Erinnerungsgewerk «An Geschichte», lese ich in den Kommentaren zu Käthe Feinstricks feinfühligen Erinnerungen, «bin ich nicht so sehr interessiert, aber an den Geschichten, und so hab ich viel mit den Leuten geredet, wie sie diese Zeit und die Wende erlebt haben. Diese ganz persönlichen Geschichten erzählten mir weit mehr als sämtliche Geschichtsbücher das konnten.» Da ist es wieder, wozu der Historiker Wolfgang Ruppert, als er noch mehr dem alltäglichen Alltag und weniger den Künstlern oder der Gestaltungsgeschichte auf der Spur war, 1980 aufgefordert hat mit seiner Ausstellung Lebensgeschichten am Nürnberger Centrum Industriekultur, die später in das Buch Erinnerungsarbeit mündeten, ein Begriff, der heute sozusagen zur Alltagssprache gehört: In Kellern oder auf Speichern nämlich lagern Spuren: Photographien oder Briefe. An ihnen läßt sich, bei entsprechender Aufmerksamkeit, die Geschichte der eigenen Familie rekonstruieren. Verknüpft mit den Biographien von Nachbarn kann man «demokratische Identität» herstellen. Die Keller oder Speicher dürften leergeräumt sein, die meisten Erinnerungsstücke tauchen, wenn überhaupt, bezugsentwertet auf Flohmärkten auf und schlagen dort nostalgische, allenfalls erheiternde Purzelbäumchen. Nostalgie, hierzu hat Ruppert seinerzeit eine einprägsame Formel geschaffen: Verklärung der Erinnerung. Mir fallen dazu die vielen wunderschönen sogenannten Mittelaltermärkte ein, auf die kein Städtchen mehr verzichten mag, das noch irgendwo ein bißchen herausgeputztes, meist entkerntes Fachgewerk herumstehen hat, und in denen es immer so schön bunt zugeht, obwohl das Volk damals in grauem Sack zu gehen hatte und die Zentren eine einzige Kloake waren. Die historische Auseinandersetzung mit der «Aufbruchsepoche des Mittelalters», so Ruppert in den Achtzigern, würde mit Klischeebegriffen wie «kulturelles Erbe» aufräumen. Aber das scheint nicht mehr das Problem. Es macht sich eben fröhlicher, bei fließend warmem und kaltem Wasser ein bißchen an der Geschichte herumzuklöppeln. Dabei muß der Faden nur weitergesponnen werden, und aus den Geschichten wird die Geschichte, an der «sie nicht so sehr interessiert» ist ... Auffallend ist, daß zur Zeit im Zusammenhang mit der «DDR» soviel Geschichten wiederholt erzählt werden, auf allen Kanälen, auch immer wieder in Blogs. Dabei ist doch noch nichtmal Jubiläum zum Tag des hochgegangenen Schlagbaums. Woran liegt's, daß der Erinnerungsgeschichtenkarren so vollgeladen wird? Befürchtet manch einer, die eigene Geschichte könnte untergehen im großen Haufen, wenn die Kiste nächstes Jahr zusammenbricht ob der Last der Rückblicke auf zwei Jahrzehnte Grenzöffnung (und 2009 dann auf die Eröffnung der blühenden Landschaften)? Ich sehe schon, auch ich werde ranmüssen mit meinen Geschichtchen zur Geschichte. Schließlich habe ich zehn Jahre (Grenz-)Verkehr gehabt mit den stramm Uniformierten, häufig unterwegs in Richtung Saßnitz auf Rügen, um nach Skandinavien zu entfliehen, meistens jedoch zwischen Dreilinden und Helmstedt und wieder zurück, weil's trotz der vernünftigerweise strikten Einhaltung von Geschwindigkeitsbegrenzungen am schnellsten ging, eine Zeitlang so häufig, daß ich das eine ums andere Mal geradezu durchgewunken wurde von den DDR-Grenzern, manchmal gar von einem leichten Lächeln begleitet. Wobei das vermutlich weniger meiner grenzüberschreitenden Zuverlässigkeit galt als vielmehr meiner jungen hübschen blondäugigen Ehefrau (dieser Dame zum Verlieben nicht unähnlich). Vermutlich habe ich sie alleine deshalb geheiratet, weil sie mir so über meinen Mauerkoller hinweghalf. Damals fuhr man eben mit dem Auto, weil man gerne autofuhr, es dann hinter Marienborn endlich krachen lassen konnte. Der Liter Benzin kostete nach Abebben der Achtundsechziger an der freien Tankstelle irgendwo im Wedding 49 Pfennige. Daran erinnere mich genau, weil nämlich die Flugpartie nach Langenhagen und wieder zurück nach Tempelhof, wo man vom französischen Flieger aus den Anwohnern in den Suppentof gucken konnte, 49 Mark kostete, oftmals für zwischendrin auf die Schnelle gebucht bei der Lufthansa unterm Romanischen Café im Europacenter. Das war 1969, als meine hübsche blondäugige Ehefrau wieder zu ihren Eltern gezogen war. Sie wollte nicht mehr ständig vor einer Mauer stehen.
Hamburg-Hymne Über Peter Rühmkorf kamen wir, hap und ich, innerhalb eines elektrischen Postaustauschs auf Hamburg. Geschrieben hatte ich unter anderem: «Wie ich immer eine unerklärliche Verwandtschaft zu allem spürte, was mit dieser Stadt zu tun hat. Ich kann's nicht erklären. Auf jeden Fall hatte mich die Stadt angezogen, seit ich ins Land gekommen war. Überhaupt habe ich mich von jungen Jahren an immer eher in Norddeutschland zuhause gefühlt — wobei ich Berlin nicht zu Norddeutschland zähle!» Seine Antwort lautete: «Ja, deine Affinität zu Hamburg ist schon deutlich, wobei das für mich nicht so schwer erklärbar ist. Du bist ja eher in großen Städten zu Hause, auch wenn du jetzt aufm Land wohnst. Und Hamburg hat ja was Großstädtisches im besten Sinn. Mir kam die Stadt immer abweisend vor, oder ich wollte mich nicht darauf einlassen. War mir auch zu groß — irgendwann, nach meinen Begegnungen mit New York und Los Angeles und Madrid und Barcelona, später Rom, ist mir klar geworden: Ich krieg Platzangst in Großstädten, wenn ich das Gefühl habe, dass ich da zu Fuß nicht mehr rauskomme. Das hatte ich in San Francisco nie, schon weil das Meer und der wilde Strand immer da sind, und das habe ich in München auch nicht, weil ich unten an der Isar schon das Gefühl habe, ich bin draußen.»Was mich zu nachfolgenden Äußerungen veranlaßte, von denen mein Briefpartner meinte, andere dürften das durchaus auch lesen. So sei es denn: Weil Hamburg Großstadt ist? Das muß man von Berlin doch wohl auch sagen (wo ich immerhin fast zehn Jahre verbracht habe). Wobei das tatsächlich Paris sehr viel ähnlicher ist als Hamburg, das sich nicht so kleinteilig zeigt, nicht die Kieze hat wie Berlin oder Paris (oder ein bißchen auch noch München). Und in Paris fühle ich mich wohl, was ich von Berlin nun nicht unbedingt behaupten möchte. Nee. Hamburg hat schon was besonderes. Und wenn Du die Elbe langgingest — im Unterschied zur Isar ein Fluß! —, dann hättest Du auch Deinen Blick, na ja, nicht aufs Mittelmeer oder gar den Pazifik, aber auf die Nordsee. Die ist zwar noch rund hundert Kilometer entfernt, aber das Gefühl, sie sei sozusagen nur ein paar Meter weiter, stellt sich bei mir immer ein. Und Strand hat Hamburg auch, sogar einen schönen: den Elbstrand. Da kann man sitzen oder liegen und den riesigen Pötten beim Ein- und Ausfahren zuschauen. Ein paar Meter weiter draußen, da, wo Rühmkorf gewohnt hat, in Övelgönne, gibt's (gab's?) an der Elbe eine Art Glühwein-, Köm- und Würstchenbude für Schippers und zugezogene Arriviertere gleichermaßen, deren Besitzer mir vor ein paar Jahren mal innerhalb zweier Stunden über jeden vorbeifahrenden Kahn, aber wirklich jeden eine Geschichte erzählt hat; die Fakten, also Herkunft, Tonnage, Verdrängung, Tragfähigkeit, Tiefgang, Länge, Höchstgeschwindigkeit und so weiter, kannte er ohnehin. Ja, es ist schon so: Hamburg ist eine richtige Großstadt, weitläufig — und im Gegensatz zur Meinung vieler auch offen. Das Gefühl der großen weiten Welt stellt sich hier ein. Und was da jetzt mit der Hafencity geschieht, da kann man meckern, wie man will, wie ich zum Beispiel über eine Architektur wieder mal nur für die Begüterten, aber das ist nunmal das Pfeffersäckische, doch es gibt schon viel zu staunen, wie die das immer wieder hinkriegen. Seefahrerromantik, die gibt's nicht mehr. Dennoch fängt in dieser Stadt immer wieder Hans Albers in mir zu summen an, auch vor diesem (großartigen) Irrsinn Elbphilharmonie. Was hab ich geschimpft über das Verschwinden der Speicherstadt, doch nun stehe ich staunend vor dem, was da entsteht. Es dürfte keine deutsche Stadt geben, in der solches möglich ist. Das heißt auch, Hamburg ist nach meiner Ansicht die einzige deutsche Stadt, die als international bezeichnet werden kann. Berlin ist ein Flickerlteppich, ähnlich, wie erwähnt, Paris, hat aber im Gegensatz bei weitem nicht das Flair. Bei Berlin denke ich immer, da können die machen, was sie wollen, es kommen immer nur Currywurst oder Buletten oder mittlerweile Döner dabei raus, und sei das alles noch so edelförmig eingeflogen und serviert. Daran ändert auch das Kunststadtgehample nichts, das ohnehin nicht von Berlinern ausgeht, die ihre Currywurst oder Buletten eher unveredelt mögen, allenfalls noch türkisch. Die Hamburger indessen begrüßen im wesentlichen dieses Fortschreiten, das Expandieren scheint ihnen im Blut. In der von Hamburg straflos vernachlässigten Schwesterstadt Marseille (seit fünfzig Jahren, dennoch ist kaum etwas zu spüren; es wird nur noch vom Handelspartner China geredet — klar, da kommt das Geld her, nicht nur für die Hafencity) geschieht ähnliches, wenn auch leider unter anderen Vorzeichen. Hamburg hat die Nase immer schon hoch oben im Wind getragen. Das versucht man nun Marseille aufzustempeln, der Stadt ein internationales Gesicht zu geben. Das Problem dabei: Es wächst nicht gelassen, der Mentalität der Einwohner entsprechend. Die Zeiten haben sich nunmal geändert. Vorbei ist das, von dem ich mal geschrieben hatte: «Nachdem Protis an Land gegangen war, um sich mit der schönen Ligurerin Gyptis zu vereinen, ward Marseille gegründet. Protis war Phäake, und die Phäaken, dieses Seefahrervolk von der Insel Scheria, hatten nicht nur einen gastfreundlichen König namens Alkinoos, der den schiffbrüchigen Odysseus aufnahm, um ihn dann in seine Heimat Ithaka zu geleiten. Er hatte auch eine schöne Tochter. Nausikaa war es, die den gestrandeten Odysseus fand und ins Haus ihres Vaters führte. Marseille wurde also von der Liebe gegründet.» Die Oberstempler sitzen in Paris (Geld gibt's aus Brüssel), zumindest starren ein paar von «internationalem Ansehen» Besoffene ständig dort hin und vergessen dabei, daß Marseille nicht Frankreich ist. Sowas interessiert die Marseillais nicht. New York möcht' ich nicht, Los Angeles gleich gar nicht, ach, überhaupt kein Amiland. Zu den Romanischen hatte ich immer Affinität, also: Madrid und Barcelona, Rom et cetera, und ja: Lissabon. Deshalb ja immer wieder meine Verwunderung über meine Uralt-Liebe zu Hamburg. Denn was Romanisches gibt's da nun wirklich nicht. Ich bin eine gespaltene Persönlichkeit. Andere nennen das wohl: Der weiß nicht, was er will. Aber vielleicht kann's mir ja jemand erklären, was mich an Hamburg so anzieht ...
Gossenreport Auf die Seite 1 gehört's, Herr Nnier! Was ich als Herausgeber und Chefredakteur meines elektrischen Massenblattes gebiete und als mein Untergebener hiermit dienstbeflissen ausführe. Denn das Wesentliche an sich will nicht in die weniger beachtete Randspalte, sondern, wie täglich bildhaft vorgeführt, das Titelblatt zieren. Oder so: Leserbriefe finden in der Regel nicht die Beachtung, die Ihnen (nicht immer, aber oft genug) gebührt. Ein Gossenreport ist sicherlich notwendig geworden, nachdem Hans Esser offenbar insofern zur historischen Figur wurde, als er wie nahezu alle tapferen, nicht eben vom Roß herunter kämpfenden Aufklärer in den Orkus flüchtiger Erinnerung entschwebt ist. Nun gut, der Rechercheur des alltäglichen Grauens ist wiedergeboren worden und hat andere Brötchen gebacken. Das Problem aber ist, daß der Hinweis auf den Dreck, für den er sich nichtmal bücken mußte, da er ihm in dieser Backstube bereits exemplarisch entgegenquoll, wohl kaum etwas bewirkt haben dürfte. Sie kaufen weiterhin beim Billigheimer billige Backwaren (vor denen es sogar die pharmazeutisch genährte Sau grausen würde, die sie mittäg- oder abendlich kiloweise auf den Tisch bringen), und auch im Internet suchen sie nicht gerade nach der Wahrheit über das Gebäude, in dem die gesellschaftsgestaltende Politik sich die bazillen-, meinetwegen krankheitserregerverseuchte Klinke in die Hand gibt, sondern eher nach unterhaltenden Schnäppchen, weil BLÖD ihnen zu viele Wörter macht in der bildlichen Darstellung von Welt. Sie wollen's kurz und knapp, wie in der Armenbibel. Ja und nochmals ja, die Seibt und Thomma und alle anderen haben recht, man müßte solche Bücher kaufen, und sei's drum, daß man sie ins Regal stellt wie Sie (mich nicht ausgenommen) und zu lesen beabsichtigt. Schon aus Solidarität dem Autor Gerd Henschel gegenüber oder um Verlagen zu signalisieren, so weiterzumachen. Aber der gar nicht genug zu lobende Klaus Bittermann tat das, nicht zuletzt mit seiner Edition Tiamat, ohnehin schon zu Zeiten, als der Begriff links noch in eine positiv-utopische Richtung wies und vor allem — wie anders? — (auch literarische) Aufklärung verhieß. Warum druckt Henschels sehr viel finanzkräftigerer Hausverlag Hoffmann und Campe mit seinem entsprechend ausgestatteten Vertrieb sowas nicht? Nun gut, führe ich's mal darauf zurück, daß Bittermann und Henschel sich schon seit langem kennen ... Es geht uns allen anderen so, die wir irgendwas zu kritisieren oder einfach nur zu bekritteln haben: Es wird in der Regel, wenn überhaupt, nur von denen gelesen, die's ohnehin bereits wissen. Das Blatt wird, wie Gustav Seibt treffend anmerkt, am Ende gar «‹witzig› gefunden, manchmal sogar als ‹Kult› anerkannt, und die Dreistigkeit seiner Ringelpietzbrutalität entlockt sarkastischen Schöngeistern sogar eine gewisse faulige Amüsiertheit». So erlebe ich die Realität: Immerzu tut die Büddenwarderin den auf die Neunzig zugehenden klapprigen Vermietern den Gefallen, ihnen das großdeutsche Informationsblatt mitzubringen. Mein jedesmal aufs neue angewidertes Gesicht ignoriert sie geflissentlich. Seit sie rübergemacht sind in den Siebzigern, die Kranführerin und der Maurer, genießen sie diesen Quell von Freiheit, dessen Labsal Axel Cäsar ihnen früher immer irgendwie über die Gänsefüßchengrenze geschmuggelt hatte, zumindest eine Ahnung von dem, was man auf der anderen Seite des Westwalls unter freien Gedanken verstand. Man solle den Alten diesen Rest nunmal lassen, meinte meine Menschenfreundin lange. Ja, ich gestehe, mittlerweile halte ich die Klappe. Zumal es nichts fruchtet. Was daran zu beobachten ist: Unser Tischlerlehrling muß dem Gesellen morgens immer dieses Schmierblatt mitbringen, aber nicht, um den Stinkekäse fürs zweite Frühstück darin einzuwickeln, sondern auf daß der zehn Jahre ältere Geselle erfahre, was in der Welt außerhalb seines Mikrokosmos' geschieht. Und am christlichen Schabbes macht er Friede und deren Adoptivsohn Kai noch ein bißchen stinkereicher, indem er die Wochenendausgabe kauft und die Welt studiert wie andere die am Sonntag. Und wissen Sie, verehrter Monsieur Nnier, was das für Balken sind, die einem in der Ferienzeit an Südfrankreichs sanften Gestaden in die Augen gerammt werden, wenn Ihnen nach Information aus Karlsruhe, Göttingen oder Bremen dürstet? Genau. Gehen Sie mal in Narbonne oder St-Cyprien oder sonstwo in diesen Urlaubsburgen (die von denen in Spanien nicht zu unterscheiden sind, wo's ja ebenfalls und überall das großartige deutsche Bild von Würstel et Kraut gibt) die Plages entlang und schauen mal, was da an deutschsprachiger Lecture herumliegt. Da kann einem die plage (Strand) zum tourment (Plage, Marter, Pein) werden. Sie wollen eben nicht verzichten auf ihren Leib- und Magenfahrplan. Das ist so, seit ich über dieses Land gekommen bin. Was hat es gebracht, daß ich damals in Berlin mit vor einem bestimmten Haus skandiert habe (zum Steineschmeißen und Barrikadenerrichten wie weiland der rote Daniel an der Westfront war ich immer zu feige), es gehöre abgefackelt. Heute geht das Volk, das wir zu retten versucht haben, nach Anleitung seines angestammten Bildungsblattes auf den Fackelzug nach Berlin, wo es seinen Schlachtern Hymnen singt. Irgendwas von über vierzig Prozent habe ich gelesen, die die führende Metzlerin sofort wieder wählen würden, ginge das in einer Direktwahl. Und selbst wenn geschähe, was ich nicht einmal dem Unort trivialromantisch-phantastischer Liebhaberei zuordnen würde (und auch nicht sehen wollte), nämlich daß eine gysierte Fontaine aufsteigen würde zum berlinischen Olymp der Regierenden, welches bildreiche Blatt wohl würde zum Zentralorgan? Nein. Ich Gebrechlicher trage keinen Müll mehr runter. Ich lasse ihn schlucken. Beim obigen Banner handelt es sich um die Titelzeile des Internetional Project Bildstörung von Volker Hildebrandt.
Wille zur Macht Nach einem etwas hitzigen Gespräch, aus mehr oder minder aktuellem Anlaß aus meinem Briefkästchen gehoben und einer jungen Dame zugeeignet. Glucksmann. Eine Art Idiot? — Aber vielleicht ist er's ja tatsächlich. Ich hab nur lange nicht mehr über ihn nachgedacht. Man hört ja kaum noch was von ihm. Und das mit Tschetschenien mag angehen, da liegen Sie vermutlich richtig. Ich hab tatsächlich das Gefühl, daß der diesen Gaul Tschetschenien reitet, bis er tot ist. Der Gaul. Da braucht's dann keinen Putin mehr, der sie alle erschießen läßt. Da muß ich Ihnen also recht geben. Aber möglicherweise bin ich damit genau einer jener sogenannten Nihilisten, die er angreift.[1] Oder auch Trivial-Nihilist, wie Sie meinen. Glucksmann und ich, die Trivial-Nihilisten, die nicht wirklichen Verneiner aller göttlicher oder ethischer Wirkungen. Es stimmt also nicht, was Sie sagen, Madame. Glucksmann ist schon gar kein Nihilist, er glaubt nämlich an was, an was auch immer. Und auch ich trage noch einen Restfetzen ethisches Gedankengut in mir herum. Wenn ich auch ein Rabauke bin, dem die eigene Haut näher an den gefühllosen Knochen klebt. Vielleicht ist das schlimm und wahr. Doch ich bin desillusionisiert. Und dennoch interessiert mich eben mehr, auf wen dieser Kuhhirte Bush schießt. Den der, wie Sie ihn nennen, trivialnihilistische Glucksmann letzten Endes in Schutz nimmt.[2] Putin ballert da oben oder neben uns Wessis irgendwo rum. Und schreibt nicht überall seinen ganz persönlichen 11. September drauf. Aber: Glucksmann und das Böse, das Mister Bush nicht nennt. Vielleicht bin ich doch ein Nihilist, wenn auch ein trivialer. Wie gesagt. Ich kann diesen moralinsauren Kram nicht mehr hören. Ich halte das für viel gefährlicher. Denn es kommt kriminell gut an bei unseren geistigen Kleingärtnern, aber auch bei diesen Betbrüdern und -schwestern Deutschlands und Frankreichs, die die USA, egal unter welchem arg knapp gewählten Gott, für das Himmelreich halten. Auch wenn Herr Zeus eben gerade mal sehr wütend war und's hat schwerst krachen lassen. Eine andere Art höherer Gewalt sozusagen. Doch das Entscheidende ist: Mir ist eben der anders kämpferische Glucksmann von früher lieber als der heutige jüdische Pastor. Es steht also zu befürchten, daß ich Ihnen beipflichten muß. D'accord. Aber dieser eben etwas jüngere Glucksmann ist schon alleine deshalb kein Idiot, weil er uns Nietzsche auf die Füße gestellt hat. Er hatte Nietzsche insofern korrigiert, als dieser meinte, man würde ihn erst im Jahr 2000 verstehen. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt, als Glucksmann antrat, wohl ebenfalls, wie andere also, noch zu sehr dieses deutschlinksdogmatische, ideologisch geprägte Mißverständnis — es ließe sich auch als eine von anderen forcierte unbewußte Fehlinterpretation bezeichen — in den Ganglien, nach dem Nietzsche ein geistiger Wegbereiter des Antisemitismus und der Nazi-Ideologie gewesen sei. Jener Nietzsche, der erwiesene Pazifist und Atheist, Atheist aus Instinkt oder, wie Rüdiger Safranski ihn so treffend bezeichnet hat: «Anti-Antisemit»[3], weil er diese Kleingeister haßte, die sich mit ihren Balkongeranien ihren sehr eigenen Horizont schaffen, die nichts, aber auch gar nichts verstanden hatten und wahrscheinlich auch nichts verstehen wollten, denen ein knapper Satz als Konstruktion fürs Weltgebäude ausreicht. Ein Satz, der eigentlich in eine andere Richtung gedacht war, quasi eher für den Tiefbau. Und — er sollte ja nach Mamans Willen protestantischer Pastor werden — vor allem Freigeist war. Freigeist! Frei von allen Ismen und Ideologien. Dazu hat Glucksmann durchaus beigetragen. Er hat mir zumindest entsprechende Hinweise geliefert. Es sollte zwar noch eine ganze Weile, genauer: nochmal zweieinhalb Jahrzehnte dauern, bis ich begriffen habe, daß ich lieber im dionysischen Prinzip herumdümple, als in der Formfinderei des apollinischen einen Lebenssinn zu suchen, weil mich diese idealistische Starre eher schwächt, mir Energie nimmt, anstatt mir welche zu geben. Es hat eben gedauert, bis ich das begriffen habe. Aber es hat etwas ausgelöst. Und sei's drum, daß es eine Art geistiger Evolution in mir war. Ich will' s jetzt nicht überhöhen, aber es könnte was dran sein. Und daran hat Glucksmann sicherlich nicht unwesentlichen Anteil. Wenn ich auch damals eher wenig begriffen habe davon und und ich in genau das deutschsozialdemokratische Sprachrohr getrötet habe, das ich seinerzeit mit vollgeschrieen habe. Doch ein wenig dagegengehalten habe ich damals durchaus schon. Sozusagen als politischer Atheist aus Instinkt, bei dem die Erkenntnis sich langsam durchzusetzen begann, daß manchen Journalisten etwas Bildung ganz gut täte, die übers bloße Runterbeten scheinbar professoraler Klappentexte hinausgeht. Der Wille zur Macht! Obwohl das nachgelassene Hauptwerk sich längst als Fälschung erwiesen hat, also wider besseres Wissen, murmeln genügend — heimlich — national gesinnte Geistheiler diese magische Formel auch heute noch dem ungesunden Volkskörper ins Herz, die den Dauerwahlkämpfern Hitlers so recht kam wie ihrem teppichbeißenden Führer — wenn der überhaupt mehr gelesen hat als diesen halben Satz, der da komplett lautet: «Wo ich Lebendiges fand, da fand ich den Willen zur Macht.»[4] Ja-ja. Sprache. Nietzsche meinte dazu, ganz nebenbei: «Die Sprache trägt große Vorurtheile in sich ...»[5] Ein paar nicht ganz so Präzise haben sich das vermeintliche Filetstück einfach herausgeschnitten und es als Mett oder Faschierts in die Volksküche gegeben ... Anmerkungen in den Kommentaren.
Lob des Logbuchs «Garçon !» meinte ich, «la même chose encore, s'il vous plaît.» Und dann schrieb der Herr über Mumien, Analphabeten, Diebe: «Ich könnte es unter fast alle Ihre Beiträge schreiben: Es macht mir großen Spaß, sie zu lesen. Bitte nicht aufhören!» Das hänge ich jetzt mal hier an die Außentafel. Nicht nur, weil mir so wohl ist dabei im Ohr und ich mich ehrerbietig bedanken will fürs Lob und verkünden möchte, daß ich keineswegs gedenke, damit aufzuhören, hätte der Privatier doch sonst nichts mehr zu flanieren. Sondern, da ich es (im unteren Bereich) einem offiziösen Charakter zuschreibe. Mit Ihnen habe ich also bereits einen der angestrebten zwei erreicht. Wie bitte? Fängt der jetzt mit Zahlenmystik an. Nein, mit den Nummern habe ich's nicht so, und bei der Mystik gebe ich mich anderen Architekturen hin und anderstönenden Verzückungen. Es verhält sich schlichter. So habe ich's mal (in anderem Zusammenhang) beschrieben: Als einmal eine Druckerei ein Buch ganz fürchterlich verdruckte und dementsprechend band und ich mich deshalb kurz vor einem Nervenzusammenbruch befand, meinte der Drucker-Binder, ich solle mich doch im Himmels willen nicht so haben. Daß beispielsweise die Register verschoben und ein paar Schnittspuren zu sehen seien, das würden doch höchstens zwei Prozent der Leser merken. Genau habe ich nicht mehr in Erinnerung, ob das beinahe zum Herzinfarkt geführt hatte, aber eines weiß ich noch genau, daß ich ihm, ob ruhig oder in Rage, geantwortet habe: Für genau diese zwei Prozent macht unsereins Bücher! Daraufhin hat er's nochmal gedruckt und gebunden, der Herr und seine Firma. Dieses eine Buch. Und dann, jedenfalls für uns, keines mehr. Was mich ins Grübeln bis vor den Niedergang bringt, ist Ihr «fast». Was es wohl bedeuten mag? Nun gut und ja, mir behagt, gleichwohl ein großer Liebender nicht nur von schönen Frauen und deren nicht minder wohlgeformten Schuhen (auf die ich immer zuerst schaue, erst dann ins Gesicht und anschließend in den Ausschnitt; das ist mein Schuh-Tick), mir schmeckt bei weitem auch nicht jede der über zweihundert Sorten Pastis oder der über dreihundert Käsearten. Da gibt es so marktangeglichene, auf historisch machende Kreationen für jungdynamische Rechtsanwälte oder andere (geschäfts-)führende Glieder unserer Gesellschaften, die sowas wie savoir-vivre im feierabendlichen Herrenzimmer benötigen (und nicht wissen, daß es zunächst einmal nichts anderes als Dahinleben mit Benimm oder Benehmen und nicht etwa Playboy am Abend heißt oder wie sonstnoch die hochglänzende deutsche Presse ihren Lesern eine sprachlich vornehmere Variante des life style so hingereimt hat). Und mit verkümmeltem Käse, um die Beispiele zu verwürzen, könnte man mir den Lebensmittelalltag enorm vergällen. Aber ja, ich hörte von glücklicherweise unterschiedlichen Geschmäckern und Geschmacksrichtungen (und Meinungen). Aber eines dürfte hiermit einmal mehr belegt sein: Dieses System 2.0 hat, ums Sakrale mal ins Umgangssprachliche zu rücken, den Segen über all diejenigen gebracht, die da draußen in der großen, ach so freien Druck- und Sendewelt dann eben doch nicht so frei ihre kleinen Geschichten aus dem großen Leben erzählen dürfen, wie sie gerne möchten, in der Sprache, in der und die sie am liebsten schreiben. Und dort, am allenfalls noch besseren Ende, wenn man's denn erreicht, hinter dem von der Verlagsgeschäftsführung vergatterten Lektor, ist die Freiheit bei weitem nicht so grenzenlos, wie uns seinerzeit Frederik Mey vermitteln wollte. Hier aber vertrauen wir alles unseren gar nicht so geheimen Logbüchern an, die dann, wie geschehen, ganz rasch auch schonmal zu Lobbüchern werden, lange bevor sie ein Unterwasserarchäologe ausgetaucht hat. Da hat einer was zu erzählen, sei es nach Roland Barthes' Le Plaisir du Texte oder Giordano Bruno oder Karl May oder Karl Popper geschuldet oder ein wenig von allem und auch ein wenig wirr und durcheinander und nicht mehr ohne Navigator fahren könnend und trotzdem, weiblich oder männlich, am falschen Ort ankommend, hier darf er es. Denn kein CEO oder sonsteiner, der derart neudeutsch über Zahlen-, Quoten- und Parteienproporz wacht, wird ihm hier zwischen die Zeilen funken oder rotstiften. Er allein darf hier die Regel in die Tonne des Irregulären versenken oder die Leere oder das Weiße between the lines* stellen. Hier muß er sich nicht mit Vorstellungen von einem Qualitätsjournalismus martern, ein Begriff, von dem ich meine, bei Monsieur Alphonse gelesen zu haben, er sei von Journalisten in jenem Moment erdacht worden, als sie der Qualität hinterherblickten, die gerade als die vorletzten Hölzer den elektronischen Zeitbach hinuntergeschwommen sind. Hier schreibe ich nicht nur als Schreiber, sondern auch als Leser anderer Tagebücher, die zuweilen auch Stunden- oder Wochenbücher sind. Alles hölzern Daherkommende ist seit langem (auch als digitale Variante) deabonniert und wird nur noch temporär gekauft gelesen. Das ist nicht nur meiner ständigen Reiserei geschuldet, sondern hauptsächlich dem Ärger, der überhand genommen hatte: nahezu allüberall dasselbe Agenturmaterial verwurstet, gerne ohne Quellendeklarationen oder sachdienliche Hinweise auf zaunpfahlwinkende Anzeigenabteilungen, durchaus auch bei den wenigen noch vorhandenen Großen, den sich selbsttitulierenden Seriösen mit ihren teilweise stellentreterischen Borniertheiten. Auslöser dieser Trennung von ihnen allen war die vor etwa einem guten Jahr über mich gekommene Erkenntnis, im weltweiten Netz über ein geradezu uferloses Reservoir an Wissen zu verfügen, das einen bei Bedarf immer weiter und noch weiter führt, bereitgestellt von Menschen, die eben nicht den Esoterikern zugerechnet werden wollen, also nicht den Geheimbündlern, denen Lehren exclusiv vermittelt werden und die sie gerne bei sich behalten. So manches, nein: das meiste an logischen und plausiblen Hintergründen habe ich dabei sogenannten Blogs entnommen — sogenannt deshalb, da es sich dabei um nichts anderes handelt als um eine Weichware; auch diese treffende Definition habe ich aus dem Netz, aus dem des bereits einmal genannten Monsieur Alphonse. Der nennt sich zwar selbst «Kunstfigur» oder wird gerne abschätzig so tituliert, was aber beides zu vernachlässigen ist, da er wohl kaum in der Lage sein dürfte, sein Ich derart von der Wirklichkeit und auch der Wahrheit zu trennen, daß dabei lebensfern Artifizielles auf die Bühne tritt. Oder so: Kant hat ja sein Königsheim auch nie verlassen und gilt (zu recht) nach wie vor als einer der größten Philosophen; oder Oblomov tat nichts anderes mehr, als im Bett liegenzubleiben und uns dennoch mächtig wachzumachen. Und ein ganz findiger unter den journalistisch fundierten Romanciers hat sich, zu Zeiten, als der Begriff copy & paste noch nicht so sehr in Mode war, ein Wort eines Friedrich Schiller zum Motto gemacht (gleichwohl die Quelle nennend!): Die Wahrheit sei nur mit List zu verbreiten, sprach er mir in den Anfangsachtzigern mal ins Notizbuch. Und ähnllch berief sich mir gegenüber auch Hans-Reinhard Müller, Mime und ehemaliger Intendant der Münchner Kammerspiele, auf den großen deutschen Dichter, der mit den Horen sozusagen eines der ersten Blogs herausbrachte, gewidmet einer Unterhaltung, in die hinein Aufklärung und Humanität, in summa Wissen gehäkelt ist (etwas kryptischer, aber nicht minder unterhaltsam und nachdenklich machend trägt denn auch konsequenterweise dieses Blog den Namen). So treiben wir's denn fröhlich weiter, Herr Nnier. La même chose encore, s'il vous plaît. À la vôtre ! «... nur im Weiß zwischen den Zeilen ...» — also das Weiße zwischen den Zeilen erkennen (Between the Lines, heißt es im Englischen; Mitte der Siebziger gab es einen bewegten, bewegenden, aber dennoch stillen Film mit diesem Titel). Ich sage das gerne und schreibe auch gerne so, auch wenn es dem «aufrichtigen Geradeausdenken» einiger zuwiderläuft: Etwas zwischen die Zeilen schreiben.»
Werte Feldpostmeisterin ich mache Ihren Kommentar zum Hauptthema, da es eines ist. Das eine, direkt an ihn Gerichtete überlasse ich hap. Er wird sicherlich eine demgemäße Antwort darauf haben. Ich für meinen Teil: Früher habe ich das Fahn Fahn Fahn mit der Bahn nicht so recht verfolgt, da auch ich zu denen gehörte, die etwa 60.000 Kilometer jährlich unterwegs waren (nicht nur dem mir in die Wiege gelegten nomadischen Trieb, sondern durchaus dem Beruf geschuldet), und das mit einem Kraftfahrzeug, das nicht eben den Sparmobilen zuzurechnen ist. Und ein paar miles and more in der Luft kamen hinzu, sogar innerdeutsch. Das ging in den Sechzigern in Berlin los, als wir mal eben zum Wochenende von Tempelhof nach Langenhagen düsten, um anschließend mit einem geliehenen Käfer durch die Gegend zu heizen. Der Hin- und Rückflug kostete damals, bis Ende der Sechziger, 49 Mark, der Liter Benzin 49 Pfennig. Da konnte man durchaus ein Cabriolet der Marke Oldsmobile Cutless (Freiheit, wie sie mich mein US-amerikanischer Onkel in Miami Beach gelehrt hatte) fahren, für das es angeraten war, einen Tankanhänger mitzuführen, da die Runden auf der Idiotenrennbahn Ku'damm soviel Sprit benötigten wie zwei VW 1300. Ein solches Gerät versoff alleine schon fünfzehn Liter, wenn man die DDR-Autobahn hinter sich gelassen hatte und den Fuß bis in den Kofferraum durchdrücken durfte, um die Freundin in Göttingen mal eben zu besuchen. Und klampfeschälend auf dem Rucksack sitzen, das haben selbstredend auch wir erledigt, wenn auch nicht im Sauer- oder auf Ameland, sondern in ferneren Gefilden, dort beispielsweise, wo die Kühe ihre heiligen Waden ungeschoren badeten. (Von Pfitzinger weiß ich allerdings, daß er schon Anfang der Siebziger ein Fahrrad benutzte, um die USA von Ost nach West zu durchqueren.) Meine Erzeuger, um auf den Vater einzugehen, haben bei ihren Wanderungen allerdings früher schon die Bahn benutzt (wenn sie aus dem Flugzeug ausgestiegen waren). Sie haben's so erlebt, ich eben so. — Das zum Thema früher, ach früher. Da befanden wir uns aber auch noch nicht im Klimakterium. Seit etwa zehn Jahren benutze ich die Bahn (es sei denn, ich schaukele durch Frankreich, wo gleich gar nichts geht mit der Bahn, an den Nebenstrecken hat man le train gar noch nie nicht gehört). Daß ich umgestiegen bin, hatte zugestandenermaßen zunächst nicht so sehr mit meiner Sorge um die Umwelt zu tun, sondern mit meiner zunehmenden Unlust, mich dem immer widerwärtiger werdenden Schwellkörper Verkehr unterzuordnen. Womit wir beim weiterführenden Thema wären: Die Umschichtung der Lagerhäuser auf die Straßen. Das muß wohl nicht weiter ausgeführt werden. Aber darauf einzugehen wäre wohl: Im Zuge der Verlagerung quasi der Teileproduktion auf rollende Hallen haben sich einige Menschen wohl gedacht, lege ich mir ebenfalls einen LKW zu, nur ein bißchen schneller darf er schon sein. So lange ist das noch nicht her, da wurde so ein an Lächerlichkeit nicht zu überbietendes und ausnahmslos dem privaten Exhibitionismus dienendes SUV-Gerät tatsächlich wie ein LKW, also wie ein Nutzfahrzeug besteuert. Und der Verkauf geht offenbar ungebremst weiter. Zwar haben nicht alle das Geld, um mit einem dieser Hochgeschwindigkeitspanzer deutscher Provenienz zum kleinstädtischen Billigheimer zu brettern. Da nehmen sie eben einen Reisbrenner, aus Korea oder so. Das kostet dann ein bißchen weniger teuer, hat dann aber wenigstens dieselben Außenmaße wie so so ein besterntes oder berautetes, für die Jagd (nach Schnäppchen) gedachtes Fahrzeug. Sie können damit zwar nicht fahren, tun das dafür aber öfter. Nicht ganz so billig. Dafür kommen dann die täglichen anderthalb Kilo kostengünstigeres, etwas reiferes Fleisch auf den Tisch. Á propos reifes Fleisch: Die alte Ente, die hatte schon einen Katalysator, da wußten die meisten hierzulande noch gar nicht, daß solches auch anderswo genutzt werden kann als im chemischen Laboratorium. Wenn sie überhaupt wußten, was das ist, Chemie und Laboratorium. Diese «alte ente», die «durch die landschaft fährt», steht überdies die meiste Zeit überdacht herum und bringt seit langem nicht mehr als drei- bis allerhöchstens fünftausend Kilometer jährlich auf die Michelinchen. Und wenn die quasi Wartungsfreie denn tatsächlich mal angekurbelt wird, beispielsweise, wenn die Elektronik am alle drei Jahre neu erworbenen und damit auf dem neuesten technischen Stand befindliche französischen Kleinwagen mal wieder (nicht) durchdreht, benötigt sie (seit 2000!) kaum mehr bleifreies Superbenzin als dieses technische Wunderding, für das man schon einen Werkstattmeister mit pfadfinderischer Mentalität beziehungsweise Gut- und Langmütigkeit benötigt, wenn's mal wieder blinkt oder nicht blinkt. Und wenn es denn fährt, dann darf unsereiner dann auch gewissensberuhigt zum Ökohofladen in den Nachbarort fahren, um handgehäkeltes Gemüse und Eier von freiheitsliebenden Hühnern einzukaufen, oder Schnitzelchen vom Schweinchen, das seine Nächte zwischen Bauer und Bäurin im Ehebett verbringt, bis es vom Schlachter verkaufsthekenreif gestreichelt wird. Soviel zur kraftfahrerischen Mobilität auf dem Lande (ich habe in Städten von jeher Bus und Bahn benutzt; die ländlichen Regionen sind hier ausreichend kommentiert). Aber das mit den Streckenstillegungen, das ist nochmal eine andere Sache, die man auch anders betrachten kann. Zum Beispiel aus der Perspektive eines Menschen, der der Meinung ist: Die Bahn gehört ebensowenig wie Energie und Wasser beziehungsweise Abwasser oder Müll et cetera nicht in gewinnorientierte Taschen. Das hat der Allgemeinheit jederzeit so kostengünstig wie irgendmöglich zur Verfügung zu stehen, und sei es subventioniert. Aber was heißt da Subvention?! Welch ein Wort! Das sind Gelder, die via Finanzamt von und für ebendiese Allgemeinheit eingesammelt wurde. Auf daß man mit der Bahn von Adorf nach Behausen komme. Und wenn nur das Bäuerchen drinnensitzt, das aufs nächstgelegene kleinstädtische Amt fahren möchte, um sich den Antrag in fünfzehnfacher Ausfertigung abzeichnen zu lassen, nach dem es dann die Kartoffeln anbauen darf, die sein Ururgroßvater schon in Scholle geworfen hat. Oder die hundert eingesammelten Schüler, die ins vierzig Kilometer entfernte Gymnasium müssen, weil man das hiesige wegen nicht ausreichender Belegung geschlossen hat. (Niemand mag die Schule — wie die Bahn —, weshalb sie eingestellt wird?) Und komme man mir bitteschön nicht mit dem «ökologischsten fahrmittel» Schienenersatzverkehr Bus! Das mag so sein. Weil er nie fährt, jedenfalls so gut wie nie. Und in den Schulferien ohnehin überhaupt nicht. Unrentabel. Man hat die Menschen ins Auto gezwungen! Man (da stimme ich mit Hans Pfitzinger überein): das ist die Wirtschaft, die bei uns Gesetze mitschreibt, in diesem Fall wohl die Kraftfahrzeugindustrie, die es sich vor den Lobbytüren der jeweiligen Ministerien gemütlich gemacht hat und sich gütlich tut. Das war, zwar nicht so offensichtlich wie heute, auch in früheren Zeiten so. Da hießen die Chefs nur anders und hatten sich ein wenig mehr Zurückhaltung auferlegt. Und der längst angekündigte Energiekollaps war im Verdrängungsloch verschwunden. Aber für die Streckenstillegungen haben sie gesorgt. Nicht die paar, die von Plaste oder gar Elaste für sündhaft teures Geld auf zehn und mehr Jahre altes aufpoliertes Westblech umgestiegen sind, um es auf der eigens dafür hochasphaltierten Rüganer Rennbahn nach Stralsund hochkant an den nächsten Baum zu lehnen. Ich war, werte Feldpostmeisterin, in dieser Gegend bereits unterwegs, als noch niemand daran dachte, die DDR könnte mal auf westlichem Schmieröl in blühende Landschaften rutschen. Wäre ich Bayer, würde ich sagen: Ich bin doch nicht auf der Brennsuppn dahergeschwommen. Zum Schluß noch einen zwergenhaften Kulturkommentar zum fair oder nicht fairgetraideten Computer. Ich weiß zwar, wo dieser Ami seine Äpfel züchtet, die ich seit 1990 kaufe, aber ich habe keine Ahnung, wo sie gewachst werden. Ich vermute mal, daß die Apfelkerne mittlerweile auch in diesem konfuzianischen Kommunismus wachsen, der uns allen so sympathisch ist, weil er uns selbstlos (trotz Laktoseunverträglichkeit) unseren Milchsee leergesoffen hat. Und noch ein paar Schlückchen aus der Pulle mehr nehmen wird, zählt doch das Geldverdienen zu den höchsten chinesischen Weisheiten. Die hatten die Globalisierung bereits eingeführt, als wir noch davon ausgegegangen sind: Hinter dem Sumpf des über tausend Jahre später entstehenden Büddenwarder ist die Welt zuende. Ich habe auf jeden Fall jeweils eine Menge Geld dafür bezahlt. Fair oder nicht fair, das kann ich hier nicht fragen. Denn selbst wenn sie wollte, die kunsthandwerklich hochbegabte Nachbarin, aber einen Rechner würde sie mir nicht klöppeln können. So, nun können Sie den nächsten Stein schmeißen. Auf die ältere oder meinetwegen alte, völlig ahnungslose Generation.
Klappentextjournalismus? Zwischen Wagners Tönen ein Gespräch mit Dieter Borchmeyer, Autor des eben erschienenen Buches Nietzsche, Cosima, Wagner in der NDR-Kultur-Sendung Klassik à la carte, heute Mittag zwischen eins und zwei. Zugestanden, das Gespräch war amusant. Das lag in erster Linie an dem humorigen und äußerst charmanten Emeritus der Heidelberger Ruprecht-Karls-Universität, der dort Neuere Deutsche Literatur und Theaterwissenschaft lehrte und als Seniorprofessor noch aktiv ist. Und durchaus auch an der mädchenhaften Kikserei der sich sehr, sehr höflich und noch höflicher fundamental in Nietzsche und Wagner Hineinfragenden. Aber angesichts der gerade erfolgten Absägung des (für mich seit vielen Jahren: unsäglichen) berufsösterreichischen Volksmedizinnachplapperers Hademar Bankhofer, ausgelöst durch eine gemeinsame Aktion der Blogs Stationäre Aufnahme, BooCompany beziehungsweise lanu wird die Frage erlaubt sein, ob es sich hierbei nicht auch zumindest um eine zarte Variante von Schleichwerbung handelte. Gegen Ende der Sendung sie zu ihm: Ich freue mich auf Ihr Buch. Ich werde es gerne lesen. So in etwa. Verabschiedung von Borchmeyer. Abmoderation durch die fröhlich-höfliche Interviewerin: Sie hörten, et cetera. Dann nochmals: Buchtitel, Seiten, Verlag, Preis und so weiter. Und als letzten Satz: Es lohnt sich auf jeden Fall, das Buch zu lesen. Wer hat ihr das geflüstert? Aber ich verstehe ja auch nichts von Werbung. Oder heißt das gar nicht Werbung, sondern product placement? Oder ist das schlichter Klappentext- oder Waschzetteljournalismus? Denn davon verstehe ich auch nichts.
Fremde Federn Die jüdische Religion ist durchaus als bildfeindlich zu erachten. Die sich daraus entwickelnde Mentalität umschifft dieses Diktum, indem es das Chiffre im allgemeinen und das Abstraktum im besonderen benutzt. Wahrheiten, auch Kritik, werden nie deutlich, also direkt ausgesprochen, sondern durch die Blume. Das heißt: Was zwischen den Zeilen steht, ist an Deutlichkeit nicht zu überbieten. Immer vorausgesetzt, daß der Adressat über eine entsprechende Bereitschaft zur Auseinandersetzung verfügt. Und das Abstrakte als solches bemüht ja grundsätzlich das Wesentliche, den Kern der Sache. In einem Kölner Gasthaus gedacht und über den Zeitraum von etwa drei Stunden gegenüber Georg Chaimowicz und anderen, im besten Wortsinn, unrein ausgesprochen, was nicht allein an der (schweinernen) Bratwurst («denk ich mir, es wär a Fisch») am Meter lag, sondern auch an der Bewältigung von Hochstrecken an Wodka («es muß sich ja wieder hinausverdauen»), das Ganze allerdings verbunden mit einem beachtlichen Honorar in Form eines vollgezeichneten Bierdeckelturms. Auf die Bitte dieses wunderbaren und überdies trinkfesten Schweineessers hin wurde das Gedächtnisprotokoll in obenstehende Zeilen konzentriert und weitergegeben an die Wiener Arbeiterzeitung, deren Autorin es, mit weiteren Zitaten garniert und unter Auslassung jedes Urheberrechtsgedankens, in ein Chaimowicz-Portrait hineinwurstete. Es ist zwar schon eine ganze Weile her. Aber es zeigt, daß auch früher schon und ohne Internet Journalisten sich gerne gagenfrei mit fremden Federn schmückten. Man nimmt einfach die eigene edle und bittet auf Bütten jemanden um dessen Meinung ...
Proud to be ... Während meiner Promenaden durch die virtuelle Welt der Gleich-oder-Nicht-Gleichgesinnten falle ich immer wieder über die tiefen Gräben, die die US-Bejubler angelegt haben und anlegen. Die Armee der Religionsfanatiker, die das Bush-Land nachgerade für den Vatikan des Kapitals halten, scheint sich tagtäglich zu vergrößern. Der nächste Papst wird ohnehin aus dem Land der Evolution(stheorie) kommen. Es muß ja endlich mal ein bißchen Farbe rein. Hoffnungsträger werden solche Menschen gerne genannt, wohl in erster Linie von denen, deren Wunsch nach US-amerikanischen Verhältnissen hier in In diesem unserem Lande (gerne ja auch in anderen) extrem ausgeprägt ist. Da dürfen die Schamanen des Kapitals ihre Finanzen noch so wenig im Griff haben: ein bißchen was (an Hoffnung) bleibt eben immer hängen. In anderen Sportarten als den politischen werden die Hoffnungs- Wasserträger genannt: diejenigen, die hoffen, irgendwann doch noch anzukommen, vielleicht sogar auf dem Treppchen. Deshalb lassen diese Wanderprediger des Götzen Mammon (von dem sie inständig hoffen, er möge auch in sie fahren) ihre Mitmenschen es gebetsmühlenhaft wissen: Es lebe die (eigene) Freiheit! Wer kein Geld hat, ist selber schuld. Lieber buy als high. Und wer sich kritisch gegenüber bestimmten Geschäftsmethoden äußert, erhält eine wie aus der Schublade geschossene Antwort: Antiamerikanist! Davon mal abgesehen, daß diese ganzen Bank-, Versicherungs- oder Agenturangestellten mit ihren Bachelors und sonstigen Kurzstudien, in deren Lehrplänen das Denken über den eigenen (Sushi-)Tellerrand hinaus nicht mehr vorgesehen ist, sondern nur noch das Geldzählen zählt und damit den nicht einmal leicht angehobenen Bildungsgrad bestätigen: Amerika besteht nicht nur aus den USA! Es scheint sich immer weniger herumzusprechen, daß es noch ein anderes Amerika gibt. (Da sei, kleinlaut, Europa vor.) Für dieses Wissen bleibt offenbar keine Zeit in Studiengängen, die auf die rasche Anhebung des Bruttosozialproduktes ausgerichtet sind. Um so erstaunlicher ist es, daß ein Mensch (s)ein Weblog mit dem bemerkenswerten, heutzutage geradezu selbstzerstörerischen Namen Der Antiamerikaner versieht. Im Titelzusatz erklärt Hans Ulrich Gresch allerdings, was er damit meint: Blog für alteuropäisches Denken. Das ist ein Satz, mit dem ein alter Europäer gut leben kann, einer, der alleine deshalb nicht in den USA leben möchte, weil er sie kennt und der genügend US-Amerikaner kennt, die nicht (mehr) in den USA leben möchten, weil sie sie kennen, die einen anderen Weg gehen möchten als den durch diese politische Schlucht, durch die sie, wahrlich nicht nur in den letzten Jahren, getrieben worden sind und weiterhin getrieben werden sollen. Daran wird vermutlich auch ein neuer Papst nichts ändern. In seinen Seiten liefert Gresch eine Vielzahl an stichhaltigen Argumenten, die gegen die zunehmende US-Amerikanisierung sprechen. Dabei untermauert er die eigenen, wohlbedachten und -gesetzten Gedanken durch eine Vielzahl an Fakten, Wahrheiten und Wirklichkeiten. Man wird im einzelnen nicht immer seiner Meinung sein, doch das dürfte ohnehin nicht sein Anliegen sein (sicherlich nicht alleine deshalb, da Adorno ein solches zum Unwort erklärt hat). Dennoch dürfte er ein Problem haben: Wer das Denken nicht gelernt hat, den es nicht gelehrt wurde, der wird sich kaum der Mühe unterziehen wollen (oder können?), längere Texte zu lesen, die die geistige Leere und banalideologische Fülle seines US-Egoversum bloßstellen. Die anderen — doch darüber ist Gresch sich wohl im klaren — erreicht er ohnehin nicht. Denn selbst gutwillige, aufnahmebereite Studenten im vierten Semester der Geisteswissenschaften haben mittlerweile Probleme, über zwei Seiten eines etwas anspruchsvolleren Textes hinauszugelangen. Oder aber sie haben die Zeit dazu nicht, weil sie entweder prüfungsgestreßt sind oder/und unbedingt noch auf die Party oder zum Shoppen müssen. Und das eigene Internet-Poesiealbum will ja auch noch bebildert und vollgeschrieben werden. Komme mir jetzt keiner mit: Du mußt das ja nicht lesen! Diese Dinger springen einen mit Bildchen voraus ja ständig direkt ins Gesicht. Gresch bietet eine Fülle an Texten. Sie dürften ausreichen, einem geneigten, aber schreib-, vielleicht sogar denkfaulen Lehrer für zwei Jahre Unterrichtsstoff zu liefern. Darauf einzugehen, würde den hiesigen Rahmen sprengen. Selbst ist der Leser. Doch auf einen Punkt muß ich eingehen, da es mich jedesmal aufs neue aus meiner mittlerweile (eigentlich) eingetretenen Gelassenheit reißt, wenn ich davon höre oder darüber lese: Nationalstolz. In seinem Bemühen um eine moderate, das Verständnis für alle anrufende, ja stellenweise fast volkshochschuldidaktische Erklärung des Phänomens Nationalstolz in — na ja — Ehren, er läßt allerdings ein Argument aus, das gegen Du bist Deutschland oder andere, ähnlich gelagerte (wirtschafts-)politisch verordnete, mittlerweile sogar Kinder hirnwaschende Dümmlichkeiten spricht: Wir alle sind mehr oder minder zufällig in England, Frankreich, Spanien, China, Cuba, USA et cetera geboren. Es ist gemeinhin bekannt, daß in verschiedenen Ländern Gesetze existieren, die einem im Land oder dessen Hoheitsgebiet (Schiff, Flugzeug) aus Maman Gekrochenen automatisch die jeweilige Staatsbürgerschaft zuspricht. So hätte es durchaus geschehen können, daß — nehmen wir mich als Beispiel — ich, der ich wegen des extrem ausgeprägt nomadischen Triebs meiner Eltern heute ein Amerikaner des anderen Amerika oder gar, je nach metereologischer Lage, — bewahre! — des «richtigen» Amerika geworden wäre. So bin ich glücklicherweise ein alter Europäer geworden. Darüber hinaus: Wie kann ich stolz sein auf etwas, das andere geleistet haben? Ich kann nicht einmal stolz darauf sein, in der Lage gewesen zu sein, für Nachwuchs zu sorgen, da das wohl kaum als Leistung eingestuft werden kann. Geschweige denn, stolz darauf zu sein, daß eben dieser Nachwuchs den Doktor der Natur- oder Geisteswissenschaften gemacht, sich als Journalist mit einem zwar geforderten, aber immer schwabbeliger werdenden Qualitätsbegriff abmüht oder eine Tischlerlehre absolviert hat und dann schwedisches Unterwäschemodell und dann als Balladensänger oder als General oder Fußballer Bundestagsabgeordneter mit Pensionsanspruch geworden ist. Nicht einmal darauf, daß ich ein bißchen denken kann und dafür auch noch Geld bekomme, kann ich stolz sein. Das haben andere mir ermöglicht. Stolz erkläre ich hiermit feierlich zum Unwort. Aber eine Flagge wird dabei nicht gehißt (die obige blendet sich bei solchen Themen immer selbst ein, und wenn nicht die, dann die hier). Hans Pfitzinger (9. November 2011: dieser Link stammt nicht von mir, irgendwelche Leutchens, die auf meine Fragen nach Hans' Wiederaufstehung partout nicht antworten wollen, haben ihn ungebeten installiert) kommentiert mit ein paar Zeilen aus William Kotzwinkles Novelle Schwimmer im dunklen Strom von 1975, die er übersetzt hat: «Laski hockte am Boden, Sägespäne an den Knien und einen Bleistift hinter dem Ohr, drehte langsam die Schrauben ein und trieb sie tief ins Holz. Er schmirgelte die Ecken der Kiste ab, in der Luft hing feines Sägemehl, ein Geruch der Erinnerung stieg in seine Nase. Ich habe ein Haus für uns gebaut, mit einem Zimmer für ihn, und jetzt baue ich einen Sarg. Alles dasselbe. Wir müssen nur mitgehen, mit offenen Augen, und sorgfältig auf unsere Arbeit achten, ohne Nebengedanken. Dann fließen wir mit der Nacht.
Die Drei (français) Gibt's nicht! Gibt's nicht. «Nö. Dass es dieses Foto gibt, das glaub ich einfach nicht. Das ist für mich die Versammlung der großen musikalischen Geister, der Grund für meine Frankophonie. Und der Grund, weshalb ich es nicht fassen kann, dass diese Nation als Kollektiv auch nichts kapiert hat — da musste nur Arthur Koestler lesen, oder den einhufigen Sarkozy angucken. Nichts kapiert.» Ach Hans, das hatten wir doch schonmal! Erinnere Dich: bei Schmoll et copains, ganz unten: Les vieux copains. Ich meine, Du hättest damals schon verblüfft reagiert. Bei mir bewirkt das Alter zunehmende Erinnerung. Na gut, es schwemmt erst mehr Jugend, dann Kindheit nach oben. Bald bin ich wieder drinnen, in meiner Mutter (Himmel oder wer auch immer: hilf! Nicht nochmal Champagner zum Frühstück). Aber ja: das Kurzzeitgedächtnis läßt nach. Wie bei Dir. Vor, sag ich mal, nicht ganz zwanzig Jahren sah ich die anderen Die Drei, die französischen eben, die Herren Götter bei der elektrisch und von einem Bierchen — Du weißt ja sicherlich, daß ein Franzose, selbst wenn er aus Belgien stammt, selten mehr als eines trinkt, es sei denn, er hat vor einer Woche eine Fußballweltmeisterschaft gewonnen — verstärkten Conversation auf einem marché aux puces in Strasbourg auf dem Boden liegen. Zwar war es ein jämmerlich verdruckter Raubdruck, trotzdem war ich damals ähnlich hingerissen wie Du gestern. Gut erinnere ich mich noch an den Preis: zehn Francs, das waren etwa drei Mark. Da hab ich dreißig investiert und ein paar Menschen eine Freude gemacht. Doch irgendwann hatte ich es nicht mehr, das Bild, wer auch immer weiß darum. Also machte ich mich auf die Suche. Wo ein Raubdruck ist, muß auch ein Original sein. Schwierig war's. Mit dem Internetten war ja noch nix. Und in den sehr beliebten und überall vertretenen Läden mit den Affiches hast du jede drittklassige Gesangeströte aus den USA oder dahergelaufenen waschbrettbauchigen Acteur de État-Unis gesichtet, nur eben keine abgebildeten wirklichen Götter (in deutschen Landen hatte man allein beim Klang solcher Namen Assoziationen von Froschschenkelglibber und sich angewidert abgewandt). Jedenfalls in der Provinz. Und Provinz ist alles außer Paris (wenn auch dort die meisten Provinzler wohnen, wie in Berlin oder München). Dort bin ich dann auch fündig geworden. In einem riesigen Poster-Laden vis-à-vis des Centre Boubourg hatte ich kaum Brel, Ferré, Bras ... angeräuspert, da hatte der Verkäufer auch schon nach oben zum Himmel gezeigt, wo sie hingen, und war mit einem dreifachen Ouiouioui Monsieur losgerannt, um mir Die Drei aus dem Regalständer zu holen. Das muß einen Nachdruck bewirkt haben, denn kurz danach tauchten die Photographien in drei verschiedenen Formaten überall auf, zumindest in Städten, die mehr als 500.000 Habitants aufzuweisen haben (was eher selten vorkommt in France). Ich habe sie auch immer wieder gekauft, auch wenn sie mittlerweile erheblich teurer geworden waren. Fünfzig Francs damals in Paris, ein oder zwei Jahre später in Lyon dann schon hundert. Vermutlich hat sich jemand der Distribution angenommen. Möglicherweise steckt die nach dem Tod von Léo Ferré gegründete, in Monaco sitzende Verwurstungsmaschine La mémoire et la mer dahinter. Und sicherlich kann man das Bild mittlerweile auch übers Internet beziehen; aber man muß wohl auf die französischen Seiten gehen. Na ja, und — Sarkozy. Ich hab's prophezeit. Aber es hat kaum jemand auf mich gehört. Dann haben sie geklagt. In Frankreich gibt's ja längst so viele Geldgestörte wie rechts des Rheins. Mittlerweile haben sie sogar angefangen, mit restaurierten Döschewoh herumzufahren — ich hab's selber kürzlich in Avignon gesehen. Zweitwagen für Besserverdienende. Sowas gab's früher nicht. Da fuhr man zum Einkaufen mit dem Ding und nicht zum faire du shoping. Allenfalls in die Kneipe. Das haben sie von ihrem Blick über den Grenzfluß. Sie sind es, die für den ungarischen Migranten in den Wahlkampf gezogen sind, diejenigen, die das von ihm propagierte neue Frankreich wollten. Und nun? Nun läuft's doch nichts so, wie sie sich das vorgestellt haben. Wird's nun doch ein föderales Stückchen Welt-Europa? Warten wir's ab. Aber vermutlich wird Sarkozy das aussitzen wie weiland Kohl. Ja, Hans, so ist es: Frankreich hat sich sehr verändert. Was man da machen soll? Richtig: Weitermachen. Aber eher in der Art: Es gibt viel zu tun, warten wir's ab. (Ist das Achternbusch oder ein bei ihm abgekupferter Spontispruch?)
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