Fernsehen zum Einschlafen

gibt es nicht nur, mir hilft es tatsächlich beim Entschlummern. Es muß allerdings monotones Gebrabbel sein, da fühle ich mich wie in meiner Kindheit, nach dem Essen auf dem Sofa, während nebenan geplaudert wurde. Das Gerät wird jeweils zur Selbstabschaltung programmiert. Heute nachmittag schaltete ich das Gerät ein, um via Nickerchen für den Status des Schlafbürgers zu trainieren. Es hat mich in meiner erwünschten Kondition nicht weitergebracht, denn auf meinem haßgeliebten und deshalb ganz oben gepflegten Blütensternengärtchen war gerade der Film angelaufen, den ich einst alleine deshalb auf Video aufgenommen hatte, weil ein in den Achtzigern des öfteren bei mir nächtigender, mittlerweile längst seliger Freund nicht einschlafen konnte, bevor er ihn erneut gesehen hatte. Ich kenne ihn also fast auswendig, zumal er entscheidende Stellen des Films einem Soffleur gleich und sehr zu meinem Mißfallen immer wieder vorsprach. Dennoch war an Schlaf nicht zu denken, er hielt mich wach, geradezu elektrisiert war ich mittendrin gar in aller Hektik gezwungen, die automatische Abschaltung wieder rückgängig zu machen. Und so sei einer der köstlichsten Sätze daraus wiedergegeben, vielleicht auch, weil ich dazu gestern und heute nebensätzlich beim Thema war: «Was der mit Shakespeare gemacht hat, das machen wir heute mit Polen.» (Konzentrationslager-Erhardt)
 
Di, 04.09.2012 |  link | (3139) | 9 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ich schau TeVau



 

Über höchste Ämter

Leichte Themenverlagerung mangels Einfallslosigkeit meinerseits, die mich momentan überkommt, als wär's Frühling, vielleicht liegt's auch am hier zur Zeit herrschenden indischen Sommer als Zeichen des Verwelkens, auf jeden Fall Dank fürs Stichwortgeben für die Seite eins, für ein letztes Aufbäumen, meine Herren Jagothello und Enzoo.

verfügen sie doch, die Deutschen. Sogar über einen für Euro und Englisch, und einen Präsidenten des Parlaments obendrein, auch noch einen Sozi, der es immerhin wagte, gegen eine Galionsfigur aufzubegehren, die unbeschädigt vor der alten Volksfregatte zu hängen scheint, wer weiß, wann die wieder zu Leben erwacht, indem er von einem «Virus der Interessenskonflikte» sprach. «Berlusconi schlug ihm daraufhin vor, er solle die Rolle des Kapo in einem KZ-Film übernehmen, der in Italien gedreht würde:
«Signor Schulz, in Italia c'è un produttore che sta preparando un film sui campi di concentramento nazisti, la proporrò per il ruolo di kapò. Lei è perfetto!»

«Herr Schulz, in Italien gibt es einen Produzenten, der einen Film über Nazi-Konzentrationslager dreht. Ich werde Sie für die Rolle des Kapo empfehlen. Sie sind perfekt!»
Silvio Berlusconi: Diskussion im Europaparlament am 2. Juli 2003»
Wikipedia
Bei Parkettauglichkeit, Durchsetzungsfähigkeit und Verhandlungsgeschick darf vielleicht höchste Leistung angemahnt werden, was sie ansonsten allen, sowohl im eigenen Land als auch den Resteuropäern, gegenüber ständig einfordern. Und Parkettauglichkeit, was heißt das schon. Wäre Madame le Président, die feine Synchronschwimmerin des Internationalen Währungsfonds, das auch geworden, hätte der bereits designierte Aspirant dieses Amtes sich in einem Hotelzimmer in New York nicht so verhandlungsungeschickt verhalten? Hätte er die Verhandlungen gestalterisch so halten sollen wie der Herr, nach dem in des Volkes Mund gar ein ganzes Minderbemitteltensystem benannt worden ist, bekannt beispielsweise durch die Einwohner der Favelas, gelegen in dem wunderschönen Land, in dem so unnachahmlich die Hinterteile geschwungen werden und in das man deshalb gerne reist, wenn das auch nicht immer auf Konzern- und damit Staatskosten geschehen kann? Liegt es an dieser Art von Durchsetzungsfähigkeit oder auch Flexibilität, bei der mir, nicht ganz so nebenbei, einmal mehr die Zeilen aus den achtziger Jahren aus der Erinnerung abgerufen werden?
«Der Marsch nach Kambodscha war ihre Idee gewesen, und nun waren es auf einmal die Amerikaner, die mit bewundernswerter Selbstverständlichkeit die Leitung übernommen hatten und darüber hinaus auch noch englisch sprachen, ohne daß es ihnen eingefallen wäre, daß Franzosen oder Dänen sie vielleicht nicht verstehen könnten. Die Dänen hatten allerdings schon lange vergessen, daß sie einmal eine Nation gewesen waren, und so konnten sich von allen Europäern nur die Franzosen zu einem Protest aufraffen. Da sie ihre Prinzipien hatten, weigerten sie sich, auf englisch zu protestieren und wandten sich in ihrer Muttersprache an die Amerikaner auf dem Podium. Die Amerikaner reagierten mit freundlichem und beipflichtendem Lächeln, weil sie kein Wort verstanden. Schließlich blieb den Franzosen nichts anderes übrig, als ihren Einwand auf englisch zu formulieren: ‹Warum wird auf dieser Versammlung englisch gesprochen, wenn auch Franzosen anwesend sind?›»
Milan Kundera: Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins (Nesnesitelná lehkost Bytí), aus dem Tschechischen übersetzt von Susanna Roth, München 1984, S. 248
Die schöne Schwimmerin des unaufhaltsamen Geldstroms ereilte später der Bannstrahl einer zumindest sprachpartiotischen Institution. Die Académie de la Carpette anglaise rügte sie dafür, auf ihren Versammlungen englisch zu sprechen, auch dann wenn Franzosen anwesend sind. In Deutschland wäre das allenfalls ein Streifschuß im Feuilleton geworden. Wenn es überhaupt bemerkt worden wäre, spricht man dort doch längst pflichterfüllend Business Talk, Live-Zoom, Family Talk et cetera.

Mit dem Exiltschechen Kundera bin ich wieder in Behm, Böhm, Bohémiens und diese ganzen Tschuschen zurückgeworfen, die sich unaufhaltsam in aller Welt, aber besonders gerne dort verbreiten. Frankreich ist seit langem angefüllt von ihnen. Es merkt nur kaum noch jemand, weil sie sich schon länger im Land befinden als die Türken in Deutschland, von den Polen im Ruhrgebiet erst gar nicht zu reden. Möglicherweise hülfe die Neuinstallation eines deutschen Königs oder gar Kaisers, auf daß das Volk endlich wieder jemanden hätte, dem zugejubelt werden darf. Denn was sucht das mehr als Vorbilder, wie der Adel sie beispielsweise bietet, nämlich weitaus mehr als das nur kurzzeitige Berühmtsein. Man schaue sich doch um, wie gut das in Nachbarländern funktioniert, mit dieser Art Zuckerbrot. Österreich muß sich zwar mit einem Surrogat behelfen, der zwar auch bereits wieder abgesetzt ist, aber sich auch in der Wiederholung gut anläßt. Und linksrheinisch existiert immerhin eine ENA, die Schule der Post-Napoleons. Andererseits hatte es auch ein Nicht-ENA-Absolvent dieser Elitehochschule im Endeffekt überwiegend hoher bis höchster Staatsbediensteten der Verwaltung geschafft, zumindest dem mittleren Europa galante Benimmregeln zu vermitteln. Nun ist er zwar aufs Abstellgleis geschoben worden, unser Narkozy, aber auch von diesem Hollander läßt sich die rechtsrheinische Madame le Chancelier nach der Sittenhaftigkeit des goût français gerne die Wangen behauchen, da der schließlich die hohe Schule der deutscherseits nach Knigge benannten, hier doppelhaarigen Ästhethik besuchte. Daß der seinerzeit noch nicht gesamtdeutsche Freiherr mit seinen Ansichten eher nahezu Revolutionäres im Sinn hatte bei seinen Belehrungen der feinen Gesellschaft, sei einmal mehr am Rande erwähnt. Es darf allerdings gemutmaßt werden, der Mann des Volkes im Sinne eines postitalienischen Duce könnte wieder auf den Thron gelangen. Es sei denn, François Hollande gelingt es tatsächlich, seine leichten Linkischkeiten abzulegen und die Haltung eines seiner berühmtesten Vorgänger einzunehmen. Hatte Frankreich je einen geachteteren König als den Sozialisten François Mitterand?

Im übrigen wäre es doch naheliegend, der deutsche Präsident übernähme das Volk. Man müßte lediglich die Gesetze leicht ändern und ihn mit der Machtfülle seines französischen Kollegen ausstatten. Mit grundsätzlichen Änderungen tun die Deutschen sich ohnehin fast so leicht wie beim Wenden. Und man hätte wieder einen König, nicht nur der Herzen, der von rechten Intellektuellen verstanden scheint, sich jedoch dem schlichteren, eher herzlich orientierten Bürger gegenüber um so unverständlicher macht mittels seiner pastoral-diplomatischen Fähigkeiten. Und man müßte sich nicht ständig darauf berufen, daß die englische Erbmasse schließlich ein deutschblaublütiges, volksmündig oder auch -selig gewordenes Panta rhei (na, von wem stammt es denn nun, von Heraklit oder von Platon?) darstellt. Allerdings müßten dann einige, zumindest ein öffentlich-rechtlicher Fernsehrepräsentant, sich tatsächlich in den Stand begeben, der da lautet: Gib endlich Ruhe.

Es steht jedoch an zu vermuten, daß er medienmäßig über eine weitaus bessere Kondition verfügt als der ziemliche volksdeutsche Niederländer Johannes Heesters, getragen von einem Volk, das da im träumerischen Geist der immerwährenden Sehnsucht nach dem guten Alten des Kadaver-gehorsams hurrahend jubelruft: Wir wollen unsern ollen Kaiser Willem wiederhaben. Bis das geschieht, werden sie allerdings mit ihrer Ersatzköniginmutter Theresia Angela vorlieb nehmen müssen. Bis zur Regelung der vierzig Prozent Rente des ehemaligen Einkommens wird das aber sicher noch dauern.
 
Di, 04.09.2012 |  link | (1852) | 0 K | Ihr Kommentar | 



 

Diesseits von Gut und Böse

Der Überlänge wegen habe ich meine Antwort auf die Ihre hierher verlagert, liebe Kopfschüttlerin, quasi infolge der mir immer fremder werdenden Welt. Diese Überfülle mag ich Ihrem Blog nicht zumuten.

Ich gestehe, das Glück gehabt zu haben, selten, fast nie zu Verkehrsstoßzeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sein zu müssen. Das Schicksal war so freundlich zu mir, mich meine Beförderungszeiten im wesentlichen selbst einrichten zu lassen. Auch heute, im Ruhestand, halte ich es so, nach Möglichkeit nie jemandem in die Quere zu kommen, der von alltäglichem Grieskram gemartert ist. Auf diese Weise oder auch Art konnte ich mancher Begegnung ausweichen, die mir bereits im Vorfeld nicht genehm schien. Dennoch hat es sie gegeben, diese Aufeinandertreffen, besser vielleicht dieses eine, die alle meine (Vor-)Urteile über den Haufen geworfen hat. Ein Mann, den ich, auch wegen seines Äußeren, eindeutig nach unten geschichtet hatte, erwies sich aufgrund eines unvorhersehbaren Gesprächs als ein ungemein sympathischer Zeitgenosse, ein zudem gebildeter, also das, was ich darunter verstehe, einer mit dieser bedacht differenzierenden Auswertung von Wissen, der mich an den Maurer erinnerte, der mir so manches aus der bildenden Kunst zutrug, das mir bis dahin fremd war, oder später der Chauffeur eines Camion, der mir in einer Pétanque-Pause beim Pastis in Cassis erstaunlich viel Meinung zur deutschen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts darlegte. Das liegt einige Jahre zurück. Aber ich habe es seitdem immer vor Augen, wenn ich mal wieder versucht bin, mich in meine alte, mütterlicherseits anerzogene Schnösel-position zurückfallen zu lassen und alle anderen für geistig minderbemittelt zu halten, die, um es mit Franz-Josef Strauß zu sagen, kein Abitur haben. Andererseits ich mich in meinem beruflichen Umfeld, und bis vor kurzem trennte ich nie zwischen Arbeits- und Privatleben, jetzt gibt's nur noch Privates, nicht wenige gepflegte, bestens gewandete und druckreif sprechende Wesen kennenlernte, die bei allem Schönreden oder -schreiben letzten Endes nicht verbergen konnten, wie abscheulich weit unten sie geistig positioniert waren. Daran muß ich jedesmal denken, wenn ich Kommentare zur Weltbeschaffenheit lese, die offen- oder scheinbar von sozialem Engagement geprägt sind. Mit so manchem Politiker hatte ich zu tun. Geblieben ist mir einer, dem ich auch heute noch Vertrauen entgegenbringe, weil ich zu wissen meine, daß er es ehrlich meint und auch weiterhin entsprechend aufrichtig ist. Er war es meines Wissens früher, als er sich noch in hohem Amt befand, und ist wohl konstant auch als Randfigur. Bei den meisten anderen habe ich im Lauf der Zeit das erlebt, was allgemein unter Verlogenheit bekannt ist. Ansonsten mündete alles in mein Glaubenbekenntnis: Ich bin definitif ein Ungläubiger geworden. Ich kann die jungen Menschen gut verstehen, die sich abwenden, die mit denen da nichts (mehr) zu tun haben wollen.

Nach meiner Erkenntnis existiert zwischen Politikern und Journalisten der gehobenen Feder eine geistige Verwandschaft, möglicherweise sind es die gleichen Gene. Das mag undifferenzierend, ungerecht, pauschalisierend klingen und ist es sicherlich auch, aber die Summe der Erfahrungen läßt keinen anderen Schluß zu. Und diejenigen, denen dieser Schuh nicht paßt, werden nicht hinein-schlüpfen und dazu eher milde nicken. Die Damen und Herren prügeln sich tagsüber verbal und prosten am Abend in der Zirbelstube oder im Operncafé einander zu. Man kennt das, wenn auch dürftige, Abbild von den Krähen. Alle anderen suchen diese fröhlichen Vereinigungsstätten nicht auf. Aber die gehören auch nicht der Gilde der edlen Feder an. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie dem gehobenen Umfeld einer FAZ, einer SZ, eines ND oder JW angehören. Karrierestreben macht vor nichts halt. Auch wieder pauschal, aber siehe oben. Allerdings ist es wichtig und soll auch so bleiben, daß wenigstens auf dem Papier oder in der elektronischen Kladde wenigstens der Schein gewahrt bleibt, daß weiterhin auf dem sogenannt geduldigen Papier gedruckt wird:
Wo der Deutsche seiner Pogrome gedenkt, indem er Eichen pflanzt, kann auch das Volksfest nicht weit sein. Bierstände, Luftballons, eine Fahrradsternfahrt, ein Konzert mit einem Chor aus 450 Kinderstimmen, ein »Liedermacher«, der »Kinderlieder aus aller Welt« zum Besten gab, und anderes Remmidemmi sorgten in Rostock für Stimmung. Dazu passend hatte man zum Zweck des Gedenkens bzw. zum Zweck dessen, was man in Deutschland dafür hält, ein Zirkuszelt aufgestellt. Mit Hüpfburgen für Toleranz und Integration! Bratwurstessen für die Menschenwürde!
Jungle World
Es muß auf Tatsachen hingewiesen werden, mit dieser Schilderung bin ich eins, da deckt eine Meinung die andere ab. Diese Ähnlichkeit mag durchaus auch in manch einem Blog zu lesen sein, doch allzu häufig lugt da die Fadenscheinigkeit zwischen den Zeilen hervor. Dann mag ich nicht verlinken, da klinke ich mich aus. Denn theoretisch könnte das auch in einem anderen Blatt gedruckt oder verewigt gewesen sein, möglicherweise in dem, das auf der Front- sprich Wirtschafts- oder Innenpolitikseite der gesellschaftlichen Schicht den Kampf ansagt, von dessen geringfügigen Einkommen sie letztendlich lebt, weil die kraft ihrer «ausgeliehenen» Arbeit denen Ansehen und Reichtum verschafft, im Feuilleton aber dieselben Zustände kritisiert. Ob sie jedoch daran glauben, was sie zu Papier beziehungsweise digitalisiert in die Elektronik geben, daran zweifle ich zunehmend. Ich Ungläubiger. Manche mit links schreibendem Herzen ereilten attraktive Angebote von der anderen Seite, die sie nicht ausschlagen konnten. Ich habe seltsame Richtungsänderungen erlebt. Darunter war manch ein einst glühender Sozialdemokrat, den die Finanzwelt aus seinem Status als Kanalarbeiter lockte beziehungsweise hervorholte. Auch Sozialisten begegneten mir in meinem Leben, die alles drangaben, da die Wirtschaft indirekt mit einer Hochschulkarriere zu winken wußte, da sie Lehrstellen und -stühle finanzierte. Mittlerweile scheint mir nahezu alles darauf hinauszulaufen: Wer nicht zugreift, der ist selber schuld.

Vielleicht bin ich zu naiv und glaube doch noch insgeheim und irgendwie oder will glauben, nämlich an das Gute im Menschen, der nicht um des schnöden persönlichen Vorteils willen die anderen, gar Freundschaften drangibt. Möglicherweise liegt es daran, daß ich tatsächlich solches erlebt habe, daß jemand um der Karriere und des damit verbundenen gesellschaftlichen Aufstiegs willen seine Ideale von der Gemeinschaft, die im übrigen der Religion nicht bedarf, nicht aufgibt. Aber es sind wenige, und sie werden immer weniger, christlich-sozial-demokratisch hin oder her, so scheint es mir, oder etwas ist tatsächlich — Hamlet.
 
Fr, 31.08.2012 |  link | (2080) | 5 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Mediales



 

Am Rand des fünfzehnminütigen Berühmtseins

Notizen zum Thema hatte ich mir vorgestern bereits gemacht, da geriet ich gestern hier hinein. Just zu dieser Zeit hatte es einen anderen beschäftigt. Aber das wäre schließlich nicht neu. Und obendrein schildert es einen, wenn auch wesentlichen, Teilbereich der Gedanken, die mir seit einiger Zeit durch den Kopf flirren wie die lauen Sommerabende, die es nahe der Ostseeküste laut Frau Braggelmann im April manchmal geben soll.

Ein Herr durchkreuzt in letzter Zeit immer wieder sekundär mein Leben. Ein, auch zweimal habe ich bereits über ihn erzählt. Er ist Tag und Nacht unterwegs, um diejenigen aufzuspüren, die die Events erst zu Events machen, denn ohne sie wären das vermutlich eher schlichte Veranstaltungen, denen nichts weiter abzugewinnen wäre. Eigentlich ist er Sportberichterstatter. Aber da die Ertüchtigungen ohnehin etwas mit den Leibern zu tun haben, wird er losgeschickt, um sich dazwischen zu zwängen, um für sein buntes Blatt zu berichten. Vielen dieser Leser und, vielleicht besser, Betrachter dürfte es am liebsten sein, wenn, wie seinerzeit bei Zadek im Hamburger Schauspiel, da war das allerdings noch eine Sensation, die Matthes die Brüste über die Balustrade hängt. Doch seit einiger Zeit existieren nicht einmal mehr Vorhänge. Meistens ist er gehalten, ein Gespräch mit den Beteiligten zu führen, das häufig in der Frage gipfelt, ob sie romantisch seien. Ich bin nicht sicher, ob er sich über die Tragweite solcher Fragen inhaltlich gewiß ist. Studiert hat er einmal, sogar ein populäres Sachbuch verfaßt. Aber was heißt das schon, heutzutage schreibt doch jeder, und sei es ein elektrisches Tagebuch. Dabei spielt es bei dieser elemantaren Frage weiter keine Rolle, ob es sich dabei um einen Boxweltmeister oder um einen der bildenden Künste handelt, deren Meinung zur Romantik er jeweils einholt. Die Romantik ist längst darin aufgegangen, indem eine italienische Chansonette einen Monsieur le Président, eine Laufstegartistin einen Hollywoodavantgardisten ehelicht und am Ende gar Adoptivkinderchen dabei zur Welt kommen. Das macht sie so schön bunt, die Welt. Und alle Welt will daran teilhaben. Andy Warholas fünfzehnminütiges Berühmtsein ist zwar längst Alltag geworden. Aber schließlich kann nicht jeder zumindest Deutschlands Superstar werden. Zuschauer braucht es schließlich auch. Und dafür gibt es diese gelben Blätter, auch wenn sie sich bunt nennen.

Wie groß dieser Markt ist, trotz einschlägigen Fernsehens, nicht nur der Privaten, auch das zwangsfinanzierte, für Bildung zuständige öffentlich-rechtliche ist massiv daran beteiligt, vermag ich nicht beurteilen. Doch ich fühle angesichts der öffentlich-rechtlichen Bemühungen sowie der Einschaltquoten seine Überdimensionalität. Das Über tilge ich wieder, es dürfte sich eher um die Dimension an sich handeln, und sei sie noch so eindimensional, wie dieser eine Marcuse das einmal angemerkt hat. Aber aus heutiger Sicht könnte es durchaus sein, daß auch der andere sich hinzugesellte bei diesen Veranstaltungen. Es ist schließlich nicht so, daß nur die eher etwas Einfältigen ihre Festivitäten hätten, zu denen die Berichterstatter anzureisen haben. Auch das Feuilleton hat seine Versammlungen, und nicht nur zur, zu den muß es mittlerweile heißen, denn in Deutschland finden seit des endgültigen Siegs des Schmieröls über den Sozialismus schließlich zwei Buchmessen statt.

Auch ich wollte einmal berühmt werden. Dazu, das war mir rasch klar, war ein bestimmtes Äußeres erforderlich, an dem meine Apartheit sich erkenntlich zeigen sollte. Das hier Gemeinte hat nicht so sehr mit historischer, aber immer noch nicht bewältigter südafrikanischer Abgrenzung zu tun, zumal die sich mit weichem d schreibt, als mehr mit dem gesonderten Einzelnen, wie man es beispielsweise aus dem Buchhandel kennt, wenn ein einzelnes Exemplar bestellt wird, aber durchaus ist bisweilen eine Dame gemeint, die durch ihre Erscheinung auf sich aufmerksam macht. Mit Kleidung also meinte ich es bewerkstelligen zu können. Da mein Vater mir noch zu Lebzeiten einen Teil meiner anstehenden Erbschaft zukommen ließ, investierte ich als junger Mensch in feines Tuch. Darunter befand sich ein Jäckchen, das mir etwas Tänzerisches gab. Und tatsächlich, kaum war ich hineingeschlüpft, bewegte ich mich anders als sonst. So kam es dazu, daß mich eines Tages, endlich, jemand nach meiner beruflichen Tätigkeit fragte und hinzufügte, sie müsse etwas mit Musik zu tun haben. Ich hatte, wenn ich mich recht erinnere, gerade mein neunzehntes Lebensjahr abgeschlossen, und die Frage heftete sich an mich wie edelstes Balsam an meine Haut. Tänzer sei ich, gab ich ihm zur Antwort, bevor ich von dannen schwebte. Kleider machen Leute. Und mache man sich dabei noch so nackicht wie einst der Märchenkaiser oder auch der Münchner Couturier sich lächerlich, der gleichwohl genauso immer sein Publikum um sich zu scharen wußte, auch wenn sein Abgang nicht so glanzvoll war wie seine sonstige bayerisch-königlich anmutende Erscheinung. Sehr viel später erst sollte ich solchen Vorstellungen wieder begegnen, als unser Jüngster fünfzehnjährig vor seiner Karriere als Rockmusiker beschlossen hatte, als schwedisches Unterwäschemodell zu reüssieren. Auch er ist längst von dieser Rolle gefallen und wirkt als Tischler, aber immerhin kreativer als irgendwas mit Medien. Und Musik macht er obendrein noch. Ich mag es gerne, wenn er seine Balladen singt. Sie sind so wohlklingend in ihrer angenehmen Leisheit.

Das Laute. Ich frage mich immer wieder, weshalb diese Leutchens es fortwährend so schrill brauchen, weshalb sie keines dieser Events auzulassen gedenken, wann auch immer ein paar dieser Berühmtheiten angehäuft werden. Weil sie wenigstens ein bißchen Teilhabe haben wollen am Prominentendasein? Sind es, was ich seit langem vermute, weder bin ich Historiker noch Psychologe, die Sehnsüchte nach höfischem Leben? Denn was sich auf diesen Bühnen samt Film- und Fernsehkanälen oder anderen Tuben abspielt, ist doch nichts anderes als eine Nachstellung der Versammlung sogenannter oberen Zehntausend, die sich früher an Fürsten- bis Königshäusern zuknicksten. Immerzu ist die Rede vom abgeschafften Adel und daß das gut so sein, und dann rennen sie alle los, wenn wieder solch ein Auftritt stattfindet und sogar bunte Berichterstatter losgeschickt werden, die eigentlich auf die Paralympics der Unterbelichteten gehören. Ist die Welt ohne diese seltsam anmutenden Hierarchien denn tatsächlich so trist?

Von den aufgeblasenen Hochzeiten will ich erst gar nicht schreiben, zumal die, vor allem in den Kommentaren, durchaus zu meinem Vergnügen abgehandelt sind. Auch ich habe einmal geheiratet, es ging nicht anders, allerdings seinerzeit bereits etwas schlichter. Ich mußte gewußt haben, daß eine Scheidung nicht lange auf sich warten ließ. Allerdings zeichnete sich bereits zu dieser Zeit, es ging auf das Ende der Sechziger zu, eine Entwicklung ab, die das Sterben aller Eheschließungen andeutete. Und tatsächlich scheint es heutzutage mehr Trennungen als Trauungen zu geben, sicher doch, bei dieser Überalterung. Demnach wäre das alles Trompe-l'œil der Gesellschaft, meinetwegen selbstbetrügerische Augentäuscherei: innendrin im Bau, in Herz und Seele tiefste, drögste Kleinbürgerei, auf die Fassade gemalt höfischer Glitter.

Obwohl es längst nicht mehr notwendig wäre, gehen viele nach wie vor den Bund fürs Leben ein, auch dann, wenn sich das verflixte siebte Jahr bereits abzeichnet. Das schwedische Unter-wäschemodell hat's letztes Jahr getan, völlig ohne Zwang. Aber es war immerhin was los, beinahe so schön, wie ich in den Sechzigern als Folge einer Begegnung eine Hochzeit unter Gitanes erleben durfte. Sein Bruder hat immerhin einen Stall voll Kindern mit geehelicht, da bringe ich noch Verständnis dafür auf. Aber es steht vermutlich noch die Schwester an. Nicht, daß ich den beiden ein rauschendes Fest nicht gönne, ich würde sogar die alten Teufelsgeiger hinzubitten. Aber muß deshalb gleich geheiratet werden, und das auch noch wie bei Fürstens zuhause? Um einmal für ein Weilchen auszusehen und berauscht zu sein wie eine Berühmtheit.
 
Do, 30.08.2012 |  link | (2023) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Geschmackssache



 







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