Duftmarken Der Geschichte Ungleiche Brüder erster, zweiter, dritter, vierter Teil. Er entließ sich aus dem Grübeln über diese Seltsamkeiten und ging zum direkt nebenan gelegenen Badezimmer, um sich frischzumachen. Wie bereits im unteren Geschoß kam ihm eine Duftmischung aus leichter Muffigkeit und synthetischem Geruchsaufheller entgegen, wie er sie auch aus anderen französischen Haushalten des Nordens kannte. Sogenannte Düfte erfreuten sich im Land der Frische außerordentlicher Beliebtheit, nicht nur im Norden. Einer ansonsten überaus wohlriechenden — Napoleon kam ihm dabei in den Gegen-«Sinn», der in einem Brief an Josephine schrieb, sie möge sich nicht waschen, er komme (in zwei Wochen) heim — und überhaupt appetitlichen jungen Frau, die im österreichischen Süden lebte und nicht allzuoft in den ihres französischen Zuhauses kam, hatte er bei seinen Besuchen von seinen regelmäßigen Reisen via Italien stets drei preiswerte Artikel mitzubringen: zum einen einen bestimmten nußartigen, aber auf ihn doch eher künstlich wirkenden Brotaufstrich, da der vom italienischen Hersteller in ihrem Heimatland weicher, geradezu dünnflüssig hergestellt wurde; der zweite war ein Raumgas, das den im Laboratorium produzierten Lavendel der Haute-Provence suggerierte; sowie der dritte, ein speziell für Frankreich kreiertes und etwas wie Maiglöckchen vermittelndes Geschirrspülmittel eines belgischen Produzenten. Daß sie an kein erwähnenswertes Baguette und andere Selbstverständlichkeiten französischen Lebens kam, daran hatte sie sich gewöhnt. Aber ohne diese synthetischen Geruchsnoten wollte sie nicht leben. Die Neugierde ließ ihn wieder hinausgehen auf den Flur des Obergeschosses. Ob es überall so roch, wollte er wissen. Er öffnete die direkt neben dem Bad gelegene Tür. Es handelte sich dabei offensichtlich um das eheliche Schlafzimmer, stand doch ein sehr breites Bett darin. Andererseits nichts auf eine männliche Anwesenheit schließen ließ, auch keine zwischenzeitliche, und mit Sicherheit nicht die seines Bruders. Dazu war das Zimmer zu angenehm schlicht, ein wenig zu feminin und zudem mit einigen buddhistisch oder auch indisch anmutenden Wandbehängen samt auf einem Stuhl abgelegter, in eine ähnliche Richtung weisende Literatur ausgestattet. Von alldem konnte er sich, nicht nur nach den Worten der mütterlicherseits hinzugeheirateten Stiefschwester, nicht so recht vorstellen, daß der Bruder es in unmittelbarer Umgebung zulassen oder gar goutieren würde. Und es roch, abgesehen von leichtem Parfumschimmer, auch zu neutral. Offenbar wurde es des öfteren gelüftet. Und dann erinnerte er sich, wie rasch er am Telephon war, als seine Frau ihn aus dem Schlaf gerufen hatte. Demnach dürfte er seine Ruhestätte im unteren Bereich des Hauses haben. Es lag auch nahe, denn immer wieder fuhr er auch Nachtschicht, wie er meinte, innerhalb der Gesprächsrunde der Taxifahrer vernommen zu haben. Vom Geschäft war die Rede, das am Freitag ab Mitternacht begänne, manchmal sogar Fahrten bis ins rund sechzig Kilometer entfernte Nancy einbrächte und das man sich selbstverständlich nicht entgehen lasse. Heute war Freitag. Nachdem er weitere Neugier unterdrückt und sich ein wenig aufgefrischt hatte, ging er hinunter. Sein Bruder saß vor dem Fernsehgerät, das er nicht ausschaltete und auch kaum aufblickte, als er in den Raum trat. Es war offensichtlich und wie früher, man hatte sich nicht sonderlich viel zu sagen. Auch das geschwisterliche Wiedersehen nach zwanzig Jahren ergab keinen Wissensdurst. Das schien eine der wenigen Gemeinsamkeiten zu sein, die sie hatten. So bedeutete er dem Bruder, sich ein wenig umschauen zu wollen und fragte, ob es recht sei. Das kurze Nicken des Kopfes, dessen Blick gebannt auf das Gerät gerichtet war, in dem gerade Piloten verschiedener automobilähnlicher Gefährte dabei waren, sich gegenseitig von der Strecke zu rammen, wertete er als Einverständnis. Bevor er sich abwand, schaute er noch einmal genauer hin und sah, daß der eher flaumige Bart die in der Jugend heftige und offenbar noch immer nicht ausgestandene Akne nicht verbergen konnte. So richtete er seinen Blick auf das Ambiente. Es war die obligatorische Einrichtung der meisten Franzosen, die beim Einzug in eine Wohnung oder ein Haus sich einmal eine solche zulegten und dann nie wieder das Bedürfnis nach Erneuerung spürten. Auch der röhrende Hirsch, hier in Form einer Phototapete, die ein Stück recht dunkel bewaldeter nördlicher Vogesen darstellen könnte, wäre da nicht das elsässisch wirkende Dörfchen im Hintergrund, dürfte seit dem Hausbezug die Wand zieren. Die Vergilbung, sicherlich hervorgerufen von den selten ausgehenden und seltsam riechenden Zigarillos, deren Art er meinte, vor langer Zeit in Deutschland gesehen und gerochen zu haben, würde sicherlich halten bis zum Ableben des Hausbesitzers. Für solche Neuerungen mochte man nicht ins Portemonnaie greifen. Das tat man um so mehr für das Essen. Im Land gab man gut zwanzig Prozent seines Einkommens dafür aus. Allerdings zweifelte er an, ob das in diesem Haus ebenso der Fall war. Der heutige Einkauf der Schwägerin schien ihm eher eine Ausnahme zu sein. Um nach ihm zu sehen, ging er dem Geklapper der Töpfe nach, hinüber in die Küche. Die allerdings machte auf ihn den Eindruck, wie ihre Haupt- oder einzige Akteurin jüngerer Generation zu sein. Überrascht war er, sich inmitten einer in letzter Zeit Mode gewordenen sogenannten Cuisine américaine zu befinden, gemäßigt zwar, aber ausreichend für zwei Menschen, die wohl nicht allzu häufig Besuch bekamen, und mit Sicherheit nicht so alt wie der Hausherr. Die Köchin bewegte sich anmutig und lächelnd inmitten von Gerüchen aus fernöstlichen Kräutern und Gewürzen, die ein hohes Maß an Sinnlichkeit verströmten. Ja, das hier sei ihre kleine europäische Kochkiste, ihr petit sanctuaire. Etwas größer hätte sie es sich gewünscht mit etwas mehr fröhlicher Helligkeit und auch ausgestattet mit «offenem Feuer», womit sie das in Frankreich zum Kochen lieber benutzte Gas gemeint haben könnte, aber sie habe dem Gatten glücklicherweise zusätzliches Gerät abtrotzen können, sonst würde das nicht so recht mit dem indochineschen Mahl für den Ehrengast. Da fielen ihm die Photographien wieder ein, und da er nicht annahm, sein Bruder hätte sie für ihn bereitgelegt, fragte er sie danach. Bevor sie sich zur Seite drehen konnte, sah er, wie ihr das Blut ins Gesicht schoß. Offensichtlich stammte diese Art Heiligenbildchen tatsächlich von ihr, und sie hatte sie wegzuräumen vergessen. Oder aber, wohl wissend, daß ihr Mann nie einen Fuß in diesen Haushaltsraum setzte, bewußt für ihn und wie zufällig aufs Bügelbrett drapiert? Langsam drehte sie sich ihm zu und bedeutete ihm mit einem zwar ernsten Gesicht, in dessen Augen er allerdings ein Flunkern zu erkennen glaubte, ihm das erklären zu wollen, aber bitte erst später, wenn der Bruder aus dem Haus sei. Sie habe ihn einfach nicht davon überzeugen können, die Nachtschicht für den doch wahrlich seltenen Besuch ausfallen lassen zu müssen. Von jahreszeitlich bedingten Imponderabilien zum Stillsitzen verurteilt, wollte das kleine Präsent noch raus. Eine Fortsetzung dürfte allerdings aus der Kälte des nahenden nächsten Jahrzehnts kommen.
Ich danke Ihnen herzlich und werde bis dahin meinerseits in eine Kältestarre fallen. >> kommentieren Spamming the backlinks is useless. They are embedded JavaScript and they are not indexed by Google. |
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