Die arme Kichererbse und der Lifestyle

Ich bin einer, der recht gerne in die Ferne sieht, aber nicht im Sinne etwa eines Gernsehabend, wie der RBB vor einigen Jahren sein tatsächlich auf die Verblödsinnigung hin zielendes Schlachtwort proklamierte. Unterhaltung ist nicht unbedingt mein Begehr, Filme schaue ich selten, allenfalls solche, in denen weniger Aktion betrieben als überwiegend, wie das heute heißt, dialogisiert wird. Serien oder so etwas wie Harald Schmitt oder die schwach köchelnden Auftritte von in der Küche mit Gummihandschuhen agierenden sogenannten Prominenten interessieren mich nicht, nein, sie langweilen mich bis zum Abschalten. Ich bin jemand, der möglichst umfang- und inhaltsreiche Informationssendungen wie Reportagen und Dokumentationen et cetera bevorzugt. arte, trotz aller Kritik an der verzweifelten, popularisierenden Suche nach der Einschaltquote im Haufen der Massenfernseher und sonstigen Danebengriffen, ist nach wie vor mein Erstes. Von dort gingen die Themenabende aus, die mittlerweile viele nachmachen, wogegen meinerseits nichts einzuwenden ist, weil sie oftmals in eine Tiefe gelangen, die ein Morgenmagazin, eine Tagesschau oder andere Regularien der Informationsvermittlung nicht leisten können oder wollen. Ich halte also das Gerede vom verblödenden Fernsehen für dümmliches Geschwafel vor allem derjenigen, die den ganzen Tag vor ihren EiPads hängen und Infos oder Apps saugen und damit meinen, Avantgarde zu sein. Auch hierbei hat, logischerweise, meine Verteidigung des Erkennens und Unterscheidens Gültigkeit.

Beim genauen Hinschauen habe ich das früher als langweilig verschrieene Zweite entdeckt. Möglicherweise habe ich schlicht das dafür erforderliche Alter erreicht. Dabei mag ich das Frische, häufig von jungen Menschen gemachte Fernsehen. Und richtig, wiederholt stellte ich fest, wie abwechslungsreich und informativ von Mainz aus gesendet wird, unter anderem via zdf-info. Sie nennen sich, wohl auf der Suche nach der im Internet verborgenen Klientel, leicht überkandidelt «interaktives Fernsehen», weil die Zuschauer mit daran beteiligt sein sollen, welche Beiträge wiederholt werden. Und die sind anscheinand doch nicht so verblödet, wie es mir aus dem Zwischennetz ständig entgegenhallt. Denn die Qualität der neuerlich angeforderten Sendungen ist beachtlich. Und ganz nebenbei werde ich eines besseren belehrt. Sicherlich zwei Jahrzehnte lang bin ich mit dem ahnenden Halbwissen hausieren gegangen, Bill Gates habe zu nahezu jugendlichen Zeiten Steve Jobs in der Garage beklaut, seit gestern weiß ich es dank zdf-info besser. Es geschah erst zu Zeiten, als der Entwickler der harten Ware an seinem Mac II gearbeitet hat und der Programmierer der weichen Ware ersterem die seine anbot. Während dieser Zusammenarbeit hat er das Betriebssystem abgekupfert und mit seinem Fenster in alle Welt die Apfelfirma so gut wie pleite gemacht.

Der obere Teil meines in den Neunzigern erstandenen, in Ruhe vergilbten EiMäckAntiGatesPads.

Nun will ich hier keineswegs die Schlacht um das Für und Wider erneut ingang bringen. Mir ist das ohnehin wurscht, zumal ich alles andere als einer dieser Verwirrten bin, die auf eine bestimmte Marke schwören und sich dafür an Ladentüren ketten. Ein Werkzeug ist es für mich wie früher meine gute kugelköpfige Schreibmaschine, nichts anderes, allenfalls etwas, das mehr kann, gleichwohl eines, mit dem ich trotz mittlerweile teilweise durchaus auch unangenehmen Erfahrungen weiterarbeiten würde, da die guten überwiegen. Es ist lediglich ein Beispiel dafür, was das Fernsehen, hier zdf-info, über Seifenopern und unterschlagene Fakten hinaus an Informationen bietet, also ein Nebenprodukt meiner Mitteilungssucht. Frau Braggelmann hat mir nämlich vorhin neben einigen Schokoladeneiern ein Apfel-feuerzeug mitgebracht und mich nahezu immer über den Dingen Stehenden dabei ertappt, daß ich mich wie ein kleiner Junge darüber gefreut habe. Denn eigentlich wollte ich eine völlig andere Kulturkritik um den weltweiten Webeglobus senden. Aber der Anlaß stammt auch aus diesem Mitmach-Zweiten.

Denn eigentlich geht's um Falafel unter Lifestyle. Da gab's nämlich einen halbstündigen Beitrag. Anregend war er gestaltet, angefangen von der schlichten Bude, in der man gewohnheitsgemäß Döner vermuten würde. Zugange waren jedoch zwei von der Fleischlosigkeit angehauchte Jungdesignerinnen (gibt es eigentlich noch einen anderen Studiengang, so irgendwas mit Medien?), wogegen nichts einzuwenden wäre, stünde da mittlerweile nicht immer so ein Hauch Doktrinäres davor oder dazwischen, so etwas ersatzreligionsgleiches wie Vegan und Ismus. Da mag ja zu recht darüber debattiert werden, ich stelle mich dem nicht entgegen, wenn ich auch ohnehin das Milchkalb verzehre, das von der Bäurin persönlich zur Brust und mit in die Heia genommen wird. Vor allem aber stößt mir dabei eines auf: Drei junge Menschen überkommt die Idee, die von mir als Dönerbude empfundene Falafelbutze nicht nur umzugestalten, sondern prospektiv gleich eine Ladenkette daraus zu erfinden. Geschickt oder auch gekonnt wird ein Intermezzo hineingehäkelt, das die Geschichte der Kichererbse als «Nahrungsmittel der Armen» skizziert und nebenbei darauf hinweist, daß sie schon aus Gründen ihrer protein- und hormonhaltigen Inhaltsstoffe geeignet wäre, den irrsinnigen Fleischkonsum der und in Massen zu reduzieren oder gar zu ersetzen. Aber alles lief letzten Endes darauf hinaus, die existierende soziale Marktwirtschaft etwa nach Verständnis der FDP oder deren grüne Nachfolger als solche nicht zu erschüttern.

Recht unterhaltsam war das inszeniert. Viele Informationen waren beinahe schillernd hineingepackt: Die Wahrheit ist nur mit List zu verbreiten, hier eben die, daß es ein Ende haben muß mit dem täglichen Kilo Gammelfleisch oder Siech- statt Suppenhuhn auf dem Teller. Nun ist es zweifelsohne erforderlich, eine Idee zu propagieren. Aber warum muß dann in dieses Schau-Spiel gleich eine Werbeagentur eingebaut werden, das Ganze unter «und sei es als Lifestyle» angepriesen werden? Kann das nur unter der Prämisse des Vermarktens von Markenzeichen gedeihen? Reicht es nicht aus, es hier im besten Sinn des Wortes als Mundpropaganda in Umlauf zu bringen, meinetwegen über sogenannte soziale Netzwerke. Ich empfinde es als erschreckend, daß die Jungvölker der industrialisierten Länder es nur noch über die Wege der Konsummechanismen gebacken bekommen, Ideen unter die Leute zu bringen. Geht es denn nur noch via Espresso mit aufgeschäumter Milch an EiPad in Kreuzberg? In den Zwischenspielchen wurde wie nebenbei und in einem Satz erwähnt: Die Kichererbse dann wird teurer werden. Weshalb wird in der Dramaturgie eine solche Konsequenz nicht mehr herausgearbeitet? Denn bei einer solchen anvisierten Strategie werden sich die Monsantos oder wie auch immer sie heißen mögen schneller als die Politik erlaubt oder den Vorgang heimlich befördert eine neue Züchtung patentieren lassen und die Broker neue Aktien befeuern, auf daß die weit hinauf zu den Gipfeln ihrer Wolkenkratzer steigen. Aber wahrscheinlich sind das alles Kunden des Zweiten. Ich weiß es nicht, denn ich fernsehe nicht in Programme, die Werbung zeigen.
 
So, 01.04.2012 |  link | (3658) | 9 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ich schau TeVau



 

Gehirngespinste

Kopfschütteln, quasi die Zweite, wieder anderes Thema. Ich kann's auch Exkursion nennen. Eine solche tat ich, seit langer Zeit mal wieder, seit dem Erblinden meines Geläufs. Auf der Suche war ich, nach der Sonne, die gestern noch schien. Doch nun auch hier: die Dunkelheit des zuhäuslichen Giftschranks hat mich wieder.

Lesen und Schreiben ist meines Erachtens ein Prozeß, mittels dem nicht nur Informationen erfaßbar und vermittelt werden können, sondern auch zu dem verhilft, das viele so gerne einem Stirnband gleich auf Hirnhöhe vor sich hertragen: Kreativität, und sei es der, irgendwann virtuos Märchen als Geschichte(n) zu erzählen. Kurzum: Es fördert die Intellektualität, die vom Wortstamm intellegere abgeleitete Fähigkeit, sehen, erkennen, unterscheiden zu können.

Ich kam 1998 in die unglückliche oder, wer weiß das schon, glückliche Situation, einen Dachschaden zu erleiden, der nicht nur mein Denken und damit Leben völlig verändern sollte, ihm fast eine Wende von hundertachtzig Grad bescherte, mich darüber hinaus in logischer Konsequenz auch über längere Zeit mit Neurologen zusammenbrachte, die mir nicht nur Logorrhoe und maßlose Wißbegier attestierten, die sie nach Untersuchungen meines offenbar zu Lebzeiten sezierten Gehirns feststellten, das durch eine offensichtlich genetisch bedingte Fehlkonstruktion, gleichwohl reparablen, Schaden erlitten hatte, unter anderem dem kollateralen, mich intensiv mit Gehirnforschung zu beschäftigen. So kam es während der bis etwa 2005 andauernden Diagnosendialoge immer zu anhaltenden Austäuschen — der Privatpatient ist auch oder gerade deshalb gern gesehener Gesprächspartner, auch Ärzte plaudern bisweilen nicht eben zurückhaltend, es ließe sich gleichwohl behaupten, sie stellen ihr Wissen hin und wieder etwas eitel in den Vordergrund —, in denen mir das eine ums andere Mal der Reim bestätigt wurde, den ich mir im Lauf der Zeit meiner Beschäftigung mit meiner oben gelagerten Festplatte gemacht hatte und das mir insofern verwandtschaftlich bestätigt wird, als ich als Opi Zeuge dessen sein darf, was Eltern vermögen, die ihren Kindern nicht nur lesen und schreiben beibringen, sondern sie dabei auch intellektuell befähigt erklärend begleiten. Auch die Gespräche zwischen mir und einem Freund, der sein gutes Geld zwar als Augenarzt verdient, aber sein Studium der Neurologie immer nicht nur im Blickfeld gehalten und obendrein fünf Kinder hat, bestätigen mir immer wieder aufs neue, welche Bedeutung das Lesen und Schreiben auf die intellektuelle Entwicklung des Menschleins hat.

Am eigenen Hirn mußte ich zudem erfahren, wie wenig hilfreich es für diese Belebung des Zellenhaushalts ist, Kinder statt vor dem Fernseher in einer Bibliothek zu parken. Nur die oben erwähnte Begleitung fördert ergänzend deren fruchtbringende Teilung, letztendlich auch die Sozialisation. Das mußte ich nämlich an mir selbst erfahren, da ich um der lieben Ruhe willen häufig im Giftschrank meiner Mutter eingesperrt ward und heimlich in Alfred Anderschs Die Rote lurte, als ob's ein Porno wär'. Was das Festhalten beziehungsweise das Auseinandersetzen, also das Unterscheiden ausmacht, erfuhr ich recht spät, als mir Zuwendung durch eine Kinderfrau zukam, die gemeinsam mit mir las und das Gelesene erläuterte. Aus mannigfaltigen Denkbeispielen schuf ich bereits in Jahren der Adoleszenz Abwandlungen über das Leben anderer. Während Gleichaltrige Liebesgedichte schrieben, verfaßte ich Versuche etwa über Nathalie Sarraute, weil man mich zunächst mit ihr alleine in der Bibliothek geparkt hatte und mir logischerweise die Tiefen ihrer Geisteswelt verborgen geblieben waren. Aber das Verfassen half, zumindest später hatte es seine Auswirkungen. Einmal mehr wäre dabei die kleistsche Technik des «allmählichen Verfertigens der Gedanken beim Reden» anzuführen, das ich gerne fürs Schreiben mißbrauche. Es kann nämlich für zur Unordnung hin Tendierenden beim Sortieren und Wiederfinden von irgendwann einmal Ab- oder Weggelegtem helfen; ich beispielsweise, der ich nicht gerade der legendären leninschen Schreibtischordnung huldige, werde beim Texten rascher fündig als beim Suchen auf der meist lustvoll unaufgeräumten Arbeitsplatte.


Nun sind diese mit mir und ich mit ihnen befaßten Neurologen sicherlich keine Zukunftsforscher beziehungsweise vielleicht nicht allesamt auf dem neuesten Stand der Gehirnforschung und deren Experimente. Einig dürften sie sich aber darin sein, daß diese meines Erachtens schauerlichen Eingriffe in das Innerste des Menschen noch sehr lange Zeit — fünfzig oder hundert oder gar fünfhundert Jahre dürfen durchaus so genannt werden — brauchen, bis es zur alltäglichen Anwendung kommt. So sollte es noch ein ganzes Weilchen bei der Kenntnis bleiben, daß Lesen und Schreiben der Bildung förderlich ist, bis hin zu diesem intellegere, das Sehen, Erkennen, Unterscheiden meint, also Weiterbildung eben nicht nur im Sinne ökonomie-lobbyistischer Tätigkeit. Wenn es nach der ginge, das ist meine Rede seit langem und auch hier immer wieder, würde man ohnehin schon jetzt am liebsten den meisten Menschen das Gehirn amputieren oder zumindest mit einigen Kabeln ausstatten.

Ach, was rede ich, kann ich mich doch es Eindrucks nicht erwehren, daß die Manipulation längst stattfindet, nicht eben wenige stellen sich als Selbstversucher zur Verfügung, indem sie ihr eigenes Denkorgan abschalten. Oder wie soll ich das anders deuten, als daß die Regierungsfestplatten der führenden Industrienationen, allen voran vielleicht die deutsche mit ihrem Bilden im Sinne des neuen Schaffens von unteren Klassen oder auch sich der Sklaverei Hingebungswilligen durch global agierende Konzerne, programmiert werden? Brot und Computerspiele hin, Minimallöhne und Leiharbeit beziehungsweise auf diese Weise geschönte Statistiken her. Ich kann diese Kadavergehorsamkeit nicht mehr ertragen, diesen Leichnam, aus dem es herausgrummelt: Was soll man denn machen?

Eben gerade habe ich «meiner» geschätzten Postbotin, die mir eines meiner quartaligen Allwissensschriften anlieferte und die ich drei Wochen vermißt hatte — Anfang dreißig, Hörsturz —, das mongolische Märchen erzählt, in dem die Mutter ihren Kindern die Unverbrüchlichkeit von Gemeinschaft darstellt, altmodern manchmal auch Solidarität genannt. Erst gibt sie ihrem Nachwuchs einen Pfeil in die Hände, der leicht zu zerbrechen ist. Dann bindet sie fünf Pfeile zusammen. Der Bund ist nicht zu knacken. Selbst die sogenannt höher Gebildeten merken nichts, weil sie sich bereitwillig lediglich zum Auswendiglernen schulen lassen, bis zu der Stufe, an der sie zur Gewinnmaximierung auf gehobener Ebene beitragen, auf der sie dann mit dreißig der erste Schlag trifft. Man gaukelt ihnen auf einem bestimmtem Niveau vor, jeder könne «es schaffen». Jedem seinen Hörsturz.

Bildung. Das bedeutet für mich das Sehen, das Erkennen, das Unterscheidungsvermögen, das seinen Anfang beim Erlernen des Lesens und auch des Schreibens nimmt. Diese Fördermaßnahmen zu intellektuellen Fähigkeiten kann nur ereichen, der nicht, der sich nicht durch eine Bildung bremsen läßt, die wirkliche Lernprozesse verhindert. Ich bezweifle, daß man die tatsächlich erreicht, indem einem nahezu das gesamte Procedere aus dem Kopf gelöscht wird, das zum Erlernen der Unterscheidung zwischen Nord und Süd, der Orient- und Okzidentierung führt. Ebenso habe ich Zweifel daran, daß eine drahtlose Verbindung zwischen einem Kopf und dem Zentralcomputer in der Befehlsstation irgendwo im Élysée, im Kanzleramt oder überhaupt in Mountain View oder Menlo Park darin Platz schafft für umfassendere, anderweitig nutzbare Kapazitäten.

Arbeitsblätter statt lesen und schreiben, das scheint mir ein Beweis dessen, wie wenig Kreativität tatsächlich gewollt wird, die meines Erachtens nur von einem Wissen geprägt werden kann, das Zurückliegendes mit Neuem verquickt, das Staben erkennt und in Bücher bucht. Ob die elektrisch funktionieren, das spielt dabei keine Rolle. Die Performance bleibt das Verfassen, eben das Zusammenfassen von erlernten Kenntnissen. Aber wen interessiert's, ich bin ohnehin ein altbackener, harter Brotkanten des Kulturpessimismus, weit weg und aussortiert vom und aus dem wirklichen Leben. Nein, darunter leide ich nicht. Denn seit einiger Zeit weiß ich: Und sie dreht sich doch.
 
Do, 29.03.2012 |  link | (2886) | 13 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele



 

Am Ende lange Sätze über kurze Gedanken

Die immerzu den Kopf schüttelnde Dame aus der Hauptstadt der regierenden langen Sätze und der nichtssagenden oder nichts zu sagen habenden kurzen hat derart Feines über die Freude an der abwechselnden sprachlichen Vielfalt geäußert, daß es die Frontseite verdient. Zudem es Abwechslung bietet von der Eintönigkeit langwieriger Erzählerei.

Kurz ist etwas für Betriebsanleitungen für Flachbildschirme und elektronische, sich selbst befüllende Brotbackautomaten. Die sind dennoch meistens unlesbar. Wenn sie von chinesischen oder koreanischen Studenten übersetzt wurden. Die sich im dritten Semester befinden. Als Nebenfach. Zur Informationstechnologie. Und die dann Technology mit Technologie übersetzen. Obwohl's deutsch eigentlich Technik heißen muß. Da die Technologie die Lehre von der Technik ist. Aber das wissen sie nicht. Da ohnehin alles ein globaler Sprachbrei geworden ist. In dem sprachliche Unterschiede vermeintlich niemanden mehr interessieren. Die von den Großrechnern der Betriebwirtschaft aus Kostengründen herangezogen werden, ums noch billiger verkaufen zu können als die Billigheimer im Westen. Oder von japanischen Ehefrauen. Die Klavier und Gesang studiert haben. Und mit einem Deutschen verheiratet sind. Zetbe in Düsseldorf, dem ins Deutsche integrierten Tokyo. Der will, daß sie zuhause bleibt. Und sich um ihr Sushi und seine Kinder kümmert. Und trotzdem hinzuverdient. Weil ein deutscher Mann das gerne hat.

Es geht aber auch bei übersetzten Speisekarten. Für Deutsche, die sich auf der Durchreise nach Spanien befinden. Oder in Narbonne-Plage typisch französischen Urlaub machen. Oder in Le Grau du Roi, La Grande Motte oder Port Camargue. Weil's dort so schön ist wie in Spanien. Noch anders ist's aber auch möglich. Zum Beispiel in poetischen Reiseführern. Oder der Preisung gastronomischer Kleinodien. Wie in Italien. Immer noch der Deutschen heimliches Sehnsuchtsland. Da setzte vermutlich die Tochter des Hauses La Trappola charonisch, sprich kryptisch über den Styx der deutschen Sprache.
Die aus-moderner-Weise-ausgestattete Küche kann jede Erfordernis befriedigen: die «Piadina» ist immer fertig, und der Bratenwender marchiert ohne Unterbrechung uber den Kamin der Hauptsaal, deren hohe Zimmerdeke mit Kätchen gemäldet ist. Auf-der-Plätze-zubereitete «cappelletti», Jagdbeute, kalter Ausschnitt, mit jede typische Nahrung der Gegend ist zusammen mit dem lokalen ganz echten Wein angebietet.
Man möchte Ariadne zur Hilfe rufen. Auf daß die ihren Faden gleich einem Rettungsanker auswerfe. Der einem aus dem Labyrinth heraushelfe. Aber es erhellte die chronisch dunkle Unterwelt des Germanischen der jungen Frau. Sie hatte mal einen deutschen Freund. Der war auf der Durchreise im Marche. Und hat ihr auf dem Kopfkissen deutsch beigebracht. Vom Heiraten war die Rede. Als er eines morgens verschwunden war, da wußte sie nichts mehr. Außer, daß sie eine Frucht im Leib trug. Ob sie alemanna, crucca, germana, tedesca oder teutonica werden sollte, sollte ihr verborgen bleiben. Da hat sie sich gerächt. An der deutschen Sprache. Mit etwas längeren Sätzen. Die so unverständlich waren wie die kürzeren oder längeren deutschen der Chinesen, Japaner oder Koreaner. Aber sie waren schöner. Weiblicher. Denn es ging schließlich ums Essen und Trinken und um die Liebe. Zur Landschaft. Darin bewegt man sich ohnehin tänzerischer als in der Sprache der Technologie. Bzw. Technik. Mit ihrer SMS-Choreographie. Tanz der Kurzmitteilung. Wie klingt das denn! Aber das ist ohnehin Männersache. Männer, das habe ich neulich auf einem US-besendeten Flachbildschirm gesehen, tanzen nicht.

Als ich mich beruflich noch in einer Umgebung befand, in der die etwas feinüppigeren Vixen als die eines Russ Meyer nackt auf den Tischen der Graphik tanzten, lernte ich einen Herrn kennen, der unter Pseudonym, weil sein Hausverlag seinen Namen nicht im Sumpf verkommener, US-amerikanischer Lebenswege untergehen sehen wollte, quasi unter dem Tresen Kunst vermittelte. Ihm folgte ich für eine vorübergehende Zeit, da mich die unerotische Nacktheit einer von mehrfach wechselnden Textchefs immerfort gleichgemachten Sprache schrecklich langweilte. Zwar lernte ich hochbezahlter Lehrling viel, aber ich hatte bald herausgefunden, ihnen nach der fünften Überarbeitung eines Artikels wieder die erste auf den Schreibtisch zu legen, die sie dann jeweils als vollendet erachteten. Nach einem Jahr sehnte ich mich fast zurück nach dem Rundfunk der zwar fürs Gehör richtigen, im besonderen aber geradezu feinziselierteren kurzen Sätze, mehr jedoch noch nach der Suche nach der verlorenen Zeit mit seitenlangen Sätzen in der Beschreibung von Madelaine, zumindest aber nach der Lektüre von Mirabeau, der schließlich auch noch anderes Aufklärerisches wie etwa Lauras Erziehung verfaßt hat. Bei dem Artvermittler unterm Tresen, der einige Zeit später ein großes Kunstmagazin gründen würde, erhoffte ich mir, mehr sprachliche Vielfalt ausleben zu dürfen. Was kam, war mehr als enttäuschend. Denn es war in dieser Illustrierten wie in anderen, noch dazu beinahe autorennamenlosen Wochenblättern ebenso üblich, alles auf eine, wie ich es empfand, Schmalspur zusammenzuredigieren. Wer auch immer ein Manuskript ablieferte, gedruckt wurden alle Text so, als ob sie von einem Autor stammten; Autorinnen waren zu dieser Zeit noch überaus selten, die meisten Damen steckten noch hochgeschlossen in der Sekretärinnenschublade, der Beruf der Gesellschafts- oder Hofexpertin war noch nicht erfunden, der einer Redaktionsleiterin, Textchefin oder gar Chefredakteurin schlicht undenkbar. Journalistinnen wie Wibke Bruhns durften allenfalls auf den Bildschirm, und zwar als Nachrichtensprecherin, etwas früher in leitende Positionen gelangende wie Luc Jochimsen waren eine Seltenheit. Medien waren Männersache. Bloß keinen Tanz, und schon gar keine langen Spielereien.

Also mehr Frauen an die Medienmacht? Ich bin unschlüssig, ob mit ihnen mehr an- und abschwellende, sich steigernde und wieder abebbende Sarabande getanzt wird, absolvieren viele doch sogenannte Hochschulen, um wenigstens zunächst einmal an die Front zu kommen, in denen allerdings meistens gelehrt wird, alles zu verknappen, sich kürzest zu fassen wie zu Zeiten in der Telephonzelle, weil für komplette, nicht vorn und hinten abgehackte Sätze, für Vorspiel keine Zeit mehr ist oder es, wie's mir manchmal vorkommt, zum Lifestyle gehört, sich möglichst undeutlich auszudrücken und das auch noch rasend rasch quasi wegzusprechen, daß gleich gar nichts mehr übrigbleibt, vermutlich, weil den stundenlang zuhause vor dem Flachbildschirm oder ganze Nachmittage im Café vorm DiddaldaddelEiphone Hockenden die Zeit davonlaufen könnte.

Ich werde wohl auch bald zum Internetausdrucker werden, schon aus Protest gegen diese Verflachung, die noch dünner macht, als es diese Geräte ohnehin bereits sind. Sie haben schon recht, zu diesem Elektrobuch passen keine langen Sätze. Jedenfalls nicht meine, «sprachgewordene matroschkas» — ach, wie schön, die «hierhin oder dahin» wollen, die «scheinen ziellos oder führen einen manchmal in die irre, weil man denkt, man denkt schneller, aber falsch gedacht». — Ich kaufe schließlich auch schon seit langem keine Brötchen mehr beim Bäcker, weil ich weiß, bei dem gibt's auch nur noch Einheitsbrei aus der Fabrik, den er als Handwerk verkauft. Neulich habe ich mein Brot selbst gebacken, so richtig, nicht mit der Maschine, sowas kommt mir ebensowenig ins Haus wie ein Elektrobuch, sondern von Hand, den Teig aus Mehl, Hefe, Wasser sowie etwas Olivenöl und Salz in die Schüssel gegeben, gerührt und geknetet, ihn hin- und hergewendet, ihn ruhen lassen, dann noch einmal geknetet und gewalkt, ihn hin- und hergewendet, bis ein wohlschmeckender langer Satz daraus wurde. Es hat nicht viel länger gedauert als das Schreiben einer ausführlicheren Sentenz über einen Absatz. Zuhilfe kam mir dabei die Erinnerung an eine temporäre Tätigkeit bei einem Bäcker, der im Hinterhof eine Sau im Stall stehen hatte und die ich auch essen durfte, deren Fett ich sogar gerne aß, weil es so schmackhaft war, die aber auch von einem Fleischer geschlachtet worden war, dessen Wurstsuppe nie aus meinem Gedächtnis entschwinden wird, so, wie die Freude über Ihre feine kleine Würdigung des behutsamen Entblätterns, des dazugehörenden Müßiggehens, für die ich mich herzlich bedanke.
 
Di, 27.03.2012 |  link | (3688) | 19 K | Ihr Kommentar | abgelegt: lingua franca



 







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