Österreich oder nicht Österreich

Das ist eigentlich nicht die Seins-Frage. Wir sind alle Österreicher. Sie, lieber Enzoo, inspirieren mich einmal mehr zu einem Dosenöffner, wie intern im Laubacher Feuilleton das linksspaltige Erstseitige genannt wurde, vor rund zwanzig Jahren angeregt durch das fast immer treffliche süddeutsche Streiflicht, hier als Beispiel herangenommen die zuvor erwähnten Investment-Punks, denen ich süddeutsche Journalisten zur Hilfeseite stelle.

Ein Versuch, den Themenblickhorizont zu erweitern, und doch bleibt er wieder hängen im Engen dessen, das mich sozialisiert hat. So gerne ich möchte, ich bekomme den Schlagbaum nicht richtig hoch, schaffe es nicht, wie die Jungen, für die mittlerweile alles grenzenlos zu fließen scheint, ihn verschwinden zu lassen. Zu sehr stecke ich fest im kleinen Grenzverkehr, der mich sozusagen anhaltend geprägt hat. Ein Zöllner stand mir immer irgendwie im Weg, sogar hoch oben auf den Pyrenäen, der hatte Langeweile und war froh, daß sich endlich mal jemand zu ihm hinauf verirrte, auf ein Gipfeltreffen. Und nun das Wetter.

Monsieur le Président bling-bling hatte ich gestern noch einmal abgehakt. Nun kreise ich den Rest des Volkes ein. Das muß «sparen», was immer das auch sein mag, was andererseits eine der Eigenschaften ist, die die Deutschen bewegt — ich weiß gar nicht, ob das ebenfalls zu den hervorstechenden Mentalitätszeichen der Austriaken gehört, wenn ich hier auch ein wenig an den punkig-libertären Investor erinnert werde —, wenn's ansonsten auch vergleichsweise wenige sind, die den Geldzusammenhalt beherrschen. Beim Sparstrumpfen dürfte es sich allerdings ohnehin eher um die Rudimente der älteren Generation handeln, die ihre mühsam gefangenen und langzeitgepflegten Felle davonschwimmen sehen. Die jüngere hat erst gar keinen Wärmeschutz mehr, die Grenzenlosigkeit hat ihren Tribut gefordert, so sieht der Triumph der Freiheit aus. So geht sie gleich nackt zur Party, und sei es unter dem barmherzigen Kardinalsmantel der kleinen Massenkunst vorm großen, hohen Haus des Gesamtkunstwerks, in dessen Götterdämmerung es sich, wie könnte es anders sein, einmal mehr um den Schatz der Nibelungen, hier im besonderen um den Euro dreht. Das ist es wohl, was den Bewegten bleibt, während sich anderswo die Bilderberge(r) stapeln; nun gut, die drängeln nicht so, bleiben würdevoll auf Distanz. Denen ist auch beim Ananaszüchten in Alaska noch warm genug. Wenn ihnen auch keine radikalfeministische Sarah Palin mehr den Inhalt ihres Dekolleté als republikanisches Transparent vor die politische Balustrade hängt; aber deren teepartytantenhafte Sittenhaftigkeit war ohnehin eher was fürs Volksschaulaufen, das läßt der Blick auf die Verkaufszahlen ihrer Autobiographie zu. Von den Kanzeln hoch oben über den Kanzleien der verdeckt Agierenden, den Volksglauben unterstützt vom naturschützenden und pflanzlichen Schmieröl-Verein mit dem niedlichen Panda-Emblem, wird Kunst für alle gepredigt. Damit meine ich das Wasser, das wird insofern als Kostbarkeit für alle dargestellt, gepriesen durch die Steigerung seines Wertes, durch den Verkauf des Erden- und Volksgutes an eben diese wenigen. Den daraus produzierten Wein trinken sie gleich Preciosen selber. Ob die Proteste letztendlich einiger weniger besser Informierter, die Bildung dahingehend richtig verstanden haben, als die sich nicht in der Steigerung firmenspezifischer Gewinne durch das Auswendiglernen von Daten und Fakten zu erschöpfen hat, ob ich das noch erleben werde, das wage ich anzuzweifeln, geht beispielsweise die deutsche Masse doch allenfalls zur Schau ihrer eigenen Beerdigung, zum Public Viewing nicht nur auf die Straße des 17. Juni, die eigentlich einer anderen Freiheit gedenken soll, der des Volksaufstands in der DDR. Der 17. Juni war einmal deutscher Gedenktag. Er mußte weichen zugunsten des Tages der «friedlichen Revolution». Die Zeiten ändern sich eben, werden geändert von den Vertretern des Volkes, das kann nichts daran ändern.

Diese wundersame Geldvermehrung treibt immer ärgere Blüten, als ob ihr System sich ein letztes Mal aufbäumen würde, bevor es sein Leben endgültig dahinhaucht. Auch wenn der Boden längst ausgelaugt, kaum noch Früchte hervorzubringen scheint, wird er weiterhin heftig künstlich, fast künstlerisch oder auch «kreativ» gedüngt von Politikern aller Länder, die darin einig sind wie ein Volk von Brüdern. Es lebe der Kapitalismus — nur noch in seinen schlimmsten Auswirkungen. Da bereitet die bundesdeutsch republikanische Regierung ein Gesetz vor, das den Verkauf von in behördlichen Amtsstuben gesammelten privaten Daten anstrebt. Was die Unternehmen der Datenkrakerei können, meinen die Politiker wohl, das können sie allemale, wen interessiert denn heute noch so etwas wie Datenschutz oder auch informationelle Selbstbestimmung, man muß schließlich im internationalen Wettbewerb bestehen. Wie das Wasser wird des Volkes Gut verhökert, Tafelsilber gleich zur Schuldentilgung, Privatisierung genannt, sollen die Griechen doch ihre Akropolis, überhaupt ihre Inseln verscherbeln, also beileibe nicht nur in den unterentwickelten Ländern der von Erstklassigen so genannten dritten oder vierten Welt.

Und auch der Völker Sparguthaben geht den Weg alles Irdischen, nämlich hinab wie die achteckige Fleischkiste, auf deren Inhalt gefräßige Würmer warten. Wer vor dreißig Jahren im herkömmlichen Verständnis des Begriffes, also tatsächlich gespart hat, die ganz Klugen beispielsweise über seinerzeit noch sichere deutschstaatliche Schatzbriefe oder auch Bundesanleihen, vergleichbar dem französischen emprunt à l'état, der schaut heute nur noch in die tiefe Grube. Von einst bis zu zehn Prozent oder gar noch höheren Zinsen etwa für die geschätzten Briefe sind allenfalls noch ein Zehntel und weniger übriggeblieben. Eine 1982 abgeschlossene Lebensversicherung, zu der Zeit war noch nicht die Rede von dringendst notwendiger Altersversorgung, da versprach ein Politiker in blümigen Worten noch deren Sicherheit, die am Ende zweihunderttausend Mark erbringen sollte, wurde nicht nur durch den abnehmenden Euro-Wert halbiert, auch die zunehmende Geldentwertung nagt mehr als heftig an dem Haufen Nahrung, den der nach der Theorie der Aktion Eichhörnchen handelnde Hamster angelegt hatte. Wer will denn heute tatsächlich noch sparen? Man muß doch bereits dafür zahlen, wenn man den Banken Geld leiht.

Von Schulden ist allenthalben die Rede, die die Völker, ob deutsch, französisch oder sonstwie, abzutragen hätten, und das, obwohl sie die im wesentlichen nicht einmal angehäuft haben, sieht man einmal davon ab, daß die einen oder anderen mit in den Genuß eines Schwimmbades oder eines superben Autobahnkreuzes gekommen sein dürften, das letztlich zur Lagerhaltung nicht nur der PKW-, sondern auch der Billigheimer-Produktion dient, das die einen oder anderen Lokal- oder auch Regionalpolitiker zur eigenen Heiligsprechung haben errichten lassen und auf deren für das öffentliche Publikum veranstalteten Sektempfängen sie herumstolzieren. Die Feierlichkeiten für ihrer Länder Banken will ich nicht vergessen, während derer es auch schon einmal Gesöff aus der Champagne gibt, das sie oftmals nicht von dem aus dem Billigheimer unterscheiden können, weil sie's nicht wirklich mit dem internationalen Austausch haben, den beispielsweise ihre Geldhäuser ziemlich verlustig veranstaltet haben und für deren Niedergänge der wackere Demokrat nun auch noch löhnen soll, in Österreich oder anderswo.
 
Fr, 06.07.2012 |  link | (3792) | 9 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele



 

Meerbuschschaumsauce

an linksrheinischem Kaviar, hinuntergespült mit Moëtschangdong. Da fehlt tatsächlich nur noch Verona, la colonne commémorant une victoire, die Siegessäule des gesellschaftlichen Aufstiegs. Hoch das Bein, die Markenliebe winkt, die Luxusgüterindustrie braucht Soldaten. Der Lachs im Rhein fällt (mir dabei) ein. Der war, wie andere Fische auch samt deren Eier, früher, aber allzu lange ist das noch nicht her, mal ein Arme-Leute-Essen.

Das läßt mich ausschweifen. Von Jochen Gerz hatte ich einst einen Vorläufer seiner sozial anmutenden, jedenfalls das Gesellschaftliche plastizerenden Bilder im Büro hängen. Bis mir jemand die Revolution klaute (leider darf ich es, obwohl ich's gerne täte, hier nicht abbilden, da es sich nicht mehr in meinem Besitz befindet und ansonsten der Nachfolger von Herr Pfennig von Bild-Kunst böse mit mir würde). Der Diebstahl geschah zu der Zeit, als die vom Geld Beseelten in der Kunst allen Unkenrufen zum Trotz verstärkt Mehrwert zu sehen begonnen hatten.

Auf der Suche nach einem anderen Bild in den vielen Schubladen (meiner Schränke) immerhin eine Photographie gefunden, aufgenommen, als die Revolution noch nicht verschwunden war.

Auf eine Verbindung zum Leben, gar auf einen Blick zum Hintergrund der Straßen von '68, auf die Idee wäre der Dieb wohl eher weniger gekommen. Mich treibt das allerdings jetzt zur geradezu gnadenlosen Ausschweifung, abseitig den Titel eines der gerzschen Kunststücke zu paraphrasieren: Der Stein will zurück zur Schleuder. Die Brut will zurück ins Nest. Oder vielleicht auch so: «Der Stein ist viel zu groß (geworden), um je wieder zurück zur Schleuder zu finden.» In verdrängter Kenntnis einst gar nicht so fröhlicher Urständ' niederen Standes essen sie (wieder) das, was in ihrer Mutter Bauch auf den Tisch kam. Und sie nehmen es dort zu sich, wo das herkünftig schlichtere Volk sich während der Eiszeit versammelte: an der Bierbude, die ich in Frankfurt am Main als Wasserhäuschen kennenlernte, allgemein Kiosk genannt. Aber mit solchen massenhaft auftretenden Geröllhaufen wollen die von der neuen Liberalität hochpolierten Findlinge nicht verwechselt, in Verbindung gebracht werden.

Die Russenmafia in der Tatort-Dramaturgie drängt sich mir im weiteren auf. Die hatte ursprünglich auch kein Geld, kam dann irgendwie doch dazu, wenn auch weniger über den Handel von Versicherungen. Der hat seinen Ursprung vermutlich in der niedersächischen Landeshauptstadt. Nein, die heißt nicht Großburgwedel (wo sich übrigens mittlerweile auch der kleine Bürger dringend eine Kunsthalle wünscht; nun ja, auch die neuere Jungbäurin würde nicht in ein altes Haus hineinheiraten). Wenngleich sich das aufdrängt, geht es doch um Meerbusch, offenbar vergleichbar mit Pulheim, «Ministerpräsidentenheimstatt und Wohlstands-Kommune». Überhaupt dräut über mir der Verdacht, im Land der Unterirdischen könnte es noch mehr Emporkömmlinge nicht nur aus dem Bergbau geben als im Land, das vor einigen Jahren angetreten war, die Republik zu dirigieren. Doch der eine zog sich zurück nach Rußland, womit ich selbstverständlich keinerlei Assoziation zu exkommunistischen Triaden herstellen möchte, also solchen Führungskräften, die die Sozialisierung von Banken eingeleitet und deren Schuld den Glaubenden an das Gute in den Politikern überlassen haben. Und ein anderer zog es vor, sich bei schmaler Vorruhestandsrente in sein schlichtes Heim einmauern zu lassen, das Abbild seiner formalästhetischen Utopien, auch seinen geistigen, seinen spirituellen Fähigkeiten entsprechend. Mein Haus ist mein Schloß, wie der an die Immobilie glaubende Engländer zu sagen pflegt, oder auch Burg, wie der dem Mittelalter offensichtlich nicht auskommende Deutsche das übersetzt, da mag's noch so gezogen haben im Wohnturm neben dem Bergfried oder der Kot stinkend durch die, das Reinheitsgebot noch ignorierend, niedlichen Baden-Badens oder Rottenburgs und der Oos' und Neckars geflossen sein.

In einer der von Deutschen sehr geschätzten, mit Intellektuellen besetzten öffentlich-rechtlichen Gesprächsrunden entgegnete einer, der sich als Investment-Punk darstellte, einem anderen, der für ein Anhalten des Wirtschaftswachstums, für ein gesellschaftliches Umdenken, für eine Rückkehr zur Kleinteiligkeit auch des Werkens und des Handels, partiell auch in überschaubaren Währungen plädierte, diese Ansichten seien mittelalterlich, und er vergaß nicht anzufügen, überdies rechtsradikales Gedankengut. Der wirkliche Punk sei die Freiheit der Geldvermehrung. Sie allein mache die Menschen frei. «Ich tue all die Dinge», äußerte er in Der Aktionär, «von denen die meisten von euch nicht einmal zugeben, dass sie von ihnen träumen. Ich wohne an den feinsten Adressen von Frankfurt und Wien, besitze Luxusautos mit insgesamt mehr als tausend PS, esse in den besten Restaurants, tanze in den angesagtesten Clubs und treffe die schönsten Frauen der Welt. Ich bin 34 Jahre alt und gehöre zu den Leuten, die ihr Finanzjongleure nennt.» Irgendwie habe ich Punker anders in Erinnerung, wie auch die Skinheads mal alles andere als national, sondern eher links, also richtig soziale, um den bösen Ausdruck sozialistisch in diesem Zusammenhang zu vermeiden, Wesen waren, da mögen sie noch so komisch ausgesehen haben. Aber so ist das eben: Wen die Mode einholt, der kommt in ihr um.

Die spezifischen Wasserhäuschen von Meerbusch sind ihr unterlegen. Der asoziale Mob im kleineren Format hat sich ihr bemächtigt, jetzt hält er punkig Hof. Der heißt jetzt Party, und aus dem fidelen Hüpftanz Gaillarde wurde auseinander getanzter Rock'n'Roll in quasi analog gemäßigter Form, vermutlich weil der mit Überwurf ein allzu proletarisch-revoluzzerisches Gefühl aufkommen lassen könnte. Auch Lieschen und Fritzchen wollen mit dabei sein, wenn die Hofpost abgeht, wenn das Haupt wie zu des Sonnenkönigs Zeiten höfisch erhoben wird. Da die sich den von Film und Fernsehen erleuchteten Glanz und Glimmer jedoch nicht leisten können, pumpen sie sich ihre Louis d'or für ihren Tanz um die goldenen Kälber, für ihre Karossen und Hofkostüme eben zusammen.

Anderslinksrheinisch werden die gehobenen Lieschen und Fritzchen Marius et Jeannette genannt. Deshalb komme ich auf Louis d'or; er habe ein Lied für die Deutschen geschrieben, teilte einst Hofmann von Fallersleben von Helgoland seinem Verleger Campen mit, aber es koste vier «Louisdor. An Bord des Schiffes spielte die Kapelle für die Franzosen die Marseillaise, für die Engländer ertönte ‹God save the King›, für die Deutschen aber blieben die Bläser stumm. Diese Situation empfand der politisch engagierte Passagier schmerzlich.» So steht's im Bildungswerk. Marius et Jeannette scheinen mir allerdings noch ein wenig mehr als anderswo einem Bewußtsein anzuhängen, ein anderes Verständnis von Freiheit als das unseres Neopunk dürfte als Rudiment des Wissens in deren Köpfen dümpeln. Es mag am linksrheinisch tiefergehenden Unterricht gelegen haben, der die Erleuchtung durch Aufklärung stringenter oder überhaupt thematisierte. Die führte zur Moderne, und die wiederum verhieß in der Folge Reichtum, zumindest Wohlstand für alle. Ingang gesetzt wurde das zu Zeiten, als das Volk sich dank Denis Diderot und dessen Mitstreiter seiner Unzufriedenheit bewußt geworden war. Der König meinte irgendwann, das solle ihm doch die Gründe dafür mitteilen. Sie ließen ihm massenhaft Carnets zukommen, Hefte voller Sorgen. Die viele Post wurde dem Herrn zuviel, so ließ er alles beim Alten. Da heraus entstand die Anekdote, nach der es wider besseres Wissen der Geschichtsschreibung immer wieder auch in öffentlich-rechtlichen Bildungsprogrammen heißt, die aus Österreich eingewandert wordene Antoinette hätte gesagt: Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie eben Kuchen essen.

Etwa dreihundert Jahre nach den Anfängen der Moderne beherzigen sie das. Nur noch Kuchen wollen sie, aber nicht etwa Brioche, was, hätte sie's gesagt, die Königin damit gemeint haben dürfte, sondern lauter leckere Törtchen, am liebsten mit edlem, zart perlendem Wein gefüllte. Erweitert könnte die Metapher auch Kaviar an Meerbuschschaumsauce an der Moëtschangdong-Bude heißen. Wasser am Häuschen ist aus.

Sie haben es zu etwas gebracht. Und das sollen alle sehen. Mein Haus, mein Auto, mein Konto, das gehört allenfalls zum Niederadel. Dem kuckt aber doch keiner zu. Sie wollen hochadelig sein. Ihnen soll der Zwölfender gehören, der sich bei ihnen als der mit zwölf Zylindern und hunderten vorgespannten Edelpferden zeigt. Wo auch immer sie sich die zusammengehandelt, wenn nicht gar -geklaut haben. Die anderen, denen sie das gerne zeigen würden, zu welcher Pracht auch sie es gebracht haben, die bleiben allerdings zuhause oder unter sich, trinken, wenn auch lediglich zu besonderen Anlässen richtigen Champagner und nicht solch eine Allerweltsplempe, wo kein Inhalt drinnen ist, sondern nur ein Markenname die Äußerlichkeit kennzeichnet, und die essen auch nicht nachhaltig Biokaviar und spenden anonym für die Tafel. Sie sitzen an ihr. Manchmal treffen sie sich mit anderen, um sich auszutauschen.Und sie behalten ihre Louis d'or im Trésor, haben diese Münzen ohnehin nicht in Ecu umgewandelt, wie der Euro beinahe mal geheißen hätte. Und sie tun vor allen Dingen eines nicht: Sie sprechen nicht darüber.
 
Di, 03.07.2012 |  link | (4050) | 9 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele



 

Spaziergang von Champ de Foulage nach Pokensé

Auf den Seiten von Blogger.de wird viel von großen Reisen in die weite Welt berichtet oder erzählt. Manchmal finden kleine Erzählungen Erwähnung, die große, großartige Abenteuer sind. Ich denke dabei zum Beispiel an das Buch, für das der hinkende Bote auf seinem Weg nach Sizilien bedauerlicherweise keine Zeit fand: Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus von F. C. Delius. Es gehört zu denen der letzten Jahre, die mir beim Lesen mit am meisten Freude gebracht haben, bei weitem nicht nur, weil er damit Seumes Wanderweg aus neuer Perspektive ergänzt hat, sondern auch weil er ein aus westlicher Sicht ungeahntes Abenteuer erzählte. Beschwerlich war der eine wie der andere Weg, Erkenntnis und Lust förderten sie gleichermaßen.

Lust, ja Sucht haben auch mich bewogen, das Abenteuer eines Spaziergangs einzugehen, nach Pokensé. 1230 steht auf dem Grabstein am Eingang dieses Ortes, der für seine vielen herumhüpfenden Froschschenkel bekannt ist, die aber außer mir niemand ißt, weil der Bauer un sin Fru solche Sauereien nicht kennen, kennen wollen, schließlich sind sie tierlieb. Seit August vergangenen Jahres war es mir aus gesundheitlichen, besser krankheitlichen Gründen kaum mehr möglich, eine Strecke zu Fuß zu gehen, die über hundert Meter hinausging. Zur Ente oder zu einem anderen, zu meiner Mobilität bereitstehenden Fahrzeug schaffte ich es nur im Ruhegang, fast im Leerlauf. So sollte es auch gestern sein: einsteigen, um im direkt anschließenden Nachbarort zum Hof meiner Gelüste zu gelangen: Erdbeeren. Seit das Beet vor meiner Sommerresidenz wegen Überfüllung eingeebnet werden mußte


verlangt mich nach den süchtig machenden von Berodts. Sie machen mich wilder als jedes Weibes Mund. Alles in mir schreit nach Penetration des meinen. Essen ist bekanntlich der Sex des Alters.

Der Deux Chevaux, eigentlich für den Transport von Obst sowie dessen im vergorenen Zustand zu ziemlicher Spiritualität verhelfenden Saft konstruiert, verweigerten sich meinem begierlichen Ansinnen. Auch dessen Batterie ist endgültig leer, seit einiger Zeit wird sie während der Fahrt nicht mehr geladen. Auch ihr persönlicher Autoschmied ist seit einiger Zeit gehbehindert, er allerdings, weil er allzu heftig Fußsport getrieben hat, und kann sie deshalb nicht Huckepack nehmen, um ihr in seiner Werkstatt das Funktionieren wieder beizubringen. Eine lange Weile dachte ich darüber nach, wie ich wohl trotzdem an den Stoff kommen könnte, ohne den ich sicherlich in extreme Halluzinationen des Entzugs fallen würde. Also riß ich mich von etwaigen Lösungstheorien los und setzte die Praxis ingang. Ich spazierte los. Wenn es nicht mehr ging, würde ich mich einfach mitten auf die Dörpstraat legen und mich von hilfsbereiten Menschen abtransportieren lassen.


Es kam dazu, wenn auch erst kurz vorm noch dreihundert Meter entfernten Ziel. Vier Versuche, als Anhalter weiterzukommen, waren fehlgeschlagen. Am frühen Nachmittag eines Sommersonnabends kommt es mir in Holstein beinahe vor wie in der Gegend nördlich von Béziers, wo das faule Pack des Südens auch an Werktagen nur noch unter Früchten liegen und dösen will. Die vier jungen Pärchen in ihren bis ins tiefste energetische Innenleben hochpolierten Karossen ignorierten den einsam vor sich hintippelnden Wanderer mit hilfesuchend hochgerecktem Daumen. Die zwei am Zaun stehenden und tratschenden mitteljungen Weiber hielten es nicht einmal für nötig, dem grundsätzlich alle grüßenden Vorbeihumpelnden zuzunicken. Die Sehnsuchtsstation fast in Sichtweite, noch fünfhundert Schritte eines normal fürbaß Schreitenden nach meinen zweitausend vorsichtig gesetzten verhieß das Schild, nur das Siechenheim mußte ich noch überwindend passieren, wurde ein noch noch vom Werk her hochglänzendes Automobil der Art abgebremst, mit der ein sozialdemokratischer Bundesrepublikkanzler die Wende der Markentreue im offensichtlich ebenfalls von ihm dirigierten Fahrzeugpark einleutete und neue Glanzlichter setzte. Heraus stieg ein wochenendlich adrett betuchter Mann, Sohn eines der verbliebenen drei Bauern des Dorfes, mit dem ich lange nicht geplaudert hatte.

Mit ihm war ich vor einigen Jahren mal unterwegs, um Schweine nach Nordfriesland zu transportieren und von anderswo im Schleswiger Land welche abzuholen, um die dann nach Holstein zu bringen, auf daß sie dann erschossen in einem Supermarkt zur endgültigen Ruhe kämen. Sogar einen firmeneigenen Arbeitsanzug hatte er für mich. In dem saß ich neben dem Klein-fuhrunternehmer auf dem Beifahrersitz des Tiertransporters, als wir auf der Autobahn vom Fahrzeug einer Institution ausgebremst wurden, von der ich bis dahin noch nicht einmal gehört hatte. BAG war darauf zu lesen, Bundesamt für Güterverkehr. Aber der uniformierte Herr vom Lastkraftwagenbundesprüfungsamt kontrollierte mich nicht einmal. Er lächelte lediglich freundlich. Es ist schon schade, da begibt man sich ins Abenteuer, und man ist nicht einmal verdächtig, ein illegal Eingereister zu sein. Offensichtlich nicht einmal Schwarzarbeit stand mir ins Gesicht geschrieben. Aber vielleicht hatte der Lebenskenner ja auf meine Hände geschaut, denen er ansah, daß die nie und nimmer arbeitend einer Sau den Speck über die Haut gezogen hätten. Das Vortäuschen von Arbeit kann arg langweilig sein. Mein für mich Anhaltender hatte mich bereits einmal gerettet. Angesichts der ganzen hochsommerlichen Schweinerei und deren Ausdünstungen war mein Blutkreislauf aus dem Rhythmus geraten und mein Körper zu Boden. Da zog er den in den Schatten uralter Apfelbäume, haute mir zwei-, dreimal ordentlich rechts und links eine rein, worauf ich relativ rasch wieder fähig war, anderen bei der Arbeit zuzuschauen.

Im ehemaligen Pferdestall wird nicht mehr geäppelt, wie wir Buchhandelsbesucher unser gemütliches Beisammensein bei vergorenem Apfelsaft nennen, einem Tun, das wir seit Jahrzehnten pflegen, wenn wir nach Bankfurt und sein Sachenhausen kommen. Wo früher Gäule wieherten, tschilpen heute nur noch die Schwalben. Rund zwanzig Paare siedeln und vermehren sich fröhlich quiekend an dem Ort, in dem's auch mal Hausschweinereien gab, der in der Neuzeit einem Dorfkrug gleichkommt, auch wenn er eigentlich dem Verkauf dient.


Ab Mai geht's los mit Spargel, nach Johannis schickt Bauer Uwe dann seine seit ewigen Zeiten bei ihm wirkenden und wohnenden Polen auf die Erdbeerfelder, für solche wie mich, die zu faul sind zum Selberpflücken. Gestern waren's auch noch Himbeeren. Auch für die bin ich bereit, lange Wege zu gehen. Von Lyon aus bin ich einige Male einem Erzeuger in die heimatliche Ardèche nachgereist, nachdem ich an seinem zwischen Saône und Rhône gelegenen Wochenmarktplatz schmecken durfte, um wieviel gehaltvoller und feiner die waren als die der anderen Händler, deren Plätze sich dort befanden, wo die Mehrheit hinlief und freiwillig auch noch mehr dafür bezahlte. Eine Schale hatte ich gestern bereits während unseres Gesprächs am Tisch des temporären Dorfkrugs aufgefuttert. Letzterer war auch das Hauptthema der Runde, neben dem Tratsch, den man früher innerhalb einer solchen Institution erfuhr. Auch die Dorflebenserfahrenen konnten mir keine nachvollziehbaren Gründen für das Wirtschaftssterben nennen, das die kleinen Gemeinden so schweigsam macht und das mich mehr noch dauert, seit ich Großstädter auch Domizil auf dem Land genommen habe.

Eine gute Tat tat ich dann noch, wenn auch ohne das eventuelle Ziel einer Vorteilnahme, als ich von den Erdbeeren schwärmte, derentwegen ich meinen langen, abenteuerlichen und beschwerlichen Spaziergang nach Pokensé angetreten war. Das müsse ihm runtergehen wie Öl, meinte mein mich aufs neue gerettet habender Chauffeur zum neben ihm sitzenden Früchteerzeuger, der beweist, daß es auch ohne BioÖko geht, beispielsweise mit ganz vielen Pferdeäppeln, die es in der Gegend zuhauf gibt, weil die Landwirtschaft zugunsten von aus Hamburg anfahrenden Freizeitreitern in den immer beleibter werdenden Speckgürtel zurücktritt, und auch ohne viel Gespritze nach dem monsantoischen Prinzip. Eine recht lange Pause des Nachdenkens war den Bauern überkommen, der bekannt ist für seine wenigen Worte. Behutsam hatte er sie sich wohl zurechtgelegt, als sie dann in seiner brummeligen Art, als ob er aus Nordfriesland stammte, dabei kommt meines Wissens seine Frau von dort, fast ausstieß: Ja, das könne er gar nicht oft genug hören, es würde ohnehin so gut wie nie gesagt, was endlich mal gesagt worden war, genau deshalb mache er das, allein das mache ihm Freude, zu hören, wie gut es anderen dabei ginge. Da mußte ich gleich noch ein Schälchen Himbeeren zukaufen. Als Wegzehrung.


Denn der Schweinetransportunternehmer wollte mir Alles- und Vielfresser noch zeigen, wo im winzigen und glücklicherweise versteckten, abseits der Wege von freizeitsüchtig in die Unfreiheit anderer rasenden Motorradler gelegenen Dorf meiner bald auch nicht mehr ganz so neuen Ansiedlung bis vor rund fünfundzwanzig Jahren noch ein Kramer alles mögliche, wahrlich Eßbare aus der naheliegenden Region verhökerte. Daß sich zuvor in meiner Revolutionskate unten in der Wohnung rechts ein Krug befand, dort, wo jetzt ein Emeritus der Germanistik aus Kiel beherbergt ist, den er nicht brechen kann, weil er ihn schon aus Gründen eventuell aufkommenden spirituellen Unwohlseins nicht anrührt, das war mir bekannt. Gäbe es ihn noch, ich müßte keine abenteuerlichen Reisen mehr antreten, der Krug ginge nie zu Bruch, deren Betreiber könnten wahrscheinlich allein von mir, von meinen Eß- und Trink- sowie Tratschgelüsten leben. Nicht nur für den Notfall habe ich zwar die öfter mal einen auf ihrer Terrasse einschenkende Madame Lucette. Das ist zwar immer kostenlos, aber ein Stammtisch mit Dorfneuigkeiten ist das nunmal trotzdem nicht.


 
So, 01.07.2012 |  link | (3436) | 9 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Unterwegs



 







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