Freizeit, Identität und Fremdenverkehr. Ein Leidartikel als erweiterte Antwort auf Nniers Kommentar. Das Thema tourte ohnehin picabiagleich durch meinen Kopf. Möglicherweise hat die Vielfalt dann doch nicht den Reiz, den das Fernsehen vermittelt. Die im Hintergrund heimlich regieführende Tourismusindustrie suggeriert Abwechslung, wobei einzig die Landschaften sich verändern. Aber die Form des Reisens und Verweilens bleibt immer gleich, immer planbar. Ist man angekommen, möchte man's dann auch tatsächlich mindestens so angenehm haben wie zuhause, gerne darf's etwas mehr sein, schließlich ist's die schönste Zeit des Jahres. Und großartig herumsuchen möchte man auch nicht. Das hat man ja bereits zuvor im Internet getan, als man die garantiert billigste Pauschalreise mühsam ausfindig machte. Überraschungen müssen dann nicht auch noch sein. Deshalb wird wohl auch die äußere Gleichform bevorzugt. Mir ging das so zu Zeiten meiner beruflich bedingten Vielreiserei. Da empfand ich es als höchst angenehm zu wissen, beim Betreten des Hotelzimmers nicht lange nach dem Lichtschalter suchen zu müssen, er befand sich immer rechts oder links, immer auf gleicher Höhe. Eigentlich hätte ich ihn eigentlich gar nicht benötigt, denn weltweit fand man sich in den Zimmern dieser Hotelkette auch mit geschlossenen Augen zurecht. Als ich mir nach kurzer Zeit gegen Entrichtung einer ordentlichen Jahresgebühr eine Art Sesam-öffne-dich gemietet hatte, war meine extreme Abneigung gegenüber dem Ausfüllenmüssen von Formularen auch noch hinfällig geworden. Fortan erledigte die vorgelegte Mitgliedskarte alles. Ich war Teil des Systems. Das ist wirklicher, der neue Komfort — das immergleiche Flugzeug, die Flugbegleiter sind sofort erkennbar, die Landebahn befindet sich in garantiert reizvoller Landschaft irgendwo weit draußen vor den Toren der swimmingbepoolten Hotelanlage fünfhundert Meter entfernt vom Atlantik oder Pazifik oder Mittelmeer, so daß man Gelegenheit erhält, ein wenig vom exotischen Treiben der Einheimischen zu erblicken, dann muß man später nicht auch noch spritverbrauchend und klimakillend, also so umweltschädlich, wie die im TieVie immer sagen, hinfahren, um sich das Elend anzuschauen, der Frühstücksraum befindet sich am immergleichen Ort, der Kaffee wird gekocht wie daheim in der Bürokantine, auch die Brötchen sind gewohnt labbrig wie die zuhause aus der dem Discounter vorgeschalteten Fabrik, die Zimmer sind so gleichförmig wie das Leben eben, da möchte man nicht auch noch lästige Überraschungen haben. Möge die ganze Welt bald gleich aussehen, da ist man gegen Unbilden gefeit. Einheit ist alles. Europäisch richtig los mit der Vereinheitlichung ging das nach meiner Erinnerung seinerzeit mit riesigen Tankstellenanwesen auf der grünen Wiese, kurz nachdem die Spechte die Mauer niedergepickt hatten, es alles grenzenlos wurde, die joint ventures und wie sie sonst noch alle heißen, diese Konstruktionspläne des weltweit ständig zu steigernden jeweiligen Bruttosozialprodukts, erfunden von den ausschwärmenden Wanderheuschrecken der neueren Neuzeit, als die westlichen Schmieröle in den Osten zu fließen begonnen hatten. Bereits kurze Zeit nach Erblicken solcher Gebilde im Norden Brandenburgs oder im Süden Thüringens stand ich vor einem in Dänemark, das nächste sah ich in Frankreich, und ich wußte lange Zeit nicht, wie mir geschah, ich begann, völlig orientierungslos zu werden. Mit Erstaunen, im nachhinein durchaus auch mit Schrecken stellte ich spätestens ab Mitte der Neunziger fest, daß allüberall nahezu identische Gebäude emporgewachsen waren, bald bis hinein in die Innenstädte, in denen man das Alte dafür abgerissen hatte. Doch auch die Vermutung ist zulässig, die grenzenlos tätigen Unternehmen zögen jeweils eine ihrer drei Schubladen auf, um auf diese Weise Planungskosten zu reduzieren (heutzutage wird das auch sparen genannt, etwas, das man mich im Zusammenhang mit Omas Strumpf lehrte, der gefüllt werden wollte oder sollte mit dem, was übriggeblieben war, aber auf keinen Fall mit Löchern). Ich vermute, daß diese Wahnvorstellungen von Gleichheit der Wunsch nach diesem Sichzurechtfinden in fremden Welten entsprechen, die vor allem von den (euro-)globalen Konzernen gesteuert werden. So wird ständig etwas produziert, das der Mensch an sich nicht benötigt, er es jedoch, wenn es schon angeboten wird, selbstverständlich auch konsumiert; das ist schließlich nach den Vorgaben der Weltwirtschaftsreligion seine Daseinsbestimmung. Weshalb also nicht auch teilvorgefertigtes Gemeinschaftsempfinden? Es ist aber auch ziemlich anstrengend, andauern Individualist sein zu müssen. Man könnte es nach wie vor haben, dieses «wie mag es wohl aussehen, das Haus, der Campingplatz». Das ist weiterhin möglich. Man muß nur runter von den Pfaden der bienenfleißigen Ameisen, von der Autoroute, von der ICE- oder TGV-Trasse, von den Luftautobahnen. Aber wird das wirklich angestrebt? War es letzten Endes nicht bereits zu der von Ihnen erwähnten Zeit so, daß die meisten sich in Hamburg-Jenfeld ins Autochen setzten und ohne Halt durchbretterten bis an die Costa Blanca, um sich dort für zwei oder drei Wochen in einem Apartementhaus niederzulassen, das sich von der eigenen Behausung lediglich durch einen Mangel an Komfort unterschied? Gut, den einen Kilometer entfernten Strand sollte man nicht vergessen, in den vor lauter Menschen kein Körnchen Sand mehr paßte. Denken wir beispielsweise an Man spricht deutsh. Wie Würstel con Krauti. Frau Braggelmann käme nicht auf die Idee, ihrer Lieblingsbratwurst wegen achthundert Kilometer nach München zu reisen. Schlemmermeyers Wursthimmel gibt's längst auch in Lübeck. Und ich als ihr manchmaliger Begleiter erledige bei der Gelegenheit meine mich hin und wieder überkommenden Erinnerungsgelüste nach Leberkäs mit ganz viel süßem Senf gleich mit. Das Kuhglück des Globalisierten. Was mich seit längerem arg martert, ist diese überhandnehmende Kilometerfresserei, die jeder Glückslogik des ansonsten so vernunftbegabten und -bestrebten Menschen entgegensteht. Ein mir gut bekanntes Paar, an dessen geistigen Fähigkeiten ich eigentlich keinerlei Zweifel haben sollte, verläßt jährlich einmal sommers für zwei bis drei Wochen sein nicht unbedingt frostiges Marseille, um in die Wärme zu entfliehen, das eine Jahr hierhin, das andere dorthin. Nun gut, es ist jeweils eine Art Inlandsflug, und man kann mit Euro zahlen. Dennoch empfinde ich es als irritierend, daß die beiden dort ausnahmslos das tun, was sie nicht nur der Hitze, sondern auch der herumliegenden Massen wegen zuhause strikt ablehnen: Sie legen sich den lieben langen Tag an den Strand. Abends allerdings pflegen sie ihre Gewohnheiten wie daheim: Sie essen stundenlang, meistens das, das sie in der multikulturellen Umgebung ihrer Heimatstadt ebenfalls zu sich nehmen. Das Land, die Leute? Aber doch nicht in dieser Hitze! Überhaupt kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, die Erde bestünde nur noch aus Tourismus. Ich will ja einsehen, daß es Regionen gibt, deren Einwohner kaum andere Verdienstmöglichkeiten haben. Aber daß mittlerweile nahezu jede hinterste Ecke dieser Welt nur noch nach den Kriterien touristischer Mehrverwertbarkeit quasi gehandelt wird, das macht mich ratlos, nein: wütend. Ich mag den Begriff Fremdenverkehr schon seit langem nicht mehr hören und lesen. Ständig ist die Rede oder Schreibe vom Tourismus als einzige Rettungsmöglichkeit für verarmte Länder oder Landstriche irgendwo vor den Anden oder hinterm Himalaya. Es muß daran liegen, daß man es zuhause beispielhaft erprobt hat, sei es der gesamten Länge nach im Appenin oder in den Pyrenäen. Auf Korsika oder Sardinien sterben die Schäfer aus, da die Naturprodukte aus dem tausende von Kilometern herangekarrten Australien oder Neuseeland billiger sind. Allüberall werden ganze Dörfer vergangener Jahrhunderte abgebaut und in Heimatmuseen wieder aufgestellt, ganz in der kulturellen Manier der US-Amerikaner, die sich Venedig nach Las Vegas holen: Das finstere Mittelalter und die als Moderne aufleuchtende Renaissance bei jederzeit wieder-erkennbarem Fünfsternekomfort. Kulturarchäologie mit den Mitteln neuer Medien. Wie's sein könnte oder besser, mal stattgefunden haben könnte au terroir wird auf Slow Food reduziert vermittelt mit Hilfe von Frau Sarah. Und richtig: dafür fährt man schließlich auch nicht weg, sondern weiterhin ins billigere pauschale Antalya oder Costa Rica. Das andere kennt man ohnehin aus dem Fernseher. Und der sendet zur Zeit wieder ohne Ende Hinweise auf die Notwendigkeit der Reiseversicherung sowie die Möglichkeiten der Geltendmachung von Schadenersatz wegen verkakerlakter oder zu kleiner Zimmer oder Urteile deutscher Gerichte, nach denen sogar entgangenes Urlaubsglück einklagbar sei. Dennoch wird unverdrossen am Fremdenverkehr weitergebaut. Fast jeder Häuptling eines ohnehin längst überlaufenen Kaffs mit Autobahnanschluß, der zunächst angetreten war, den Bürgern die Heimat zurückzugeben, ruft nach seiner Wahl als Sprachrohr der örtlichen Gastronomie nach EU-Mitteln aus dem Touristiktopf, mittels derer er seinem noch schöner werden sollenden Dorf zu einer Seilbahn sowie Schneekanonen verhelfen möchte, die den Dreck vom angeschlossenem Großparkplatz auf die Hochalm blasen, die frühmorgens als Piste dient für ebenso im Wunschförderpaket enthaltenen Walzmonstren, chauffiert vom winterpausierenden Almbauern oder Nebenerwerbslandwirt, die Abfahrt noch schneller machend — in die ebenfalls zu errichtende Klinik, deren Chirurgie den unverbrüchlichen Glauben an Wachstum in Gips festigt. Nicht im entferntesten konnte ich ahnen, welche Ausmaße das noch annehmen würde, als mir Mitte der achtziger Jahre der Rummel unheimlich wurde und ich mich nicht ganz leichten Herzens entschloß, einer weniger zu sein in diesem Wahn, der seit einiger Zeit auch noch Rutschhallen in mecklenburgische oder westfälische Tiefenlandschaften setzt, wohin der Flensburger während seiner Skiferien reist, um im Schneepflugschwung wenigstens seine nicht ganz billige Qualitätsmarkenkleidung mehr oder minder elegant zu präsentieren. Es braucht nicht einmal energiesparende Zehntausendwattstrahler fürs Nightskiing mit an- oder abschließendem Après neben dem sich verflüssigenden Zugspitzblatt, um zu erkennen, daß auch diese ganzen Spiele wie olympische oder fußballerische nichts anderem dienen als dem Verkehr mit Fremden — für ein paar Wochen. Man schaue sich dieses an Peinlichkeit nicht zu überbietende Spektakel an, das aktuell im Voralpenland stattfindet. Dafür wird eine ohnehin bereits fast völlig zuasphaltierte Landschaft vollends versiegelt. Schließlich kommt es, so die Argumentation, dem Fremdenverkehr zugute. Jedes Wochende reisen die Münchner an, und einmal jährlich die Amsterdamer, die Brüsseler, die Xantener. Sollen die etwa ihr Geld nach Österreich tragen müssen? Es lebe der Sport. Und sollte demnächst diesem schweizerischen Blattersepp tatsächlich seine Gelddruckmaschine Weltfußballverband wegen Korruptionsverdacht genommen werden, wird er vermutlich den Verein wechseln und auf der Stelle mit sich als Präsident oder Vorstandsvorsitzendem beginnen, soviel Kies anzuhäufen, um die Abfahrtsweltmeisterschaften und die des Trickski gleich mit noch vor seinem Fünfundneunzigsten in Qatar stattfinden zu lassen. Als Berater stünden sicherlich die Garhammers zur Verfügung. Und die Höhenflüge des Helicopter-Skiing übernähmen vermutlich problemlos die Streitkräfte des Wüstenparadieses. Dieser Tage vernahm ich, man wolle zwei Berggipfel zu Werbung und Freizeit an Privateigentümer verkaufen. Nein, nicht etwa in einem fernen armen Land, in dem mit dieser Maßnahme der einheimischen Bevölkerung aus den ärgsten Nöten geholfen werden sollte. In Österreich war's, wo bereits ein Gipfel den Namen einer sportsponsorierenden Wurstfabrik ziert. Wie bei den Fußballstadien, die mittlerweile alle einen versicherungsverwurstenden Arenanamen tragen. Brot und Spiele für die Massen, die ebenfalls einheitlich kostümiert antreten, denn das schafft Gemeinschaft. Schießlich ist nicht jedes Jahr Kirchentag, wo man ebenfalls gleichartiges Tuch und glückliches Gesicht trägt. Na gut, in Kürze kugelt es sich nochmal rund. Vermutlich wird wieder einmal nationale Freizeitidentität getragen werden. Daran haben die Frauen entscheidenden Anteil. Sie haben sich endlich emanzipiert. Indem sie als letzten Schritt alles Tuch ablegten. Immer wieder schwellen Schlachtgesänge an, die faulen Griechen sollen gefälligst ihre Inseln und sonstige Sehenswürdigkeiten an freizeitaktivierende Investoren verkaufen, ihre Wasserrechte am besten gleich mit, um finanziell flüssiger zu werden, um wieder Kredite aus Euro- oder anderen Ländern aufnehmen zu können. Hänge man auch die Akropolis zu mit Konzernnamen, die gemeinsam mit Politikern das Land in die Pleite geritten haben. Zur Not kann man es immer noch aus der Europäischen Union rausschmeißen. Dann werden zwar wohl wieder ein paar Banken sozialisiert werden müssen. Aber man hätte möglicherweise wieder einen neuen, nicht ganz so weit entfernten Abladeplatz für den Müll, den die fröhliche Freizeitgesellschaft produziert. Antike, wer braucht noch so'n alten Kram? Weg damit. Entsorgen wir unsere Sorgen einiges vor Afrika.
Plädoyer für eine Kultur des Nichtreisens Der uniformierte Bordlautsprecher des preiswerten Wochenendfliegers verkündet seinem Transportgut, in wenigen Minuten überfliege man Lyon. Er sagt es, als ob dies die letzte Möglichkeit wäre, eine Großstadt von oben zu sehen. Deshalb wohl verlängern sich die Hälse von der Gangmitte bis hin zu den panzerverglasten Gucklöchern. Dabei haben die meisten ohnehin die der Moderne der Siebziger vorgelagerten Grillstationen von Martigue und anderen in den bereits jetzt schon eingetrockneten Köpfen. Am Flughafen von Mariagne werden sie aus der Maschine gekippt, um an diesen Ort weitergekarrt zu werden, von dem der Internetprospekt eine Abwechslung von Spanien verspricht. Denjenigen, die sich im Reisebüro von einer Dame, die sich während ihrer schönsten drei Wochen des Jahres am liebsten in der Türkei von allen Seiten braten läßt, aber machmal eben bei arte reinschaut, haben beraten lassen, wurde von einem Leben wie Gott in Frankreich erzählt, etwa so wie in den Köcheleisendungen der Tochter von Oswald Wiener, der einst Mitteleuropa verbessern wollte, dann aber in Berlins Gastronomie gezwungen wurde, weshalb wohl der Nachwuchs als praktische Kochphilosophin sich au terroir in den kulinarischen Abenteuern tummelte, die im Land selbst unverbrüchlich geschätzten Grenouilles aus Tierschutzgründen wohlweislich meidend, schließlich schauen da auch Deutsche zu. Yves Cohn-Thibault aus Apt, den es ins Barbarische, das zwar bereits nördlich von Lyon beginnt, den es aber gar dorthin vertrieben hatte, wo Charlemagne vor der Vereinigung im Namen Christi die wilden nordöstlichen Sachsen gemetzelt und auf diese Weise unterworfen hatte, schrieb mir, wie handgemalt, darunter die Colette-Sätze, die er immer lese, wenn er ein erstes Gewürz der Provence in seinem Geschmackskino haben wollte: «Senke dich langsam, wenn du zu den Menschen willst, denn je höher du fliegst, desto kleiner erscheinst du jenen, die nicht fliegen können. Die Menschen aber ersehnen das Gegenteil.» Er schwebte dabei allerdings in einem anderen Luftbild als unsere Urlauber, denen An- und Abreise sowie der Aufenthalt mit allem inclusive auch nicht mehr kosten darf als die gezielten Lebensmittelunfälle in deutschen Landen frisch auf den Tisch. «Die Wassertiefen von Mittelmeer und Étang de Berre wetteifern um das satteste Blau. Klecksig heben sich ihre Intensitäten voneinander ab, zeigen auch mal Kontur und scheinen sich zu einem großen monochromen Gemälde ordnen zu wollen; Wasserfarben im wörtlichen Sinn. Ein erster Vorgeschmack auf die Blaunuancen in Paul Cézannes Bildern. Reckt sich da nicht ein Feuerblock vor der diffusen Alpenwand empor, hinter der sich Turin und Mailand verstecken? Nein, das Licht der Westsonne bringt den kalkweißen Abschluß der Montagne Sainte-Victoire um diese Zeit zum Glühen.Unter Siegesberg verstehen andere wieder etwas anderes, und er heißt auch anders, wenn er auch gar nicht weit entfernt liegt vom anderen Dichterberg, aber egal, das klingt ja alles irgendwie gleich. Will man dorthin, landet man am besten auch in Mariagne, nur daß es dann entgegengesetzt in nordöstlicher Richtung weitergeht. Allerdings nehmen die meisten ohnehin den Wohnwagen, bis unters Dach gefüllt mit Dosenfutter, um dorthin zu gelangen. Dort geht's ähnlich zu wie vor Martigues, nur daß die Massen hier nur eines wollen: den Anblick, wie sie sich hinaufquälen. Melancholische Lehre oder pessimistische Magie, je nach Blickwinkel. Ich habe Aix immer gerne ignoriert. Mir war das meist zu fade dort, zu sehr Trampelpad. Aber der Freund schätzt es sehr. Allerdings hat er offensichtlich das getan, was ich von anderen immer fordere und nicht immer hinkriege: er hat sich mit der Örtlichkeit beschäftigt. Dabei darf ich zu meiner Entschuldigung wohl anmerken, daß er sich als quasi Halbeinheimischer auch leichter tut. Seine Erfahrungen sind andere, wenn auch er zugestehen muß: «Die Nordflanke des Cours gleicht einer Perlenschnur von Cafés, Parfümerien und Shopping-Center, die sich unmerklich nach hinten in die Altstadt hineinmaulwurfen, um an Konsumfläche zu gewinnen.» Überhaupt weicht sein Bild in einigen Partien vom meinen nicht allzu sehr ab: «Besonders in den Sommermonaten ist der Cours ein Laufsteg für die bis zur ätzend selbstbewußten Arroganz austrahlenden, eleganten Französinnen und die vielen blonden Austauschstudentinnen aus Deutschland mit Hautproblemen, die diese catwalkende Dynamik durch mißglückte Nachahmung wenigstens rustikal auflockern. Aber im Süden blond zu sein, bedeutet für die freie Balz fast schon den vorläufigen Vorteil einer Freikarte. Blond steht für die Sonne, und die kann überhaupt nicht dunkel sein. So treffen sich Schein und Beschienenes in mediterraner Kollision.Ach, Cézanne. Das nach ihm benannte Museum verbinde ich eher mit einem Andenkenladen für Touristen, die der Unterschied zwischen Brioche und Kuchen eigentlich genausowenig interessiert wie der eines gemalten oder gedruckten Bildes. Oder sollte ich über die Grenzen des Museumsshops nicht hinausgelangt sein? Auf jeden Fall habe ich in diesem dichten Wald von Reproduktiönchen keine Bilder gesehen. Aber vielleicht hat mir meine Abneigung den Blick verstellt. Doch ein anderer war dort und hat entschieden mehr gesehen, darunter gleich eine Beziehung zwischen ihm und Rilke ausgemacht. Ich glaube, mir mangelt es heute an Romantik. Sogar die landläufige kann einem vergehen bei solchem Reiserummel. Alle Welt will nur noch verreisen, möglichst weit weg, um dann dort das zu tun, was der Reisende zuhause ebensogut haben kann, weil längst bis ins tiefste Binnenland jedes Städtchen an einem Flüßchen mit Strandbars ausgestattet ist. Fortan werde ich für die Kultur des Nichtreisens plädieren.
Die Schlümpfe und andere Witzfiguren der Geschichte Fast überall in den gewichtigen deutschsprachigen Medien wie etwa Lehrer-Online, Rhein-Zeitung und vor allem dpa geht’s momentan um das kleine blaue Buch von Antoine Buéno. Sethos hatte es unter Kuriositäten kurz abgehakt. Dennoch meinte ich, dazu etwas zum besten geben zu müssen. Letzteres schien dann doch nicht ausreichend, zumal es immer weiter von den Stalaktiten meiner oberen Tropfsteinhöhle auf den Boden kalkte. Der Länge oder auch der Langeweile wegen verlagere ich das aber hierher. Eine Verbindung zu Jean-Jacques Rousseau hatte ich hergestellt, der — um einem Plagiatsverdacht vorzubeugen, der mich über meine Vorleserin erreichte, zitiere ich mich selbst — «als Aufklärer bis heute im Grunde ein vom Glauben besessener Lustfeind war, der meinte, mit der von ihm so gepriesenen Religion sei ein guter Staat zu machen. Vermutlich machen sich seither und in letzter Zeit wieder verstärkt einige Politiker auf, eine Moral als staatstragendes Zukunftsmodell festgemauert in der Erden, also bereits im tiefen Wiesengrunde zum klingen zu bringen, die in Arbeit, Zucht und Ordnung aufgeht, aber nur für die Masse gilt und nicht für Einzelne.» Philipp Blom schrieb über Rousseau, den Säulenheiligen der deutschen antiautoritären Bewegung, die den Muff aus den Talaren lassen wollte, er habe im Namen des Edlen und Guten den Weg für die Repression geebnet, er sei «wichtig gewesen für Diktatoren. [...] Das war die Blaupause für die Legitimisierung des Stalinismus von Robespierre, von Pol Pot. Sie haben ihn alle verehrt und gelesen.» Aus dieser schlichten Perspektive der Aufklärungshistorie sollte man sich vielleicht der Polemik von Buéno anzunähern versuchen und nicht ganz so hochgradig intellektuell und feinhumorig wie die anonymen Autoren der Online-Tagesschau: «Vielleicht war Buéno bei seinen Recherchen ein wenig zu sehr den psychoaktiven Stoffen in den Pilzen ausgesetzt, unter denen die Faschognome vermutet werden. Immerhin ist es ihm gelungen, einen Diskussionsanstoß zu liefern und ein ganz neues Forschungsfeld aufgetan: Da wären zum Beispiel die Zementierung patriarchalischer Denkstrukturen bei den Mainzelmännchen zu untersuchen — oder die unterschwellige Homoerotik bei Asterix und Obelix, bei denen es wahre und dauerhafte Liebe offenbar nur unter Männern und zu Wildschweinen gibt. Und dann ist da noch der offenkundige Sexismus in Entenhausen, wo jeder, wenn überhaupt, nur obenrum bekleidet ist.» Denn es schwingt auch etwas von dem mit, das der Soziologe Sacha Szabo in der Süddeutschen Zeitung anklingen ließ: «Ihr Geheimnis liegt in ihrer Spezialisierung. Jeder hat eine andere Aufgabe, vom Gärtnerschlumpf bis zum Frierschlumpf. Und genau dies macht einen Schlumpf auch als Geschenkartikel attraktiv. Das Schlumpfuniversum ist begrenzt und überschaubar, das macht es auch als Sammelgebiet so ideal. Eine Sammlung sorgt für Struktur in einer unüberschaubaren Wirklichkeit.» Der in Freiburg lehrende Unterhaltungswissenschaftler Szabo könnte damit die Verbindung herstellen zu einem mittlerweile nicht mehr nur deutschen, sondern längst wirtschaftsglobalen Bildungsverständnis, das das sanfte Ruhekissen intellektueller Begrenztheit aus der alltäglichen Arbeitswelt ins Private verlagert. Mit Barbies und noch schlichteren Plastikfigürchen kann man nichts falsch machen, ARD und das zweite zugehaltene Auge haben doch auch den ausreichenden Durchblick. Erwähnenswert bei allen diesen Analysen, Hypothesen und Wirrnissen, einschließlich der meinen, scheint mir allerdings, daß, wie Blues im Hitler-Blog der Taz mich informiert (und den Lehrer an der Pariser Science Po, Antoine Buéno, belehrt): «In den eigentlichen Werken von Peyo sind die Schlümpfe in einem mittelalterlichen Umfeld mit Rittern und Königen angesiedelt, daher das Fehlen von Demokratie. Die Alben sind ernstzunehmende Fabeln, die Themen wie ‹Revolution gegen einen Diktator›, sprachphilosophische Betrachtungen über Konfliktursachen, Menschlichkeit gegenüber hilflosen Feinden und die Grenzen von Wünschen und Träumen angemessen kindgerecht umsetzen. [...] Muss man das jetzt hier ausbreiten? Vielleicht muss man das, weil die ganze Hitler- und Faschismus-Thematik selbst eine ähnliche Entwicklung nimmt, und eine andere Wahrnehmung Hitlers denn als Witzfigur und eine andere Haltung gegenüber der Thematik als hohles Augenzwinkern oder ebenso hohle Empörung immer unwahrscheinlicher wird.» Gut, ich (als einer noch in dieses Stück grauenvoller Geschichte Hineingeborenen?) würde mich selbst im ärgsten Suff nie mit deutschem Gruß blökend auf einen Kneipentisch stellen, wie das der deutsche Künstler Günter Förg in den Achtzigern getan hat, oder mich als Verehrer des Führers oder als Nazi bezeichnen, solche Mißverständnisse in Kauf nehmend, wie das bei dem dänischen Mittfünfziger Lars von Trier kürzlich der Fall war. Nein, solche Wunden heilt alle Zeit dieser Welt nicht. Daß Antoine Buéno dem Umfeld der rechten Nouveau UDF zugerechnet wird, worauf überall heftige Finger zeigen, geht dem gerademal dreiunddreißigjährigen, ohnehin als polemisch bekannten und nicht minder koketten Schriftsteller offensichtlich sonstwo vorbei. Michel Houlebecque und dessen Schützling, der die Reklame abbürstende ehemalige Werbetexter Frédéric Beigbeder galten auch mal als jung, aufsässig und politisch nicht unbedingt als links einsortierbar, vielleicht eher als ein bißchen liberal im Sinn von unkonventionell oder auch freigeistig. Von seinem Buch Je suis de droite ... et je vous emmerde (in etwa: Ich bin rechts, und Sie können mich mal) sagte Buéno 2007 dem internetten Magazine de Civilisation (deutsch und mit Herrn Brockhaus in etwa: Kultur in der Gesamtheit der Lebensäußerungen eines Volkes) Internauté, es sei von anderen, beispielsweise vom ehemaligen Neu-UDF-Vorsitzenden François Bayrou, als eines der Linken verstanden worden. Als Bernard-Henri Lévy in den Achtzigern Nietzsche unter dem Tresen der dogmatischen Linksbuchhandlung hervorholte und auf die Füße stellte, gab es, auch in Deutschland, ein gewaltiges Getöse; am lautesten waren diejenigen, die Nietzsche nur vom Hörensagen kannten, weil es schließlich verboten war, diesen übermenschlichen Protagonisten der Rechten zu lesen, und infolgedessen Lévy auch nur aus der Presse. Man kann zum letztgenannten stehen, wie man mag, lieben muß man ihn nicht, heutzutage vielleicht gleich gar nicht mehr, weil bei ihm immer öfter das, was kammermusikalisch patriotisch streichorchestriert sein sollte, als walleschwallender nationaler Bläsersatz in empfindsameren Gehörgängen ankommt. Aber es sollte nicht außeracht gelassen werden, daß er den Sozialisten François Mitterrand unterstützte und dessen Präsidentenberater wurde — wie überhaupt in Frankreich Intellektuelle aller Coleur zum Politikeralltag gehören, was man vom Land der Dichter und Denker nicht unbedingt behaupten kann. Julian Nida-Rümelin als Kulturstaatsminister war da wohl eine Ausnahme, die zudem bald das Handtuch in den Ring werfen sollte. Ich kenne nicht genug von dem jungen Übergangszyniker Antoine Buéno, um ihn wirklich beurteilen zu können, habe auch seine kritische Schlumpf-Analyse nicht gelesen und weiß auch nicht, ob ich's tun werde. Generation Golf kam auch nur dran, weil ich mit dem Autor ins Gespräch kommen sollte. Aber in eine der beiden dualistischen Schubladen würde ich ihn auf keinen Fall stecken wollen. Mir scheint er eher von der Lust an der Provokation gesteuert, vielleicht einer ihm eigenen Art der Wahrheitsfindung. Irgendwie muß heute ja noch viel mehr die Trommel gerührt werden, um ein bißchen Aufmerksamkeit zu erhalten. Und seine Zuordnung der Schlümpfe zur Nazi-Kultur der wohlgeordneten Reinheit, dem Stalinismus et cetera kann ich aus dem oben erwähnten Grund so abwegig nicht oder einfach nur komisch finden. Aber solche Gedanken weiterspinnend könnte ich zum Beispiel die FKK-Kultur, die Ethik der natürlichen Wirkstoffe nach Dr. Hauschka, die Eurythmie, die Waldorf-Schulen oder diesen grünen Ministerpräsidenten in direkte Verbindung zu einem Österreicher bringen, von dem letztere im Plural, wie ich's neulich auf einem ihrer Kulturkanäle laut und deutlich und vom auch als Kabarettist recht bekannten Moderator unwidersprochen vernahm, einige darauf verwiesen, es seien schließlich die Deutschen gewesen. Dabei sind sie Belgier. Die Schlümpfe jedenfalls. Aber das wissen viele Franzosen nichtmal, ebendiese, denen auch nicht bekannt ist, weshalb sie am 14. Juli auf den Straßen tanzen. Stellen wir uns Buéno einfach als einen dieser patriotischen Franzosen vor, deren Toleranz am sinnbildlich nach wie vor vorhandenen, sich vielleicht in Bälde ein wenig weiter hinaufschiebenden Schlagbaum im Norden links oben halt macht, weil die Belgier alle so schrecklich dumm sind. Über die werden ohnehin nur so intelligente Witzchen gemacht wie etwa die einer ganzen Republik über die nicht nur geistig abgelegenen Ostfriesen. Und die vlaamse Musiek spielt dazu: Mijn vlakke land
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