Sprachlich in der Klemme ![]() «Warum wird auf dieser Versammlung deutsch gesprochen, wenn auch Franzosen anwesend sind?» Abgewandelt aus: Nesnesitelná lehkost Bytí, aus dem Tschechischen übersetzt von Susanna Roth, München 1984, S. 248
Herbst wirft sein gruseliges Band Ich kann mit Fantasy nichts anfangen, Gruseleien gruseln mich, da schneidet mich die Phantasie anderer von der meinen ab, ich fürchte mich. Deshalb wohl habe ich noch nie mehr als ein paar Zeilen von Stephen King gelesen. Aus diesem Grund dürfte ich nicht auch nur annähernd zu diesen Erkenntnissen gelangt sein: Herbst. Viele Romane von Stephen King beginnen im September, an einem der letzten warmen Sommertage. Dann kommen die ersten Tiefdruckgebiete, Regen, unheimliche, nicht ganz erklärliche Ereignisse, bis dann Ende Oktober, in der Zeit um Halloween, sich das Monster zeigt. Und selbst wenn es im Frühjahr besiegt sein sollte — nie wieder wird der Sommer so unschuldig scheinen wie einige hundert Seiten zuvor. Stephen Kings Romane sind also alle Romane über das Erwachsen-werden. Und dass es niemals gelingt. [...]Es wird sicher nicht dazu führen, daß es mich drängt, King zu lesen. Ich bin so ängstlich, der Gedanke an Hitchcock reicht bereits aus, mir die Decke über den Kopf zu ziehen. Aber ich bin derart verblüfft über diese Analyse, daß ich mir vorstellen könnte, mal unter meinem Schutz hervorzulugen und einen Blick hineinzuwagen. Morels Besprechung weiterzulesen lohnt sich in jedem Fall.
Teile der/die Romantik Die Romantik bedeutet dem einen Kerzenschein mit der oder dem Liebsten, dem anderen starrköpfige Beharrlichkeit, und sei es gegenüber sich selbst, auf jeden Fall so lang, bis es anderen, den an die unumstößliche Lehre Glaubenden gelungen ist, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Ach, nicht schon wieder, werden jetzt so manche denken. Aber ich bin nunmal beharrlich, Redundanz habe seine Richtig- und damit Wichtigkeit, lehrten mich meine Lehrer, Frauen waren seinerzeit noch zu sehr Minderheit, beim Rundfunk. Ich lasse mir meine Erkenntnisse zur Romantik nicht verbiegen, wie etwa die Wirtschaft das mit mir versucht, indem sie mir zu vermitteln trachtet, das sei keine gesellschaftlich relevante, allenfalls eine weit hinter uns liegende Epoche gewesen, sondern bedeute das marktwirtschaftliche Untersuchungsergebnis, das nur traute Zweisamkeit, das darauf folgende kuschelige Heim mit dem darin und drumherum gelagerten Retro und andere käufliche erwerbbare Glückseligkeiten zuläßt. Am Wochenende hatte ich Einblick in verschiedene Zeitschriften und Warenhauskataloge, nein, ich wartete nicht in des Arztes Zimmer in Hoffnung auf die Vertreibung meiner Visionen, in denen der Begriff sozusagen akut virulent ist. ![]() Das verdunkelt das Bild von ihr, man möchte meinen, man wolle die globalisierten Völker dorthin zurückdrängen, wohin sie nach der Strategen Meinung ohnehin gehören, in die den nicht lesen Könnenden gewidmete biblia pauperum der nachpostmodernen Zeit, der zappelnden Bilderflut. Der immer allgemeiner werdende Sprach- und Bildgebrauch verhängt alles, was ein Lichtlein hineinlassen könnte, das wenigstens bei der Suche nach dem Ausgang aus diesem unterirdischen Labyrinth helfen könnte. Ich bin mir bei der Suche nach den Ursachen nicht im klaren, es ist schon eine Weile her, daß ich die Schule verlassen habe, aber ich ahne und vermute, es könnte an der modifizierten Lehre liegen, im kleinen bestätigt durch Jagothello, der auf curriculare leichte Festgenageltheiten verweist, die Normabweichungen verbietet, diese vielleicht gar unter Strafe stellt, welcher Art auch immer, und sei es die Abordnung an eine Sonderschule für Quertreiber. Einer der mich einst Unterrichtenden, ein Germanist und Romanist, ach was, alles in Zusammenhänge rückender Hochschullehrer, der einzige, den ich je verehrt habe und dessen allzu frühe Sichselbstsegnung ein unvorstellbares Loch in mich gerade das Denken Beginnenden riß, das erst einige Zeit später in Zürich ein für (fast) alles offener schweizerischer Märchenerzähler aufzufüllen wußte, indem er sich meiner Suche nach romantischer Aufklärung annahm, gab mir einen entscheidenden Ratschlag mit auf den Weg: Vertraue keinem, der unter dem Siegel der Objektivität Apodiktisches von sich gibt, erkenne immer selbst und gib die dann gedachten Gedanken erst dann weiter, wenn du offen genug dafür bist, grundsätzliche Offenheit zuzulassen, erst dann gelangst du in die Nähe zur Objektivität. Gut vierzig Jahre danach scheine ich mich ihr anzunähern. Das ist ein geistiger Landgewinn, den mir die Jugend auch nicht annähernd ausmalen konnte. Ich verbinde die Romantik, der ich in der allgemeingültigen Lehre, in der, die sie in die Kategorie Liebe zur Weisheit rückt, nicht unbedingt nächststehe. Für mich, der ich nichts lehre, was ich je gelehrt haben sollte, war bestimmt alles falsch, weil viel zu früh von fester Bestimmung, skizziert beispielsweise Jean Paul, der in des Teufels Papieren anmerkte, «der Mensch ist der große Gedankenstrich im Buche der Natur», die Romantik. Der auf ewig Unvollendete schrieb zu seinem Ende hin eine Entschuldigung bei den Lesern der sämtlichen Werke in Beziehung auf die unsichtbare Loge.Ich kann mich an keine seiner Erzählungen oder auch «kleinen Geschichten» erinnern, die mir in dieser Epoche der sogenannten Gegenbewegung zur Aufklärung über Nebenwege nicht letztlich doch das Siècle des Lumières illuminiert hätten, hier zum Beispiel oder auch beispielhaft mit seiner Dr. Katzenbergers Badereise: «Ein Gelehrter, der den ersten Juli mit seiner Tochter in seinem Wagen mit eignen Pferden ins Bad Maulbronn abreiset, wünscht einige oder mehre Reisegesellschafter.» — Dieses ließ der verwittibte ausübende Arzt und anatomische Professor Katzenberger ins Wochenblatt setzen. Aber kein Mensch auf der ganzen Universität Pira (im Fürstentume Zäckingen) wollte mit ihm gern ein paar Tage unter Einem Kutschenhimmel leben; jeder hatte seine Gründe – und diese bestanden alle darin, daß niemand mit ihm wohlfeil fuhr als zuweilen ein hinten aufgesprungener Gassenjunge; gleichsam als wäre der Doktor ein ansässiger Posträuber von innen, so sehr kelterte er muntere Reisegefährten durch Zu- und Vor- und Nachschüsse gewöhnlich dermaßen aus, daß sie nachher als lebhafte Köpfe schwuren, auf einem Eilboten-Pferde wollten sie wohlfeiler angekommen sein und auf einer Krüppelfuhre geschwinder.Mir ist die Dunkelheit durchdringendes Licht angenehmer, wohler ist mir's, wenn alles ausgeleuchtet ist. In einer strahlend hellen Kneipe sitze ich sehr viel lieber als in finsterer Spelunke, in einer Bodéga, bevölkert von denen, die sich absinthisch mit ihrem «Schicksal» abgefunden haben. Dem von Herbert Köhler in Lethes Freibrief angeführten Gleichnis mag ich nicht folgen müssen, nach dem Diogenes selbst am hellichten Tag mit einer Laterne in der Hand auf der Agora nach Menschen sucht. An der See fühle ich mich behaglicher als im tiefen Wald, und mag es noch so stürmen; dabei liegt mir allerdings Caspar David Friedrichs ewig sehnsüchtelnder Blick in die Ferne, noch dazu bei aller Ablehnung des Fremden bei weitem nicht so nah, fühle ich mich doch nicht so romantisch klein, wie darüber so gerne philosophelt wird, ums auf eine allgemeine oder allgemeingültige Ebene zu heben, die der Herr Magister vom Volksbildungsheim bestimmt, auf daß alles seine wohlgeordnete Ordnung habe, bloß keine Irritation aufkomme. Mein romantischer belle vue auf diese Art belle époque, der auf die See, mit meinem Sehen habe ich alles im Blick, auch wenn ich mich umdrehe. Als romantisch bezeichneter Tinnef ärgert mich, weil die alles zudekorierende Verhübschung durch Naturnähe, die Alpen aus dem Baumarktkatalog den freien Blick aufs Mittelmeer verstellt. Ich will sehen, wer durch die Gänge meines Lebens und damit auch durch das anderer schleicht. Meine Erfahrungen beeinflussen auch andere Menschen. Wenn ich denen ständig vermittle, daran könne man ohnehin nichts ändern und das dann mit Plüsch und Plimm ausstatte, schalte ich der Gesellschaft das Licht aus. Und mit Romantik hat das ohnehin nichts zu tun. Dann sitzen diese Verdunkelten in eben dieser durch Klitterung verdunkelten Ecke der Geschichts-darstellung, die durch die Verkleinerer beispielsweise der Konsumerhöher angestrebt wird. Eine politisch bewußte Gesellschaft darf der Romantik durchaus deren auch kritischen Blick abgewinnen, wie das Schriftsteller dieser Zeit, da etwa wären E.T.A. Hoffmann oder eben Jean Paul, teilweise getan haben. Mir hat sich jedenfalls ein anderes Verständnis von ihr ergeben als das in der Regel angewandte curriculare System, das in jungen Jahren einmal gepaukt und über das in der Zeit danach nicht mehr nachgedacht wurde. Möge man es ein teilromantisches nennen. «Die Zeitlichkeit des Sprechens ist evident. Das Sprechen führt den Zug der zeitlichen Dinge an wie ein tanzendes Kind mit einem Wimpel, auf dem nichts geschrieben steht, oder etwas, das es weder weiß noch versteht, oder mit Kinderschrift: Tod. Deshalb folgt die Kunst in dem Zug der zeitlichen Dinge weit hinten nach, mürrisch. Sie träumt von der Gegendemonstration.»
Wiedersehen ![]() Bei Frau Braggelmann war ich zu Besuch. Das ist diejenige, die meine kleine Kunstsammlung wiederbelebt hat, indem sie sie nach und nach entführt und auf ihre Weise öffentlich gemacht hat. Bei sich zuhause, in einer wahrlich wilden Petersburger Hängung. Jeder verfügbare Winkel ist zugehängt, bis in den Hausflur hinunter. Sogar ihren Vermietern, ein seit Jahrzehnten im Ruhestand befindliches Ehepaar, von dem nicht unbedingt auf Anhieb anzunehmen wäre, es würde das goutieren, gefällt das. Und ihren sonstigen Besuchern auch. Eine wegen Frau Braggelmanns neuem Spielzeug, dem EiPäd, angereiste Bekannte zeigte sogar Kaufabsichten, ein kleiner Uecker hatte es ihr angetan. Unverdrossen stöbert meine Kunstverwalterin bei mir herum, um jedesmal doch noch fündig zu werden in meinem Fundus, von dem ich jedesmal aufs neue annehme, er sei erschöpft. So habe ich, wonach mancher Großsammler sich sehnt, ein Museum. Kein Sponsoring via PPP oder ähnlichem. Vollmäzenatentum. Und nun beginne ich zu entdecken, was seit ungefähr vierzig Jahren sich bei mir angesammelt hat. Die kleine, etwa postkartengroße Zeichnung von Regine von Chossy, passabel photographiert von einem Apfel, dürfte mich vor circa fünfundzwanzig Jahren, es mögen dreißig sein, erreicht haben. Mit einem Mal rückt sie in mein Blickfeld, geht mir nicht mehr aus dem Kopf, beschäftigt mich. Sie gefällt mir wie damals, ich sehe zudem eine fast verblüffende Kontinuität. Angenehme Erinnerungen gesellen sich hinzu. Und nach so langer Zeit der Vernachlässigung mache ich mir erst jetzt Gedanken darüber. Die werde ich in den nächsten Tagen aufschreiben. Und vielleicht auch weitere Gemälde und Zeichnungen aus meinem Museum vorstellen, das mittlerweile auch die Aufmerksamkeit anderer erregt. Und ich hatte sie lange Zeit in meinem Fundus begraben.
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