Dem Hasen den Beuys erklären Gestern erst bin ich einmal mehr darübergefallen: bei Christian Holst, einem der vielen Experten, die uns allüberall ihr Wissen vermitteln. Laut Kulturmarketingblog hat er «ein Studium der Angewandten Kulturwissenschaften an der Uni Lüneburg absolviert und war danach einige Jahre als Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit am Oldenburgischen Staatstheater tätig. Heute arbeitet er als Projektmanager und -berater für NPOs und Kulturinstitutionen und als Autor und Referent u. a. für die Corveyer Musikwochen. In seinem Blog Kulturblogger schreibt er über Kultur und Gesellschaft, besonders gerne über ‹Hochkultur und was diese im Web 2.0 auf die Beine stellt›.» Also: Joseph Beuys habe gesagt, schreibt er (wie alle anderen auch), jeder Mensch sei ein Künstler. Nun gut, gesagt hat der große Kunsterneuerer das zwar, aber sein Satz war damit noch nicht zuende. Das habe ich auch schon des öfteren kundgetan, das erste Mal, als ich ihm direkt nach seinem Tod öffentlich-rechtlich nachrief und dann auch mehrfach anderswo, aber zur Kenntnis nehmen mag es niemand. Lieber hört man auf den Experten, der beim anderen Experten abgeschrieben hat, und nicht nur die Feuilletonerie wird diesen (und andere) Blindgänger weiterhin verfeuern, die eben nicht nur nach einem Töchterlein der hippen Theaterszenerie benannt werden müssen — Walter Vitt hat die früheren, weniger spektakulären Zitierunfälle in seinem Buch Palermo starb auf Kurumba* teilweise zusammengefaßt — man hat schließlich einen zusehends schlechter werdenden Ruf zu verteidigen. Nun schüfe das zwar Arbeitsplätze, deutschsprachigerseits vergleichbar wie zur Spracherneuerung, in dessen seltsamem Verlauf, der in den Achtzigern seinen Anfang nahm, es zu unzähligen Neuauflagen kam, da nicht nur diese ganzen Postkarten, ach was, unendlich viele Bücher und Kataloge und Kunstmagazine, am Ende gar sämtliche Wochen- und gar Tageszeitungen (?) neu gedruckt werden müßten. Andererseits stürzte es eine komplette Kulturindustrie, ja die Geschichte und die daranhängende Menschheit weltweit nicht nur in die nächste, hier (Glaubens-)Krise, schließlich benötigt man Abstand zu Alt-Religionen, nicht nur zu den vom Vatikan regierten, und von Krisen hat die Welt nunmal genug. Dessen ungeachtet, nur für uns Esoteriker bestimmt hier also nochmals, im (Selbst-)Zitat: Was er so eben nie gesagt hat, wie Aubertin innerhalb der Diskussion «Finger weg von Bildern aus Datenbanken» in der Blogbar einem verrückten Wissenschaftler namens Madscientist endlich mal ins Gesangbuch schrieb: «Beuys sagte in einer kritisch-ironischen Anmerkung zu einem seiner Studenten in der Düsseldorfer Kunstakademie: Jeder sei ein Künstler, nur ER sei keiner. Ein halber Satz also, aber damit eine ganz andere ‹Wahrheit›. Doch genommen wird sie gerne, vor allem von denen, die’s gerne etwas bequemer haben.»** Dem sogenannten Beuys-Zitat widersprechen nicht einmal die gedruckten Organe der deutschsprachigen Druck-Intelligenija. Bei der Gelegenheit: Das, was beim nicht ganz so bibelfesten Religionsexperten Holst nicht ohne Verwunderung zitiert wird, ist ebenfalls bereits fast patinabehaftet. Bereits vor gut zwanzig Jahren hat Vollrad Kutscher älteste Dichtung zu deutschen Helden in Form einer Sportreportage vortragen lassen. Allerdings traten dabei nicht Millionentreter gegen einen badischen (Hofschranzen-)Ball und schrie auch nicht dieses altfränkische und trotz längst oder auch endlich erfolgter Verrentung seine Klappe nicht halten könnende Reporter-Idol herum, sondern es geschah 1987 sozusagen auf altkultureller Basis in einem Super-8-Film zur Eröffnung der am Main gelegenen, vom ollen Hilmar Hoffmann mitinitiierten Kunsthalle Schirn in Frankfurt, daß «zwei mit Messer und Gabel bewaffnete Hände auf einem Teller um eine Kugel streiten und vergeblich versuchen, sie zu zerteilen. Dazu ertönt das um 800 entstandene Hildebrandslied in der altdeutschen Fassung, vorgetragen im Stil einer aktuellen Fußballreportage.» Die allerdings klang so dramatisch schön, wie es nur Freunde der italienischen Oper auf die Bühne zu bringen in der Lage sind. Soviel zur Hochkultur. Nachzulesen und zu -schauen bei Vollrad Kutscher unter «Raumeingriffe»: Brot und Spiele. Seinen Film hat Vollrad Kutscher übrigens anläßlich einer Ausstellung 1991 in ein Video umgestaltet: «Unter den Glasplatten von vier identischen Stahltischen installiert er jeweils vier Monitore, auf denen 16mal das Video ‹Brot und Spiele — Das Hildebrandlied› zu sehen und zu hören ist. Die Tische — in Lüneburg als Anspielung auf das dort im Museum befindliche älteste deutsche Tischmöbel realisiert [...].» Genau, vorgeführt wurde das dort, wo der Angewandte Kulturwissenschaftler Christian Holst studiert hat, wo dieser Kunst und Kalkulation verquickende Studiengang wohl erstmals in die Gänge kam: in Lüneburg. Nun gut, zu dieser Zeit dürfte er noch nach schulischen Noten gespielt und sich noch keine Gedanken darüber gemacht haben, daß schließlich Duchamps Flaschentrockner in den Achtzigern quasi als Multiple-Rad auch neu erfunden wurde, weil sich das nunmal besser verkaufen läßt, was neu ist. Sicher, Kutte Tucholsky hat mal wieder recht. Aber ein hochkulturelles Wissen durchs Netz bloggender «Wissenschaftler» sollte solche Kleinigkeiten dann vielleicht doch kennen, wenigstens die, wie man dem Hasen Beuys erklärt. Andererseits, wer ein «digitales Feuilleton» betreibt und darin nicht unterscheidet zwischen Zitat und Selbstverfaßtem, dem muß ich nicht mehr zutrauen, als das Studium der Allgemeinen Kulturwissenschaften an dieser schnuckeligen Universität offensichtlich hergibt. Die Erststudenten habe ich jedenfalls etwas wissender in Erinnerung; wenn es auch sein mag, daß ich zufällig an sie geraten bin, denn möglicherweise hatte das Verständnis von Bildung und Marktkultur dort seinen Anfang genommen. Doch, um hier keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Ich kenne Christian Holst nicht und hatte noch nie mit ihm sowie seiner Arbeit zu tun. Ich meine im Prinzip also nicht ihn persönlich, sondern einen beklagenswerten Zustand, in den er wohl geraten ist. * Walter Vitt. Palermo starb auf Kurumba. Wider die Schlampigkeiten in Kunstpublikationen Köln/Nördlingen 2003; aica, Schriften zur Kunstkritik, Band 13 Der Verfasser beklagt die vielen biografischen und sachlichen Fehler, die in Künstler-Lexiken und Katalogen zu finden sind und durch unkritisches Abschreiben dann in der Häufigkeit ihres Aufscheinens zu «Wahrheiten» mutieren. Vitt vertraut der Verlässlichkeit lexikographischer Arbeit im Kunstbereich nicht mehr.
Ein Bild ist ein Bild ist ein Bild «Gertrude Stein ließ, wie es ihre Art war, Gertrude Stein als Gertrude Stein sprechen, eine Legierung also aus Kunstfigur und dritter Person Singular. Mehr als einmal sprach sie über den von ihr geschätzten Maler Juan Gris, die gleiche Auffassung von unbedingter Genauigkeit, ‹doch hatte dieses Verlangen in ihm eine mystische Basis. Er bedurfte der Genauigkeit als Mystiker›. Gleich darauf trifft Gertrude Stein als Gertrude Stein eine stichhaltige Unterscheidung: ‹Bei Gertrude Stein war dies Bedürfnis intellektuell, ein reine Leidenschaft für Genauigkeit.› Beider Werke würden allerdings mit denen von Mathematikern und, von einem französischen Kritiker, mit Johann Sebastian Bach verglichen.»Und vor den Sätzen von Hans Platschek stehen solche wie die von Juan Gris: «Ein mir befreundeter Maler schrieb einmal: Man macht einen Nagel nicht mit der Hilfe eines Nagels, sondern mit Hilfe von Eisen.Womit ich mir jedes weitere Wort zum im kleinen Kreis gestern wieder erneut erörterte Thema Kunst kommt von Können mal wieder ersparen kann. Die beiden da oben deuten einmal mehr an, daß Kunst vielleicht doch eher von Kunst kommt, daß das sich seit Mitte des 18. Jahrhunderts wandelnde Verständnis so langsam mal in der Gegenwart ankommen sollte. Doch selbst zu Zeiten des bis heute in den meisten Köpfen pilzartig wuchernden Kunsthandwerks vergangener Jahrhunderte, aus denen viele der heutzutage oftmals verehrten Bilder und Skulpturen hervorgegangen sind, entstand längst nicht alles nach dem reinen Prinzip der Kunstfertigkeit, also in der Logik des Nagels aus dem Eisen. Häufig genug hatte sich auch damals bereits erst das Sujet bei klaren Gedanken («sind frei») herausgebildet, aus dem dann beispielsweise eine malerische Botschaft resultierte, etwa bei den Stilleben des spanischen 17. Jahrhunderts, in denen die Auflösung des Rechts codiert Niederschlag auf der Leinwand fand. Aber das habe ich ja alles schon einmal mehr oder minder ausführlich erzählt; auch hier bin ich mal auf τέχνη (téchne) eingegangen. La même chose, Monsieur, s'il vous plaît, fällt mir dabei ein, nicht nur beim Bestellen des nächsten Pastis . Oder vielleicht hat es seine Ursache darin: «Plus ça change, plus c'est la même chose.» (ungefähr: Je mehr sich verändert, um so mehr bleibt es das Gleiche.) Ach ja, und bei der Gelegenheit mußte ich eben auch heftig an ihn denken, an den Guten, der zwar bereits vor nunmehr gut zehn Jahren seine letzte Zigarette nächtens in die Whiskydüfte geraucht hat. Einige haben glücklicherweise eine ihn ehrende Stiftung gegründet (eine für den Swingboy Sonderborg ließe sich auch ganz gut an, aber da gibt es wohl Erbmassenprobleme), so eine vielleicht typisch hanseatische posthume Gehhilfe, doch über das Denkmalerische hinaus fehlt er, fehlen sie alle im einzelnen oder besser noch gemeinsam in bissig witzelnder Runde dennoch nach wie vor persönlich, heute hier eben im besonderen dieser zwar fein florettiernde, aber durchaus auch schon mal draufdreschende Kritikaster. Ließe sich so einer nicht mal wieder zurückholen? Die Welt der Kunst ist so trist geworden. Zitiert aus: Juan Gris. Über die Möglichkeiten der Malerei. Rede an der Sorbonne am 1. Mai 1924. Mit einem Essay von Hans Platschek. Europäische Verlagsanstalt, Reden, Band 25, herausgegeben von Sabine Groenewold, Hamburg 1997; Nachdruck aus: Der Querschnitt. Das Magazin der aktuellen Ewigkeitswerte, übersetzt von B. Schiratzki; Januar 1925.
Münsterlyche Lyrik Schweden hat den Elch. Seit langem wird er nicht nur von den ganz Jungen besungen, sogar der jüngere Teil der Älterngeneration schleppt besonders gerne Töchterleins ins Reich der vier Buchstaben. Das Münsterland hingegen hat den Hirsch. Und er ist trotz seines Alters nicht totzukriegen. Seit 1959 wird er beklungen; Reim hin, Reim her. Einer der Sänger ging vor ein paar Jahren in Rente, und wie das so ist im Pensionärsdasein: Man hat zuviel Zeit, und da man schließlich den ganzen Jungdynamischen ohne Zeit, die zeitlos zu nennen deren Status sicherlich nicht so recht treffen würde, nicht ständig den eiligen Weg zur Kassiererin des Supermarktes oder in der dreißiger-Zone von A nach B versperren möchte, bleibt man zuhause und spielt ein bißchen Web 2.0. Derjenige, den ich konkret meine, hat offensichtlich die Hektik als ehemaliger WDR-führender öffentlich-rechtlicher Nachrichtenübermittler drangegeben, er hat sich, wie ich auch, der Erinnerung hingegeben und sich Zwo Null bemächtigt. Walter Vitt heißt er, und ich habe ihn in den Neunzigern kennengelernt als einen, der wie kein anderer auf Sitzungen Kunstkritikern, denen das Engagemeng theoretisch emphatisch aufflatterte oder damit auch entglitt, in die Welt der Tagesordnungen, nenne ich sie mal Wirklichkeit, zurückholen konnte. Im nachhinein frage ich Langsamdenker mich allerdings, ob er mit uns nicht doch ein wenig DADA praktiziert hat, als dessen Kenner er via Johannes Theodor Baargeld wirkt. Nun hat er nach beinahe zwanzig Jahren einen Nachfolger als Präsident. Aber ob der so dada sein kann, warten wir's ab; ich würde es aus Altersgründen nennen: lassen wir's sein. Zumindest ist er noch zu kurz im Amt, das aber ohne jeden Zweifel sein muß; ich würde an so etwas verzweifeln, alleine an der Tatsache, daß es die sogenannte Meinungsvielfalt gibt, der als Dirigent Rechnung getragen werden muß. Walter Vitt hat sich also erinnert an seine Zeit, als es noch Studentenzeitungen titels Semesterspiegel gab, die vermutlich das spiegelten, was mit Bachelor in sechs Semestern eher weniger zu tun hatte, sondern allenfalls geistige Verbindungen zu meinen zwei frühen jungmännischen, von Unentschlossenheit geprägten herstellt, die mit dem Assi im Keller endeten, beim Tischtennis. Nein, Mißbrauch mit Abhängigen war das nicht, eher als ein anderes Verhältnis der Studienbedingungen ist das zu deuten. Da kam es durchaus zu heftigen Schmetterbällen, wie ich sie erst sehr viel später wiedererleben sollte, als mich im Wodkarausch ein geübterer Artist in den Himmel des Kokses schoß, um anschließend alle Sätze Einundzwanzig zu Null abzuschließen. Nun ja, das ist auch eine Ausübung von Macht. Schön war's trotzdem. In Münster also geschah das, Ende der der fünfziger, Anfang er sechziger Jahre dieses kaum vergangenen Jahrtausends, der Stadt, in der ich verwundert stand angesichts der wunderbaren und großartigen alten Architektur; von der man mir später mitteilte, daß sie komplett nachgebaut worden war, also ein ziemlich dreistes Stück romantizistischer Geschichtsklitterung darstellte — wie es gerade wieder in Berlin vollzogen wird. Aber eines hatte ich rasch begriffen im Münster der Achtziger: Das ist durch und durch studentisch. Manch feinen Anblick hatte ich damals, womit ich nicht unbedingt alleine die Kunst meine, derentwegen ich angereist war. Dort also entstand das, von dem ich eigentlich erzählen wollte, von dem mich aber mal wieder mein völlig asoziales Ich-Leben abgelenkt hat, von der Hirsch-Lyrik. Es ist eben so: Ein Hirsch, ein alter, kaum noch was hört, obwohl der Junghirsch heftigst röhrt. ![]() Ach ja, einfach selber schauen und lesen: Forstlyrik. Mich jedenfalls überkömmt das gut, vielleicht, weil es so unerforscht ist. Danke, lieber Walter Vitt, für den Sprachraum, den Sie mir außerhalb der Tagesordung eingeräumt haben. Obendrein haben Sie mir eine schöne Erinnerung gegeben an diese zauberhafte Hispanistik-Studentin, die mich nach dem fünfzehnten Bier plus Körner davon überzeugen sollte, daß der irische Limmerick ursächlich maurisch-münsteranisch und zweizeilig sei, was sie mit ihrer Dissertation belegen würde; mithilfe der wurde sie oberste Pressefrau an einem führenden Museum zeitgenössischer bildender Kunst der BRD.
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