Eine Laterne für Wikipedia Als Autor war ich nicht von der ersten Stunde, aber Mitte des letzten Jahrzehnts ward ich von einem solchen gebeten worden, doch hin und wieder hineinzuschauen, was die Wikipedianer aus seinen Texten gemacht haben, und gegebenenfalls einzugreifen, er selbst sehe sich dazu nicht in der Lage, da sein Herzensarzt ihm als pensioniertem Fachmann des Versuchs nicht einmal mehr die Verliebtheit im literarischen Essay gestatte, also jede Aufregung strengstens untersagt habe. Das habe ich dann auch versucht, es jedoch bald wieder aufgegeben. Da fanden Debatten statt, die ich nicht nachvollziehen konnte und auch nicht wollte. Einmal noch tat ich's dann doch. Vor ein paar Monaten habe ich's doch nochmal gewagt, wie ich es Einemaria mitteilte. Lediglich den Präsidenten einer Kunstakademie wollte ich tilgen, da er ein solcher seit längerem nicht mehr war. Man hat's dreimal wieder rückgängig gemacht, aus mir nicht ersichtlichen Gründen, die ich erst gar nicht mehr erforschen mag. So habe ich mir vorgenommen, von der Encyclopedia Wikipediana zu lassen, auch wenn die akademische Welt sich ihr mittlerweile gar gerührt hingibt. Nun bin ich gestern auf einen Text gestoßen, der all das zusammenfaßt, das mir und anderen zugestoßen ist innerhalb dieses basisdemokratischen Nachschlagewerks des Wissens. Henner Reitmeier, kürzlich zugezogen ins hiesige Bloggerdorf und eine Bereicherung für die Freunde des nicht so knappen Wortes, hat es mit ordentlich Fleisch an den Knochen ausgeschrieben. Ich erlaube mir, einen Auszug zu veröffentlichen, diesen hier vor allem deshalb, da mich diese Scheinneutralität immer seltsam anleuchtete und nach meinem Kenntnisstand nie sonderliche Erwähnung fand: Der Versuch, der menschlichen Subjektivität ein Schnippchen zu schlagen, gleicht Calinos Taktik, eine Laterne anzuzünden, damit er sehe, wie dunkel es in der Höhle sei. Man soll die eigenen Augen nicht benutzen, weil sie einen möglicherweise trügen könnten. Nur der objektive Autor hat das geeignete Instrument, die Wahrheit der dunklen Höhle zu ergründen. Er hat die wunderbare Laterne, die noch nie ein Mensch gesehen hat. Aber die WP-Neutralitäts-Apostel lassen nicht darin locker, den Anschein von Objektivität zu erwecken, um ihn als die Objektivität selber ausgeben zu können. Denn darauf belaufen sich diese „sachlich-korrekten“ Artikel mit den 20 Schubladen und den 60 Fußnoten. In Wahrheit sind sie natürlich stets von Jemand geschrieben worden, und zwar von einem, der wie wir alle seine Befangenheit, seine Vorurteile, seine Launen und diese ganze Verworrenheit hat, in die ihn die 100 Milliarden Neuronen und 100 Billionen Synapsen seines Gehirnes stürzen können, sofern es ihnen gerade gefällt. Und natürlich sind wir auch stets parteilich. Vor allem wünschen wir recht zu behalten, unser Gesicht zu wahren, in möglichst günstigem Licht dazustehen. Doch die wenigsten geben es zu. Und ähnlich wenige machen dann lieber aus der Not eine Tugend, indem sie gleich bewußt und erklärtermaßen parteilich sind. Für die erwähnten Kommunisten ist es selbstverständlich, einen Aufsichtsrat eine Ausbeuterbande zu nennen, es sei denn, sie haben in der Ex-PDS mit dem unaussprechlich anmaßenden Namen überlebt. Der WP-Kommissar dagegen möchte es sich weder mit dem Kommunisten noch mit dem Aufsichtsrat verderben. Er möchte es allen recht machen. In einer Welt, die vor Gegensätzen schreit und die bereits die halbe Milchstraße blutig gefärbt hat, möchte er die mindestens afrikagroße Insel der Wissensseligen schaffen — und natürlich auch verwalten.Man lese den gesamten Artikel, er ist so lohnenswert wie manch anderes dieses Autors, der mit seinem «essayistischen Stil» teilweise direkt aus meinem Kopf zu schreiben scheint. Nachhaltig erheitert hat mich seine verbindende Argumentation zwischen Kommune und Hund: Freilich kann ich es inzwischen, nach 15 Jahren der rotgrünen Restauration, irgendwo auch wieder verstehen. Die Kommunen kämpfen ums Überleben; sie haben wenig Zulauf; man sollte ihnen nicht auch noch die Hunde wegnehmen.
Nach-Denkliches über Nachhaltigkeit Darüber spricht zwar niemand mehr. Aber nachdem ich auf der Suche nach der besten Ruhestätte bei die Fische, quasi beim Probeabtauchen oder Unterwassersurfen, nunmal darauf gestoßen bin, nehme ich mir das Recht heraus, diesen Teil der nachdenklichen gleich nachhaltigen Antwort auf meine Entgegnung kundzutun, die angesichts heutiger Lebensgeschwindigkeit einer komisch wirkenden Geschichtsschreibung vielleicht im Sinne einer Halbwertzeit des Wissens zuzuordnen ist, jedoch zugleich die Frage zu stellen: Wer, verdammt nochmal, ist Gauck? «Immerhin, Sie bringen eine Frage: Wie müsste denn ein akzeptabler Bundespräsident beschaffen sein? Nehmen wir sein absurdes Amt einmal als gegeben. Also, ich würde Loriot vorschlagen. Wäre er nicht so alt, würde ich diesen Vorschlag in aller Ernst-haftigkeit hier affichieren. Aber daran sieht man, wie ich mir so einen Bundespräsidenten vorstelle: Witzig, weise, unterhaltsam, integrativ. Oder nehmen Sie Dieter Hildebrandt. Es ist ja ein Show-Amt. Dafür benötigt man keinen Politiker. Es muss ein kluger, mittel-scharfer Kommentator seiner Zeit sein. Einer, der die Dinge auf den Begriff bringen kann und ihnen eine Pointe abnötigt. Kommen Sie mir jetzt nicht mit Harald Schmidt! — Ach, kommen Sie mir doch, mit wem Sie wollen! Nur Gauck sollte er um Himmels Willen nicht heissen.» Die Nachdenkliche Krankenschwester am 28. Juni 2010. Dazu Felix Bartels sozusagen letzte Worte. Ich, der ich mich im Wasser zuhause fühle wie das EiGelb im EiWeiß (all copyrightet by Apfelfeuilletons), habe mit vielleicht zwölf, eher etwas später erst schwimmen gelernt, und von einem solch wackeligen Brett zu hüpfen habe ich mich allenfalls zwei-, höchstens viermal getraut, aber auch nur, weil ich im Grunde ahnungsloser Frühreifling den Mädchen zeigen wollte, was ich für ein toller Hecht sei. Andererseits: Würde ein Hecht je von einem Brett in einen Dorfteich springen wie der Dotter in das Ei? Aber heutzutage ist ja so wunderlich viel anders als dieses damals, von dem zu schreiben quasi verboten ist, auch wenn man es selbst erlebt hat. Das bringt mich ständig irgendwie leicht ins verwirrte Grübeln darüber, ob man überhaupt noch eine Daseinsberechtigung hat als Übersechzigjähriger, Überfünfzigjähriger, Übervierzigjähriger, Überdreißigjähriger, Überzwanzigjähriger, Überzehnjähriger, bis zurück in die Gebärmutter der eigenen Mutter, vor allem, wenn der letzte Oralorgasmus weit hinter dem Horizont des damals liegt. Sinn-, verspätete Mittlebenskrise? Ist Essen doch der Sex des Alters? Aber vielleicht will ich mich lediglich davor drücken, weiter von der Liebe, von der auf dem flachen Land zu erzählen.
Tod der Urne «Die Urne hat dem Sarg den Rang abgelaufen.» Das ist Bildungsradio in reinster Metaphernform. Es stammt aus den Nachrichten (sic) in der vielzitierten Herrgottsfrüh' von Hirn will Arbeit, dem von mir eigentlich recht gern gehörten, von Berufsjugendlichen für, man möchte es angehörs des Programms bisweilen meinen, übriggebliebenen oder ihren Stand tapfer verteidigenden Langzeitstudenten produzierten Wissenshörfunk, dem Neffen der Kultur und zugleich Kind des spätberufenen Oberopis Deutschlandradio. Gerade, um 13 Uhr, wurde das Thema, ebenfalls in den Nachrichten, erweitert, indem man die Sorgen und Nöte der Friedhofsverwaltungen besprach, die nicht mehr über ausreichend Leichen verfügten. Nicht nur keine Kinder mehr, sondern auch kaum noch Tote? Was ist los mit den Deutschen? Politisch scheint alles die Einfaltigkeit einer einzigen großen Koalition anzustreben, im Tod hingegen scheinen sie sich gar nicht mehr einig, da sind sie gespalten, gar gedreiteilt, denn auch die Seebestattungen nehmen zu. Nun gut, man soll ja positiv denken, also halte ich fest: Je ärger die Politik monokulturell anbaut, um so stärker läuft die Heterogenität in der Leichnamsprophylaxe dem Einerlei des Friedhofs den Rang ab. Dabei scheint die Sehnsucht deutscher Waldeslust der nach der Natur nahe-, wenn nicht gar gleichzukommen. Immer mehr Menschen meiden den Gottesacker, sie gehen nicht nur in den Tann, je nach Alter immer häufiger am (Ski-)Stock, wohl weil die Gesundheitindustrie via Nachmittags- und Frühabends-TeVau das als einzig probates Mittel des lebenserhaltenden Spaziergangs propagiert, sondern auch in den Buchenhain, um sich dort die Stätte ihres endlichen Friedens auszusuchen. Auch hier waren die Künstler einmal mehr, aber dafür sind sie schließlich da, Avantgarde. Ganz schön verblüfft habe nicht nur ich geschaut, als der immer fröhliche, rund sechzigjährige, trotz widrigen Wetters jugendlich oben offen im Roadster angebrauste Harry Kramer der zu einem vierzigsten Geburtstag eines Kunst- und Kulturvermittlers gegen Mitte der Achtziger in einer Kneipe im lauschigen Bad Godesberg versammelten Gratulanten verkündete, er habe sich ein Plätzchen neben einem Baum reservieren lassen, der zum (Habichts-)Wald unweit von Kassel gehört. Dabei ward er ein Friseur aus Lingen genannt, als solcher 1990 im Untertitel von Tanzspiel. Maschinenspiel. Elektrischer Tanz (Novalis) gar geehrt von Günter Metken im Kritischen Lexikon der Gegenwartskunst, und Lingen liegt im Emsland. Doch er war durch seine langjährige Tätigkeit an der Kasseler Gesamthochschule längst eingemeindet. Doch haben sich viele seiner Kolleginnen und Kollegen ohne Bezug zur Stadt, allenfalls zum Fünfjahresereignis documenta, der Wahl seiner Urnenversenkung recht bald angeschlossen. Nicht mehr Waldeslust, sondern Waldesgruft. Der Tod schafft selbst unter andersdenkenden Konkurrenten Gemeinsamkeit wenigstens am Ende. Ich tue hiermit in aller Öffentlichkeit kund, man möge es als testamentarisch verbrieft sehen: Ich will nicht verbrannt und dann im dunklen Wald verbuddelt werden. Schließlich bin ich keine assimiliert aufgebahrte Witwe. Künstler oder Deutscher oder Ökumenist oder Protestantist oder ähnlich Gelagerterist bin ich auch nicht. Das hat eben keinerlei religiöse Gründe, die habe ich bereits in später Kindheit tief begraben. Allenfalls kulturelle kämen dabei infrage, die einen unverrückbaren Grabstein erfordern. Aber selbst diese ideellen Rudimente habe ich längst beerdigt. Ich war und bin, wo auch immer diese seltsamen Anmutungen ihre Wurzeln haben mögen, ein Seeer, Mensch der See, an deren Sand möchte ich gehen, den weiten Horizont und bis hinter den mag ich sehen. Man möge mir einen dieser kulturell fest verankerten Steine um den Hals hängen und mich komplett, also nicht in solch ein enges Gefäß gestopft, denen hingeben, die ich immer so gerne gegessen habe, auf daß sie mich auffressen. Ich will ihnen wenigstens im Tod die Liebe durch den Magen zurückgeben, die sie mir ein Leben lang gegeben haben. Angesichts und mittendrin
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