Zu unserem Schaden Was mich immer wieder ärgert, manchmal gar aufregt: wie bei Arte (und anderswo) übersetzt wird. Ein Beispiel nur: In einer Reportage über den immer ausgeprägter werdenden Einfluß der Islamisten in Mali sprach eine Frau über die erheblichen Nachteile, die dadurch entstünden. Sie nannte es Dommage: Schaden, Nachteil. Übersetzt wurde mit dem deutschen Allweltswörtchen schade, wie quel dommage, wie schade. Das ergibt einen völlig anderen, auf jeden Fall verharmlosenden Sinn, wie das allgemein so üblich zu werden scheint. Bei Tahiti, das es nach dem Erdbeben erneut fürchterlich erwischt hat und über das kein deutscher Sender zu berichten beliebt, hieße das vermutlich ebenfalls: quel dommage, wie schade. Im Fall von Manhatten sieht das im 51. Staat der USA anders aus. Eine Katastrophenmeldung jagt die andere. Da hat ja die Übersetzungsmaschine mehr Qualität. Ich nenne das nicht schade, sondern desinformierend. Oder auch eine Katastrophe.
Augengetäuschte Wirklichkeit Vor rund fünfzehn Jahren kam der Begriff von der Virtualität zunehmend ins Gerede. Das Internet begann, sich in höchste Höhen felgaufzuschwingen. Manch ein fataler Abgang vom sprachlichen Turngerät zeichnete sich alsbald ab, was ein eleganter Salto werden sollte, geriet mangels fehlender Technik in seiner Vereinfachung zu dem, was im Freibad wegen nicht korrekten Verhaltens mit behördlicher Ächtung bedacht und dennoch gerne als Bauchklatscher praktiziert wird. Alles schien sich als virtuell abzuzeichnen. Immer mehr Menschen fühlten sich in ihrer durch die Massen-beteiligung angeregten Kreativität bemüßigt, sich als Autoren, gar Schriftsteller zu erkennen. Die allenthalben angepriesenen Schreibwerkstätten trugen erheblich zur neuen Wortkraft bei. Dabei gingen nicht eben wenige Freischwimmer samt ihren Hilfsmitteln unter. Authentizität als Sammelbegriff für Wahrheit und Unverwechselbarkeit, in Gleichbedeutung zu Glaubwürdigkeit, verkam zunehmend zu einer dürftigen Auslegung von Echtheit. Ich bin versucht, im Sinne des englischen Wortes Trueness den neuen Anglizismus «Echtness» zu kreieren; gleichwohl echt wie Kindergarten in die angelsächsische Sprache längst Einzug gehalten hat. Immer mehr wird zum wagen Nichtsogenauwissen. Und heutzutage kuckt wie weiland Rainer Candidus Barzel beim gescheiterten Mißtrauensvotum gegen Willy Brandt kaum noch jemand durch. Die Medien haben sich dem angepaßt, jedenfalls diejenigen, die nach hohen Verkaufsauflagen oder Einschaltquoten gieren. Dabei sollten letztere gemäß des Bildungs- und Aufklärungsauftrags gar nicht angestrebt werden, wären meines Erachtens auch nicht notwendig, da die Programme über Gebühren ohnehin finanziell abgesichert sind. Dennoch stelle ich in zunehmendem Maß fest, wie Wirklichkeit und Möglichkeit auseinander-, ja geradezu gegeneinanderlaufen. Das sich mir dargebotene neue Wissen über die Divergenz zwischen der im Fernsehen ständig angebotenen Wunderwelt der Besinnung auf vernünftige, sozusagen nachhaltige Werte und dem realen Leben sind teilweise verblüffend. Das TeVau erzählt mir beispielsweise unaufhörlich von der unauf-haltsamen Wiederbelebung des Holzes als Baumaterial. Ein Sender berichtete langanhaltend von der Wiederverwertung alter Stoffe, weiterverarbeitet in niedlich anmutenden Werkstätten der «Kreativen», einer «Designerin», die den Modezirkus nicht mehr mitzumachen bereit sei und deshalb Vorhänge et cetera aus den fünfziger Jahren zu Jacken und Hosen umwirkt. Verbaut wird tatsächlich fast nur noch Kunststoff, wie mir aufgrund meiner wißbegierlichen Nachfragen bestätigt wurde, und eingekauft werden chemiefasrige Massenklamotten, überwiegend aus chinesischer Fabrikation. Nachhaltigkeit ist zum Modebegriff geworden wie Authentizität, im Prinzip eine Augenwischerei. Das Angebot ist ein virtuelles, so lobenswert es auch sein mag, aber eben ein Hinweis auf mögliche neuere gesellschaftliche Verhaltensweisen. Wahrgenommen wird es jedoch allenfalls von denjenigen, die sich als avantgardistisch oder visionär erachten, jene, die qua Bildung, also nicht Ausbildung im Sinn einer möglichst frühen wirtschaftlichen Verwert- oder auch Ausbeutbarkeit durch die Industrie, neue Wege gehen, die die alten sind. Sie sind diejenigen, die überallerorten, selten in den konsumistisch gesättigten Kulturen, Revolutionen betreiben. Meine Güte, was heutzutage alles unter revolutionär firmiert! Ich orte dessen Entstehungsdatum mal mit dem «friedlichen» Umsturz in der DDR als Folge der Falls der Ost-West-Mauer und dem nahezu zeitgleich erfolgenden Terrorismus des Konsums. Terror ist ein Begriff aus der französischen Revolution, auch als ein Mißverständnis der in Portugal und England begonnenen Aufklärung zu bezeichnen, mit der sozusagen alles anfing. Geblieben ist eine unsägliche Augentäuscherei durch die Medien, die sich den Massen anbiedern. Hauptsache, es gibt möglichst viele Klicks. Wahrheit und Wirklichkeit kennen keine Grenzen mehr, die Internationale der Kulturen verwischt zudem sämtliche Spuren. Trompe-l'œil — ah! murmelt der kenntnisreich um die Rituale der von Apoll angeführten, vom omnipotenten Zeus in neun Nächten gezeugten Töchter Wissende. Nun weiß ich nicht so recht, ob die damals alle in Weinfässern gewohnt und darin gerne einen gehoben haben, so daß dieser Fall der wankenden Thaleia beziehungsweise der johlenden Melpemone zugeordnet werden muß, denn eine Muse der bildenden Kunst oder gar der Architektur ist mir nicht bekannt. Trompe-l'œil, das ist jedenfalls diese Malerei, bei der man nie so recht weiß, ob man nun vor oder hinterm oder gar mittendrin im Haus steht. Wie beim von Parrhasios im Wettbewerb mit Zeuxis augentäuschend echt gemaltem Vorhang, den letzterer vergeblich zu öffnen versuchte. Zuvor hatten sich auf die von Zeuxis vorgegebenen Trauben gar Vögel gestürzt, um sie aufzupicken. Große Verbreitung fand diese Augentäuscherei dann in der Renaissance. Und einer solchen leben wir ja ebenfalls. (Es geht uns allen ja sowas von gut.) Etwas zeitgenössischer und näher am Thema: wie die Häuser in Lyon, bei denen die Menschen auf die Fassaden gemalt sind und die auf diese Weise eine vielfältige (historische) Lebendigkeit erzeugen. Trompe-l'œil wird umgangssprachlich allerdings auch mal Augenwischerei genannt.
Neuneusprech Hadmut Danischs Blog hatte ich ein wenig aus dem Blickfeld verloren. Weshalb, das weiß ich selber nicht mehr so genau. Vermutlich hatte mich sein Kampf mit den Gerichten, gegen die Forschungsmafia ein wenig ermüdet, seine Obsessivität mich auch leicht abgeschreckt. Es mag aber auch daran gelegen haben, daß ich als nicht unmittelbar Betroffener nicht ausreichend berührt worden war. Auf diese Weise kann sich dieses fatale Desinteresse einstellen. Es existiert zwar nichts ohne Zusammenhänge, aber da Sprache mich immer, fast möchte ich behaupten seit den Anfängen meines Lebens, beschäftigt hat und das, was mich an diesem ganzen gender- oder sonstwas spezifischen Geraune abstößt, möchte ich es quasi per se zum Bestandteil meiner Rubrik lingua franca machen und vielleicht dort anschließen, wo das Laubacher Feuilleton Mitte der neunziger Jahre mit seiner Ausgabe 20 aufgehört hat, es via Schrift und Sprache versucht hat, ein wenig dagegen aufzubegehren. Genutzt hat es zwar nichts, wie wir heute wissen, aber ich möchte zumindest für den Anfang — ich bin zur Zeit, wie bereits angedeutet, wegen anderweitigen Tuns leider gehindert, mich dem ausführlich zu widmen — einen kleinen Rückblick auf unsere Windmühlenflügeleien bieten, angefangen vielleicht mit Ralph Köhnens Bemerkungen zu Herrn Theodor Wiesengrunds Physiognomie der Satzzeichen, wobei ich bei meinem alten Thema bleiben darf, in dieser Besonderheit der Romantik namens Jean Paul, hier mit dem auch schon wieder seit gut anderthalb Jahren seligen Hans Pfitzinger. [...] Ja, ich handle in Notwehr. Gelegentlich glaube ich ja, die Schreiber und Texter beharren auf ihrem Tun gar nicht extra, um mir Schmerz zuzufügen. Vielleicht wissen sie es gar nicht anders, weil sie eh nichts lesen, was älter ist als der ‹Spiegel› dieser Woche. Wie anders könnte sich diese von Giorgio Armani beschneiderte Journalistin denn sonst in meinen Fernseher schleichen und von «Pseudotaffneß» faseln, was wohl toughness geschrieben würde und Härte bedeutet? Hat sich denn die gesamte schreibende (und fernsendende) Zunft verschworen, mit dem Ziel, mich zur Weißglut zu bringen? Wie soll ich mir denn die Inflation dieser englischen Vokabeln erklären, die — häufig auch noch falsch verwendet — allgegenwärtig sind: in Tageszeitungen, Magazinen, Wochenschriften, Werbetexten, Sportreportagen, Fernsehsendungen, Talg-Shows (so spricht's der Franke aus, korrekt, wie ich meine), Bedienungsanleitungen, Verpackungen und Radiosendungen? Da wird ständig geschrieben und gesprochen von adventure und von biken, von Event und Location, von Birthing und Breathing und Walking, von Big Points und genau getimten Pässen, von Superslowmo und von Riverrafting, da werden Songs und Ereignisse gecovert, nicht die geringsten Selbstzweifel geoutet, TopNews und Tiwi for Nature gesendet, da wird eine Zeitschrift mit dem Titel ‹Fit for Fun› herausgebracht. Noch toller treiben sie's mit Begriffen, die es im englischen Sprachgebrauch gar nicht gibt: der Talkmaster gehört dazu, der Dressman, Max Goldts Pullunder oder — gesehen im Untergeschoß des Münchener Hauptbahnhofs — die Modejuwelery. Im Sport- und Schaugeschäft feiern sie allüberall die ‹Shooting Stars›, obwohl sie in den meisten Fällen ‹Rising Stars› meinen. Ersteres erfüllt ja fast den Tatbestand der Beleidigung, denn eine Sternschnuppe ist bekanntlich sehr kurzlebig, während das Etikett aufgehender Stern schon eher als Kompliment durchgeht. [...]Das alles bezieht sich zwar auf diesen US-amerikanischen Neusprech, wie Thomas Hoof unseren Kampf gegen Windräder fast abschließend benannt hat. Aber das genderdifferenzierende nachpostmoderne Neudeutsch scheint mir doch nicht allzusehr davon entfernt zu sien. Es dient meines Erachtens nicht nur der Abgrenzung der Geschlechter, die vom humanen, meinetwegen humanistischen Standpunkt aus gesehen eigentlich vereint werden sollten. Hier schlägt sich unter anderem ein Auseinanderdividieren nieder, das eine neue Klasse schafft, die der etwas Bessergebildeten, die sich anderen gegenüber unverständlich machen will, um sich abzuheben. Das ist, was zu befürworten wäre, keine Wandlung hin zu besserem, zu gutem Deutsch, kein Versuch, ein neues Esperanto zu schaffen, das ist eine brusttrommelnde Verquasung allgemeinverständlicher Sprache. Nirgendwo wird deutlicher, wie sehr es diesen Neuneusprechern darauf ankommt, unter sich bleiben zu wollen. Orwell ist dagegen ja sowas von gestern. Die leider in keiner besseren Qualität zur Verfügung stehenden (wird nachgeholt: Frau Braggelmann!) Abbildung bezieht sich auf das (hier beschnittene) Gemälde Rückkehr von Martine Dallennes, zu dem Ralph Köhnen mit Die gerettete Hermetik Erläuterndes veröffentlicht hat. In Dallennes Arbeit spielt die chiffrierte Sprache eine wesentliche Rolle — ein französisches Phänomen der (nicht international ausgerichteten) bildenden Kunst des Landes, in der auch das geschriebene Wort eine bedeutende Funktion erfüllt, dort, wo sie gleichsam indigene Wurzeln hat, nenne ich sie revolutionär, weniger dem Bild zugeneigt als mehr der aufklärerischen Sprache, sozusagen auf daß der Mensch überhaupt erst einmal erlerne, sich von den Bildchen der biblia pauperum zu lösen. Ähnliche Chiffrierungen sind mir in der bekannteren zeitgenössischen deutschen Malerei höchst selten begegnet, nachfolgend in einer sozusagen kurzhistorischen Zeichensprache, im Bild von Gil Schlesinger, das nicht nur auf seine Vergangenheit in der DDR verweist, sondern auch auf eine bewegte und bewegende Geschichte, die Sprachlosigkeit produziert.
Sprachlich in der Klemme «Warum wird auf dieser Versammlung deutsch gesprochen, wenn auch Franzosen anwesend sind?» Abgewandelt aus: Nesnesitelná lehkost Bytí, aus dem Tschechischen übersetzt von Susanna Roth, München 1984, S. 248
Manna für den Banker Im auslaufenden vergangenen Jahrtausend war es in sogenannten Insiderkreisen, als die nicht nur Künstler sich gerne gerieren, fast üblich geworden, mit dem Begriff des Himmelsbrotes herumzublödeln. Unser täglich Manna gib uns heute, war irgendwann nicht mehr nur der Sprachwitz, mit dem Sparkassenangestellte, die sich heutzutage gerne oder vielleicht mittlerweile auch nicht mehr so gerne Bänker nennen, obwohl sie möglicherweise gar keine sind, sondern allenfalls und weiterhin schlichte Sparkassenangestellte wie andere Fließbandarbeiter bei den ober- oder auch niederbayerischen Motorenwerken, mit diesem Sprüchlein also zogen diese schlichten Sprach-handwerker los, um in die Kantine zum Jägerschnitzel zu gehen. Anfänglich lachte man noch über diese wie das Essen gediegene Sprachspielerei, später wurde daraus ein müdes Stirnrunzeln, und als man es gar nicht mehr genießen konnte, wandelte es sich zur Kunst wie heutzutage manch belangloser Tinnef, der dem Leben Sinn geben soll. Wobei ich mittlerweile manchmal unsicher darüber bin, was wohl zuerst dagewesen sein mag, die Kunst oder die Mode. Bankert nennt man im Bayerischen, dort habe ich es zumindest zum erstenmal gehört, und Bayern ist ja bekanntermaßen österreichisches Anschlußgebiet, allgemeinsprachlich auch einen sich noch nicht im Zaum habenden Rotzlöffel. Mein kluger Kluge in der 23. Auflage seiner Eigentümologie verweist auf das im Gegensatz zum im Ehebett auf der harten (Schlaf-)Bank der Magd gezeugten Kind. «Daß sich das -hart als zweites Element gegenüber ähnlichen Bildungen wie Bänkling, Bankkind durchgesetzt hat, beruht wohl auf dem lautlichen Gleichklang mit Bastard.» Im Verschlucken von Endlauten ist auch der süddeutsche Mensch ertragreich, so verkürzte sich das Wörtchen, zumindest für mich aus der Fremde Zugewanderten, für mich Immigranten, auf den Banker. Ursprünglich ward so ein un- oder außereheliches Kind genannt, etwa wie das des bayerischen Ministerpräsidenten. Auch ich. ein paar Jahre älter als dieser bisweilen rotzlöffelartige, sich ansonsten recht soigniert gebende Herr, war ein solcher, aber nicht, weil's ein Verkehrsunfall war, sondern weil meine Eltern andere Ansichten hatten, was den allgemeinen Verkehr betraf. Doch doch, ich bin durchaus von ihnen gezeugt worden, meine Mutter war alles andere als eine ewige Jungfrau mit Kind. Aber die beiden hatten sich früh antizipativ abgewandt von Regeln des gesellschaftlichen Verständnisses, zu denen eben das Heiraten gehört. Als ich in den Sechzigern in die Bundesrepublik kam, war es durchaus ein erhebliches Makel, ein Banker zu sein. Aus einem solchen konnte gar nie nichts etwas werden. Heutzutage wird jeder Banker. Hauptsache, er lernt erstmal etwas Anständiges, am besten BWL an der Uni. Früher hat dazu eine Lehre ausgereicht. Aber so ein Bankkind oder Bänkling ist, wie erwähnt, eben auch nicht mehr das, was es einmal war. Heutzutage sind das allesamt gewöhnliche Bastarde. Die Gesellschaft macht keine Unterschiede mehr zwischen ehe- und unehelichen Ständen. Aber der Banker(t) an sich scheint zu seiner ursprünglichen Deutung zurückzukehren: ein von der allgemeineren, sittlicher denkenden Gesellschaft verachtetes sogenanntes Individuum, wie zu meinen jüngeren Jahren hierzulande auch derjenige genannt wurde, der das Zeug zum Ganoven hatte. Das konnte durchaus einer sein, der trotz heranwachsender Frucht partout nicht den konventionellen Weg bestreiten wollte. Und an der mangelnden Konventionsbereitschaft eines ganzen, sich als liberal bezeichnenden Berufsstandes hat wohl auch jemand zu leiden, der wie der normale Sparkassenangestellte zu seinem (Jäger-)Schnitzel an Pommes Frittes in die Kantine geht. Kürzlich las ich davon, daß dies noch immer das bevorzugte Manna in den deutschen Betriebswirtschaften sei. Auch wenn der gemeine Banker anderswo hin und wieder Milliarden er- oder auflösen soll, scheint in deutschen Landen das Altbewährte am ehesten Genuß zu bereiten. In The great Gate, Einemaria nennt es das Tor zur Hölle, plaudert eine Frau Leuwerik von einem Münchner «Sparkassenhäusl» hin und wieder mit, an ihr arbeitet man sich immer wieder mal thematisch vom Hundertsten ins Tausendste hinein amusant ab. Es ist mir jedes Mal a great pleasure, dort nicht nur über das Leben in der Wirtschaft und den Bankerten zu lesen.
Neuwort Dingsucht Dingsucht lautete der Titel einer Ausstellung der Münchner Künstlerin Astrid Roeken. Dieser von ihr geprägte Begriff gefiel ihr so gut, daß sie meinte, er solle im allgemeinen Sprachgebrauch Niederschlag finden. Also beantragte sie bei der Mannheimer Duden-Redaktion die Aufnahme ins Standardwerk. Die Antwort auf dieses Begehren wollte das Laubacher Feuilleton seinerzeit seinen Lesern nicht vorenthalten, schließlich sei sie doch ein Lehrstück dessen, wie die deutsche Sprache entstehe: «... Neuwörter werden in den Duden aufgenommen, wenn sie eine gewisse Verbreitung gefunden haben und allgemein bekannt geworden sind. Wir werden Ihren Vorschlag zwar weiterleiten, müssen aber abwarten, ob er sich über regionale Grenzen hinaus durchsetzt.» Das war in den Neunzigern. Eine Sucht nach den Dingen scheint sich seither nicht eingestellt zu haben. Möglicherweise hat das Ding an sich keinen Wert mehr, da es vom neudeutschen Tsunami, altdeutsch Erdbebenwelle, der Inflation, des zunehmend Wertlosen ins Landunter der Bedeutungslosigkeit gerissen wurde. Vor lauter angeschwemmten Einheitspröll (Mir han Mahnde voll Pröll fortjerumb.) sieht niemand mehr etwas in den niederen, prekär geratenen Landen. Es kann allerdings auch daran liegen, daß der Duden totsprachreformiert ist und er selbst längst in der Vorhölle oder -halle des Wortmuseums unter bedrohte oder seltene Wörter der Einbalsamierung harrt.
Kompendium der Sprachverunfallungen. Ich werde mich demnächst wohl mal daranmachen müssen, ein Handbuch der sprachlichen Verunfallungen anzulegen, um darauf hinzuweisen, daß der allgemeine deutsche Wortschatz längst bei den fünfhundert Wörtern des dänischen angelangt ist. Der Anlaß. Aber jetzt muß ich erstmal meine neuen Kuckgläser abholen gehen. In dem Maß, in dem meine Altersweisheit zunimmt, nimmt die Sehschärfe ab. Man kann es auch verschleyernden Durchblick nennen (ich habe mal wieder die RAF-«Chronik» des unsäglichen ZDF-Historikers gesehen).
Am Ende lange Sätze über kurze Gedanken Die immerzu den Kopf schüttelnde Dame aus der Hauptstadt der regierenden langen Sätze und der nichtssagenden oder nichts zu sagen habenden kurzen hat derart Feines über die Freude an der abwechselnden sprachlichen Vielfalt geäußert, daß es die Frontseite verdient. Zudem es Abwechslung bietet von der Eintönigkeit langwieriger Erzählerei. Kurz ist etwas für Betriebsanleitungen für Flachbildschirme und elektronische, sich selbst befüllende Brotbackautomaten. Die sind dennoch meistens unlesbar. Wenn sie von chinesischen oder koreanischen Studenten übersetzt wurden. Die sich im dritten Semester befinden. Als Nebenfach. Zur Informationstechnologie. Und die dann Technology mit Technologie übersetzen. Obwohl's deutsch eigentlich Technik heißen muß. Da die Technologie die Lehre von der Technik ist. Aber das wissen sie nicht. Da ohnehin alles ein globaler Sprachbrei geworden ist. In dem sprachliche Unterschiede vermeintlich niemanden mehr interessieren. Die von den Großrechnern der Betriebwirtschaft aus Kostengründen herangezogen werden, ums noch billiger verkaufen zu können als die Billigheimer im Westen. Oder von japanischen Ehefrauen. Die Klavier und Gesang studiert haben. Und mit einem Deutschen verheiratet sind. Zetbe in Düsseldorf, dem ins Deutsche integrierten Tokyo. Der will, daß sie zuhause bleibt. Und sich um ihr Sushi und seine Kinder kümmert. Und trotzdem hinzuverdient. Weil ein deutscher Mann das gerne hat. Es geht aber auch bei übersetzten Speisekarten. Für Deutsche, die sich auf der Durchreise nach Spanien befinden. Oder in Narbonne-Plage typisch französischen Urlaub machen. Oder in Le Grau du Roi, La Grande Motte oder Port Camargue. Weil's dort so schön ist wie in Spanien. Noch anders ist's aber auch möglich. Zum Beispiel in poetischen Reiseführern. Oder der Preisung gastronomischer Kleinodien. Wie in Italien. Immer noch der Deutschen heimliches Sehnsuchtsland. Da setzte vermutlich die Tochter des Hauses La Trappola charonisch, sprich kryptisch über den Styx der deutschen Sprache. Die aus-moderner-Weise-ausgestattete Küche kann jede Erfordernis befriedigen: die «Piadina» ist immer fertig, und der Bratenwender marchiert ohne Unterbrechung uber den Kamin der Hauptsaal, deren hohe Zimmerdeke mit Kätchen gemäldet ist. Auf-der-Plätze-zubereitete «cappelletti», Jagdbeute, kalter Ausschnitt, mit jede typische Nahrung der Gegend ist zusammen mit dem lokalen ganz echten Wein angebietet.Man möchte Ariadne zur Hilfe rufen. Auf daß die ihren Faden gleich einem Rettungsanker auswerfe. Der einem aus dem Labyrinth heraushelfe. Aber es erhellte die chronisch dunkle Unterwelt des Germanischen der jungen Frau. Sie hatte mal einen deutschen Freund. Der war auf der Durchreise im Marche. Und hat ihr auf dem Kopfkissen deutsch beigebracht. Vom Heiraten war die Rede. Als er eines morgens verschwunden war, da wußte sie nichts mehr. Außer, daß sie eine Frucht im Leib trug. Ob sie alemanna, crucca, germana, tedesca oder teutonica werden sollte, sollte ihr verborgen bleiben. Da hat sie sich gerächt. An der deutschen Sprache. Mit etwas längeren Sätzen. Die so unverständlich waren wie die kürzeren oder längeren deutschen der Chinesen, Japaner oder Koreaner. Aber sie waren schöner. Weiblicher. Denn es ging schließlich ums Essen und Trinken und um die Liebe. Zur Landschaft. Darin bewegt man sich ohnehin tänzerischer als in der Sprache der Technologie. Bzw. Technik. Mit ihrer SMS-Choreographie. Tanz der Kurzmitteilung. Wie klingt das denn! Aber das ist ohnehin Männersache. Männer, das habe ich neulich auf einem US-besendeten Flachbildschirm gesehen, tanzen nicht. Als ich mich beruflich noch in einer Umgebung befand, in der die etwas feinüppigeren Vixen als die eines Russ Meyer nackt auf den Tischen der Graphik tanzten, lernte ich einen Herrn kennen, der unter Pseudonym, weil sein Hausverlag seinen Namen nicht im Sumpf verkommener, US-amerikanischer Lebenswege untergehen sehen wollte, quasi unter dem Tresen Kunst vermittelte. Ihm folgte ich für eine vorübergehende Zeit, da mich die unerotische Nacktheit einer von mehrfach wechselnden Textchefs immerfort gleichgemachten Sprache schrecklich langweilte. Zwar lernte ich hochbezahlter Lehrling viel, aber ich hatte bald herausgefunden, ihnen nach der fünften Überarbeitung eines Artikels wieder die erste auf den Schreibtisch zu legen, die sie dann jeweils als vollendet erachteten. Nach einem Jahr sehnte ich mich fast zurück nach dem Rundfunk der zwar fürs Gehör richtigen, im besonderen aber geradezu feinziselierteren kurzen Sätze, mehr jedoch noch nach der Suche nach der verlorenen Zeit mit seitenlangen Sätzen in der Beschreibung von Madelaine, zumindest aber nach der Lektüre von Mirabeau, der schließlich auch noch anderes Aufklärerisches wie etwa Lauras Erziehung verfaßt hat. Bei dem Artvermittler unterm Tresen, der einige Zeit später ein großes Kunstmagazin gründen würde, erhoffte ich mir, mehr sprachliche Vielfalt ausleben zu dürfen. Was kam, war mehr als enttäuschend. Denn es war in dieser Illustrierten wie in anderen, noch dazu beinahe autorennamenlosen Wochenblättern ebenso üblich, alles auf eine, wie ich es empfand, Schmalspur zusammenzuredigieren. Wer auch immer ein Manuskript ablieferte, gedruckt wurden alle Text so, als ob sie von einem Autor stammten; Autorinnen waren zu dieser Zeit noch überaus selten, die meisten Damen steckten noch hochgeschlossen in der Sekretärinnenschublade, der Beruf der Gesellschafts- oder Hofexpertin war noch nicht erfunden, der einer Redaktionsleiterin, Textchefin oder gar Chefredakteurin schlicht undenkbar. Journalistinnen wie Wibke Bruhns durften allenfalls auf den Bildschirm, und zwar als Nachrichtensprecherin, etwas früher in leitende Positionen gelangende wie Luc Jochimsen waren eine Seltenheit. Medien waren Männersache. Bloß keinen Tanz, und schon gar keine langen Spielereien. Also mehr Frauen an die Medienmacht? Ich bin unschlüssig, ob mit ihnen mehr an- und abschwellende, sich steigernde und wieder abebbende Sarabande getanzt wird, absolvieren viele doch sogenannte Hochschulen, um wenigstens zunächst einmal an die Front zu kommen, in denen allerdings meistens gelehrt wird, alles zu verknappen, sich kürzest zu fassen wie zu Zeiten in der Telephonzelle, weil für komplette, nicht vorn und hinten abgehackte Sätze, für Vorspiel keine Zeit mehr ist oder es, wie's mir manchmal vorkommt, zum Lifestyle gehört, sich möglichst undeutlich auszudrücken und das auch noch rasend rasch quasi wegzusprechen, daß gleich gar nichts mehr übrigbleibt, vermutlich, weil den stundenlang zuhause vor dem Flachbildschirm oder ganze Nachmittage im Café vorm DiddaldaddelEiphone Hockenden die Zeit davonlaufen könnte. Ich werde wohl auch bald zum Internetausdrucker werden, schon aus Protest gegen diese Verflachung, die noch dünner macht, als es diese Geräte ohnehin bereits sind. Sie haben schon recht, zu diesem Elektrobuch passen keine langen Sätze. Jedenfalls nicht meine, «sprachgewordene matroschkas» — ach, wie schön, die «hierhin oder dahin» wollen, die «scheinen ziellos oder führen einen manchmal in die irre, weil man denkt, man denkt schneller, aber falsch gedacht». — Ich kaufe schließlich auch schon seit langem keine Brötchen mehr beim Bäcker, weil ich weiß, bei dem gibt's auch nur noch Einheitsbrei aus der Fabrik, den er als Handwerk verkauft. Neulich habe ich mein Brot selbst gebacken, so richtig, nicht mit der Maschine, sowas kommt mir ebensowenig ins Haus wie ein Elektrobuch, sondern von Hand, den Teig aus Mehl, Hefe, Wasser sowie etwas Olivenöl und Salz in die Schüssel gegeben, gerührt und geknetet, ihn hin- und hergewendet, ihn ruhen lassen, dann noch einmal geknetet und gewalkt, ihn hin- und hergewendet, bis ein wohlschmeckender langer Satz daraus wurde. Es hat nicht viel länger gedauert als das Schreiben einer ausführlicheren Sentenz über einen Absatz. Zuhilfe kam mir dabei die Erinnerung an eine temporäre Tätigkeit bei einem Bäcker, der im Hinterhof eine Sau im Stall stehen hatte und die ich auch essen durfte, deren Fett ich sogar gerne aß, weil es so schmackhaft war, die aber auch von einem Fleischer geschlachtet worden war, dessen Wurstsuppe nie aus meinem Gedächtnis entschwinden wird, so, wie die Freude über Ihre feine kleine Würdigung des behutsamen Entblätterns, des dazugehörenden Müßiggehens, für die ich mich herzlich bedanke.
«Otto und Else werfen den Ball.» Trotz der zweifelsfrei piratischen Kompetenz von Frau Braggelmann, sind wir uneins in Sachen Transparenz. Sie ist der Meinung. daß es niemanden etwas angehe, was wir untereinander Intimes beplaudern. Aber ich habe den anders gearteten piratischen Drang, der Öffentlichkeit mitzuteilen, was ihre Witzeleien bei mir an schrecklicher Ernsthaftigkeit auszulösen vermögen. Um die Anmerkungen lesen zu können, berühre man mit dem Cursor die jeweiligen Ziffer.1 Kontrahent? Zum einen befinde ich mich schon lange nicht mehr in einem öffentlichen Ring, in den ich einen Fehdehandschuh werfen könnte oder ihm ihn gar an die Kinnseite klatschen, und zum anderen habe ich nichts gegen den Herrn, der ja wohl ein netter ist. (Ein österreichischer Freund, ein Wiener, den es sehr viel früher als den Herrn nach München verschlagen hatte, wie Doktor Sommer ein Psychologe, nur noch älter, näher noch an Hern Freud, der allerdings nicht beabsichtigte, mich zu therapieren, was vermutlich der Grund für seine Entmündigung gewesen sein könnte, sagte mir mal: S' ist ned? Ned liab, ned reich, ned schee. Ned hoid.) Der nette Bunte ist mir nach unseren Gesprächen zur Symbolfigur geraten, zum Beispiel für eine sich zusehends verbreitende Art von Journalisten, jenem Journalismus, der von und mit der Oberflächlichkeit seiner Klientel lebt. Und die wird unaufhörlich internett. Ned?2 Sicher, mangels Unwissen Gestammeltes hat es schon immer gegeben, auch noch in den Siebzigern ff., in denen das Studienfach Journalistik an den Hochschulen seine zarten Triebe aus dem Boden ans Licht der Öffentlichkeit treiben ließ, das die «normalen» Universitätsabsolventen zu verdrängen begann, die Germanisten, Romanisten, Juristen et cetera pepe, die Naturwissenschaftler und so weiter, die in der Regel während ihres Studiums oder nach ihm zunächst hospitierten und dann volontierten. In der Regel war also ein Grundwissen vorhanden, das erweitert wurde. Hierbei denke ich, bedingt durch meine Erfahrung und keineswegs lehrmeinend (die viel und gern gerade im und mit dem Journalismus be- und gesprochene Objektivität, die ich zwar durchaus für [be-]schreibar halte, aber unter äußerst mühsamen Umständen3), zunächst an die Rundfunk- und Fernsehanstalten, in denen ich tätig war. Bei den Zeitungen und Zeitschriften, die mir nach meiner Zeit als Spieljunge dann eher Nebenspielplatz waren, war die Lehrzeit von der Hospitanz bis zum Volontariat meist offener und fand am (nicht vor) Ort statt. Es war das «Allgemeine», dem man sich meines Erachtens mit dem Studienfach Journalistik zu nähern gedachte. Meines Wissens waren es die großen Zeitungsverlage, die Journalistenschulen teilweise in Eigenregie betrieben und diese nun in den Universitätsbetrieb integriert haben wollten, sicherlich auch, um den Jorurnalismus zu nobilitieren, wie es die allgemeine Tendenz war, zum Beispiel die, Berufe durch Umbenennung zu adeln; vergleichbar sein dürfte es mit den zunehmenden formalen Nivellierungen nach oben von all dem, das mit Kultur zusammenhängt, etwa Kultur- oder gar Kunstwissenschaft.4 Das Ziel war wohl eine breitere Bildung, die den Einzelnen befähigte, in allen erdenklichen Bereichen einen jeweiligen Fall zu übernehmen. So verbreitete sich zunehmend der praktische5, der praktizierte Journalismus, wie wir ihn heute kennen. Das für mich fast Kuriose ist, daß mittlerweile wieder die Spezialisierung angefordert wird. Es ist allerdings verständlich, denn die Fehler häufen sich; nach meinem Empfinden ist nicht alleine die oftmals angeführte fehlende Zeit der Grund dafür. Faktische sowie sprachliche Fehler wurden auch zuvor gemacht. Doch da gab es noch kein Internet, mit dessen Hilfe man heutzutage leicht jedes Nichtwissen oder einen Bluff innerhalb kurzer Zeit herausfinden kann; wenn man denn will. Damit meine ich nicht unbedingt die Leistungen irgendwelcher Freiherren oder -demokratinnen, sondern durchaus mehr oder minder renommierte Autorinnen und Autoren, bisweilen gar solche, denen aufgrund wissenschaftlicher oder sonstiger, meist publizistischer Leistungen der Ruf von Experten6 vorauseilte. Gegen Fehler ist niemand gefeit, mir selbst sind sicher unzählige unterlaufen; ein nicht wiedergefundenes und deshalb «betrügerisch» falsch in ein Buch gesetztes Zitat dürfte sich als das harmloseste erweisen. Doch ich bezweifle, daß einer, wie er Fritz J. Raddatz7 seinerzeit passiert ist, ihm heute noch den Posten des Feuilletonchefs kosten könnte. Sicher bin ich nicht, denn in dieser Zeitungsklasse wird doch oder noch anders gewertet. Dagegen steht allerdings die Tatsache, daß einer wie der schöne hamburgische, nach meiner Sicht wundersam aus den Lichterketten emporgestiegen wordende, mittlerweile auch schon langjährige Chefredakteur solch ein Ding wie das mit dem vorerst gescheiterten Freiherrn in Buchform bringen darf. Der Bluff hat dennoch vermehrtes Aufkommen und auch Zulauf. Dazu kann es meines Erachtens nur kommen, weil immer weniger genau, also konzentriert gelesen wird. Ich bin mir nicht im klaren darüber, ob das Ei vor dem Huhn da war, aber darin sicher, daß es das eine ohne das andere nicht gäbe. Ob es das Fernsehen oder das Internet ist, beide sind mittlerweile derart gefüllt von offenbar süßer, süßstofflicher, hin- und herhüpfender, ja -zuckender Geschwindigkeit, die Ruhe an sich schon nicht mehr zuläßt. Der bunte Herr aus München müßte von alterswegen eigentlich noch wissen, wo ein korrekter Satz beginnt und wo er endet. Mich erinnert das an Lethes Freibrief, vor zwölf (sic) Jahren von Herbert Köhler geschrieben. «An der Eingangstür der Buchhandlung im Universitätsviertel hing ein weißer Zettel: «Suche Student, der lesen und schreiben kann, für einfache Arbeiten und für länger.» War das ein Witz? Weshalb dieser Einschub? Weshalb diese fast uneinlösbaren Voraussetzungen für einen Hilfsjob? Student, Lesen, Schreiben; das sind doch Synonyme. Sogar ich selber kann mich noch gut an meinen ersten selbstgeschriebenen und vorgelesenen Satz erinnern: ‹Otto und Else werfen den Ball.› Dieser Satz könnte als Präambel für die gesamte Philosophie des dialogischen Diskurses stehen. Man muß ihn nur deuten. Was aber hatte den Chef der Buchhandlung zu dieser mit Verzweiflung und stiller Resignation unterfütterten Tautologie verleitet? War es die Legende um Diogenes, der am helligten Tag mit einer Laterne über die Athener Agora spazierte und gefragt wurde: ‹Was tust du mit dem Licht?› und dann erwidert haben soll: ‹Ich suche Menschen!›»?Menschen, «eine Wertegemeinschaft, die alles vergessen hat, was nicht vermünzbar ist». Selbst unser bunter Herr aus München weiß nicht mehr, wie's geht. Er steht derartig unter der Elektrizität, ist fortgerissen vom Strom seiner Klatsch- und Tratschpostille, die ihn pausenlos losschickt in die weite Welt, ihn ohne Ende irgendwelche Leutchens interviewen läßt, die insofern vermünzt werden, weil die leuchtenden Vorbilder des Anzeigengeschäfts illuminiert werden sollen und häufig genug auch wollen, daß er einen kurzgemitteilten Scherz nicht sofort versteht, er sich nach einer hinterhergeblinkerten Zwinker-Zwinker-Gefühlsglyphe (™ Der dunkle Mark) zehn Minuten später neuerlich meldet, um mitzuteilen: Jetzt hab ich's begriffen, sag's doch gleich. Er hat das Lesen verlernt, und damit die Minimalanforderungen eines praktischen Journalismus'. Er ist, trotz Studiums, in einem geradezu archaischen Stadium angelangt. Er gibt nur noch elektroschriftliche Grunzlaute von sich. Und er zwingt Frau Braggelmann und andere dazu, ebenfalls zu grunzen. Es ist ihm dringend angeraten, die Branche zu wechseln. Vielleicht Fußball oder so. Da wird auch so schön wie gedippelt gestammelt. Da kommt das Barbarentum her. Wenn sich jemand barbarisch verhält, heißt das heutzutage im Süden Frankreichs, südlich von Lyon, wo die Provence beginnt, wo die Medici in prächtige Gewänder gehüllt worden sein und sich geweigert haben soll, den Einheitsbauernfraß der indigenen Bevölkerung zu sich zu nehmen: stottern und stammeln, das heiße, einer Sprache nicht mächtig zu sein. Nicht, daß ihm seine Frau noch wegläuft, gar hin zu Frau Braggelmann, deren Witzchen sie nämlich auch beim ersten Mal des Lesens verstanden hat. Wogegen ich etwas hätte. Denn ich möchte Frau Braggelmann der Männerwelt erhalten. Die hat ohnehin kaum noch etwas zu sagen.
Wer jetzt kein Haus/ des Mittelmaßes hat ... Zur Zeit höre und lese ich atempausenlos von der Mittelmäßigkeit, vom Mittelmaß, zum Beispiel eines Wutbürgerpräsidenten. Es kommt aber immer darauf an, wo so einer herkommt, wer oder was dessen Niveau gebildet hat, an dem man sich orientiert, vielleicht auch, wer das Niveau bestimmt, das schließlich gesenkt oder erhöht werden kann, wie das Bild vom Bild-Fahrstuhl bei Wolfgang Michal, mit dem es rauf- oder runtergeht. Zur Auffahrt anderswo scheint mir allerdings kein ernsthaftes Bedürfnis zu bestehen, auch oder gerade bei denen, die dazu beitragen könnten. Ja, Einemaria, das Volk spricht eine seltsame Sprache. Ich meine durchaus, daß Rilke in seinen Satzbauten auch gelebt hat, sich zumindest seine Verstecke gehalten hat darin, etwa in Wer jetzt kein Haus hat/baut sich keines mehr//Sein Blick ist vom/Vorübergehn der Stäbe/so müd geworden, daß/er nichts mehr hält. Ortega y Gasset hat bereits als Dehumanization dell arte die Vertreibung des Menschen aus der Kunst diagnostiziert. Vielleicht sollte man ihn, bin ich als hoffnungsloser Romantiker (sowas kannten die nämlich nicht) heute versucht zu meinen, ihn erstmal reinlassen, den Menschen in die Kunst. Aber wer will das denn? Wirklich. Also nicht nur kreativen Rock'n'Roll an der Volkshochschule. Nichts gegen Volkshochschule. Aber das Denken über die Kunst lernt man dort eher nicht so. Dafür benötigt man vermutlich eher die Einzelnen, die bezahlt werden wollen und auch sollen, und die sind als geeignete Fachkräfte nicht so billig, was für die Discounter der Bildung schwierig wird, da das Bares kostet, das man nicht mehr hat, weil es spätestens seit dem Jahr der geplatzten Blase auf einmal endgültig verschwunden ist im Müllschlucker der Geldverbrennungsanlagen, die auf Vernichtung von Massen geeicht sind, von denen es ohnehin schlicht zuviele gibt und man für die nicht auch noch kostbare Güter ausgeben kann, soll, will. «Die Masse vernichtet alles», hat Ortega geschrieben. Nun gut, er war nicht eben ein Revolutionär, sondern eher dem mir nicht so sehr am gelben Blatt meines Herzens liegenden Adel zugetan. Doch es war eine andere Zeit. Zu der huldigten die meisten noch dem Herrn. Aber ich bin auch kein Revolutionär, wahrscheinlich, weil ich nicht möchte, daß jemand geköpft oder auch nur bildergestürmt wird, nicht einmal eine Statue, und bin obendrein gerade auch mit diesem Herrn Gasset beschäftigt, deshalb richtungsändert dieser Spanier mir, als ginge es um Picabia oder diesen Lichtenberg1 oder Wittgenstein oder wie die alle sonst noch heißen oder hießen, zur Zeit auch ständig im Kopf herum.2 Also: «Die Masse vernichtet alles, was anders, was ausgezeichnet, persönlich, eigenbegabt und erlesen ist. Wer nicht ‹wie alle› ist, wer nicht ‹wie alle› denkt, läuft Gefahr, ausgeschaltet zu werden.» (Das habe ich jetzt auf die Schnelle bei Wikipedia gekopiet und gepäistet, man kann's aber auch bei rororo im Ganzen lesen.) Da kann er noch so jesuitisch — wie das diese von mir auch nicht sonderlich gemochten Katholen im allgemeinen sind, die aber ziemlich was draufhaben — daherschreiben, aber da ist was dran. Ich beziehe mich aber in erster Linie auf den Gewöhnungseffekt. Da ist ebenso eine Menge dran. Da komme ich auf den Einschleifeffekt im Sprachlichen, manchmal tät ein bißchen Rilke gut, zum Beispiel bei Michal, da schlürft und schmatzt die Soße und nicht der Schmatzer und der Schlürfer. Der produziert, so recht er in einigen, aber dem Wissenden — na, das ist vielleicht doch ein wenig zu altbacken unverständlich, das klingt ja nach der Vorstufe des Süttherlin, also: dem informierten Leser — längst bekannten Punkten haben mag, mittels schief im Rahmen hängender Sprachbilder dieselbe totgerührte Soße, die er in einem «Essay» (!) anprangert. Das ist nicht mehr als Sahne aus der Tube, pasteurisierte nämlich, ganz nach dem Geschmack des Volkes, das den Geschmack von der natürlichen, also der nichtlilanen Kuh her nicht mehr kennt. Für viele mag das ein vernachlässigbarer Nebenaspekt sein, für mich ist er aber, da es meines Erachtens nichts ohne Zusammenhänge gibt, mit (mittel-)maßgeblich. Ich habe mal notiert (und mich dabei eingeschlossen): Die Pflicht des Urteilenden, in einer sogenannten Bildungsgesellschaft allemale, obendrein einer, die Informationen sehr viel leichter zugänglich macht als noch vor zehn Jahren, jedoch bleibt: Wer richtet, also (ver)urteilt, der muß wissen. Dazu zählt das Unterscheidungs-, auch Vergleichsvermögen, also die intellektuelle Fähigkeit, zu abstrahieren. In allen anderen Fällen empfehle ich mal wieder den guten alten Wittgenstein in Paraphrase, mit freundlicher Unterstützung von M. A. Numminen. Ach, auch ich sollte mich bei all den «unwürdigen» Debatten (kann eine Debatte eine Würde haben?) zurückziehen auf Wittgenstein.
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