Solarisation

Als meine Vermieter mir vor einiger Zeit eröffneten, in Zukunft würde die Sonne bei uns heizen, führte ich das zunächst darauf zurück, die Klimawandelproblematik könnte tatsächlich auch im abgelegenen Teil nicht nur Holsteins, sondern sogar in dem des Dörfchens mit noch nicht einmal zweihundert Einwohnern angekommen sein, in dem mein Büro liegt: fernab sogenannter Zivilisation. Hier stört kein Geschwindigkeitswahn die Idylle. Die DSL-Leitung plätschert daher wie das mäandernde Bächlein, aus dem man mal Nahrung beziehen kann oder auch wieder nicht, denn wenn die Fischlein lieber in Adenauers rheinischem Rosengärtchen auf der Stelle herumpaddeln, kommt hier nichts an. Nun gut, wir haben einen Teich hinterm Haus. Aber immer nur diese über zwei Jahrhunderte alten Karpfen?

Mit dem Mobile zu telephonieren ist nur möglich, wenn ich an, vor allem auch in einer ganz bestimmten Position verharre. Oder vor die Tür gehe. Auch gut, denn das täte ich ohnehin viel zu selten, meint die Büddenwarderin immer wieder. Aus dieser Perspektive technischen Standards betrachtet, kam mir das fast kurios vor, als man hier von der Sonne als Heizung sprach. Andererseits, witzelte ich dann dagegen, habe sie diese Funktion längst inne. Denn wenn sie ab mittags die Besucherposition einnehme und somit mein Kathedrälchen der Altersarbeit beleuchte, heize sie, zumindest im wolkenfreien Sommer, dieses aufgrund der nahezu komplett verfensterten Westseite auf Saunatemperatur. Bei der ohnehin gern vorhandenen nordöstlichen Luftfeuchigkeit möchte man dann gerne weg aus der Nähe des Mare Balticum und flüchten nach Kühlungsborn am mer medittéranée, wo mir selbst fünfundvierzig schattige Grade nichts anhaben können, da sie trocken sind wie guter Wein.

Ja, sicher doch, man würde nachholen, was beim Dachausbau damals vergessen worden war: ein Abluftrohr hoch oben auf der Galerie, wo manchmal meine heißen Träume Einzug halten möchten in mich, was ich der fünfzig feuchten Grade wegen dann aber unterlasse und es vorziehe, dann doch den längeren Weg ins städtische Alsterdorf zu nehmen. Und nein, das meine man nicht so mit der Sonne, warf Madame Lucette noch ein, sondern so photovoltaisch. Aha! und méritoire, entgegnete ich, die Einsicht in die Vernunft halte also auch hier Einzug, löblich, verdienstvoll sei das, auch außergewöhnlich für die Gegend hier, in der gemeinhin der Sommer mit seinem Auslöser Sonne auf einen Montag, manchmal auch auf einen Mittwoch falle, aber selten auf ein ganzes Wochenende, weshalb der Grill auch ab acht Grad (plus) angeworfen werde (Norddeutsche Griller sind härter), vermutlich, um den grün betonierten Garten zu heizen, und weshalb man sich die Wärme auch nach wie vor aus Nahost liefern lasse. Worauf eine leichte provinzlerische, um das unkorrekte oder auch -höfliche Adjektiv ardennische, nachgerade jungfräulich wirkende schamhafte Röte das Gesicht der frischen Sechzigerin überzog, sie zugleich aber auch Protest anmeldete. Auslöser seien zugestandenermaßen die Preise für das schwarze Gold aus dem Südosten, aber man heize zudem sehr viel mit Holz, darauf müsse sie dann doch hinweisen, was mich an die vielen in letzter Zeit umgehauenen uralten Bäume erinnerte, derentwegen ich mir unter anderem diesen Büroort ausgesucht hatte, und außerdem werde eine komplett neue Heizungsanlage gebaut, die ausschließlich mit nachwachsenden Rohstoffen betrieben würde, was mich darüber nachdenken ließ, wie lange wohl es noch Wälder geben würde, denn seit langem sehe ich kaum mehr Wanderer, sondern fast nur noch behelmte Holzsägerbuam durch sie eilen, der Ölpreise wegen und so. Doch dann fiel mir die genaue Rechnung ein, die Madame und ihr Gatte kürzlich aufgemacht hatten und die für uns Mieter günstiger als zuvor aussehen sollte: eine etwa zwanzigprozentige Kostenreduktion durch das Heizen mit «nachhaltigen» Pellets. Wobei mir nicht klar ist, wohin die Preisentwicklung sich entwickeln wird. Aber méritoire, durchaus.

Nun ist das neue Dach drauf, die Handwerker kamen, sahen, siegten, nun sind sie und das Gerüst endgültig weg, mein Abluftrohr noch immer nicht gebohrt, auch gut, das spart Heizkosten, und die neue Bedachung ziert eine riesige Photovoltaik-Anlage. Zwar kann ich jetzt mobil überhaupt nicht mehr telephonieren und auch der digitale Fernsehempfang ist nur noch möglich, wenn ich während des Anschauens meiner bevorzugten Sendung über den «Yak-Mist in der Energiewirtschaft» die Antenne mit der Hand in Richtung innere Mongolei aussteuere, aber zuviel elektrische Medien sollen ja gar nicht gut sein, und deshalb ist man schließlich auch nicht aufs Land gezogen mit seiner Arbeit. Ich könnte jetzt einen Fuß vor die Tür setzen und es photographieren, das energiegeladene Sonnensegeldach, die Gelegenheit vielleicht nutzen, ein wenig mobil zu telephonieren, aber dieser lange Weg — vor allem jedoch tendiere ich dazu, es der Phantasie der geneigten Leserschaft zu überlassen, die sich das vorstellen möge, deshalb mal von der vorderen, dann von der hinteren, fast alle Seiten der Revolutionskate also und dann noch das mittlerweile nachhaltig bedeckte Loch.

So sind wir denn alle stolz, zumindest der Vermieter bekundete ein wenig davon während unseres gestrigen Gespräches. Hundertausend Euro kostet das Kraftwerk, ohne die neue Pelletheizung. Und, ach ja, à propos, weshalb man die denn überhaupt noch benötige, war dann meine abschließende Frage, wenn es ohne weiteres möglich sei, mit diesem Kraftpaket oben drauf das komplette Haus zu versorgen? Nun ja, der Strom werde verkauft. An das uns beherrschende Energieunternehmen. Zum Doppelten des Preises, den wir pro Kilowattstunde bezahlen für Licht und Luft aus dem Ventilator. Lieferanten sind überwiegend Braunkohle und sowas ähnliches wie Krümmel (wir werden von einem anderen Heilsbringer bedient als von diesem schwedischen). Das bißchen Sonne fällt nicht weiter ins Gewicht, Pellets sozusagen, früher nannte man das Peanuts, meine ich mich zu erinnern, außerdem zahlt das ohnehin der, der immer irgendwie seine Steuern zahlt, so er keine Verluste et cetera einzubringen hat. Rechnen muß man halt können.
 
So, 05.07.2009 |  link | (5440) | 5 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ansichten


fluechtig   (06.07.09, 17:48)   (link)  
Es bedarf nicht ungetrübten Sonnenscheins, um über Solarkollektoren Energie einzufangen. Bereits ein nicht allzu dicht verhangener Winterhimmel am Mittag vermag Wasser über die Solaranlage zu erhitzen. Ich habe es auch nicht geglaubt, obwohl vom Fach, aber seitdem wir selbst eine solche Anlage am Hause haben, kann ich das direkt nachverfolgen.


jean stubenzweig   (07.07.09, 01:53)   (link)  
Energie- und überhaupt
technisch nicht sonderlich begabt bin ich zwar, aber ich kann es mir vorstellen. In etwa jedenfalls. Sag ich's mal so: Ich weiß ja auch, daß ein Flugzeug fliegen kann. Aber darüber staunen werde ich bis zu meinem Ende. Die Photovoltaik erscheint mir da ein klein wenig faßbarer. Auch kann sie wenigstens nicht abstürzen. Es nutzt trotzdem alles nichts, selbst immer wieder geduldige Töchter, Schwiegersöhne und auch Kleinkinder versagen an meiner Begriffsstutzigkeit. Vermutlich faszinieren mich die Naurwissenschaften deshalb auch so, da man sie mir immer neu erklären muß.

Deshalb beschäftige ich mich wohl auch mehr mit den Randerscheinungen und das auch feuilletonistisch, wie das oben der Fall ist. So bleibt alles immer spannend, jedenfalls für mich. Auf jeden Fall Dank für den Hinweis. Da kommt Sonne auf.


fluechtig   (07.07.09, 10:59)   (link)  
Dem gestaltet sich die Welt gar zauberhaft, der sie immer und immer wieder entdeckt. :)

So vieles ist so rasch entzaubert, hat man erst einmal einen Blick hinter die Kulissen geworfen. Schade, denn mit jeder Entzauberung verlieren wir auch eines unserer großen Wunder.


jean stubenzweig   (08.07.09, 02:48)   (link)  
Älterwerden hat auch sein Gutes.
Unter gewissen Begleiterscheinung lernt man jeden Tag eine neue Welt kennen. Na gut, das war jetzt ein wenig ätzend. Aber es ist tatsächlich so: Zumindest einen anderen Blick bekommt man, andere Perspektiven tun sich auf. Mir geht es jedenfalls so. Und das möchte ich nicht (mehr) missen. Das meint auch: Jung möchte ich nicht mehr sein. Mich überkäme das Grausen, bei den Entzauberungen, die da tagtäglich in mich hineinfahren. Aber gut, als junger Mensch wüßte ich nichts davon ...


caterine bueer   (07.07.09, 09:43)   (link)  
Lügenbold!
Nichts hat sich verändert an der Lage auf dem Dach. Es gibt gar keine Heizung in Deiner Residence. Gefroren haben wir gar jämmerlich heut' nacht. Wir gehen wieder dorthin zurück, wo es wirklich Sonne gibt.















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