Ausgelaugt

Meine hochgeehrtesten Herren und Sehr werthen Freunde,
Endlich bin ich im Stande Ihnen auch den Rest des 8. Theil von Shakespear zu übersenden. Ich wünsche Ihnen und mir selbst zu dem erreichten Zeil dieser weitläufigen Unternehmung Glück. Ich habe dabey geleistet, was (zumal in den Umständen worinn ich war, noch bin, und so lange ich leben werde, ohne Freunde, ohne einen Ratgeber, ohne einen Aristarch) möglich war. Ich schaudre selbst, wenn ich zurücksehe und daran denke daß ich den Shakespear zu übersetzen gewaget habe. Wenige können sich die Mühe, die Anstrengung, die oft zur Verzweiflung und zu manchem Fluch, (der doch die Pferde nicht besser ziehen macht) treibende Schwierigkeiten dieser Arbeit vorstellen. Ich sehe die Unvollkommenheit dessen was ich gethan habe; aber ich weiß es, daß Richter von ebensoviel Billigkeit als Einsicht mit mir zufrieden sind. Genug, diese Herculische Arbeit ist nun gethan, und, bey allen Göttinnen des Parnasses! ich würde sie gewiß nicht anfangen, wenn sie erst gethan werden sollte. Indessen hab` ich doch sie nicht schließen wollen, ohne ein paar Wörtchen mit den Berliner Kunstrichtern zu sprechen, welche ebenso boßhaft als dumm über unsere Uebersetzung geurtheilt haben. Ich hoffe das Publikum soll nun mit mir zufrieden seyn; denn von Lessingen und seinen Freunden hab` ich doch weder Gnade noch Gerechtigkeit zu erwarten.

Ich habe die Ehre, Meine Herren und Freunde, mich Ihnen zu empfehlen und mit alter unveränderlicher Hochachtung zu seyn
Dero ergebenster Diener

Biberach, den 8. May 1766 Wieland

Christoph Martin Wieland, Brief an seine Verleger Orell, Gessner & Cie. in Zürich; in: Das Buch Deutscher Briefe, Insel-Verlag Zweigstelle Wiesbaden 1957, S. 135 – 136

«Als Wieland den Versuch wagte, die Dramen des genialen englischen Stückeschreibers erstmals ins Deutsche zu bringen, prophezeiten ihm die Literaten der Zeit ein sicheres Scheitern: Shakespeare sei nicht zu übersetzen! Wieland ließ sich nicht beirren, übersetzte in vier Jahren 22 Stücke und löste eine beispiellose Welle der Shakespeare-Begeisterung aus. [...]» Weiter im Perlentaucher.

Die Menschen amüsieren

 
Fr, 08.07.2011 |  link | (1708) | 5 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Fundsachen



 

Unverstrahlter, glanzloser Küchenalltag

Der Großmarkt in der Pariser Banlieu, in Rungis unweit des Flughafens Orly, ist Legende, quasi eine Legende nach der von Émile Zola geschriebenen (Ur-)Legende: Der Bauch von Paris. In den Sechzigern hatte man das Eitergeschwür Les Halles aus dem zentralen Gedärm der Stadt herausoperiert, den Patienten nach Besichtigung der Metastasen wieder zugeklappt und schließlich die Umgebung 1969 durch Tiefgaragen und andere moderne Architektur ersetzt, darunter das Centre Georges Pompidou. Es ist der Freizeitverkehrsweg vom 1. ins 4. Arrondissement, der von der Pyramide des Louvre vorbei an der gerne übersehenen Comédie Française übers Beaubourg auf die Insel der schwulen Glückseligkeit und der Judengucker führen kann. Erst ein ganzes Stück hinter dem Marais in Richtung der Place de la Bastille erhält der das wahre Essen bevorzugende Mensch wieder die eine oder andere Möglichkeit, vom Fremdenverkehr unbehelligt drei bis zehn Gänge in sich einzulegen.

Aber auch das ist fast schon eine Legende nach der Legende: Vor etwa fünfzehn oder noch ein paar mehr Jahren gab es bereits einmal eine Fernsehreportage über einen Delikatessenfischer der gehobenen Gastronomie, allerdings zu den Zeiten, als ein Koch zumindest in deutschen Landen noch Koch genannt und nicht wie eines dieser Massenprodukte aus dem Billigheimer als Sternekoch hochgelobt wurde. Wenn ich mich recht erinnere, war er Bretone und brachte aus seiner Heimat riesige Pferdefußaustern mit, eine laut Herrn Meyer von 1905 «weniger wohlschmeckende Art», aber was wissen konversationslexikalische Bratwurstliebhaber schon von der feinen Ostrea edulis. Der Gute aus der Bretagne verkaufte sie in Rungis und besorgte für seine Kunden wiederum andere viele feine Schnuddeligkeiten, auf daß der Mensch auch in Hamburg oder München nicht darbe. Heutzutage heißt so einer Kurier der Köche, und sein Alltag ist im Vergleich zu seinem bretonischen Vorgänger so langweilig wie diese ganzen Sterne, die über den vielen, bald nicht mehr zu zählenden Fernsehküchen schweben. Mich hält das nicht davon ab, mir auch den uninspiriertesten Bericht mit dem lahmsten Aufhänger wie etwa dem eines im Streikstau steckenden Lammrückens anzuschauen, da ich immer mitwill: hinein auch in diesen modernen Bauch neben Paris. Wer je seine Augen und Papillen sich darin suhlen lassen durfte, der kann sich nicht sattsehen. Zwar ist der Alltag eines durchschnittlichen Wochenmarktes etwa im Pariser 13., von der wilden Rue Longue des Capucins in Marseille ganz abgesehen, aber selbst noch im kleinststädtischen Grandrieu alleine schon sehr viel aufregender als der hochgelobte, unterm Strich jedoch nicht mehr als passable unter der Hochbahn in der Eppendorfer Isestraße, aber in Rungis liegen dann tatsächlich ein paar besondere Hingucker sogar für Rohkostler, vor allem aber für Liebhaber freilaufenden Käses herum. Noch haben es die EU-bürokratischen Verordner von Hygienegesetzen nicht geschafft, auch dort die Stockente ihres Federkleids zu berauben und ihr gar den Kopf abzuschlagen, wie das allen voran im führenden Land der Bazillen- und Virenvernichtung längst praktiziert wird, in dem sogar in Fernsehküchen jeder sterneverstrahlte Mâitre goût des plaisir demnächst auch die Flasche mit dem Desinfektionsmittel mit Gummihandschuhen anfassen wird, auf daß sich kein Zugucker alleine vom Hinschauen eine Allergie einfängt. Mir stellt sich immer wieder die Frage, wie bei all diesem aseptischen Glanz diese großen Meister selbst in ihren kleinen Küchen in des Alltags Wirklichkeit eigentlich zum Arbeiten kommen.

Da lobe ich mir und stellvertretend für einige andere Bilder wie diese: Ein riesiger Bottich Rot- oder Blaukraut, den Inhalt einer Zehnliterdose Apfelmus, drei Flaschen Apfelsaft darüber, ebenso eine Lage Gewürze, noch einmal zehn Liter Mus, dann eine Flasche Rotwein, nochmal Kraut darüber. Oder eine etwa einen Meter tiefe elektrisch beheizte Pfanne mit Knochen, aus der Bratensauce entstehen wird (und nicht, wie der Fachmann das nennt, aus der Hosentasche des Kochs). Vor allem aber der Griff mit beiden unbehandschuhten Händen in die zu knetenden Fleisch- oder Knödelmassen. Nicht zu vergessen die drei Hummer, die ohne den vielzitierten vorab tötenden Messerstich kopfüber in kochendem Wasser verschwinden, um nach zehn Minuten mit ebenfalls ungeschützen Fingern von ihrem leuchtend roten Panzern befreit zu werden. Da ging einem wie mir, der erfahren durfte, wie Arbeit in der Küche nur funktionieren kann, das semiprofessionelle Expertenherz auf. Gut, der Aufmacher waren Lehrlinge in unterschiedlichen Gaststätten oder Restaurants und der Hinweis auf weite Wege bis in die Küchen einer sehnsuchtsvoll angepeilten Queen Mary, eines (Edel-)Bistrots in Paris oder einer Pizzeria am Currywurstbahnhof von Bochum. Aber (für mich) am interessantesten und auch im reminiszenten Nachhinein wirklich aufschlußreich waren die nahezu unkommentierten laufenden Bilder vom Werktag in Küchen wie der einer gehobeneren auf dem Land oder einer im Münchner Rathaus, wo der Auszubildende ohne Verhüterli auch schonmal den tausendsten Knödel drehen oder der andere sich von seiner Freundin trennen muß, weil er vor lauter Arbeit nicht mehr dazu kommt, sich um sie zu kümmern. Das sollten sich die vor den Fernsehbildschirmen versammelten Guckgourmands vielleicht mal anschauen, auf daß sie wenigstens ein bißchen von dem erfahren, wie's im tiefen Keller ihrer verträumten Edelgastronomie tatsächlich zugeht. Höllisch nämlich. Wenn auch bei weitem nicht so schlimm wie in den Fabriken, in denen die «Nahrungsmittel» hergestellt werden, die sie während ihrer TeVau-Genießereien massenhaft in sich hineinstopfen.
 
So, 03.07.2011 |  link | (3358) | 14 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Geschmackssache



 

Das Alte währet ewiglich

Ich mache mal wieder ein Neben- zum Hauptprogramm.

Damit, geschätzer Hinkebote, ließe sich auch der von mir angedeutete Punkt fortsetzen: Hennerkes war es auch, der darauf hinwies, daß das griechische Parlament überwiegend aus Wohlhabenden bestünde und sich deshalb wohl kaum etwas ändern würde. Jedenfalls solange Frauen und Sklaven draußen vor der Tür bleiben und für einen Bruchteil dessen demonstrieren müssen, den andere alleine durch nicht abgeführte Steuern genießen.

Ich bin ja nun wahrlich kein Gegner der Hochkultur. Das mag daran liegen, daß ich mit ihr aufgewachsen bin, mir also nicht mühsam einen Weg durch diesen Dschungel schlagen mußte, sie nach dem Aufbegehren gar genossen und letztendlich davon auch profitiert habe, da ich im Zug ihres Wandels und des Handels mit ihr beruflich auch monetär passablen Gewinn machen durfte. Gut, da hatte ich das Glück, früher geboren zu sein und mich nicht diesen demütigenden Prozessen unterwerfen zu müssen, denen viele jüngere Menschen heutzutage ausgesetzt sind. Doch auch hier Fortsetzung: Bei der von der Wirtschaft diktierten Bildungspolitik bleibt das kritische Ausleuchten historischer Gegebenheiten zwangsläufig auf der Strecke. Sicher, es gibt auch die Älteren, die aktuell keinen anderen Blick haben (wollen) als den des 19. Jahrhunderts auf die Oberfläche: edle Einfalt, stille Größe. Das ist es jedoch, was solche Hinweise wie die des Terra-X-ZDF auch jüngeren Menschen vermitteln (Wer kommt nur auf solche sendungsvermittelnde Programmtitel?! Stehen da etwa Führungseliten von Volkshochschulen in der Bütt des Meenzer Rundfunkrats? Wenn arte dasselbe zuvor sendet, bleibt solches geheimnistuerisches Geschwurbel doch auch aus.). Denn wer wegen verkürzter Studiengänge gezwungen wird, nicht nur die historischen Ereignisse, Künste und deren Geschichte lediglich auswendig zu lernen wie bereits die bayerischen Pennäler der siebziger und achtziger Jahre mit ihrem 333, Issos Keilerei, der dürfte kaum Gelegenheit haben, die über die Zeitläufte geworfene Tagesdecke mal anzuheben, um nachzuschauen, was sich ansonsten darunter angesammelt haben könnte.

Ich las kürzlich hier in der Blogger.de-Gemeinde davon, daß an Journalistenschulen von allzu umfangreichem, breitgestreutem Wissen abgeraten wird, da das dem beruflichen Werdegang hinderlich sein könne; man solle sich mehr spezialisieren. Und so sieht dann der Qualitätsjournalismus auch aus. Innerhalb ihres effizienten Studiums haben sie gelernt: Fakten, Fakten, Fakten. Da wurden sie dann irgendwann irgendwo gestreift von Athen oder Griechenland und den Basen der Demokratie, was sie als Praktikanten dann als Pressemitteilung in die Wunderschöne Weite Welt des Netzes setzen.

Ich will jetzt nicht auf Brecht und dessen Hinweis auf die Frage hinaus, wer denn wohl die Felsbrocken ins königliche Nirwana der Pyramiden geschleppt habe. Aber ich befürchte ohnehin, daß auch der Augsburger längst in der Kategorie Schöngeist gelandet ist. Agitatorischer, plagiierender Kommunist wäre auch noch möglich, je nach Perspektive, aus der des Grases oder der der Burg. Aber daß er, wie andere vor ihm im Sinn von intellegere, auch von aísthesis reflexives Wissen auf eigenwillige Weise, auf eigene Art gespiegelt hat, das sollte nicht unerwähnt bleiben.

Reflexivität. Bazon Brock hat sie im Zusammenhang mit der Definition von Ästhetik in den Achtzigern mal beispielhaft an Malern wie Réne Magritte reflektiert, die «ihre ganzen Themenœuvre nur aus der Aufklärung über diese reflexiven Mechanismen gewinnen». Das reine (also nicht reflektierte) Tun sei heute zum Beispiel das Bauen von Maschinen, «dessen Folgewirkungen wir nicht auf die gleiche Weise bewältigen können wie das ursprüngliche Produzieren». Wer sich heute also an den neuen Pyramiden oder Kathedralen der Wirtschaftsreligionen abrackern soll, der wird sich das vielleicht noch einmal überlegen, wenn er genauer über die Hintergründe dieser Mechanismen informiert ist und sich seinen eigenen Kopf dazu gemacht hat. Wer aber stillschweigend bei Guido Knopps populistischen BBC-Imitationen oder Terra-X auf der Stelle tritt, wer Geschmacklosigkeiten (auch so ein nicht unter die Spracherde zu kriegender Begriff aus dem gesitteten 19. Jahrhundert) wie unbekannte Bereiche der Erde bevorzugt, der wird auch Schwanitz' Niveau des «Bildungskanons als deutlich zu hoch» ansehen und eine «einfachere Darstellung des Wissens» als seine rassige Zigeunerin übers Sofa hängen. Bild von Welt. Weltbild(-Verlag).
 
Fr, 01.07.2011 |  link | (2888) | 3 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele



 







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