen. Aber sie kaufen die Crèmes und Salben, die ihnen ein Adventure versprechen.

Ich muß meine Suada, meine sanfte Kunst der Überzeugung vom Sein des Anders-erleuchteten jetzt leider unterbrechen. Der Herr, ich glaube, er ist noch ein paar Jahre jünger als ich, aber er wird mit zunehmendem Alter mir immer ähnlicher, nämlich albern, hat von unten her gerufen. Was kann alberner sein, als hier auf dem Landlord-Gelände ein Golfturnier mit Mittelständlern der Region zu veranstalten. Aber das muß ich nun ankucken. Hab' ich ein Glück, daß ich altersbedingt nicht nur geistig, sondern auch körperlich behindert bin. Mit solch einem Handicap fällt einem vieles leichter. Ein wenig kommt mir das vor wie das Pétanque-Spiel. Das begann auch damit, daß da unten im Süden, in der Nähe von Cassis jemand nicht mehr stehen konnte und er sich daraufhin setzen durfte, um zu spielen. Das macht den Sport an sich gemütlicher.

* Das geht übrigens auch im Internet recht gut, indem man beispielsweise im Firefox anklickt, «automatisch im privaten Modus starten» sowie Javascript und überhaupt Cookies ausschaltet.

 
Do, 16.08.2012 |  link | (3730) | 3 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ertuechtigungen


jean stubenzweig   (16.08.12, 20:57)   (link)  
Männersport
bei Nord.

Einer spielt, und alle kucken zu. Am Stock.


Golfisch quasseln.


Endlich ist das Scheißspiel zuende. Alle essen Kuh. Ich Taboulé. Vater von Madame Lucette war in Algerien.

Die einzige Frau geht.



sturmfrau   (16.08.12, 23:40)   (link)  
Wie's scheint haben Sie Ihren neuen Lieblingssport entdeckt... Hat der Rotwein wenigstens gemundet?


nnier   (17.08.12, 00:20)   (link)  
Eines an dem Thema "Dunkelheit" beschäftigt mich dabei immer wieder. Und zwar das ab den 70ern auf die andere Seite ausschlagende Pendel: Kommt, sprecht doch bitte mitten in der Pubertät schön offen in der Schulklasse oder am Mittagstisch über eure körperliche Entwicklung und eure sexuellen Erfahrungen oder Wünsche, weil das ja alles "ganz natürlich" ist. Dieses invasive, manchmal wohl auch voyeuristische Bequatschen und Wissenwollen kann auch ziemlich quälen. Ich bin inzwischen der Ansicht, dass es ohne verletzte Gefühle nicht geht, dass man sich manchmal auch unverstanden und alleine fühlen muss. Wenn jemand zum Fragen da ist, wenn man kein unnötiges Getue veranstaltet, ist das sehr viel wert. Aber die Erwachsenen sollten sich sonst um ihren Kram kümmern und den Kindern ihres auch lassen können.

Allerdings ist inzwischen sowieso wieder alles ganz anders. Jetzt werden die Kinder über harte Pornographie "aufgeklärt", die sie überall anspringt, deshalb zeigt die Sesamstraße jetzt den Unterschied zwischen Pornowelt und echter Welt.















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 6023 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 07.09.2024, 02:00



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