Glücklich machende Frau Glücklich Überfüllte gastronomische Räume sind mir ein Greuel, für mich ein Grund, sofort wieder umzudrehen und in die Freiheit der Straße zurückzueilen. Doch die junge, sympathische Frau war schneller als mein offensichtlich so quälend lahm wie meine Beine gewordener Fluchtreflex. Ihr lächelnder Fingerzeig deutete zumindest noch einen weiteren Platz an. Nun denn, wenn man schon den langen Weg durchs Städtchen gegangen war bis hin zu diesem abgelegenen, wahrlich nicht fußläufigen Ort und ohnehin und logischerweise kein Schaufenster weit und breit war, vor dem es sich kurzzeitig temporär regenerieren ließe, das Gestell ... An dem es mir mit Sicherheit gefallen würde, meinte die kürzlich von der Stadt am Meer ins Meeresstädtchen umgezogene frische Diplom-Biologin. Denn beim letzten Mal habe sie dort immer nur leise jene französische Musik gehört, wie sie exact meinem kitschigen Geschmack entspräche, und alleine deshalb würde es mir dort sicherlich gut gefallen. Ich unterwarf mich derartigem Erkenntnisreichtum. Ein winziges Tischlein war's zwar nur, aber begleitet von der immer noch lächelnden Bemerkung, der nächste freie, großzügigere Platz sei somit bereits reserviert. Gefangennehmend hinzu kam der Ausblick auf einige Sorten Torten, die meiner Vorliebe für Crèmes aller Arten extrem entgegenkam. Und deutlich in den optischen Vordergund schob sich eine jener großen italienischen Kaffeemaschinen einer scheinbar älteren Generation, die zumindest einen ordentlichen Espresso verhieß. Dann sah ich zunächst einmal eine ungemein stabile dunkelbraune Crema und schmeckte alsbald einen südlichen Hauch, etwa Genua. Als mir eigentlich lobkargem Griesgram das auch noch rausrutschte, rief die Büddenwarderin laut nach der Chefin und erklärte der sogleich mit besorgtem Gesicht Herangeeilten und offensichtlich mit verbaler Dresche Rechnenden, sie habe sie glücklich gemacht. In der Nichtgescholtenen verdrängte ein Lächeln das Besorgte, verstärkt von der Bemerkung, deshalb heiße sie schließlich Frau Glücklich, und aus diesem schlichten Grund sei auch ihr kleines Café nach ihr benamt. Und ob sie fragen dürfte, welche Ursache denn die des hier offenbar spezifizischen Glücks sei. Daß sie das noch erleben dürfe, sprach die Antwortgebende, daß, auf mich weisend, dieser Herr nicht nur äußere, der Espresso sei gut, sondern auch noch außergewöhnlich gut für Norddeutschland, und dann auch noch Nordostdeutschland und irgendwas mit Genua, er, der sich damit abgefunden habe, daß es einen passableren als den im hamburgischen levantinischen Gemäuer wohl nicht mehr geben würde trotz jahrelanger Suche im norddeutschen Raum, allein das zu erleben, habe die Anreise und sogar den langen Gang für den lahmenden Herrn gelohnt und würde deshalb wohl auch bald wiederholt. Ich durfte dann auch mal was sagen, wenn auch nur kurz, quasi als Begleitprogramm dieser unablässig beredt schweigenden Anrainerinnen des Mare Balticum, die mit den weitaus westlicher lebenden Ostfriesinnen verwandt sein müssen, denn niemand schweigt so unaufhörlich wie diese beiden Völker. Meine Bemerkung, ein etwas anderer Kaffee als der handelsübliche in Kombination mit entsprechender Apparatur trage doch erheblich zur positiven Geschmacksveränderung auch unter den Vernachlässigten bestimmter Regionen bei, wurde durch Frau Glücklich unterbrochen von einem Vortrag, den normalerweise ich halte, hier zusammengefaßt mit: «Man muß es aber auch können.» Konstante Wassertemperatur (nie die Maschine ausschalten über Nacht!), Mahlgrad des Kaffeepulvers und und und. Später, als das kleine Café die Frühstückstammgäste nachhause und Mutter samt Tochter zum Lädchengucken geschickt hatte, philosophierten Frau Glücklich und ich eine Weile über die erfreuliche Entwicklung einer Art Romantik im Cafégewerbe, die sich dieser mehr als seltsamen, geradezu militanten sogenannten Aufklärung entgegenstellt, die die Geschmacklosigkeiten der Nahrungsmittelindustrie auch in der Gastronomie zu verbreiten trachtet. Denn zunächst einmal folgten von Buttersahnecrème gestützte Himbeeren. Die junge Frau meinte, nirgendwo hätte sie eine Eisschokolade wie diese genossen, weshalb sie auch sofort eine zu sich nahm. Zuvor hatte sie mir eine Fibel vorgehalten, aus der die Existenzberechtigung von Schokolade hervorging. Adressaten des Büchleins waren, für mich unverständlich, ausnahmslos Frauen. Worauf die ansonsten ständig mit gewichtigen Göttern irgendwelcher Ideale hadernde Büddenwarderin ein Stück Schokoladentorte orderte, das einer Magd des 19. Jahrhunderts als Wochenenergiebedarf ausgereicht hätte. Die ersten Happen waren noch nicht bewundernd belobigt, zogen wir auch schon um an einen lichten Fensterplatz mit Blick auf das Sträßchen mit zwei Tischen und zugehörenden Stühlen, seitlich befriedet noch von einem fast zur Straßenmitte reichenden Rosengewächs, das sich seine Nahrung holte aus der Erde unter dem Pflaster, das noch vor der DDR als Strand installiert worden sein dürfte. Außer der nicht nur wegen ihrer Leisheit sanften Musik gab es noch etwas ausgesprochen Französisches in diesem Idyll, das ich in deutschen Landen nie für möglich gehalten hätte, da dort doch bald Kinder demnächst als eigene Gattung ausgewiesen werden dürften, und dann das: eine Toilette für alle, sehr klein, aber ausreichend, sogar ein klappbarer Wickeltisch für die heranwachsende neue Species hatte noch Platz. Der Unterschied zu meiner anderen, eigentlichen Heimat dürfte darin bestehen, daß das Örtchen von außerordentlicher Sauberkeit beherrscht war. Das nenne ich deutsch-französische Freundschaft: jeder bringt seinen positiven Einfluß ein. Und eben auch diesen: Jede gute Küche wird bestimmt von ihren einheimischen Zutaten beziehungsweise den Ahnen der Rezepturen. So, wie die vielgepriesene französische Cuisine aus Italien stammt (wie der gute Café aus Frankreich). Der grand maïtre hört es zwar nicht so gerne, aber die Florentinerin Medici war es schließlich, die sie eingeschleppt hatte, die nämlich gesagt haben soll: Diese gallische Bauernfraße iche nixe fresse. So bestätigte die glücklich aussehende Frau Glücklich meine Vermutung, hier seien die Aufzeichnungen von Groß- und Urgroßmüttern eingeflossen. Ja mehr, ergänzte sie, die Mitarbeiterinnen und sogar die Gäste brächten zu Papier gebrachte Lieblingskuchen und -torten aller ihrer Omas und Uromas mit. Sie tue lediglich das — und das wäre jetzt eigentlich wieder mein Vortrag gewesen —, wie die Küchengeschichte es nunmal geschrieben habe: sie verändere hier ein bißchen, dort ein bißchen, sie verbessere in der Art, wie sie meine, daß es Verbesserung sei. Anders machen es die Artisten mit ihren Personalgeschwadern in der mehrsternigen Küchenkuppel auch nicht. Frau Glücklich allerdings macht alles alleine, auch die im besten Wortsinn süßen kleinen Törtchen, die im Gewand des Panettönchens daherkommen und hervorragend als Präsent geeignet sind und glücklicherweise nicht so nachhaltig wie das eingeflogene Sträußlein aus Lateinamerika, oder die, womit wir wieder beim Thema wären, Schokoladenhörnchen. Das Backen mache ihr einfach Spaß, außerdem sei sie auf diese stimmige Weise weg von der Straße. Auch auf den Kaffee kommt noch einmal die Sprache. Ins Schwärmen gerät sie gar, als sie von dem freundlichen Herrn aus Nicaragua in seinem winzigen Lädchen am Markt erzählt. Der mache es genauso wie sie — alles selber. Er fahre eben manchmal nachhause, kaufe die Bohnen bei seinen Landsleuten und verfeinere sie — in seiner kleinen Rösterei. So erhalten wir uns unsere kleine Welt. Nein, so holen wir sie uns zurück. Auch (oder gerade?) im fernen Nordosten. Es ließe sich auch sagen, wir vergrößern die (kleine Welt-)Familie. Langanhaltener Applaus, dabei gemütlich und glücklich sitzend. Café Glücklich
Küchen-Notfall Hochzeiten können Hoch-Zeiten von Schmalhans sein, dem Küchenmeister. Da ließe sich jetzt der äußerst preiswert eingekaufte und gut durchgegarte Rinderbraten an der Sauce aus der Kittelschürze der Hausfrau assoziieren, angelehnt an den terminus technicus «Hosentasche des Kochs», dem Synonym für den Einfallsreichtum derer, die auf die werbende Tafel vor ihrer Gaststätte «hausgemacht» schreiben und damit den auf Vorrat eingekauften Extrakt in Dosen oder Tüten unterm Veröffentlichungstresen halten. Auch an die reichlich vorhandenen Käsekuchen oder Buttercremetorten könnte man denken, erstanden in der kleinen Bäcker- und Konditorei oben an der Ecke, die beliefert wird von den ziemlich unter Tarif bezahlten vierhundertfünfzig Angelernten jenseits aller Grenzen. Zulässig wären auch die Klagegesänge von Frau Damenwahl. Nein, gemeint sind die Defizite, die sich ergeben können, weil der eine sich nicht unbedingt für die «Reinigung der rekombinanten Enzyme» interessiert, der andere nicht für die Programmation «universell einsetzbarer Bewegungsautomaten mit mehreren Achsen», den nächsten es nicht unbedingt aus seiner plastiksahnebestimmten Schwere reißt bei der Erwähnung von Gottfried Benns Marburger «Rede über Lyrik» oder gar Arnold Schönbergs «Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen oder die Dodekaphonie» und der wieder andere sofort ins Nickerchen hinüberschläft, wenn der ebenfalls, aus welchem Verwandtschaftsverhältnis heraus auch immer, eingeladene Mathematiker und Physiker darauf hinweisen möchte, daß «Einstein Minkowskis vierdimensionalen Raumzeitformalismus erkannte» und er als Experte die Folgen erklären möchte. Dann hilft nur noch jener unendliche blanke Hans weiter, der gemeinhin unter schmalem Quark oder auch Small Talk bekannt ist. Das ist dann so eine Art Quasselküche für jedermann. Die reicht dann vom richtigen Blumengießen über die (Sehn-)Sucht, in einen schwedischen Möbel(ramsch)laden gehen zu müssen, um chinesische Grablichter kaufen und dänische heiße Fabrikwürstchen essen zu dürfen, bis hin zum sich bereits seit vierzig Jahren hinziehenden Nachbarschaftsstreit wegen einer grenztechnisch unkorrekt gesetzten sowie überhaupt unansehnlichen Grundstückseinzäunung. Froh, ja glücklich ist der den angekündigten Dornfelder fürchtenden und sich deshalb bereits in einen vorsichtshalber mitgebrachten geflüchteten 2001er Cahors dann über jemanden wie die Büddenwarderin. Sie spricht gerne und gut über Medizin. Die kommt immer gut an, auch bei dem Flüchtling. Vor allem, weil der weiß, daß es keine Rede über Forschungsergebnisse neu entdeckter Pilzkrankheiten bei Säuglingen werden, sondern die Berichterstatterin sich in situ mehr über die Nebenwirkungen der Praxis auslassen wird. Wenn sie ihr verschmitztes Frau-Doktor-Blaulicht-Lächeln aufsetzt, kann es geschehen, daß ihr nächster Zuhörer vom Cahors abläßt. Eine junge Frau, kurz vor achtzehn, aber seit dem Kleinstkindalter Patientin und deshalb gut bekannt und also auch nicht falsch am Ort, erscheint recht bedrückt in der Praxis und bittet die Büddenwarderin dringend um Hilfe. Das gehört zum Alltag; selbstverständlich wird sie gewährt werden. Nein, bitte nicht hier inmitten der vielen anderen Helferinnen und anderen Anwesenden. Unter vier Augen. Die Büddenwarderin denkt, erfahrungs- und ein wenig ahnungsvoll an γονόρροια, mehr noch allerdings an die zu stellende Frage: Wievielter Monat? Sie bittet die in Not Geratene ins garantiert unstörbare, weil anschließend von innen verriegelte Labor. Hinweise auf ein irgendgeartetes von-der-Leyen-Syndrom sind nicht direkt zu erkennen. Dennoch ist die Hilfesuchende den Tränen nahe. Setz dich erstmal hin, magst einen Kaffee? Verneinung, ein Schluchzen kommt auf. Erzähl, was ist los? Vor einiger Zeit hat sie im Verrückten Elephant einen ganz tollen, so ganz andern als die andern, also einen Super-Typ kennengelernt. Aha. Doch bevor die Frage nach dem Kalendarium gestellt werden kann, geht die zunächst stockende Rede ins Flüssigere über. Nachdem die Eltern ihr den Altenteil überlassen haben, da das mit Oma und Opa so nicht mehr ging und sie deshalb in dieses Dings da gezogen und so, worüber sie nicht, aber dann doch ganz froh war, weil mit den fünf Geschwistern und so das nicht mehr richtig ging und so, hat sie sich dann eben eingerichtet. Und dann den super Kerl eingeladen, nachdem sie ihn noch zweimal getroffen hat im Elephant und dort, naja, geknutscht und eben, vielleicht kann sie sich das vorstellen. Ja sicher. Die Frage nach dem Monat muß erstmal unterbleiben. Du weißt ja, ich habe selber Kinder. Und jung war ich auchmal. Auch wenn ich jetzt ein bißchen älter bin. Eben. Sie haben eben Erfahrung. Und mit meiner Mutter kann ich da drüber nicht reden. Die hat ja keine Ahnung. Na ja, vielleicht ist es besser, mit jemand anderem darüber zu sprechen, der nicht ganz so nah dran ist und deshalb möglicherweise den Überblick nicht so leicht verliert. Glücklicherweise ist ihr, denkt die Büddenwarderin, das erspart geblieben, und die Tochter hat jetzt immerhin das Biologen-Diplom in der Vita. Also, wie ging's weiter? Ja, ich hab dem immer erzählt, ich wäre ganz gut und so. Und kochen könnte ich auch. Und da war er so begeistert. Und dann hab ich ihnen eben eingeladen. Und er hat mich dann noch gefragt, was ich denn kann. Und da hab ich «Blätterteig» gesagt. Aber ich weiß nicht, wie man Blätterteig macht! Ich hoff, sie können mir helfen!
Billig-Bio-Berg Wie gemeinhin bekannt sein dürfte, hat die Seuche der Globalisiererei längst auch die Provinz erreicht. Damit ist nicht Der Gartenzwerg in der Boutique von Hermann Glaser gemeint. Den gab's schon vor der Entdeckung der Welt als Scheibe durch europaisch unioniert colorierte Politiker in Bruxelles und Strasbourg, die Orchestermusiker zwar vorm forte schützen, uns dafür jedoch den Biomüll aus China oder Chile reinstopfen wollen, auf daß die Chinesen noch ein paar Waffen mehr (von uns) kaufen können, um den tibetischen Unrat besser beseitigen zu können. Oder Hafencities, um nach dem Prinzip des Shanghaiens dem hamburgisch Regierenden viele schöne Sozialwohnungen zu schenken, wenn auch nicht alle mit freiem Blick aufs Mittelmeer. Nein, auch in der Oberpfalz ist sie längst angelangt, diese turbokapitalistisch befeuerte Pest. Zur Erläuterung: Die Oberpfalz befindet sich nicht dort, wo Kurt Beck regiert und wohin er sich nach seiner Demontage durch in Preußen und in der falschen Partei Sitzende vermutlich endgültig hin zurückgezogen haben wird. Wider besseres Wissen hatte ich sie Niederbayern gennannt, die Oberpfalz — wofür mich meine frühere, inniggeliebte, aus Regensburg stammende Sekretärin, wäre sie noch die meine, mit mindestens einer einstündigen Redepause bestraft hätte; ihren flammenden Schimpftiraden in für mich verständlich formuliertem Dialekt hatte ich immer fasziniert gelauscht. Ich hatte aber nur zur Hälfte die Unwahrheit notiert. Denn zu Bayern gehört die Oberpfalz, wie die (Kur-)Pfalz eben mal zum bayerischen Königshof gehörte, was wiederum mit den Wittelsbachern zu tun hatte, die von den, nach neueren Erkenntnissen, Luitpoldingern abstammen, was vom Luitpold von Bayern kommt. Also: die nicht von Kurt Beck ministerpräsidentiell geführte Oberpfalz liegt im Osten Bayerns, müßte also quasi Ostoberniederbayern heißen. Nein, jetzt wird's konfus. Wen's interessiert, der wird's schon wissen. Monsieur Alphonse ist schließlich auch noch da. In der Oberpfalz gibt's eine «Pfalzgrafenstadt» namens Vohenstrauß. Die hat, wie anders, auch eine Seite im weltweiten Netz. Aber nicht aus der habe ich erfahren, daß die erwähnte, vor allem in deutschen Landen frisch auf den Tisch kommende postpostmoderne Seuche mittlerweile auch dort angelangt ist, sondern aus dem VOHblog, betrieben von Gabi Eichl, die das tut, was ein paar mehr Menschen tun sollten, nämlich mal auf den Müll vor der eigenen Haustür achten. Frau Eichl also vertraute ihrem nicht ganz so poetischen Album die Frage an: Verkommt der Bio-Markt zum Ramschladen? Ich bin ja eine große Bio-Freundin. Weniger der Umwelt oder der Gesundheit willen, das schon auch, aber mehr der Tiere willen, die ihr Leben lassen für meinen Genuß. Ich mag kein Schwein, das sich kaum umdrehen konnte in einem stinkenden Stall, in dem nicht einmal ich mit meinen nur 1,60 Meter aufrecht stehen kann (hier im Landkreis). Ich mag kein Rind, das sein kurzes Leben angebunden und in eine Richtung schauend verbringen muß (hier im Landkreis). Und schon gar kein Huhn aus den bekannten Strafanstalten. Aber die Gleichung «bio = gut» stimmt auch nicht unbedingt. Leider. In den Supermärkten und Discountern finden sich zunehmend Bio-Produkte. Schön. Einerseits. Andererseits kauft man da immer häufiger Schauderhaftes für viel Geld. Ich habe heute zum Beispiel zwei Fleisch-/Wurst-Produkte entdeckt, ganz neu, sahen gut aus, die waren so fürchterlich, da ist heute abend viel Geld in die Mülltonne gewandert. Unbeschreiblich! Ich hätte eigentlich gewarnt sein müssen. Es war viel Pute drin — und das bedeutet meist: wenig Geschmack. So war's dann auch. In dem speziellen Fall waren die Sachen aber nicht nur geschmacklos, sondern gruselig. Ich mußte direkt nachsehen, ob das Verfallsdatum nicht etwa ... War es nicht. Ich werde den Verdacht nicht los, daß unter dem Bio-Siegel zunehmend Müll verkauft wird, der zwar nicht aus Quälzucht stammt, aber so lieblos zusammengemantscht ist, daß klar wird, daß da jemand nur mit schlechter Ware noch mehr Geld machen will. Es ist zwar ein ungeheuerer Fortschritt, daß es Bio-Ware nicht mehr nur in diesen vor Dinkel strotzenden Bio-Lädchen zu kaufen gibt. Aber wenn der Preis dermaßen geschmacklose Produkte sind, dann sieht das nach einem Ausverkauf des Bio-Siegels aus. Schlimm nur, daß das all denen Vorschub leistet, die immer schon wußten, daß «das Bio-Zeug auch nicht besser» ist. Aber die haben sich ja auch noch nie an solchen Bildern gestört. So etwas wirft selbstverständlich die Meinungsmaschine an. Damit ist nicht nur das ja noch harmlose Bild gemeint, sondern ein den Text von Gabi Eichl ergänzender Faktor. Nicht unbedingt alleine, daß ich heftig nicken möchte zu dem, das sie hier geäußert hat, sondern da es ja kein regionalspezifisches Problem ist — beziehungsweise eben doch. Denn es geht eben nicht nur alleine um diese systematischen Verdummungen zur Schaffung immer höherer Renditen; die die Menschen allerdings gerne mit sich machen lassen, weil es in oder en vogue oder gerade angesagt ist oder weil die Nachbarn es auch tun (wie sie auch bauen müssen, weil's der Nachbar getan hat) und außerdem keine Lust verspüren, ihre organische Festplatte einzuschalten. Sondern ich möchte erweitern: Einen wesentlichen, zumindest mitentscheidenden Aspekt des ökologischen, biodynamischen Und-so-weiter-Hintergrunds hat Gabi Eichl in ihrer Argumentation leicht vernachlässigt. Zum einen möchten die Produkte aus der Region kommen, weil damit die Erzeuger ein bißchen was verdienen und nicht die weltweit größten Hersteller und ihre angeschlossenen Handelsorganisationen noch reicher werden, als sie ohnehin bereits sind. (Das muß ich ihr als attac-Sympathisantin wohl kaum näher erläutern.) Und zum anderen trüge das erheblich zur Schadstoffreduktion bei (gleichwohl ja auch die gesundheitsbewußte, jungdynamische Landfrau im hohen Norden den Joghurt aus dem tiefen Süden im Regal selbst des Bio-Hoflädchens stehen haben möchte). Aber was macht die Menschheit in Schleswig-Holstein oder Niederbayern (oder der Oberpfalz!)? Sie kauft den Dreck, aus Chile oder China oder sonstwoher. Wir tun was für die gesunde Umwelt und unser Innenleben. Aber billig muß es eben sein. Es ist auch hier so wie mit den anderen Billigheimern, beispielsweise dem Unterhaltungselektroniksupermarkt: Die sind oftmals keineswegs günstiger. Vom «Bedienkomfort» mal abgesehen: einer ernstzunehmenden, tatsächlichen Fach-Beratung im Einzelhandel. Unsereins kauft in diesen Großverkaufslagern — die man ja notgedrungen aufsuchen muß, wenn man op'n Dörp lebt, die Stadt so weit weg ist — keine Bio-Produkte (mehr). Denn glücklicherweise gibt es allüberall diese sogenannten Hof- und mittlerweile sogar wieder normale Dorfläden, in denen der Bauer günstig verkauft und überdies der Dorftratsch kostenlos ist. Auch die jeweils nähere Kleinstadt bietet hochwertigere Nahrung aus der Region — auf denen eben nichtmal unbedingt bio draufstehen muß. In den Sechzigern hat beispielsweise Aral mit bleifreiem Benzin geworben, von dem es ein paar Jahre später erstmal heißen sollte, es sei (aus Kostengründen!?) nicht herstellbar. Und so gibt es, wenn zugestandenermaßen auch selten, immer noch Fleischer, die keine aus Afrika oder Amerika oder Australien herangekarrten Tiere verkaufen, die zudem mit Präparaten aufgeblasen wurden, die nichts anderem dienen als der Rettung der weltweit notleidenden pharmazeutischen Industrie.
Alpträumerisches 13. Esprit village ist eine Seite für die Bewohner des 13. Arrondissement (um die place d'Italie) im Süden von Paris, das noch einigermaßen menschlich belassen ist, sieht man davon ab, daß das traditionsreiche und sehr lebendige Quartier Butte aux Cailles vor einigen Jahren von den Jungdynamischen entdeckt wurde; aber man wehrt sich gegen das Schickwerden, so gut es eben geht. Im 13. läßt sich gut essen; man muß nur in die Seitenstraßen gehen (siehe Banquier). Daß ich jetzt hier ins Dreizehnte gerate, hat damit zu tun, daß mich von wunderbarem Pferdeentrecôte und wenn's sein muß auch -würsten träumte und mir deshalb wohl die einst sehr beliebte und vor einiger Zeit geschlossene Boucherie Chevaline (hier eine aus St Remi en Provence) in Erinnerung kam. Es ist kein Einzelfall. Immer mehr dieser kleinen Läden machen dicht. Es geht zu Ende mit der Kultur der Grande Nation. Zumindest in den großen Städten. Und davon hat Frankreich ohnehin nur eine. Dort übernimmt zusehends der Moloch Globalisierung die Regierung. Monsieur Sarkozy hat damit nichts zu tun, er kann gegen die Allmacht der Weltkonzerne nichts unternehmen, weshalb er so tut, als ob er der große Modernisierer des Landes sei. Der Begriff Moderne kommt traditionell gut an im Land. Wobei man allerdings gemerkt hat, daß dabei die nicht minder geliebte Tradition und sonst noch einiges draufgeht. Seit 2002, also zu einem Zeitpunkt, als Monsieur noch ein Innenministerchen werden wollte, haben zehntausende Bistrots schließen müssen, weil der Mensch keine Zeit fürs Mittagessen hat. Mittagessen, das hieß einmal, und sooo lange ist das noch nicht her: Telephon, Telefax und dann auch Computer ausschalten und ab ins Restaurant, sich wieder restaurieren lassen. Vier Gänge mochten schon sein. Mindestens. Und heute wollen ihnen diese ganzen Investoren oder wie sie sonst noch heißen nurmehr ein halbes Stündchen gönnen. Das reicht gerademal für ein Sandwich. Und auch das kommt mittlerweile aus der Fabrik, weil auch Madame ihren Laden schließt, weil sie keine Lust mehr hat, ein halbes Baguette mit Käse oder Schinken zu belegen. Sollen sie doch die Kunststoffmenues reinwürgen, auf die Claude Zidi mit L'aile ou la cuisse bereits 1976 hingewiesen hat. Pferdefleisch ist auch in britischen Hoheitsgebieten ein Tabu. Dennoch wurde es sogar dort vorübergehend gegessen, wie Thomas Zacharias über diese temporäre Fleischeslust einst berichten mußte. Auch in Frankreich wird das Pferd geritten. Allerdings könnte man meinen, dies geschähe in erster Linie, um das Fleisch weichzureiten. Pferdefleisch ist in Frankreich sehr beliebt. Aber Franzosen essen ja auch Frösche. Obwohl man sie nicht reiten kann. Ich werde oft in einer Art darauf angesprochen, daß die Assoziation Kannibalismus nicht mehr weit entfernt ist. Doch Rinder eignen sich nunmal nicht unbedingt für den in englischen wie in deutschen Landen sehr beliebten Reitsport. Deshalb werden die in Frankreich eben auch genossen. Es fragt sich nur, wie lange noch. Jedenfalls in Paris. In Marseille, heißt es, waren die Kanonen schon immer in Richtung Festland gerichtet. Wahrscheinlich ist man deshalb dort auch alles, nicht nur Fisch. Und zwar mittags zwei Stunden. Und abends vier. Soll Sarkozy doch da oben seine Diener machen, bei den Barbaren.
Eiserne Ration Nicht ganz frisch, will aber gerne mal wieder aufgetaut und aufgewärmt werden. Vom IT- und Zeitungs- sowie ARD-ZDF-Boulevard im wesentlichen unbemerkt, aber in werbefreien und damit abseitigen öffentlich-rechtlichen Programmen sowie im artistischen, vermutlich von Herrn Waldorf persönlich mitfinanzierten Kanal der besseren Menschen und einigen weiteren, von den eigentlich Betroffenen weniger beachteten Medien recht ausführlich behandelt wurde die, wie die Financial Times Deutschland titelte, Notration im Permafrost, einer katastropensicheren Lagerstätte für Saatgut bei Spitzbergen im arktischen Norwegen. «Ohne Landwirtschaft können wir nicht überleben», zitiert FTD Cary Fowler von der Stiftung Global Diversity Trust, die das Projekt vorantreibt. «Es ist nicht so sehr der Atomkrieg, den wir fürchten», läßt Fowler FTD wissen. «Die Sammlungen sind oft von Kriegen, Katastrophen oder ganz normalen Problemen bedroht: Mißmanagement, kurzsichtigen Budgetkürzungen, Bränden, Stromausfall.» Was in der deutschen Ausgabe des britischen Pecunia-Organs allerdings diskret verschwiegen wird: Einige Samenproduzenten führen im Namen der Weltreligion Geld so etwas ähnliches wie den Saat-Gau herbei. Deren genetisch veränderte Samen reproduzieren sich nicht wie wir Menschlein, wie die Natur eben. Es gibt keine Nachkommenschaft. Das Ganze hat das Ziel, die Bauern weltweit, bei weitem nicht nur in sogenannten Drittweltländern, in immer wieder neuen Samenkäufe zu zwingen. Sicherlich gibt es hie und da Widerstand — beispielsweise gegen den Versuch, unsere Linda, statt sie weiterhin ernten und essen zu dürfen, vollends einzugraben, und zwar auf dem Friedhof der toten Kartoffeln, da der Sorteninhaber damit keinen Reibach mehr machen kann. Doch dürfte über diesen Mordversuch an der ollen Knolle hinaus die Resonanz eher bescheiden bleiben. Dabei könnten die Folgen verheerende sein, wenn eines Tages in den Gelddruckmaschinen nur noch unfruchtbarer Samen produziert wird. — Aber wen interessiert das schon? Das Zeugs wächst doch beim Billigheimer um die Ecke, wie die Milch eben aus der Tüte und der Strom aus dem Meiler da um die Ecke kommt. Worüber allerdings gar überhaupt niemand berichtet hat: Ein Samen-Depot wurde bereits vor vierzig Jahren angeregt und -gelegt. 1967 begann Michael Badura in seiner Landschaftsapotheke eine Eiserne Ration von Sämereien zu bunkern, wenn auch nicht im Permafrost. Aber in Göttingen soll's ja auch ziemlich kalt sein. Die spinnen, die Künstler ... Über Michael Badura
Die Macht des Essens Es ist die Geschichte von dem am Ende von Casino de Vienne erwähnten Menschen. Er ist nicht zu übersehen. Seine Liebe zu Speis und Trank hat ihm die entsprechende Form verliehen. Er ist Masse. Masse ohne Ende. In die Breite. Aber auch in die Höhe. Er frißt aber auch nur. Überall. Aber nur Gutes. Er ist Gourmet und Gourmand gleichermaßen. Gourmand im Sinne von Freßsack, in den immer noch was hineinpaßt, und Gourmet als der, dem der gaumenkitzlerische amuse-gueule ständig die Sinne verwirrt. Und wenn ihm nach besonderem zumunde ist, scheut er keine Strecke. Wenn er einen ganz besonderen Goût im Mund hat, ist ihm keine Entfernung zu weit. Das geht mit einem schlichten Schnitzel los. Er kennt alle Geschmacksrichtungen aller Schnitzel in Europa. Ein Beispiel nur: Irgendwo in der Pfalz, in seiner Heimat, da steht ein Gasthof, in dem sie das Schnitzel, sag ich mal: in einem ganz bestimmten langschenkligen Dreieck hochkant in einer besonderen Panade und selbstverständlich ganz langsam in Butter braten. Wenn diese besondere geometrische Form, umhüllt von besagtem Brotbrei, in einer Pfanne unvermittelt durch sein Hirnkino rast, dann erhalten seine Geschmacksnerven ein Signal, das einer Sirene kurz vor Weltende gleichkommt. Dann muß er los. Egal um welche Nachtzeit. Also, noch zu Öffnungszeiten. Und alle anderen müssen mit. Hundert Kilometer. Seine Geselligkeit ist gnadenlos. Aber schön ist's immer gewesen. Ich kenne keinen anderen, der nicht professioneller Koch oder Gastrokritiker ist, mit einem solchen Wissen. Ach was — auch viele Profis können ihr Werkzeug einpacken. Und er kocht auch phantastisch. Ohne viel Aufhebens. Vor allem aber könnte er vermutlich problemlos eine Équipe von zwanzig Köchen befehligen. Dabei ist er nicht Koch, sondern Bildhauer. Aber keiner, der selber haut. Er weiß eben, wie's geht, also läßt er hauen. Oder gießen. In Italien. Und kommt mit einem Anhänger voller Schinken und Würsten und Wein zurück. Töpfe und Pfannen aus Kupfer sind meistens auch dabei. Mit denen handelt er dann, denn seine Küche ist damit bereits voll ausgestattet. In etwas anderem wird nicht gekocht und gebraten. Er ist konsequent kulturhistorisch bestimmt. Ich kenne einige Künstler, allen voran und für mich nicht ohne weiteres erklärlich die Bildhauer, die gerne und gut kochen. Aber er nimmt eine Sonderstellung ein in diesem Panoptikum. Ich glaube, er hat noch nie irgendein Kochbuch auch nur in die Hand genommen. Er besteht nur aus Instinkt. Was er macht, macht er richtig. Er sitzt auf seinem besonders stabilen Stuhl und gibt seinem Besuch Kommandos. Und der macht es brav — und alles richtig. So habe sogar ich innerhalb von fünf Minuten eine Mayonnaise hinbekommen, für die ich ohne seine Anleitung neununddreißig Versuche benötigt hätte. Um dann alles wegzuschmeißen. Seine Schnell-Mayonnaise zu den selbstverständlich und gerne im französischen Bitche gekauften Garnelen, so mal eben locker, quasi aus französischer Hausfrauenhand, für die andere einen vierwöchigen Kochkurs absolvieren müssen. Bei entsprechenden Temperaturen wird in seinem Garten gegessen. Dort fühlt man sich wie in der Toskana. Und nicht nur wegen des riesigen Pizzaofens, den er sich unter seine Pergola hat bauen lassen, daneben einen Tisch für gut zwanzig Personen. Das Holz für den hat er sich auch mitgebracht. Den Tischler hat er mit Naturalien bezahlt. Er reist überhaupt sehr gerne und viel. Nicht nur wegen des Essens. Aber wenn es irgend geht, orientiert er sich an den Speisekarten dieser Welt. Sie sind seine Landkarten. So hat er beispielsweise einen riesigen Schrank voller Keramikteller. Es sind Trophäen. Nein: Erinnerungsstücke. Es gab oder gibt einen losen Zusammenschluß italienischer Ristorante in ganz Europa. Es sind allesamt schlichte Gaststätten im besten Sinne: zur Wiederherstellung des Gastes. Nicht diese Edelfreßtempel für Besserverdienende, die diese Orte weniger des Essens wegen aufsuchen. Es sind Stätten für Menschen, die gerne gut essen. Und wenn man in eines dieser Restaurants geht, ob in Malmö oder Sevenoaks oder Brügge oder Heidelberg oder sonstwo, und man nimmt eines der Tagesmenues, die sie grundsätzlich anbieten, dann erhält man einen dieser Keramikteller. Er hat, wie erwähnt, einen gigantischen Schrank voll damit. Ich habe auch zwei. Denn zweimal bin ich mitgereist. Einmal davon ist mir unvergeßlich. Ich hatte eine Ausstellung von ihm eröffnet, wie man so sagt, eine Eröffnungsrede gehalten eben. Das war quasi eine Analogie zu seiner Philosophie des Essens. Sie war so opulent wie sein immerwährendes Denken an ebendieses Eine in allen Variationen. Etwa fünfhundert Menschen waren anwesend. Einige davon kannten ihn, ein Teil davon sogar seine Arbeiten. Und die meinten dann nach der knappen Stunde, sie hätten gar nicht gewußt, was er alles draufhabe. Ich hatte wohl keine Ingredienz ausgelassen. Das Volk war satt. Nur ihm war das zuviel Theorie. Nach ihm kommt Kunst von innen. Geschimpft hat er nicht, kam es ihm doch zugute. Doch, gewettert hat er sogar. Aber über die dürftigen Schnittchen, die gereicht worden waren. Was richtiges gäbe es erst am Abend. Also erstmal was ordentliches essen. So sind wir die siebzig, vielleicht achtzig Kilometer in dieses Restaurant gefahren. Ziemlich abgelegen, am Rand einer Stadt, an einer absolut langweiligen Straße. Ich vermute ohnehin, diese Restaurants liegen alle nicht in den Zentren. Die Wirte zahlen lieber weniger Miete und stecken das Geld in ihre Ware. Und den Service. Kurzum, er hatte angerufen und sein, unser Kommen angekündigt. Er war wohl auch nicht zum ersten Mal dort. Er wurde begrüßt wie ein uralter Bekannter. Es war gegen halb eins am Mittag. Raus sind wir gegen sechs Uhr abends. Das Restaurant schließt normalerweise über den Nachmittag und öffnet erst wieder um halb sechs. Als die neuen Gäste kamen, saßen wir eben immer noch. Und es ist niemand vom Personal nach Hause gegangen! Das mag übertrieben klingen. Aber das ist bei ihm normal. Und man kann alles essen, was er bestellt. Er ist ein phänomenaler Vorkoster. Er probiert alles aus, aber auch wirklich alles. Er geht auf jede Empfehlung ein. Selbstverständlich erhält er immer sehr kleine Portionen. Auf seinen Wunsch. Aber er läßt keinen Krümel aus, wenn er gebeten wird, ihn zu kosten. Doch manchmal nimmt er auch noch den winzigen Rest auf dem Teller. Der Patron wich ihm damals nicht von der Seite. Wenn er davon sprach, es stünde gerade ein neuer Fond auf dem Herd — her damit. Irgendein Teig befinde sich in Vorbereitung — der Koch wird in Küche gejagt, zum Herausbacken. So ging das stundenlang. Und es geht. Man hockt ewig, nimmt hier bißchen, dort ein bißchen. Zwischendrin gibt's auch mal einen kompletten Gang. Und es geht aber auch jeder hinein mit seiner Gabel. Étiquette? So ein Konventionenkram. Alles mit Lust. Lust braucht keine Benimmregel. Man wird in solchen Restaurants auch nie diese hochgedrechselten Servietten sehen, mit denen man sich ohnehin den Mund nicht abwischen kann, weil sie steif sind wie die Bretter, auf denen sie gebügelt wurden. Oder sie werden für solche Gäste wie ihn beziehungsweise uns vorher entfernt, ausgetauscht gegen sammetweiche. Der große runde Tisch ist schön und sauber gedeckt. Bis er voller Flecken ist. Aber wie. Weil jeder darauf herumaast. So ist das eben bei einer solchen dauersensuellen Gruppenkopulation. Wir haben jedweden Kontakt zueinander verloren. Aber ich bin sicher, wir würden uns sehr freuen, begegneten wir uns wieder einmal. Wenn, dann vermutlich in Schlaraffenland.
Vignerons de Maury
Saurer Wein Dieses Mal ist es schwarze Johannisbeere — Cassis. Crème de Cassis ist es, der in mich fließt, langsam überspült von dem weißen Bordeaux, den in Deutschland keiner trinken würde, ihn aber auch nicht zu kaufen bekäme, weil die Winzer ihn lieber selber schlucken. Diese Bordeaux sind so trocken, daß sie, wie ich gerne zum besten oder schlechten gebe, kurz davor sind, zu stauben. Erst nach dem zweiten, besser: dritten Schluck kommt dieser Geschmack des absolut reinen Weines. Es gibt sie ganz weit nordöstlich des Bordelais allerdings auch. In der Pfalz habe ich mal bei einem Winzer, der sich äußerlich bereits seinen jahrtausendealten Rebstöcken angeglichen hatte, welchen getrunken. Er sagte mir, solche Weine seien gar nicht verkaufbar. Man könne sie nicht lange lagern. Den meisten seien sie auch zu sauer. Da müsse man sie eben selber trinken. Sprach's und nahm noch einen lustvollen Schluck. Sauer, sehr sauer, das sagte auch die Kollegin vor einigen Jahren, als ich mal von dieser Geschmacksrichtung schwärmte. Ihr ohnehin leicht verhärmtes Gesicht verzog sich dabei zu einer (spieß-)bürgerlichen mittelständischen mittelalterlichen Altweiberzitrone. Mit entsprechend säuerlichem Gesicht berichtete sie, sie sei einem Irrtum aufgesessen, in der Übersetzung hörte ich so etwas wie Betrug heraus, hatte sie doch gleich einen Karton mit vierundzwanzig Flaschen gekauft, weil Paul Bocuse seine Empfehlung allem Anschein nach jeder einzelnen persönlich mit antiker Tinte an den Hals signiert hatte. Mit der dem Diplomatenhaushalt gebührenden Zurückhaltung, aus dem sie in die schnöde Welt hinausgeworfen worden war, berichtete sie vom ersten Verkostungsversuch der zwei Dutzend Flaschen. Es habe eine Art Revolution gegeben in ihrer Geschmacksnervenwelt. Und ob ich interessiert sei, selbstverständlich gewähre sie mir einen Nachlaß. Sprach's, rauschte ab, ohne eine Antwort meinerseits abzuwarten, tauchte hinab unter ihren Schreibtisch, wo der Wein seinem Verderben entgegenwartete, zog eine Flasche heraus, kam zurück zu mir, stellte sie vor mich hin und meinte, ich solle ihn doch mal probieren. Zuhause angekommen telephonierte ich sogleich dem Händler hinterher, der dann tatsächlich auch noch ein paar Flaschen dieser «Sonderedition» aus dem Giftschrank seines Lagers hervorkramte; vermutlich für sich persönlich reserviert. Restlos ausverkauft war dieser weiße Bordeaux. Am außerordentlich günstigen Preis dürfte es weniger gelegen haben, eher an der Tatsache, daß Monsieur Bocuse seine Empfehlung laut und vernehmlich proklamiert hatte. Vielleicht hätte ich bei noch ein paar anderen dieser verspäteten Mädchen nachfragen sollen, ob sie zufällig auch diese Bocuse-Empfehlung erstanden hätten, die eigentlich kein Mensch trinkt. Aber ich hatte bereits soviel davon, daß ich mir immerhin hin und wieder das Sakrileg erlauben konnte, diesem Wein (für andere) etwas Farbe zu geben. Und er mußte ja weg, weil er sich bekanntlich nicht so lange lagern läßt. Ich liege unter einem sich auf mir zum Bouches-du-Rhône ausbreitenden heiteren Quell aus feinsten, sorgsam dosierten edelherben Früchten.
In Kuddewörde wird für die dortige Ganztagsschule, im besonderen für die Grundstufe eine Kraft mit pädagogischer Ausbildung gesucht. Für die Essensausgabe. In diesem k(n)uddeligen Ort gibt es zwei-, vielleicht dreimal im Jahr einen Flohmarkt, bei dem sogar ich eingekauft habe; vermutlich, weil es, wenn auch sekundär, mit Essen und Trinken zu tun hatte: einmal (lange vor der Finanzkrise) ein ungemein preisgünstiges und wunderschönes vierundzwanzigteiliges versilbertes Wagenfeld-Besteck, und dann eine dieser begehrten Espressomaschinen. Für Primärgelüste gibt es an diesem lauschigen Marktplätzchen eine Mühle, in der man zwar kein Mehl mehr malt, dafür aber leckere breite Nudeln selber nudelt und dem so bereits köstlich genudelten Gast auch noch Fischlein aus dem angrenzend plätschernden Bächlein dazu reicht, der atlantikgeschulte und besternte Chef de Cuisine für Gourmets allerdings auch noch noch anderes auf der Pfanne sowie in den Töpfen hat. Ein paar Schritte weiter oben in Grande an der Verbindungsstraße zwischen der Freien und Handelsstadt und der früher sowjetisch besetzten Broilerzone steht, von Witzhave her kommend zur rechten Hand, direkt neben der ehemaligen Zollstation, an der man einst von den lauenburgischen Herzögen zur Ader gelassen wurde, in der heutzutage odentliche Labung angeboten wird, so eine Art Schinkenstelle, an der viele, teilweise von weither kommend, ihre Gourmandbehältnisse (auch Kuddewörde war mal französisch) holsteinisch auftanken; die Wartezeit während Zerteilung der geräucherten Hinterbacken läßt sich leicht mit zwei Tellern dicker Erbsensuppe mit viel Speck* verkürzen. Trotz vieler angereister Hamburger gibt es dort keine solchen. Verständlich, daß im Schulsprengel Kuddewörde-Grande das leibliche Wohl entsprechende Beachtung findet. Und da die lieben Kleinen erstmal das Essen lernen müssen, da es zuhause mittlerweile kein solches mehr zu geben scheint, braucht es für die Ausgabe dessen eine pädagogisch geschulte Kraft; ein zweites Staatsexamen (Hauptfach Biologie?) dürfte vermutlich nicht von Nachteil sein. Die Mittel sind allerdings (auf 400 Euro monatlich) begrenzt. Zwar sind zusätzliche verkündet, aber die dürften den notleidenden Handwerkern vorbehalten sein. Zudem ein Ausgleich geschaffen werden will für das Loch, das die fröhlichen Pendler verursacht haben. Also los, Beeilung, morgen ist Bewerbungsschluß. * Wobei ich die eigene, etwas verfeinerte Variante mit rahmdurchsetztem Wirsing und gekochtem Schinken bevorzuge; aber an ganz harten Tagen kommt zusätzlich auch Grünkohl in den Topf.
Faire Ritter «Raus aus der Müsli-Ecke» titelte die Süddeutsche Zeitung, die sich gestern aus einem Altpapierstapel1 heraus zu Wort meldete, auf ihrer Panorama-Seite, die bekanntlich Das Letzte vermittelt: Mord, Totschlag und Prominente, die andere Prominente und/oder deren Hausangestellte massakrieren und so weiter. Prominente oder solche, die es gerne sein möchten, also diejenigen, die zu Vernissagen von prominenten Künstlern, zu Lesungen von prominenten Literaten oder Philosophen in irgendwelchen prominenten Literaturhäusern, zu prominenten Tenören oder Sopranistinnen in teilweise eigens für sie erbauten und somit prominent gewordenen Festspielhäusern pilgern, die bei Kochgeflüster (neukanzlei-deutsch: Convivien2 — Tafelrunden und deren Ritter) mit zeitverzögertem Speisen den silberen Löffel rumreichen, sie alle retten ja bekanntlich mittlerweile die Welt; sie verbessern außerdem das Klima. Doch zunächst ist hierzulande ein weiteres Glied der Rettungs(lichter)kette einzufügen: die Ärmsten der Armen. «Hier werden Sie geholfen», predigte einst die schöne Verona Pooth geborene Feldbusch geschiedene Bohlen zu Hamburg. Fairtrade heißt der Zündschlüssel des Spielzeugautos mit den acht oder auch zwölf Elektrozylindern, mit dem sie seit einiger Zeit zur neuen Art des Shoppens hoppen. Nicht mehr nur trendy Bio (aus Chile oder China), sondern auch noch fairer Handel. Also auch denjenigen ein bißchen was von dem zukommen lassen, was sie selbst mehr oder minder im Überfluß haben (was aber erwiesenermaßen mit für die Zerstörung nicht nur der Finanzwelt verantwortlich ist): Kohle. Bei den Vernissagen sind sie sich einig: Unsere Tochter kann das auch3 oder besser als dieser, wie heißt er noch, dieser Ami-Krakler aus Italien ...? Das Buch, das sie sich vom Spitzenreiter der deutschsprachigen Philosophenhitparade haben signieren lassen, legen sie, ungelesen, aber gut sichtbar, auf den Vitra-Tisch; der im Keller versteckte Dan Brown ist spannender. Mit der Singerei in den Konzertsälen können sie eher weniger anfangen; wenn die langsam tafelnden Ritter der Convivien zu Gast sind, legen sie Abba in der Interpretation von Anne Sofie von Otter auf, wenn alle weg sind, gibt's dann wieder Bratwurst an Kartoffelsalat vom Billigheimer und Abba pur. Und was geht sie das ganze Gschwerl an, aus Indien, Südamerika oder wie die ganzen abseitigen Erdteile sonst noch heißen? Die Frau vom Chef von ihrem Mann hat sich so eine dieser «Tetrapack-Taschen» gekauft, «aus Recycling-Material also [...], eine hübsche Tasche im Patchwork-Stil [...], sie kostet 13 Euro und ist ideal für die Großstädterin aus dem Westen». Die hatte das in der Süddeutschen gelesen. «Ich engagiere mich für die Dritte Welt», das stand da auch drinnen. Dritte Welt? Eigentlich, das hatte man ihnen im Religionsunterricht beigebracht, gibt's doch nur eine. Aber es kann sich ja einiges geändert haben, seit sie aus der Kirche ausgetreten sind; sie selber kommen ja kaum noch zum Zeitunglesen. Nun gut, sei's drum, machen sie eben mit. Es macht sich auch ganz gut, denn seit sie dem Papst den Rücken gekehrt haben, fehlt ihnen ohnehin was Anbetungswürdiges.
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