Nobler Verkehr

Aussterbende Gesellschaften

(Großbild) Rot- und schwarzbetucht stehen der alte Adel, das neue Geld und die grüne Front um das Holzfeuer. Vor dem Filet Château Latour mit Trüffeln am Abend löffelt man zur ersten Stärkung Erbsensuppe mit Speck, und die Marketenderin geht mit ihrer Bouteille feinen Danziger Goldwassers reihum, um die Gläschen nachzuladen. Die Foxhounds und Beagles haben noch den Schweiß vom Run auf der Fährte im Fell. Die Zuschauer in den neuesten Modellen der Leder- und Pelz-Haute-Couture sind darauf bedacht, ihre mit dem Portemonnaie erjagten Teile während der einbrechenden Dämmerung im gerade noch rechten Licht auszustellen. Die Schleppjagd hat abgesattelt, die Pferde, über deren Einkaufspreis und noch weniger über deren Handelswert man grundsätzlich nicht spricht, sind abgerieben, kolikvermeidende Decken sind ihnen auferlegt. Man hört kein Knallen der Hetzpeitschen mehr, das Jagdhorn, das cornet anglais (während des Ritts korrekt zwischen dem zweiten und dem dritten Knopf des roten Rocks getragen) ist abgelegt: zum Halali war schon geblasen.

Bei der noch hechelnden Meute steht ein Reiter, an der Hand die Zügel eines Pferdes, das an Lawrence von Arabien erinnert: es hat zwei Kanister hinter dem Sattel, in denen die Wasserversorgung für eine Wüstenexpedition untergebracht sein könnte. Enthalten ist allerdings Heringslake, es darf gegebenenfalls auch Anis sein; die klassische Mischung für die «Schleppflüssigkeit» heißt jedoch Fuchslosung, zu deren Gewinnung sich viele Meutenhalter zahme Füchse in Käfigen halten. Schleppflüssigkeit benötigt man für die Schleppjagd, und diese alles andere als schleppende Jagd ist das, was früher einmal die Fuchsjagd war: der Traum des berittenen Jägers vom scharfen Rennen hinter dem Fuchs. Alles, was man zur Fuchshatz braucht, ist vorhanden: Pferde, Hunde, die herrschaftlichen Parks und Weiden, der Arzt für das Pferd und der für den Reiter, der Roßschlächter für alle Fälle und das Halali. Was fehlt, sind lediglich die Füchse.

Die Fuchsjagd mit der Meute ist in Deutschland seit den zwanziger Jahren verboten. Der schlimme Anblick des von der Meute zerrissenen Wildes war dem tierliebenden Deutschen unerträglich geworden. Die einzigen, die in Europa heute noch wirkliche Füchse jagen, sind Engländer und Iren. Die imitierte Fuchsjagd ist bei den Niederdeutschen beliebter als bei den Oberdeutschen. In Bayern steht nur eine einzige Beagle-Meute, zwei gibt es in Baden-Württemberg, vier in Hessen und die anderen sieben in der englischen Besatzungszone der norddeutschen Tiefebene, in der die meisten Beagles und Foxhounds den Füchsen und Hasen gute Nacht sagen. Vierzehn Meuten gibt es in der Bundesrepublik. Das sind mehr als ein Drittel aller vierzig in der Welt auf der Schleppe jagenden Meuten, die hierzulande alljährlich etwa fünfzehntausend Reiter im Schlepp haben.

Bevor das Halali bei Gesprächen über die Infiltration des Gotha durch Seiteneinsteiger und den letzten Versuch, den Steuerberater von Jochen Steffen zu bekommen, zuende geht, hat die ganze Meute (jeder Hund gehört einem eingetragenen Verein an) ihren gebrühten Pansen bekommen, ist die Hasenjagd längst im Gange, und nun müssen nur noch die Ordnungshüter den noblen Verkehr regeln.

Nachtrag 21.12.: Eric Prieditis ist zur, der Jagd aufgesessen und hat die oben verkleinerte Fähe zur, auf die (hiesige) Strecke gebracht.


Flohmarkt: Savoir-vivre, 1977

 
Di, 14.12.2010 |  link | (2324) | 12 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele


prieditis   (14.12.10, 19:19)   (link)  
Herrlich!
Im Sommer habe ich mich eines ähnlichen Themas angenommen.
Exkurs: Aufsitzdrückjagd
Jetzt habe ich so richtig Lust, das weiter zu verfolgen. Vielen Dank!

Das Danziger Goldwasser ist übrigens sehr zu empfehlen! Und der Gotha sicher das "Wikileak"*, für das man Geld zahlt, wenn man drin stehen möchte.

* Anmerkung: Heute im Park brüllten sich Kinder an: "Ey, Du sollst nicht leaken!"


jean stubenzweig   (15.12.10, 08:30)   (link)  
Lange war ich auf der Jagd
nach einer passenden Illustration (ich wollte nicht schon wieder einen Alten Meister bemühen müssen), einmal mehr endete sie in dieser Trostlosigkeit. Ich hatte bereits an Sie gedacht, und nun ermutigen Sie mich, Sie zu fragen: Wollen Sie das feinböse im nachhinein übernehmen, quasi als Leihgabe? Es würde mich freuen. – Im übrigen bin ich beim Wühlen nach anderem (abweichende Erfahrungen mit der besseren Gesellschaft um die Pferde) im Fundus auf noch ein paar Flohmarktstücke aus Spiel und Krempel gestoßen, die ich ebenfalls gerne nachreichen möchte.

Danziger Goldwasser gehört zu den unangenehmen Erfahrungen meiner Kindheit mit Drogen. Mein Vater hatte das von einer Reise mal mit angeschleppt und in den häuslichen Giftschrank gestellt, selbstverständlich habe ich davon genippt, schließlich war es verboten. Das Ergebnis war zwar nicht ganz so verheerend wie beim übermäßigen Genuß des süßen Klötenköms, von dem ich gemeinsam mit einem ebenso kleinaltrigen Freund fast eine ganze Flasche geleert (und mit Wasser wieder aufgefüllt) hatte, als alle Aufsichtspersonen im Musiktheater auf anderes lauschten als uns und wir beide das gesellschaftliche Ereignis in einer üppigen Inszenierung nachspielten. Aber dennoch habe ich dieses Glitzerwässerchen nie wieder angerührt, wie auch Gin, der mich später mal auf einem Wagen voller Heu landen ließ, den jugendliche Freunde auch noch auf ein Scheunen- oder Hausdach gehievt hatten. – Die Kreativität von Kind und Jugend scheint unerschöpflich.


Aufsitzdrückjagd: Die Kommentare der Kommentatoren unter der Weiterverlinkung kommentiere ich allerdings besser nicht.


mifasola   (16.12.10, 09:41)   (link)  
Dachten Sie...
... eventuell an so eine Illustration?


jean stubenzweig   (16.12.10, 17:39)   (link)  
Entzückt bin ich,
sowohl von Ihrem Besuch als auch von der Tatsache, daß Sie mir Bildhaftigkeit ins Leben bringen wollen (rückt dabei die Hundefreundin näher?). Ich danke Ihnen.

Aber das ist's nicht unbedingt, woran ich dachte. Davon ist das Netz voll, wenn auch in den wenigsten Fällen rechtefrei, wie wohl auch im vorliegenden Fall; zum umständlichen Bitten um Genehmigung bin ich dann doch zu bequem. Für die Reproduktion freigegeben sind durchweg Langweiligkeiten, und das häufig in Massen, zig bis hunderte oder auch noch jedes geknipste Bildchen von Jagden haben Vereinsphotographen offensichtlich voller Stolz der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt. Die Digitalknipserei ist eine Volksseuche.

Mein Hintergedanke war ohnehin nicht so sehr das Tier und/oder dessen Schutz, sondern der Schutz der Gesellschaft vor solchen Gesellschaften. Gerne hätte ich mit einer dieser Après-chasse-Veranstaltungen illustriert, so Damen und Herren in feinen Gewändern beim feinfingrigen Einlitern der güldenen Schleppflüssigkeiten – oder so ähnlich. Einmal mehr mußte ich feststellen: Es gibt wenige freigegebene wirklich gute Photographien, womit ich nicht die handwerkliche Perfektion meine, auf die offenbar mehr Wert gelegt wird beim massenhaften Ablichten von Hund und Pferd als auf die obenaufsitzenden oder nebendran stehenden menschlichen Ursachen. Einen recht guten Einblick in mein hintergedankiges Gut bietet allerdings die oben unter Fuchsjagd verlinkte Seite: Da kommt etwas, nicht nur beim «Huntsman Jaime Green», von dieser (unfreiwilligen) Komik durch, die ich meine und die ich während dieser heiteren Treiben sowohl in England als auch in Frankreich eigentlich nur erlebt habe; wobei im letztgenannten persönlichen pays d'origine von Monsieur le Seigneur der Jagerei nach wie vor so hoher Stellenwert eingeräumt wird, daß man sogar nach wie vor heimlich Viehzeugs, früher aus der Tschechoslowakei, heute aus dem allerhintersten Ural, herankarren läßt, um es zu erlegen. Immer habe ich dabei in mich hineingrinsen müssen wie bei den Feierlichkeiten der Fête Nationale; das äußerlich zu zeigen, das kann nämlich mit einem Platzverweis enden.

Und wer ist schuld an alldem? Sozusagen natürlicherweise die Frau. Meine Verführerin war eine Diana, auch noch eine hoch zu Pferd. Mit so einer Göttlichen war ich mal liiert. Und ich bin ihr, nicht etwa wie ein Jagd-, sondern gleich einem Schoßhündchen auf nahezu alle diese gesellschaftlichen Ereignisse gefolgt, die sie erreichen konnte, sogar bis hin zu Reitturnieren. Das läßt tief einblicken.


mifasola   (16.12.10, 18:20)   (link)  
Mit Erschrecken
stelle ich fest, dass es fürs mehr oder minder gepflegte Après-chasse sogar eigene Bekleidungsspezialisten gibt - ist ja schlimmer als das berüchtigte Après-ski. Beides habe ich mir bislang verkn nicht gegönnt. Besser so: Innerliches Grinsen ist nicht gerade eine meiner Kernkompetenzen, da wäre mir wohl ein Platzverweis sicher.
Ich bin übrigens auch entzückt - ob Ihres Entzückens. Hach.


jean stubenzweig   (16.12.10, 20:26)   (link)  
Après-chasse
ist, so mein Eindruck zu dieser Zeit, lange ein möglicherweise größerer Umsatzfaktor gewesen als in der Phase, in der nach den Olympischen Spielen alle nach München einwandernden wirtschaftsflüchtigen Arnsberger, Bielefelder und Düsseldorfer sowie Sindelfinger et cetera als allererste Integrationshandlung von der göttlichen Eingebung eine Tracht Stoffe bezogen – und nicht nur für die Wiesn.

Bei meiner Diana lagen immer stapelweise Magazine herum, in denen schier unglaubliche Strecken an Lockereien dieser Bekleidungsspezialisten ausgelegt waren. Wie sich das heute verhält, das kann ich nicht beurteilen. Aber ich weiß, daß das Material ungemein beständig war. Mir wurde seinerzeit eine etwa dreißig Jahre alte Jacke (das ist der wahre Konservativismus: das Immerwährende bewahren, bloß keine Veränderungen) vererbt, die auch zwei Jahrzehnte später noch keinerlei Qualitätsverlust zeigen wollte; allenfalls die nachfolgenden Erben, die solche edlen Stücke zum Skateboardfahren tragen, schaffen dann Umgestaltungen in Form von Löchern, für die anderswo hohe Aufschläge gezahlt werden. Alles hat seinen Preis.

Ja, ein Platzverweis käme mir heute auch näher. Aber zu dieser Zeit war die Liebe übermächtig – sie soll ja auch blind machen.


prieditis   (15.12.10, 18:51)   (link)  
Nur ganz kurz,
der knappen Zeit geschuldet.

Ok, ich versuche es.
Obwohl die "Goldwasser"-Anekdote mich ebenfalls sehr inspiriert hat. Sie weckte sogleich Erinnerungen an ein anderes "Gold"-Tonikum aus Flensburg. Nur für die Frau! Weil man damit nämlich "über den Dingen stehen" konnte. Jetzt bin ich hin und her... ach was, da steh ich gleich einfach drüber...


jean stubenzweig   (15.12.10, 23:01)   (link)  
Prieditis im Goldwasserwaschrausch.
Danziger Feingoldplättchen in Ihren Synapsenlaboratorium: auch hübsch, der Gedanke daran, der ans Wasserwaschen ...

Keine Hektik meinetwegen. Ich sitze ohnehin voller Unlust im Schaukelstuhl des definitiven Rentens. Machen Sie's, wie es Ihnen genehm ist. Das muß ja nicht immer gelten: Wat mut ... Hat ausgemut.

Morgen oder übermorgen gibt's Liedermacher. Sie wissen schon – die von damals, einige von ihnen sollen ja noch leben; ob sie lebendig sind, entzieht sich meiner Kenntnis. Ein paar Tote sind allerdings mit Sicherheit dabei; das geht bei mir ja gar nicht anders.


prieditis   (20.12.10, 15:06)   (link)  
Liedermacher und Schleppjagd
Da haben Sie was angerichtet, bei mir...
Schauen Sie doch bitte mal, ob Sie sich das so in etwa vorgestellt... Füchslein rot


prieditis   (21.12.10, 05:16)   (link)  
Wenn Sie,
werter Herr Stubenzweig, möchten, dürfen Sie das Bild gerne in Ihren Beitrag einbinden.


terra40   (16.12.10, 18:23)   (link)  
Noblesse etcetera
Zwei kleine Bemerkungen (wenn 's denn erlaubt ist):
-1- Ein cornet anglais ist ein kleiner cor anglais? Oder?
-2- Ich dachte daß die englische Besatzungszone längst der Vergangenheit angehörte. Nun ja, ich bin auch kein Jäger und noble schon gar nicht.
Gruß, T.


jean stubenzweig   (17.12.10, 08:20)   (link)  
Cor – das Horn
oder auch das Hühnerauge. Cornet – das Kornett oder auch eine spitze Tüte und einiges andere mehr, je nach wörtlicher Zutat. Hier also eine englische Art spitze Tüte, von der beispielsweise dieser anderspigmentierte Huntsman Jaime Green nicht etwa eine raucht, sondern in die er «signals to the hounds» tut(et). Das cornet anglais hat, wie ich soeben in einer Tageszeitung gelesen habe, auch im Symphonieorchester eine Stimme. Sein Werdegang ist im übrigen hier beschrieben.

Ja, das Kleingedruckte erweist mittlerweile selbst der Vergangenheit keinerlei Respekt mehr. Wenn Sie genau hinschauen ganz unten links, da heißt es unter anderem: 1977. Richtig: ziemlich lange her, da gab es die RAF, die Royal Air Force, und eben auch noch ein paar andere Besatzungszonen, eben nicht nur die britische, die zwischenzeitlich gar noch aufgesplittet worden war in eine belgische, kanadische und polnische. Und noch in den Neunzigern konnte man zum Beispiel im pfälzischen Speyer im Casino von Les forces françaises nicht unbedingt noble, aber ungemein preiswert und ausgezeichnet essen, quasi als Folge der revolutionären Ärmerenspeisung.















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