Umschiebebahnhof

Von wiederholten Wiederholungen

Die bundesrepublikanischen öffentlich-rechtlichen Dienstleistungsanstalten, allen voran die ARD, haben, um ihren täglichen Kulturaufträgen der 24-Stunden-Vollprogramme nachkommen zu können, allerhand zu tun. Weniger, was Kreativität und Produktionskraft betrifft, sondern vielmehr organisatorisch, verwaltungstechnisch. Damit sind nun nicht unbedingt die Umschichtungsarbeiten der Gebührenbarren gemeint, sondern eher die Rangierarbeiten auf dem Umschiebebahnhof der Wiederholungen.

Nachvollziehen kann das nur, wer sich hin und wieder lustvoll auf das Sofa flätzen und hemmungslos der Zapperei frönen darf. Da sieht man sie dann wandern, die Reportagen und Dokumentationen, die unsereins bevorzugt. Hat es einen gewissen Anspruch, kommt es meist von arte, dem Geheimbündesender für europäisch bis global Besserdenkende, nahezu durchweg gemeinsam mit anderen deutsch-französisch geführten EU-Esoterikredaktionen produziert, und anschließend in die Umlaufbahn gebracht. In deutschen Landen rolliert Strasbourg via Bayern oder Bremen über Mittel- oder Norddeutsch und Brandenburgisch bis nach SüdWest und wird dann gänzlich westdeutsch von phoenix durch die 3sat-Sender geschleift. Nur so kriegt man die Kanäle voll. Auch geschieht es immer öfter, daß innerhalb der jeweiligen Vollprogrammanstalten keinerlei Anstalten einer Schamfristen mehr eingehalten werden, nach der eine gewisse Zeit zwischen Erstausstrahlung und Zweitsendung liegen sollte — wie das früher die Regel war. So wird denn gerne nach nur ein paar Monaten oder gar Wochen auch auf demselben Kanal wiederholt. Für neues ist eben kein Geld da. Das benötigt man für Sport, deren und andere Stars sowie weitere Celibritäten.

Sei's drum, man hat ja ohnehin gefälligst nicht ständig auf der chaise longue herumzuliegen, um das Wiederholungsgebaren der in Armut dahinsiechenden TV-Programmierer zu beobachten. Ein normaler Einschaltzuschauer — also derjenige, der ordentlich seinem Tagwerk nachgeht — hat aufgrund dieser Tatsache auch gar keine Möglichkeit zu haben, statistische oder gar programmanalytische Tätigkeiten zu entwickeln. Und die anderen goutieren ohnehin die durchgehenden, lediglich von Gerichtsbarkeiten oder Verbalprügeleien oder Überlebenskämpfen im deutschen Dschungel oder uralten US-B- bis C-Movie-Peinlichkeiten unterbrochenen Werbesendungen. Denen geht es also sonstwo vorbei, was diese Kopfgesteuerten in ihren geschlossenen Anstalten an Immergleichem in die Umlaufschleife bringen.

Es würde auch den an diesen Bildungsperversitäten Interessierten nicht weiter vom Sofa jagen, würden da nicht mittlerweile beispielsweise Reportagen wiederholt, die nachweislich von der Aktualität eingeholt worden sind. Wer da hineingerät und nicht ausreichend informiert ist, kann auch schonmal auf die falsche Fährte gebracht werden. Das ist nicht nur ärgerlich, sondern dürfte der öffentlich-rechtlichen Informationspflicht erheblich zuwiderlaufen. Zumal man es auch hier den Privaten nachmacht und zunehmend gerne den Abspann vernachlässigt, aus dem zumindest zu erkennen wäre, aus welcher Zeit die jeweilige Produktion stammt. Beispielsweise Reiseberichte zu zeigen, die auch nicht mehr annähernd an die tatsächlichen Gegebenheiten hinreichen und dann so zu tun, als seien die gestern gerade gedreht, dürfte als Beleg für ein qualitätiv hochstehendes Angebot kaum ausreichen.

Eine Lanze sei allerdings gebrochen für jene Wiederholungen, die Wissen auffüllen, da man, wie früher in der Schule, an eben diesem bewußtem Tag (bewußt?) gefehlt hat. Eine Verbeugung muß hier getan werden vor dem früher so geschmähten Bayerischen, einst Buntfunk genannten Fernsehen. Nicht nur, daß der einstige Schwarzfunk — wie man hört, besonders im Radio — seiner Informationspflicht nachkommt, sondern Seriosität allein bereits dadurch unter Beweis stellt, daß ein informierender Abspann nie mal eben so abgeschnitten wird; der gehört eben nunmal dazu, meinen die Münchner. Und was täte man als Bildungsbeflissener, der rückblickendes Wissen durchaus als Unterhaltung zu begreifen vermag, ohne in ein klitterndes oder verschwörerisches Geschichtsvermittlungsverständnis zu verfallen, ohne diese früher allzugern belächelte und befrozzelte, aber zu Recht so bezeichnete großartige Einrichtung wie BR alpha?! Die stehen wahrlich an erster Stelle. Und das sind Wiederholungen, die es verdient haben, nochmal wiederholt zu werden! Sogar die steinalten Sprachlernprogramme. Da sieht man wenigstens, wie unsereins früher rumgelaufen ist. So entsteht wenigstens ein Bild von unsereiner, die bald in der Rubrik Zeitzeugen gesendet werden.
 
Mo, 04.08.2008 |  link | (1628) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ich schau TeVau



 

Diven, Madonnen und Kiki

Gestern stellte ein freundlicher Mensch eine Photographie von einem lädierten in seine Seite, den ich so oder auch anders nicht erkannt hätte: eine mehr als derangierte Dame, die so oder so unter der üblichen Titelei Bekannt aus Film, Funk und Fernsehen und den angeschlossenen Magazinchen firmiert. Was als Denkanstoß des Einstellers auf unser bisweilen seltsames bis fragwürdiges Sehverhalten gedacht war, endete dann tatsächlich in einem befürchteten Kommentar: «...wieder einmal merken wir, dass wir uns haben verarschen lassen. aber egal, nächste zeitung aufschlagen, fernseher an, dann ist es schnell vergessen.» Der Kommentator relativierte dann zwar diesen wohl achtlos dahingeworfenen Denkhüpfer und es entspann sich ein interessanter Austausch über Celebritäten und deren Claqueure, aber bei «fernseher an, dann ist es schnell vergessen» kam ich dann doch leicht ins Grübeln.

Es erinnerte mich an die Passage einer Diskussion bei Herrn Alphonso, die da lautete: «Ich war diese Woche krank. So krank, daß die Konzentration nicht mal für eine DVD ausgereicht hat. Und da habe ich den Fehler begangen, mich mal zwei Stunden durchs Nachmittagsprogramm zu zappen.» Anstatt Morpheus um Hilfe zu bitten, zwitscht die Dame sich freiwillig durch analoge und digitale Tagmahre und stöhnt auch noch gequält auf. Als ob sie jemand dazu gezwungen hätte. Unsereiner mußte darauf meinen: «Wer sich zwei Stunden lang Fernsehen für bildungsferne Schichten antut, dem ist nicht zu helfen. Die Nachmittagsprogramme sind ohnehin nicht für Menschen gestaltet, denen auch in den persönlichen Tiefen nach Höherem der Sinn steht. Wenn man aber unbedingt möchte, dann geht's sogar dort: arte oder 3sat oder phoenix wiederholen in der Regel tagsüber ihre teilweise wahrlich lohnenswerten Beiträge vom Vorabend. Denn viele Menschen sitzen zu dieser Zeit am Computer, weniger um zu arbeiten, als zu internetten.»

Das scheint mir, ach was, es ist ein Problem. Ohne die Hingabe an irgendwelche Divchen oder Madönnchen, ohne Fleisch- samt angehängter Modeschau, oftmals versteckt unter dem Deckmäntelchen hehrer Kultur, meint man auch in den gebührenbetriebenen Bedürfnisanstalten nicht mehr auszukommen, auch nicht in meinem dereinst mal unschuldigen Blütensternengärtchen, ganz viel früher mal «Fernsehanstalt gewordener Zen-Buddhismus». Es kann nicht anders sein als eine (deprimierende) Anbiederung der Öffentlich-Rechtlichen an die Privaten. Aber: die letztgenannten benötigen Einschaltquoten, um höhere Werbeeinnahmen zu erzielen. Das ist das Gesetz dieses unangenehmen Marktes, der überdies noch mehr Touristen-Pisa erzeugt. Offensichtlich ist man in den Intendanzen der Meinung, dem Neugier genannten Ruf nach immer mehr bewegten und marktschreierischen lauten Bildern — beispielsweise — aus der Geschichte mit noch mehr bewegten und marktschreierischen lauten Bildern zu folgen. Also kauft man das Gegröle ein, das es mit den Fakten nicht so genau nimmt. Oder produziert nach demselben Muster, wie der Obergeschichtslehrer der deutschen Fernsehnation das tut und Aufklärung nennt.

Aber fast muß man ihn ja in Schutz nehmen angesichts des Geschichtsunterrichts etwa der (gern eingekauften) BBC-Lehrfilmchen. Während der Herr Doktor Knopp sich ja um, wenn auch fragwürdig geschnittenes, historisches Bildmaterial bemüht, hängen die Engländer auch das fünfzigtausendste im Studio ausgegrabene antike Klo sepiafarben zu und verdecken damit die eigentliche Bedeutungslosigkeit des Vorgangs. Das hat sogar das Hollywood der fünfziger und sechziger Jahre mit seinem bisweilen recht eigenwilligen US-Geschichtsverständnis eindrucksvoller gestaltet. Nur bekommt der differenzierungsungeübte Zuschauer oder -seher das nicht mit, weil ihm niemand je gesagt hat, daß diese Art des Blickes in die ruhmreiche Vergangenheit es mit den Fakten nicht so genau nimmt oder sie auch schon mal gänzlich unterm Wissensteppich beläßt. Es ist eben das Strickmuster des Verkaufbaren, nach dem diese fragwürdige Form von Aufklärung betrieben wird. Überall muß es hineinpassen. Vor allem in die privaten Auslagen, wo jeder potentielle Konsument sie sieht — und kauft. Denn die Spalten zwischen den hochbezahlten Anzeigen möchten ja redaktionell (wer weiß?) gefüllt sein. Und da machen ARD und ZDF eben gerne mit. Zumal Massenproduktion allemale billiger zu sein scheint. Wenn das bei balltreterischen Kunstarten — um es mal tautologisch zu betrachten — nicht unbedingt zutreffen mag. Sei's drum. Solange sie uns unsere Warften der Fernsehseligkeit nicht fluten mit ihrem pseudobasisdemokratischen Müll, die Damen und Herren von der volksnahen Politik.

So, wie Monsieur Alphonse nach zwanzig Jahren sich zum ersten Mal wieder in einem Raum mit Fernsehgerät aufhält, geht es unsereins seit Jahrzehnten innerhalb dieses TV-Wäldchens, in dem wir mit Madame Delon und ihrem gascognischen Trüffelschweinchen unterwegs sein dürfen. Das Erste und das Zweite sind wahrlich vernachlässigbar. Man muß es sich nicht antun. Auch auf die Regionalprogramme ist gut verzichten, trotz nicht vorhandenem Werbegetöse. Denn dort gibt es, wie im internationalen Netz millionenfach, den hunderttausendsten guten Rat; daß er dann doch wieder nicht befolgt wird vom eher neu- als wißbegierigen Fernsehvolk, hat eben zur Folge, daß er dann nochmal wiederholt werden muß, auch auf den anderen Kanälen. Das hat durchaus alles seine Berechtigung. Nur brauchen wir das nicht. Und wir stellen mit Monsieur Alphonse fest: «Ich denke, das Buch und das selbstbestimmte Internet sind immer noch die beste Alternative, egal welcher Schund dort auch läuft — man kann ihn besser meiden.»

Meiden, ja, aber man findet dort eben so manchen Trüffel, wie gestern erst wieder bei Madame Rayon de soleil. Und nicht zuletzt bleibt uns ja noch unsere Bibliomanie.
 
Do, 31.07.2008 |  link | (2809) | 13 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ich schau TeVau



 

Mein Blütensternengärtchen

Gestern kam in meinem alten Netzzuhause die Bitte an, die harsche Kritik an Annette Gerlach (siehe unten*) doch auch mal anderswo öffentlich zu machen. Mit anderswo gemeint war ausgerechnet YouToube, mit dem ich mich ja nach diesem US-Urteil noch schwerer tue als früher schon (wenn es auch zweifelsohne Schätze zu heben gibt dort). Aber ich liefere nunmal ungern Daten bei diesem Moloch ab. Sei's drum. Aber ein Thema ist arte allemale.

Jahrelang war ich diesem Sender geradezu hoffnungslos verfallen, und zwar sowohl rechts als auch links des Rheins. Bis die Politikerstimmen lauter wurden, die mehr Zuschauer forderten, im anderen Fall Schließung oder Vereinigung mit 3sat. Zu teuer. Das übliche. Man schickte 1999 NDR-Intendant Jobst Plog an die Präsidenten-Front. Es begann eine seltsame Rumstocherei mit der Stange im Nebel, eine offenbar orientierungslose Suche nach dem Zuschauer, die bisweilen schon komisch anmutende Programmblütengärtchen aufblühen ließ. Unsereins animierte das zu bisweilen heftigen Ausfällen (ich reiche das demnächst hier nach; unten ein Vorgeschmack). Geblieben ist eine ambivalente Haltung gegenüber meiner ehemaligen Geliebten arte.

Nun bin ich hin und wieder ja durchaus versucht, auch mal wieder dezidiert Positives über arte zu schreiben. Es fällt schwer. Aber wir brauchen diesen Sender auch und unbedingt — wie andere ihre lediglich von geistiger Umweltverschmutzung unterbrochenen Werbeprogramme. Seit seinem Bestehen bin ich sowohl in Frankreich als auch in Deutschland Abonnent dieser eigentlichen Ersten Reihe der Öffentlich-Rechtlichen. Von ihnen wird der von Kohl und Mitterand händchenhaltend in den Schoß von Strasbourg gelegte deutsch-französische Freundschaftssender nicht nur finanziert, sondern auch befeuert: Alle Beiträge werden grundsätzlich bei den Gebührenpflichtigen redaktionell gefüttert, um dann, mit dem ökobiologischdynamischen Signum arte aufgewertet, rund ein oder auch zwei Prozent Zuschaueranteil missionstechnisch zu verstrahlen.

Damit keine Mißverständnisse entstehen: Ich begrüße keineswegs die frühere poppolitisch — sowas tut ja nicht weh, da das Stimmvolk ohnehin das Fernsehen der allerhintersten Reihe bevorzugt —, bereits erwähnte Zusammenlegung mit 3sat oder gar die Einebnung dieser Einrichtung. Wir als Steuer- und Gebührenzahler haben ein Recht auf unser Minderheitenprogramm. Da die gemeinen ARD- und ZDF-Programme allesamt zum Nicht-mehr-Hinschauen sind (Ausnahmen bestätigen die Regel), bleiben ohnehin nur noch der Bundessender phoenix, das wunderbare, vom ZDF überdachte und gepflegte 3sat (das allerdings auch von österreichischen und schweizerischen Minoritäten mitbedient wird, was es noch attraktiver macht). Und eben unser ewig flimmerndes Sternchen am Fernsehfirmament: arte.

Daß aber, wie unlängst geschehen, unwidersprochen die mittlerweile offensichtlich in die Senderschuhe gewachsene Andrea Fies, bevor man sie animiert ins TV- beziehungsweise Computerfensterchen hüpfen läßt, Irreführungen — andere würden es als Lüge bezeichnen – verkünden darf, das schlägt dem ÖR-Minoristen die monatliche, nicht eben unstattliche Zwangsabgabe ins Gesicht. Gemeint ist der Hinweis der netten Andrea (aber nett sind sie alle in diesem Streichelsender) auf die Möglichkeit, alle arte-Beiträge via Internet eine Woche lang nochmal «nachschlagen» zu können. Das ist alles wunder- und befürwortbar — aber eben nicht, wie uns die immer noch junge Frau innerhalb der Programm-Eigenwerbung weißmachen möchte, «kostenlos». Die erste Reihe ist via Abonnement bezahlt. Ob man sich hin- oder hineinsetzt ins arte-TV-Theater, spielt sozusagen keine Rolle. Diese Behauptung ist schlicht eine Unverfrorenheit. Und sie kann überdies zur Folge haben, daß es einmal mehr hochwogt, das Getöse, das die Verleger veranstalten, wenn es um die Aktivitäten der Öffentlich-Rechtlichen geht (und mittlerweile scheint diese Verlautbarung — heimlich, still und leise? — auch getilgt).

Zumal arte so gänzlich werbefrei schon lange nicht mehr ist, zunehmend aufgeregt das eigentlich Wahre des Lebens proklamiert, aufdringlich bis peinlich noch einen draufgibt auf die Kochomanie und das eine ums andere Mal Flüssigseifenoperetten in den Guckkasten hebt, die gut und gerne dem Vorabendprogramm der finanzierenden Anstalten zu Bildschirm stünden. Und überdies scheint arte zunehmend zum Missionssender zu verkommen. Es ist auffällig, wieviele Gottsucher sich da in den Redaktionssesseln die Hintern breitsitzen: die Religionsthemen nehmen schon arg überhand (gern versteckt in der Rubrik Wunderwelten). Da sei doch schonmal darauf hingewiesen: Kirche und Staat sind sowohl in Frankreich als auch in Deutschland getrennt. Andererseits: in letzterem wird die Kirchensteuer ja zwangseingetrieben wie die Rundfunk- und Fernsehgebühr.

Aber wer weiß, möglicherweise hat sich da eine ökonomisch-ökumenische euroglobale Investorengemeinde gebildet, die arte hin und wieder den prallgefüllten Klingelbeutel rüberwachsen läßt. Die Grünen vielleicht? Die glauben ja auch zunehmend heftiger — nicht nur an den lieben Gott, der's schon richten wird.

*«Annette Gerlach, die sich so gerne möndan gibt und mit ihrer Kokettierei oft fast pubertär laut ist. Obwohl sie diese Gespreiztheit vermutlich überhaupt nicht nötig hätte. Vermutlich! In den Informationssendungen halte ich's gerade noch aus, weil sie sich darin ein wenig zurücknimmt, in die Sachlichkeit zwingt. Was man dann allerdings auch deutlich sieht an ihrem zur Souveränität grimassierten Gesicht. Selbst dabei fühle ich mich häufig als Zuschauer vor einer Provinzbühne. Wie ‘ne Rampensau führt sie sich allerdings auf, wenn sie Veranstaltungen moderiert. Vor allem beim Anflöten von Musiksendungen pfeift sie in ihrem exhibitionistischen Gehabe bisweilen unerträglich falsch. Sie verfehlt dabei schlicht den natürlichen Ton, drückt die erotische Stimme unfreiwillig in den Satirekeller. Bisweilen werde ich das Gefühl nicht los, daß an Annette Gerlach der Schönheitschirurg bereits im Mutterleib aktiv war. Da macht sie sogar meine immer wieder mal durchbrechende, fast ungläubig staunende Ehrfurcht vor ihrer Polyglotterie zunichte. Sie bringt's dann fertig, daß sich alle schlechten Assoziationen in mir versammeln, und sie löst beispielsweise in mir das Bild von Mademoiselle Parvenue auf der Münchner Maximilianstraße oder dem Hamburger Jungfernstieg aus oder in dem Teil des ersten Arrondissements von Marseille, wo die Edelläden gestapelt sind, wo Madame aus Vallon des Auffes oder Malmousque, also vom unteren Meeresanrainerteil der Corniche Président John Kennedy ...» [2002]
 
Do, 24.07.2008 |  link | (14815) | 10 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ich schau TeVau



 

Sitten und Gesetze

Wer umzieht — aus welchem Grund auch immer —, der wird bemüht sein, vorher auszumisten. Dabei wird er jedoch auf das eine oder andere Stückchen stoßen, das er nicht unbedingt weggeschmissen sehen will. Das hier gehört dazu:

«Wo die guten Sitten aufhören, müssen die Gesetze anfangen.»

Gestern abend (29. April 2007) war ich — neben dem äthiopischen Autor Asfa-Wossen Asserate und Fritz J. Raddatz — zu Gast beim Philosophischen Quartett, bei Rüdiger Safranski und Peter Sloterdijk (der, wie es den Anschein hat, der einzige lebende deutschsprachige Philosoph zu sein scheint). Zugestanden, ich bin etwas spät, in die letzten zehn, fünfzehn Minuten hineingeplatzt, und Asserate, Raddatz sowie die beiden Wortführer saßen im Fernsehgerät, während ich — wie es neudeutsch heißt — mich «außen vor» befand (wenn auch im vermutlich bequemeren Sessel), also nicht «vor Ort». Deshalb durfte ich auch nicht mitreden. Allerdings war das auch nicht weiter vonnöten, denn Raddatz sprach für mich aus, was ich seit langer, langer Zeit an meine Umgebung hinrede und -schreibe, was mich zusehends mehr in Rage bringt. In Rage: Sogar die übernahm Raddatz für mich.

Das Thema war, grob umrissen: Gute Manieren — wozu können, wozu sollen sie heute noch und überhaupt taugen? Das Fazit vorweg: Von irgendwoher muß es ja kommen ...

Zum Ende des Gespräches hin verwies Raddatz darauf — und er war dabei sichtlich erregt —, daß man täglich zugemüllt werde mit historisch falschen Aussagen und schlechtem Deutsch. Mittlerweile käme einem das sogar aus Blättern wie der Frankfurter Allgemeinen Zeitung oder der Zeit entgegen (ich möchte die Süddeutsche Zeitung hinzufügen, das auflagenstärkste Blatt; womit eben nicht jenes gemeint ist, auf das sich täglich Millionen Fliegen stürzen). Wenn ich mich recht erinnere, erwähnte er auch die Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk- beziehungsweise Fernsehanstalten. Es käme — ich verdichte die Aussage — einem Kulturverfall gleich, der einen manierlichen Umgang nicht mehr möglich mache.

Kulturverfall — ich höre sie schon wieder aufjaulen, unsere Dynamisch-Progressiven. Kulturverfall gleich Leitkultur oder so ähnlich. Oder wie der ganze ewiggestrige Denk-Moder sonst noch heißen mag ... Aber Moder — das ist nunmal die Vorstufe zum Humus, zur Erde. Das ist das, woraus wir uns ernähren. Aber wenn ich nur Chemie-Industrie-Yoghurt in den Kompost gebe, dann ziehen demnächst vermutlich auch die Ratten um in den nächstgelegenen Bio-Bauernhof ...

Wenn der Freund erzählt, einer seiner Studenten habe ihm — einige! Jahre ist das bereits her — auf eine (etwas) schlechte(re) Note für seine Dissertationsschrift entgegnet, er solle sich doch nicht so haben wegen der paar Rechtschreibfehler (schlappe fünfzehn pro Seite; ist ja auch nicht so schrecklich viel für einen Doktoranden der Germanistik), er solle doch mal ins Internet schauen ... — dann krist es mich schon arg. Und es fällt mir wieder die Begebenheit ein, die unter Anekdoten abgelegt werden könnte, wäre es nicht so fatal für unsere Humus-Entwicklung. Fünfzehn, vielleicht auch nur zwölf Jahre liegt es zurück, daß ich einer jungen Frau einen Pressetext zu einem Blättchen vorlegte, von dem es damals im Zürcher Tages-Anzeiger hieß:

«Alles atmet den Geist einer kauzigen, wohl auch ein wenig elitären Gelehrtenrepublik, die zur eigenen Kurzweil und in durchweg geschliffenem Deutsch Fundstücke oder Sottisen [...] austauscht. [...] Die [...] sehen ihr Blatt in der Tradition der klassischen Feuilletons: eine Festung gegen den Unrat der Mediengesellschaft [...].»

Sie gab diese Presseankündigung nach ein paar Minuten zurück mit der Bemerkung, sie verstünde das nicht, das sei ihr zu kompliziert. Das wäre keiner weiteren Erwähnung wert, hätte es sich bei dieser jungen Frau nicht um eine Studentin der Germanistik im fünften Semester gehandelt!

Das sind die Menschen, die heute in den Redaktionen sitzen. An denen sich einige jüngere sprachlich orientieren. So steht's in der Zeitung (und damit ist nicht das Blatt der geistig Blinden gemeint), so hat die Nachrichtensprecherin es gesagt, also muß es doch wohl korrekt sein.

Solches hat Raddatz in etwa gemeint: «Gestern noch konnte ihn kein Mensch mehr ertragen. Aber heute, wo alle wissen, daß er sein Amt bald aufgeben wird ...» (Süddeutsche Zeitung vom 23.04.07, Seite 1, im Streiflicht, der — na ja, früher mal — sprachartistischen Kolumne dieser Zeitung schlechthin). Das sei falsch, wütete Raddatz (zu recht), das sei schlechtes Deutsch, nein: kein Deutsch. (Wobei Sloterdijk kurz darauf eben dieses schlechte Deutsch sprach. Aber der Herr Hochschulrektor hat ohnehin ein paar Probleme mit dem Deutsch, das er später in seinen Schriften schleifen darf.)

Apropos Philosophen, Philosophisches Quartett: Der Begriff Philosophie wird fast nur noch im Zusammenhang mit Produkten ausgesprochen — unsere Firmenphilosophie ..., anglostammeln die Pressesprecher der großen Unternehmen den Journalisten in die Mikrophone (über die diese Sprachgülle ungereinigt in die Medienkanäle fließt), beispielsweise Jil Sander. Thomas Hoof hat vor einigen Jahren in den Hausnachrichten von ManuFactum über die Klamotten-Dame geschrieben:

«Frau Jil Sander etwa, einer Modeschaffenden, die ‹etwas Weltverbesserndes› in sich verspürt und möglicherweise deswegen in ihren öffentlichen Verlautbarungen die verheerenden Folgen langjährigen Modemachens, Werbungstreibens, Trendsettens und Cityhoppens dramatisch illustriert:

‹Mein Leben ist eine giving-story. Ich habe verstanden, daß man contemporary sein muß, das future-Denken haben muß. Meine Idee war, die handtailored Geschichte mit neuen Technologien zu verbinden. Und für den Erfolg war mein coordinated concept entscheidend, die Idee, daß man viele Teile einer collection miteinander combinen kann. Aber die audience hat das alles von Anfang an auch supported. Der problembewußte Mensch von heute kann diese Sachen, diese refined Qualitäten mit spirit auch appreciaten. Allerdings geht unser voice auch auf bestimmte Zielgruppen. Wer Ladyisches will, searcht nicht bei Jil Sander. Man muß Sinn haben für das effortless, das magic meines Stils.›»

Hoof warnte: «In einer unappetitlichen Mischung aus Sprachmasochismus, Jugendlichkeitswahn und schlichter Verblödung taumeln Medien, Werbung und alle anderen Trendbesoffenen in einen Sprachgebrauch, dessen Folgen man in 15 Jahren wird besichtigen können — wenn die heutigen Jugendlichen, denen dieser Müll in die Lebensphase geschüttet wird, in der Sprachgefühl und Sprachstil sich bilden, zu sprechen, zu schreiben und ‹zu sagen› haben werden.» Hoof schrieb das Anfang der Neunziger. Es ist wie beim angekündigten Klima-Kollaps: ein paar Jährchen haben ja wir noch.

«Das muß man sich mal auf der Zunge zergehen lassen!» Gehört von einem Politiker, der sich (inhaltlich wie formal) anhört, wie er heißt: Wiefelspütz (der gerne redende Mann ist Innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, also mit verantwortlich für die bundesrepublikanische Sicherheit ...!) in der WDR-Sendung Hart aber fair und gelesen im Stern in einem Interview mit einer jungen Schriftstellerin (an deren Namen ich mich nicht mehr erinnere). Die beiden — und seit langem höre und lese ich das allerorten in diesem Zusammenhang — meinten das negativ, im Sinne von Kritik an einer Aussage. Sie wird ins Gegenteil verkehrt, denn es bedeutet eigentlich: etwas genießend langsam in sich aufnehmen. Ich sehe es kommen, lange wird es nicht mehr dauern — und Wiefelspütz wird es runtergehen wie Öl, wenn das Bundesverfassungsgericht die (nächsten) Angriffe seines geistigen Verwandten Schäuble auf die Haushaltscomputer (und das Grundgesetz) abschmettert. Mir dann auch, wenn auch in der ursprünglichen Bedeutung.

Niemand könne mehr das Gleiche und das Selbe unterscheiden, schäumte Raddatz unter anderem gestern abend — ist es denn weiter erstaunlich? Denn nicht einmal die (Bildungspflicht-)Sendung mit der Maus hat es geschafft, das der Allgemeinheit klarzumachen (obwohl sogar ich das begriffen habe). Raddatz kippte vor Ärger beinahe den Inhalt des Wasserglases seines Gegenübers aus, als er es hochhob, um zu sagen: Wenn ich aus Ihrem Glas trinke, dann ist es dasselbe Wasser — und nicht das gleiche. — Die Maus nahm einfach ein paar Eier: ein Ei gleicht dem anderen! Aber es hat eben nichts genützt. Und außerdem klingt es irgendwie schicker, zu sagen: Wir sitzen im gleichen Boot. Auch ließe sich vortrefflich formulieren: Wir Lebendigen reden denselben lebenden Müll.

Raddatz verwies auf weitverbreitete Irrtümer. Unter anderem darauf, daß der aus der französischen Revolution hervorgegangene Gleichheitsgrundsatz (égalité) nicht die allgemeine Gleichheit des Menschen bedeute, sondern lediglich die Gleichheit des Menschen vor dem Richter.

Wenn der Franzose aber nicht weiß, welchen Hintergrund der National-Feiertag am 14. Juli hat, wenn er die Fête Nationale feste feiert, die place de la Concorde oder de la Bastille mit Plastik- und sonstigem Müll überhäuft, aber nicht weiß, was er da feiert, was vor diesem Hyperknast damals los war — dann dürfen wir uns nicht weiter wundern ...

Was bleibt? Werner von Bergen schreibt im Text zu diesem Philosophischen Quartett «‹Wo die guten Sitten aufhören›, so lehrt Machiavelli, ‹müssen die Gesetze anfangen›. Da gäbe es heute wohl Handlungsbedarf. Denn gute Manieren und Respekt füreinander gibt es, so eine These von Sloterdijk und Safranski, nur, wo der öffentliche Raum in Ansehen steht. Das scheint aber kaum mehr der Fall zu sein. Dort haben inzwischen Hemmungslosigkeit und schlechter Geschmack ein gutes Gewissen bekommen.

Schlechte Zeiten für gute Manieren. Da aber der Mensch für den Menschen in der Regel zu den Umweltbelästigungen zählt, wird es in Zeiten zunehmender Populationsdichte zu einer Überlebensfrage, ob Manieren und Höflichkeit wieder eine Chance bekommen.»

Machiavelli. Vielleicht ist das — nach meiner Vorstellung — ja nicht eben das Positivbeispiel. Denn dieser Clan schreibt ja fleißig neue Gesetze.
 
Sa, 28.06.2008 |  link | (3463) | 3 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ich schau TeVau



 







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