Jean-Baptiste Grenouille Geboren ist er «ohne Geruch am stinkendsten Ort der Welt, stammend aus Abfall, Kot und Verwesung», er ist «klein gebuckelt, hinkend, häßiich, gemieden, ein Scheusal innen wie außen». Entschlüpft ist er dem Leib einer jungen Frau, «gerade Mitte zwanzig, die noch ganz hübsch ausssah und noch fast alle Zähne im Munde hatte und auf dem Kopf noch etwas Haar und außer der Gicht und der Syphilis und einer leichten Schwindsucht keine ernsthafte Krankheit». Dieser Jean-Baptiste Grenouille hatte «eine Macht, die stärker war als die Macht des Geldes oder die Macht des Terrors oder die Macht des Todes: die unüberwindliche Macht, den Menschen Liebe einzuflößen». Dennoch hätte er sie «am liebsten alle vom Erdboden vertilgt, die stupiden, stinkenden, erotisierten Menschen». Doch das war beileibe nicht der Grund für sein planvolles ja systematisches Morden, dem mehr als zwei Dutzend Jungfrauen zum Opfer fielen, alle gerade kurz vor der vollen Blüte und von der duften Vollkommenheit der Laure Richis, «gerade sechzehn Jahre alt, mit dunkelroten Haaren und grünen Augen», mit einem «so entzückenden Gesicht, daß Besucher jeden Alters und Geschlechts augenblicks erstarrten und den Blick nicht mehr von ihr nehmen konnten». Sein Meucheln hatte jedoch nicht etwa Lüsternheit als Ursache, sondern jene Macht, die er einmal nur testete, allerdings mit einem phänomenalen, geradezu orgiastischen Erfolg — um dann einen Tod zu sterben, den wir alle uns so wünschen, nämlich aus Liebe aufgefressen zu werden. Dieser seinerzeit grandiose Wurf eines Romanerstlings hat den Redakteur einer Leseseite damals sogar dazu bewegt, ein etwa zu gleicher Zeit erschienenes Buch von Joseph von Westphalen (ich komme darauf zurück) in den Stehsatz zu befördern. Diese Riechorgie, hieß es dann, «dürfte für lange Zeit Spuren von Lesewonnen in den Gesichtern selbst abgebrühtester Literaturkenner hinterlassen. Denn Jean-Baptiste Grenouille alias Patrick Süskind hat aus den auserlesensten Ingredienzien der Erzählkunst einen Flakon voll des feinsten Lesedufts komponiert — ein Parfum, das die Macht einer Droge hat.» Nun ja, der Geruch hat nicht mehr die Intensität der Buchmessenvorzeit von 1985, aber nur nach dem Dachboden der in feucht gewordene Kartons der ausgelagerten Literatur riecht der Roman auch nach so langer Zeit nicht unbedingt. Zwar veränderte die Nase nicht mehr so ganz hektisch ständig die Wahrnehmungsrichtung, aber das Jacobsen-Organ hat immer noch ordentlich was zu schnuppern gehabt. Patrick Süskind: Das Parfum. Die Geschichte eines Mörders. Herbert Huber hat den Roman erläutert und eine Materialsammlung hinzugefügt. Und hier wird geschlemmt.
Wieder mal so ein Buch, das "jeder" kennt - außer mir. Aber das kann ja noch werden; zusammen mit Schlafes Bruder lag es lange auf dem inneren Stapel, und den habe ich kürzlich auch endlich gelesen - warum auch immer ich die beiden Bücher in einem Zusammenhang sehe, vielleicht ist es das "Historische" oder auch nur die Tatsache, dass sie von sonderbegabten Außenseitern handeln. Von Süskind habe ich allerdings das schmale Büchlein Die Taube in guter Erinnerung.
haben sie denn auch den wunderbaren film gesehen, nicht den vom parfüm, sondern "schlafes bruder"?
Ist der wunderbar? Einen kleinen Fetzen davon muss ich mal gesehen haben, denn ich erinnere mich an André Eisermann, dessen Ohren vom Orgel- oder Klavierspiel des Dorflehrers gepeinigt wurden. Mehr allerdings nicht.
doch ja, ich fand ihn wunderbar. das ging aber, das weiss ich, nicht jedem so.
>> kommentieren Schlafes Bruder,
das Buch kenne ich nun wieder nicht. Wahrscheinlich war mir das zuviel Gedöns (den Süskind hatte ich ja bereits gelesen, als er sich noch gar nicht im Buchhandel befand). Aber vielleicht wäre das doch noch was, wenn auch im Kopfkino. Ich mag dieses hinterösterreichische Waldler-Thema ja recht gern; ich erinnere: Voda, hoda gsogg, da Bua, Voda, mia missn umbaun. Wos iss, hoda gfrogg, da Voda, wos is los? Umbaun, hoda gschrian, da Bua — da Voda hört nimma guat —, umbaun! Unsa Hof steht mittn im Dorf, do miass ma wos draus mochn. A Lokal miass ma aufmochn. Die Bauernschoft trogt eh nix mehr. Wos iss, hoda gfrogg, da Voda, wos is los? — A bißl vakolkt isa a scho. — Umbaun? Lokal? Trogt nix mehr? Wos is los? Nix is los, hoda gsogg, da Bua. Werst scho sechn. Aber den Vilsmaier, ich weiß nicht so recht. Mich hat dieses Comedian Harmonists-Gejuble und Gejaule arg genervt, nicht nur der besagten Dame, sondern eher einzelner Herren wegen. Herbstmilch fand ich passabel, aber nochmal müßte ich nicht. So ist das mit einmal gefällten (Vor-)Urteilen. Ich wäre vermutlich kein guter Richter. Aber sicher auch kein guter Bauer. Für dessen schöne Darstellung habe ich ja dann das Kopfkino. – Liefe es im Ciabatta-Theater, dann würde ich mich vielleicht gemütlich zurechtrücken. das kommt davon
nur, weil ich binnen 72 stunden zweimal disneys "küss den frosch" gesehen habe. was pädagogisch sehr fragwürdig ist und mindestens zweimal zuviel war. mein parfüm-kopfkino ist so arg verstaubt, dass das echte kino es überlagert hat. nochn froschfilm. vilsmaier? ach na ja, na gut, "der letzte zug". Bei Der letzte Zug
dachte ich zunächst an einen deutschen Film, den ich mal im Ciabatta-Kino gesehen hatte, ohne mich auszuklinken. Bis das Internet mich dann eines besseren belehrte, den meinte ich: Zugvögel.Küß den Frosch, das mache ich selber, wohl weil es La Grenouille heißt, und vielleicht in der Hoffnung, daß sie mir im Nachhinein die Pfanne nicht auf den Kopf haut, in die ich ihre Schenkel gelegt hatte. Doch möglicherweise schwingt dabei auch die Sehnsucht mit, sie könnte sich als ein wunderschöne, besonders langbeinige Prinzessin erweisen, die mich am Ende durch die nicht minder schöne Natur trägt. Wenn es keine mehr gibt, weil die deutsche Regierung sich mit ihrem Verbot in Bruxelles bzw. Strasbourg durchgesetzt hat, kann ich mit ja auch selber eine basteln. Bis dahin bleibt die Dégoustation bestehen. Essen ist ja bekanntlich der Sex des Alters. Aber demnach bin ich bereits alt zur Welt gekommen. Die kleinen Kinder meines näheren Umfeldes essen übrigens überwiegend sehr gerne Austern, Frösche et cetera. Allerdings fressen sie auch Disney. Ach, jetzt bin ich schon wieder ziemlich aus der Themenbahn geraten. Also: Lesen ist der dauerhafte Höhepunkt des Lebens.
das reisen ist ein sehr schönes thema. das klingt so unhektisch. so isst es sich auch am besten.
ich habe, nun ja, noch niemals froschschenkel verspeist; die langbeinige prinzessin, die ist ja herrlich - das könnte ich nicht. das ist zwar mädchenhaft, aber ich wünsche ihnen natürlich, dass es nicht so schnell keine mehr gibt. und was das lesen angeht, da haben sie absolut recht.
aber bei mir immer nach labskaus betteln... die ich fisch nicht ausstehn kann. und das wissen sie genau!!!
Ach, Labskaus ...
in meinem – als mein Hirn. Das isses. Das wäre es. Früh schon habe ich mich danach gesehnt: Bloß keine Geradeauslinigkeiten.Gute Nacht. Ich verabschiede mich so langsam. Auf hoher See befindet sich
die stürmische Braggelmann. Man hat die Kielerin genötigt, es mal auszuprobieren mit Kielholenlassen oder sich kieloben zu fühlen: zwölf Stunden dem Toben des Mare Balticum ausgesetzt. So sehen heutzutage eben Firmenjubiläen aus. Alle schreit nach Action. Etwa wie bei Labskaus-Kanapees (die dem juniorsten Junior sehr gefallen würden, aber eher der Flagge wegen; er will immer noch Pirat werden). Dabei rennen die dort doch ohnehin den ganzen Tag. Nun gut, alles wird sie mit sich machen lassen, nur Fisch wird sie keinen essen, nichtmal dann, wenn er ihr direkt ins Maul, pardon, in den süßen Fischmund schwimmt.Das Thema Labskaus wurde hier auch schon abgehandelt, wenn auch nur streifend, hier und hier. Aber das Wichtigste, wo es um den Nordsee-Reederei-Captain geht, der mir ein Rezept hatte zukommen lassen, da mir sein Labskaus so gemundet hatte, das finde ich wieder nicht. Doch das mag daran legen, daß ich als Hansereisender vermutlich altersbedingt auf Kuchen umsteigen mußte. Aber da fällt mir eben so eine schöne Hochseefischgeschichte ein. Die leihe ich mir jetzt aus, da drüben liest sie ohnehin kaum jemand. >> kommentieren Hochsehfischgeschichte
Nordlicht-Knurrhahn «Wenn es irgend geht, fährt der harte Redaktionskern einmal jährlich zum disziplinierten Training der ostfriesischen Olympiade nach Norddeich: Deckel-Rund-Trinken, Fahrrad-Rodeo, Krabben-Puhlen und Kloot-Schießen (und zwar in dieser Reihenfolge). Also: Münster Richtung Oldenburg, dann links ab Richtung Emden, dann vorbei an friedlich wiederkäuenden, echten Kühen bis nach Norden, das südlich von Norddeich liegt, und dann immer geradeaus, bis (fast) nichts mehr geht. Kurz vor'm Deich liegt Norddeich, von wo aus man eingeschifft werden kann nach Juist, Norderney oder Helgoland. Doch da wollen wir nicht hin. Wir fahren zu Frau Coordes, stellen das Auto und legen die Abstinenz ab, holen uns die Fahrräder ... Früher sind wir, so es etwa um 17.00 Uhr war, zuallerst Stumpi von der Bank oben am Deich abholen und mit ihm in seinen tief unten im alten Fährhaus gelegenen und dem gemeinen Touristenblick entzogenen und auf diese Weise recht intimen Fährkeller. Aber Stumpi ist in Rente. Er kellnert jetzt, in der Saison, bei Jeanette und Didi Klattenberg im Nordlicht. Doch da kommen wir später hin. Vorher gehen (nein, noch fahren wir) zu Gretel und Werner und Walther Evers zum Knurrhahn. Der liegt direkt an der Einflugschneise von Norden zum Fährhafen. Und dort gibt's Fisch. Der Ruf: «Gretel! Bitte einen Kinderteller Scholle!» Ersatz-Grummeln (wegen Überbeschäftigung in der Küche) des Ober-Knurrhahns Werner vom Tresen: «A wat. Schollen schmecken, auch kalt, zum Frühstück wunderbar.» Er muß es wissen, war er doch früher Fischer. Da gab's zum Frühstück wahrscheinlich nichts anderes. Und Jean ißt Fisch nur kalt. Aber der ist ja auch so eine Art Esquimau. Um 22.00 Uhr machen die Evers ihren ehemaligen Fischladen, dessen Tresen immer länger wurde und dann endlich zur Gaststätte mutierte, dicht. Verständlich, geht es doch früh um fünf, sechs Uhr bereits los mit Fisch-Einkauf und anschließendem -putzen. So leuchtet uns denn das Nordlicht. Da liegt der Deckel schon bereit, ihn (für heute erst) einmal rundzutrinken. Für jedes Bier und jeden braunen Auerhahn gibt es je einen Strich. Die Scholle (übermorgen gibt's Seezunge; schmeckt kalt auch gut, sagt Werner) bildet eine schwammartige, also adäquate Unterlage für die Umrundung. «Didi! Gibt's morgen Labskaus? Klar?» «Wieviel Personen?» «Drei.» (Mehr darf man nicht sagen, auch wenn der Kohlenpott-Redakteur morgen kommt und wir dann zu sechst sind.) Chefkoch und Jeanette-Gatte Didi, früher auf großer Fahrt und ein begnadeter Motorboot-Kamikaze-Pilot, bereitet dieses wunderbare Gemenge aus Fisch, Fleisch und Kartoffeln mit Gurke und Spiegelei nur auf Bestellung zu. (Es füllt den Magen komplett aus und geht nur über Bord, wenn der Käpt'n sauer ist auf die Touristen und deshalb sein Schiff so steuert, daß es garantiert so läuft, als ob Windstärke neun wäre.) Nach 1.30 Uhr kommt's, auf dem Weg zu Frau Coordes kleiner Pension, zum ersten Fahrrad-Rodeo-Training. Hier wird sich einmal mehr die Verlegerin als beste dieser Disziplin erweisen. Ihr gesamter Körper ist übersäht mit den Urkunden, die die kapitalsten Stürze hinter Büsche und Mauerabgrenzungen belegen. Unser Schluß- und Sitzredakteur, den zu Hause niemand jemals vor High Noon aus dem Bett bekommt, wird zur allerfrühesten Stunde am Hafen stehen und die ersten Krabben abfangen, auf daß wir ihnen den Leib von der harten Schale befreien und mit ihrem zarten Innenleben die Möven bedienen (die uns dann zum Dank ihre Ausscheidungen — zielgerichtet — überlassen). Anschließend bekommt dieser fanatische Süßspeisen-Hasser ein Eis zur Belohnung. Strahlen wird er dann wie die Nordsee-Sonne bei ihrem Untergang kurz vor 22.45 Uhr. Und das diesen Plastik-Geschmack abrundende Weißbier aus Bayern, das er dort nie und nimmer trinken würde, versetzt ihn eine Laune, die ihn gar aufs Schiff zu treiben vermag. So geht's dann also doch auf die Insel, auf irgendeine; die sehen ja doch alle gleich aus. Im Freibad von Norddeich, das den einzigen Sand weit und breit zu bieten hat, können wir doch nicht mit Kugeln herumschmeißen. Daß diese Kugeln etwas größer sind als die Kloote der Einheimischen, nehmen die Touristen-Kolleginnen und -Kollegen nicht weiter wahr, und die Einheimischen wundern sich nicht weiter über die Pappnasen, die da wieder mal was durcheinanderbringen. Mit dem vorletzten Dampfer (der letzte ist immer so abgefüllt mit Touristen!) geht's dann zurück aufs Festland, auf'm Fahrrad zum Knurrhahn, ein bißchen Weitertrainieren in Sachen Deckelrundung, dann, immer noch per Fahrrad, leuchtet das Nordlicht, winkt der Labskaus, flattert der Auerhahn, dreht sich der Deckel ...» Laubacher Feuilleton 18.1996, S. 5 >> kommentieren Spamming the backlinks is useless. They are embedded JavaScript and they are not indexed by Google. |
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