Die Angst des Tormanns vor zu vielen schwatten Perlen

Die aktuellen Ereignisse, die mich — die Gründe dafür muß ich noch abklären in mir — mehr erschüttern als vor rund zehn Jahren die in New York, werfen in meiner immerwährenden Magmaküche einmal mehr gewaltige Fragebrocken aus. Da bringt ein Mensch nach akribischer Vorbereitung andere Menschen um und nennt als Anlaß die Verteidigung der Welt vor ihrer Durchmischung. So lange ist das noch nicht her, daß das Durchrassung genannt wurde. Und bei Norwegen fällt mir ein, daß es dort Filialen gab, wo das Germanische (rück-)gezüchtet werden sollte, was es nach unserer Zeitrechnung bereits seit fast zwei Jahrtausenden nicht gab, nicht (mehr) geben konnte, weil das, was in der vereinfachten Bezeichnung je nach Region oder Vorkommnis Barbaren (ganz unten) oder Vandalen genannt wird und dabei eine Vielfalt an Völkern aufwies, längst ein anderes sogenanntes reines Volk aufzumischen begonnen hatte, das selbst längst von allen möglichen Mitbringseln aus dem Osten und dem Kontinent im Süden durchsetzt war, wo die Herren aus Rom nicht nur üble Kriege trieben, sondern auch ordentlich Liebe machten; wie das im linksrheinischen Abkömmling dieser Zivilisationsbringer genannt wird.

Liebe machen. Liebet und vermehret euch fröhlich miteinander. Ob's daran liegt? Alleine bei dem Gedanken daran, daß bei den einen solches Denken überhaupt nicht aufkommen soll und es deshalb gar keine Vorhänge gibt, während die anderen zumindest den weiblichen Part dieser vermutlich zu friedlichen, mehr oder minder lustvollen Maßnahme zur Lebenserheiterung vollständig zugehängt wissen wollen, wirft bei mir die Sirenen wegen der nahenden Scylla und Charybdis an. Pest und Cholera wirft die Assoziationsmaschine noch aus bei dieser anderen Bezeichnung für diese Ängste vor dem Fremden, vor der multikulturellen Gesellschaft.

Mehr als seltsam berührt mich dabei, wie zunehmend ausgeprägt die sich zeigen in letzter Zeit vor allem in skandinavischen Ländern. Wie ich's auch drehe und wende, ich lande immer beim Wissen um die überwiegend protestantische Kultur, die das Leben dort fest im Griff hat, spätestens seit auch diese Christen zu ihren barbarischen Kreuzzügen aufbrachen. Da ich einige Zeit meiner Kindheit und frühen Jugend dort verbrachte, meine ich zu wissen, wovon ich rede. Zwar umfing mich seinerzeit noch nicht unbedingt derartiges philosophisches Gewölk, aber da ich es noch eine Zeitlang als meine Heimat betrachtete, kehrte ich nach meinem Umzug ins zentralere Europa viele Jahre lang immer wieder dorthin zurück und sammelte weiterhin Erfahrungen und Erkenntnisse, die weit über die Grenzen des nordöstlichen Landes hinausgingen, in dem ich zuletzt bis zum Ende der Schule zuhause war. Vor allem in Schweden und Dänemark fiel mir immer wieder diese teilweise gnadenlose Gleichmacherei auf, die manchen zwar sympathisch sein mag, bei mir aber doch erhebliche Probleme aufwarf und -wirft. Eingebracht sei die aus der französischen Revolution stammende und immer wieder als Argument angeführte Égalité, die jedoch nichts anderes meint als die Gleichheit vor dem Gesetz. In Skandinavien aber lautet das Gesetz: Wer sich unterscheidet von dem, das allgemein gültig ist, muß mit Ausgrenzung aus der vereinheitlichten Masse rechnen. Der Andersdenkende darf ja noch sein, weil der Gedanke an sich sich einbilden darf, frei zu sein in seinem Kopfgefängnis. Wer aber seinem Denken gemäß handelt, der wird sich erheblich schwerer tun, als ein aus einem islamischen gottesnahen Staat die dortige Freiheit Suchender sich das in den Anfängen auch nur vorstellen kann. Alles ist eben relativ. Wer vorher keine Individualität leben durfte, dem dürfte die sanfte demokratische Vermassung nicht weiter auf- oder gar als Denk- beziehungsweise Handelshemmnis ins Gewicht fallen.

Über Norwegen weiß ich recht wenig. Da mir auch dieses skandinavische Land und seine Leute immer sympathisch waren, hatte ich es ebenfalls im Blickfeld. Zu einer fundierteren Meinung reichen zwei Grenzübertritte ganz oben im Norden nicht aus, aber ich gehe davon aus, daß es sich in seiner Mentalitätsstruktur von seinen Nachbarländern kaum unterscheidet. Verstärkt wird das durch Einblicke aufgrund der aktuellen Vorkommnisse. Wie in den Nachbarländern haben auch dort sich national nennende Kräfte verstärkt breitgemacht und nehmen zusehends mehr politischen Einfluß.

Finnland nehme ich insofern ein wenig aus, da es innerhalb Skandinaviens immer eine eigenständigere Rolle gespielt hat, was auch in seiner anderswo wurzelnden Mythologie, einer sich daraus ergebenden kulturellen Entwicklung begründet sein dürfte; bereits sprachlich unterscheidet es sich durch seine Zugehörigkeit zum Finno-Ugrischen völlig. Zwar bin ich nicht mehr auf dem laufenden — seit der Wiederentdeckung meiner französischen Wurzeln vor etwa zwanzig Jahren drücke ich der Eishockeymannschaft von Suomi nicht mehr ganz so fest die Daumen —, aber ich gehe davon aus, daß die dortigen rechtslastigen Strömungen auf eine zunehmende Skandinavisierung oder auch Anlehnung an Schweden (der westliche Teil des Landes ist zweisprachig ausgeschildert, und ich hatte beispielsweise eine finnische Freundin, der die Landessprache nur in Brocken über die Lippen kam) zurückzuführen sind, die wiederum mit der Vereinigung Europas zusammenhängen dürften.

Nun gehört Norwegen nicht zu Europa, jedenfalls nicht in dieser politischen Form, die den einen als (geld-)segensreich und den anderen als Teufelswerk gilt. Dennoch hat es einer als potentielle Hölle ausgemacht, die präventiv und im Namen eines anders alleingültigen Gottes ausgelöscht gehört. All diesen Kriegern gemeinsam ist die Furcht vor dem Fremden. Ob sie sich nun im Namen eines islamischen oder eines christlichen Gottes auf den Kriegspfad begeben, es interessiert sie nicht, daß keiner der Pressesprecher dieser Herren da oben je verkündet hätte, man habe den Andersdenkenden umzubringen. Aber vielleicht wissen sie es auch nicht — und das, obwohl sie in der Lage sind, hunderte an Seiten ihrer Glaubensbekenntnisse zu formulieren und zu publizieren —, zum Beispiel, daß es eine Zeit gab, in der die Christen, die Juden und die Mauren friedlich zusammenlebten und das eine ums andere Mal ein bißchen Liebe machten, wodurch auch zu dieser Zeit zu einer gewissen Heterogenität beigetragen wurde. Aber so ist das eben, wenn man das wohlig warme Spanien nur kennt, weil man der ewigen Dunkelheit des Nordens wegen für zwei Wochen an die Sonnenbratstationen flieht und keine Zeit hat, im Landesinneren das Positive der Geschichte zu sehen.

Daß solche Strömungen ausgerechnet in solchen lupenreinen protestantischen Demokratien der Egalisierten mit Sehnsuchtshang zu monarchisch Erhöhtem verstärkt vorkommen, muß ich erst noch ein wenig in mir setzen lassen. Aber das da oben mußte jetzt erstmal raus, es hat mich zu arg gezwackt.

Gerne verweise als Nachtrag auf den Beitrag von Ulfur Grai in dessen Fahrtenbuch.
 
Mo, 25.07.2011 |  link | (3682) | 19 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele


vert   (25.07.11, 21:59)   (link)  
ich habe aus norwegischen mündern immer wieder mal abfälliges zum thema immigrant*innen gehört. die überflutungsmetaphorik gehörte "spaßig gemeint" auch dazu, wenn darauf hin gewiesen wurde, dass pakistan ja menschenleer sein müsse, da alle "pakis" schon in norwegen seien.
die frage, warum man mindestens sechs monate des jahres in spanien verbringe, wenn doch dieses ganze land von ungewaschenen lümmeln bewohnt sei, blieb mir schon als kind unzureichend beantwortet.

trotzdem haben wohl auch viele norweger*innen diese form rechtsradikalen terrorismus nicht in ihrem land gesehen oder sehen wollen. ja, in schweden vielleicht! da gibt's nazis! aber hier in norwegen, da gehört das fähnchenschwenken zur brauchtumspflege - das hat doch mit nationalismus nichts zu tun!
während ich das nichtvorhandensein norwegischer rechtsextremist*innen immer laut angezweifelt habe (dafür muss man auch beide augen fest schließen) und gegen 16:45h, als ich mit einer freundin, die in einem monat nach oslo zieht, mit offenem mund vor dem rechner hing und mir nach einem kurzcheck der rahmendaten ein "das waren nazis!" rausrutschte, würde ich daran festhalten wollen, dass das rotweißblaue fahnenmeer immer noch eher ausdruck von nationalromatik als ein beharren auf die vorherrschaft des nordischen kreuzes ist.

und irgendwann ist mir dieser kommentar aus den fingern geglitten. daher geht es hier weiter...


jean stubenzweig   (26.07.11, 00:02)   (link)  
Mich überrascht es nicht,
was Sie mir da erzählen. Das norwegische Volk hingegen offensichtlich durchaus. Wie sagte doch die junge Frau auf Euronews – sie wolle den Kerl vergessen. Gut, sie hängte das an ihre Aussage, daß es richtig gewesen sei, ihm kein Forum zu bieten. Aber es stellt sich die Frage, ob man hier das, was als neuestes Modesprachmätzchen im Deutschen überhand nimmt, nicht einmal umgekehrt angewandt werden könnte: Sie will ihn vielleicht nicht vergessen, sondern verdrängen. Ich bin voller Erwartung dessen, was da noch kommt. Wenn überhaupt etwas kommt und nicht gleich untergepflügt wird. Aber zur Zeit sieht man ja vor lauter Kirchenkerzenleuchten nichts. Anstatt mal laut in die Öffentlichkeit hinein auch sich selbst zu befragen, woran das eventuell noch liegen könnte.


ulfur grai   (26.07.11, 13:24)   (link)  
Ich habe die jüngsten Ereignisse in Norwegen
auch wie schreckgeschlagen verfolgt und versuche nun mitzubekommen, was jetzt dort auf dem Feld der von Ihnen angemahnten Selbstbefragung passiert. Ich habe den Eindruck, es wird durchaus nachgedacht. Ein paar Artikel habe ich in meinem Blogbeitrag dazu vorgestellt; einer ist von 2007 - so ganz neu ist dieses Nachdenken also nicht. Die Frage ist, wie verbreitet es ist. (Aber das fragt man bei uns vielleicht lieber auch nicht, und sollte es natürlich genau deswegen tun).
Dem Blondie im Fernsehen ging es nach meinem Eindruck nicht um ein Nichtbehelligtwerden oder gar Verdrängen, sondern vorrangig darum, diesem selbsternannten "Kreuzfahrer" kein Forum in der Öffentlichkeit zu bieten. In seinem zusammengepfuschten "Manifest" hat er Auftritte nach seiner Verhaftung und vor Gericht als "Phase II" seines Handelns bezeichnet und es genau darauf abgesehen. Und ich stimme mit der jungen Frau darin überein, daß man ihm dieses Forum nicht bieten sollte. (Hier in Den Haag kann man zur Genüge miterleben, wie unsäglich Karadzic & Co. solche Gelegenheiten weidlich ausnützen.)


jean stubenzweig   (26.07.11, 17:28)   (link)  
Zwar hatte ich erwähnt,
auch Norwegen im Blickfeld zu haben, aber möglicherweise haben da brillige Scheuklappen nicht mehr als die vielzitierte Mitte zugelassen. Bekannt war mir allerdings, «[...] daß es in Norwegen ein bedeutendes – und ich unterstreiche bedeutendes – rechtsextremes Milieu gibt»; darauf stützte ich meine vagen Vermutungen und kombinierte sie mit eigenen Erfahrungen in den Nachbarländern. Ihnen als meinem persönlichen Korrespondenten danke ich einmal mehr; Sie nehmen eben auch öfter mal die Bimmelbahn und steigen an einer Milchkanne aus, um hineinzukucken (angeregt hierdurch: «Zehn Jahre soll er dort gelebt haben? Seine zweite Heimat soll er dort gefunden haben? Er tut geradeso, als hätte er nie an einer französischen Hochzeit teilgenommen, als habe er nie den Alltag irgendeiner Familie geteilt [...]»).

Das mit dem «Blondie», da will ich Ihnen durchaus zustimmen. Doch ich habe das ohnehin nicht unbedingt auf diese Person bezogen, sondern das Bild einfach weiterassoziiert. Daß die junge Frau offensichtlich mittlerweile durch alle Kanäle getrieben und in Kombination mit Blumen- und Kerzenfeldern als Suggestionsmetapher plakatiert wird, gibt mir allerdings auch schon wieder zu denken.* Da ich den Korrespondenten nicht wie dem oben erwähnten unterstellen will, sie gingen über Blondie hinaus nicht weiter unter Menschen, muß ich annehmen, daß die Entscheider in den Redaktionen nachdenklich fragende Meinungen nicht zeigen wollen. Aber vielleicht habe ich ja entschieden zu weitgehende Bilder im Kopf oder bekomme andere nicht mit, und das, obwohl ich ständig auf Empfang geschaltet bin. So wesentlich und auch angebracht ich die ständige Wiederholung des Regierenden empfinde, man wolle eine offene Gesellschaft bleiben, so sehr ärgere ich mich gleichzeitig über diese Gebetsmühle, deren Lauf gerade einem Massenpublikum den fragenden Blick hinter den Mechanismus verstellt. Denn dieser Satz kehrt bei mir vor allem immer wieder: «Womöglich kam dieser Mann einfach aus der Mitte.»

* Da blendet man lieber einen prominenten Krimischriftsteller aus Schweden ins Morgenmagazin ein, der zwar ausgezeichnet deutsch spricht, aber aufgrund der besonderen Ereignisse sich lieber englisch äußert (klar, es ist ja so etwas ähnliches wie ein Völkermord, dem er persönlich entronnen ist; da bin ich direkt bei Adorno und der massentauglich aufbereiteten Einfachstformel: Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch.) und läßt ihn Bedeutungsvolles sprechen – das jeder kennt, der einigermaßen informiert ist. Genommen hat man ihn, weil «er sich in Norwegen gut auskennt». Ah ja.


einemaria   (26.07.11, 12:51)   (link)  
Da stimme ich Ihnen vollends zu ...
Ich laß mir doch nicht von einem Mischvolk den Faschismus erklären ;) Und auch ich vermute dahinter das Treiben der protestantischen Finsterlinge. Schön, daß da jemandem wie Herrn Stoltenberg dazu einfällt, daß es nun gilt, die Offenheit zu mehren. Hat mich überrascht.


jean stubenzweig   (26.07.11, 19:57)   (link)  
Dieses Dokument,
das mir Ihre andere Seite bereits vor längerer Zeit nähergebracht hat und das bei mir auch irgendwo zur Verfestigung meiner Grundmauern tief eingegraben wurde, hilft mir immer wieder bei der beweisführenden Welterklärung. Nachträglich mein Dank!

Zu Stoltenberg, bei dessen Namen ich immer wieder unangenehm an einen anderen Protestanten erinnert werde, nicht zuletzt, da es von seiner Art in meiner nördlichen lieblichen Bürolandschaft fast soviele gibt wie im restlichen Skandinavien, habe ich mich eins weiter oben bereits geäußert:

So wesentlich und auch angebracht ich die ständige Wiederholung des Regierenden empfinde, man wolle eine offene Gesellschaft bleiben, so sehr ärgere ich mich gleichzeitig über diese Gebetsmühle, deren Lauf gerade einem Massenpublikum den fragenden Blick hinter den Mechanismus verstellt.


einemaria   (30.07.11, 01:08)   (link)  
Diese Gebetsmühle
hält einer dekonstruktivistischen Grundhaltung einfach nicht stand. Ist mir fast peinlich, daß ich es toll fand ... kurz. Danke fürs Geraderücken.


jean stubenzweig   (27.07.11, 09:37)   (link)  
Aber auch die Flucht
in alle nur möglichen Sekten und Bewegungen ist möglicherweise ein Beispiel für die drohende Vermassung, von der der Abgeordnete Seebohm 1948 sprach. Das Bedürfnis, in einer Gruppe aufzugehen, die Befriedigung, sich (mit Gitarre bewaffnet und halstuchuniformiert) mit Gleichgesinnten zusammenzuschließen und sich einem gemeinsamen Willen zu unterzuordnen — steht das nicht im Gegensatz zur Vorstellung vom freien Menschen, der allein und für sich selbst nach seiner Wahrheit sucht?

1978


jagothello   (29.07.11, 13:27)   (link)  
Zweierlei
Zum einen: Die monströse Tat berührt Sie stärker als die Septemberanschläge von NY. Das ist in der Tat hochinteressant. Bei mir persönlich ist das andersherum, was vielleicht damit zu tun hat, dass das Leid der Menschen in den Zwillingstürmen via TV quasi live übertragen wurde bis zum finalen Entschluss, zu springen. Ich weiß es nicht. Die hinter unserer Betroffenheit wirksamen Mechanismen haben sicherlich auch mit Manipulation zu tun. Insofern: Wachsam bleiben!
Zum anderen: Kulturchauvinismus allein erklärt herzlich wenig. Sicherlich: Es gibt einen sozialen, historischen, meinetwegen politischen Kontext. Der Täter aber tritt bewusst aus ihm heraus, lenkt den Focus ganz auf sich, spielt für zwei Stunden gottgleicher Racheengel und tötet Kinder/Jugendliche - conditio sine qua non - von Angesicht zu Angesicht. Diese psychopathische Dimension scheint mir bei den Dschihad-Kämpfern zu fehlen (was sie nicht sympathischer macht); sie wird aber mit in den Blick genommen werden müssen, wenn es um die Aufdeckung der Hintergründe geht.


jean stubenzweig   (29.07.11, 17:19)   (link)  
Nachdenken muß ich
darüber noch. Ich hatte es, wie angekündigt, ohnehin vor, mich dazu noch einmal zu äußern. Doch zur Zeit fällt mir das nicht leicht, da ich gesundheitlich durchhänge (und deshalb oder obendrein auch kaum länger als fünf Minuten am Rechner verbringen kann). Wenn's wieder besser wird, dann komme ich darauf zurück. Man habe also bitte etwas Geduld mit mir.


einemaria   (30.07.11, 01:06)   (link)  
Wachsam bleiben
So garnicht vermutend hattend, daß auch Sie die Lanze brechen für das nicht zu brechende Kreuz, darf ich mich hier mal kurz als Wingman einklinken in den anderen fünf Minuten. Ich darf verraten, daß auch bei mir der Name Stoltenberg die Schuppen aus den Haaren fallen läßt. Und es darf auch ruhig mal auf den Gitarrenhalstuchfaschismus hingewiesen werden. Ich darf mal frech sagen, daß es mir nicht die Kehle abschnürt, wenn sich Ideologien gegenseitig an den Kragen gehen. Bei mir überwiegt die Angst, zwischen die Fronten zu geraten - ob nun Racheengel, Amerikaner, Dschihadist, all die anderen Monos oder besoffener Autofahrer.

Der Dschihadist? Sind das mutige junge Männer, die in den Tälern des Hindukush ihre Familien vor den Grossmächten retten, oder sind es bezahlte Söldner aus strukturschwachen Gegenden, angeworben von Geheimdiensten und Drogenbaronen ... und Industrie und Handelskammer? Oder sind es Kämpfer gegen die Religionsfreiheit oder fundamentale bewaffnete Moslems? Sind es vielleicht Playboys, die sich so ein Leben anders garnicht leisten könnten? Sicherlich ist auch der eine oder andere Psychopath unter den Gotteskriegern. Oder ist es einfach nur eine Schublade?

Ist es psychopathischer für eine mir widerwärtige Ideologie 80 Menschen hinzuschlachten, als Abertausende für Öl?

Ist es vielleicht so - das hatte werthester jagothello ja angedeutet - daß wir die Dschihadisten und Amerikaner brauchen, weil sonst unsere Rüstung und somit unser (Waffen-)export aussterben könnte und nicht mehr der Rest der Welt. Einen Racheengel, der jetzt nicht zu den Grosskunden der Waffenindustrie zählt, den brauchen wir nicht. Ganz im Gegenteil, der versaut das Geschäft. Und desshalb ist er böse.

Rein mathematisch ist hier der mediale Fokus weit ab von der Realität. Den Toten wird das herzlich egal sein ... mir wäre der besoffene Autofahrer am unangenehmsten und ich kann nicht im geringsten begreifen, wie selbst ein Stammesführer heute noch ungestraft einen Krieg vom Zaun brechen darf und kann. Es scheint mir eine weltumspannende Geisteskrankheit, daß Krieg und Staatsterror hingenommen werden, als ginge es nicht anders. Und diese Geisteskrankheit vernebelt den Blick auf alles andere. Wachsam bleiben :)


jagothello   (30.07.11, 13:14)   (link)  
Viel Wahres
und Bedenkenswertes sagen Sie da. Man möchte ja manchmal gar nicht mehr so genau hingucken. Sie haben völlig Recht mit der Feststellung, dass die Motive der Täter den Toten am Ende gleich sind. Aber vielleicht lernen wir Lebenden doch noch ein wenig von ihnen und können uns auf sie einstellen. Reflexgleich wird überall immer dieselbe Klaviatur gespielt: Islamistenfeinde, Islamisten, Terroristen- so, als gäbe es im Grunde nur abstrakte, irgendwie übergeordnete Beweggründe. Das verstellt den Blick aber auf ganz profane Motive, die subjektiver Natur sind und die Sie selbst ansprechen.


einemaria   (30.07.11, 13:43)   (link)  
Noch was
So absurd die Diskussion um Dinge wie Durchrassung und Durchmassung, eine Diskussion bezüglich der ideologischen Hintergründe auch sein mag. Sie ist notwendig, wenn wir nicht noch mehr Menschen in die Sprachlosigkeit treiben wollen. Es geht hier nicht darum Podien zu bilden, sondern den Gedanken verbal entgegenzutreten. Gedanken verbieten? Das geht nicht. Rein technisch.


jean stubenzweig   (30.07.11, 17:47)   (link)  
In den fünf Minuten
meiner derzeitigen Rechenkapazität und da kurz der Atem zurückkehrt ist, der mir auch genommen wurde durch diese geradezu widerwärtige, unter anderem von Ulfur Grai angezeigten Debatte innerhalb der deutschen Medien (vor einer Stunde erst der ARD-Haupstadtbüroleiter, der ja gemeinhin noch zu den helleren Köpfen gezählt wird: das Internet, Killerspiele et cetera seien auch ein bißchen mit schuld), bevor ich also in einer allumfassenden etwa fünfzehnhundertseitigen, Essai oder auch Versuch genannten Welterklärung darauf eingehe: Auch ich habe eine Vorstellung von Mitte. Es ist nur eine Frage, wo die sich befindet, ob die sich tatsächlich so nach rechts verlagert hat oder ob die nicht während der letzten Jahrzehnte konstant vorhanden war in ihrem von mangelndem Wissen geprägten Nationalismus noch des 20. Jahrhunderts?

Das Internet ist doch wohl nichts anderes als eine technische Möglichkeit, sich eine Art Burka zu verschaffen, die viele im Namen einer letztendlich auch nichts anderes als ideologisch bestimmten Freiheit so vehement ablehnen und hinter der sich so praktisch eine archaisch anmutende Xenophie verbergen läßt inmitten einer Moderne, die sich für allzuviele mittlerweile in der Definition Warenproduktion und -austausch erschöpft. Jeder, der ein bißchen unter Menschen herumgekommen ist, das muß nicht einmal die heute unter Globalisierung zielgerichtet pilotierte sogenannte große weite Welt sein, der weiß, wie vortrefflich miteinander auszukommen ist, wenn man beispielsweise pädagogische Indoktrinationen der Kindheit auszuschalten bereit ist. Wo ist diese Mitte denn geblieben, die einige unter uns mal fröhlich auf uns zukommen sahen, als wir uns nach allen Seiten hin zu öffnen bereit waren? Mir scheint, spätestens seit 1990 werden europaweit die paar eventuell entstandenen Öffnungen mit enormem Aufwand wieder dichtgemacht, und zwar nach einer perfiden Rezeptur. Im kleinen wird die Identitätsfindung* wieder zugelassen – als Beispiel nenne ich mal die halbherzige französische «Dezentralisierung» – während im großen die Wirtschaftswachstumswalze Euroglobalisierung darübergerollt wird; der so entstandene Bauschutt oder auch Müll wird an den Außengrenzen aufgehäuft. Das ist meine Mitte: ein Miteinander ohne nach außen verschobener Mauer oder eisernem Vorhang.

Auch hier gilt meines Erachtens meine andere ständige Wiederholung: Je geringer die Möglichkeit einer umfassenden Bildung, also diejenige, die zum eigenen Urteil befähigt, und nicht die, die nichts anderem dient als der raschen Steigerung des Bruttosozialpodukts oder des Konzerngewinns, nur die schafft Öffnung oder Offenheit. Der norwegische Stoltenberg, da mag ich Ihnen, bester Hartleiner, recht geben, deutet an, welche Maßnahmen daraus zu folgen haben; meinetwegen sollen 'se dabei auch in die Kirche gehen, in welche auch immer; Hauptsache, sie wird nicht zur verfassungsverankerten Staatsraison erklärt. Mitte also über eine Bildung im Sinn einer modernisierten Aufklärung nach Diderot, d'Alembert usw., zwischendrin mal fortgesetzt von einem gewissen Herrn Lafargue, vor allem aber nicht über den gerade in den Siebzigern bis heute immer wieder (und so manches Mal gezielt) falsch verstandenen Rousseau. Ich erinnere:
Philipp Blom schrieb über Rousseau, den Säulenheiligen der deutschen antiautoritären Bewegung, die den Muff aus den Talaren lassen wollte, er habe im Namen des Edlen und Guten den Weg für die Repression geebnet, er sei «wichtig gewesen für Diktatoren. [...] Das war die Blaupause für die Legitimisierung des Stalinismus von Robespierre, von Pol Pot. Sie haben ihn alle verehrt und gelesen.»
* Identität: Auch hier knirscht es gewaltig im Getriebe. In Deutschland wird ständig von Integration gesprochen, gemeint ist aber meistens völlige Assimilation, also die Aufgabe seines Selbst. Weshalb läßt man den kulturell anders Aufgewachsenen nicht das ihre? Das geht doch schon in der Picardie mit deren Ch'ti oder den Kohlenpottlern mit deren Argot um Currymeyer los und endet nicht im Okzitanischen des Südwestens Frankreichs oder dem für die Dithmarscher kaum zu verstehenden Niederbairisch oder Oberpfälzisch. Identität ist es auch, was ich unter Individualität verstehe. Weshalb zwingt Bruxelles/Strasbourg dem Bergbauern für seine hundert Liter Milch eine Hochleistungskäserei aus Edelstahl in seine Almhütte und verdrängt auf diese Weise gewachsene Kulturen? Vielleicht, weil diese Schreibtischtäter in ihrem vorauseilenden Industriekadavergehorsam noch nie wirklich guten Käse gegessen haben und deshalb alles Fremde abschaffen wollen? Reingelassen wird nur, was angepaßt ist ...

Bis zu den nächsten fünf Minuten.


einemaria   (31.07.11, 13:02)   (link)  
Da wollen wir doch mal versuchen, die längste Kommentarliste hinzukriegen, die in fünf Minuten geschrieben werden kann - solange Sie uns also nicht mit neuen Texten erschüttern.

Das mit dem Käse ist wirklich schlimm. Ich hab da nämlich richtig Gefallen daran gefunden und jetzt musste schon das offizielle Rezept für Camembert umgeschrieben werden, weil nun keine Rohmilch mehr verwendet werden darf. Die Salami, die mein Nachbar in Italien selbst herstellt - man beachte den Herstellungsprozeß, da er auch Motoradmechaniker ist - ist mehr als illegal und könnte vermutlich unser ganzes Dorf hinter schwedische Gardinen bringen. Da werd ich auch persönlich richtig sauer mit diesen europäischen Gurkendiplomaten.

Der Satz von Robert Frost geht mir nicht mehr aus dem Schädel: "Good fences make good neighbours." Also erst wenn klar ist, daß einem die eigene Unterhose nicht unterm Arsch weggeklaut wird, kann man auch andere Unterwäsche akzeptieren, oder so ähnlich. Ich wollte das mit der Aufklärung letztens auch schon mal äußern, bin mir aber nicht sicher, ob das für andere die gleiche Wirkung hat. Sehen Sie sich mal den Fürsten von Niccolo Machiavelli an: viele halten es für die Rechtfertigung einer diktatorischen Herrschaftsform. Ich vermute gar, daß all die fürsorgliche Erziehung uns ein neues Menschengeschlecht liefern wird, dem das Eigene und das Selbst noch viel näher sein wird. Es ist fraglich, wie sehr das Andere da eine Chance haben wird.


jean stubenzweig   (31.07.11, 19:09)   (link)  
Jetzt kann ich nichtmal
mehr fünf Minuten antworten, da nun auch noch mein zweiter, alter Rechner durchdreht, das Word-, nein das komplette systemimmanente Alphabet durcheinanderbringt wie andere Käse und Wurst mit Fabrik. Verdrehte Umlaute, Klammern, Striche, Y wird yum Z, alles muß ich mühsam suchen bzw. einzeln einsetzen. Suchen müssen werde ich wohl erstmal den Apfelknopf, der nach Dr[cken mir das System wieder in ordentliche Funktion bringt. Ich f[rchte, das dauert l'nger als f[nf Minuten. Und das bringt yus'tyliche Probleme.

Vielleicht weiß hier ja jemand Rat, wo ich suchen soll.


jean stubenzweig   (31.07.11, 20:37)   (link)  
Offenbar wurde ich fündig.
Irgendjemand hat mir klammheimlich alles, ausgerechnet mir und mich, auf das US-System umgestellt. Auf einmal war rechts oben am Bildschirmrand ein Sternenbanner zu sehen. Nun ist die Amiflagge weg. Wegweisende Einschnitte.

Also ein bißchen was in Kürze: Alles Käse. Ein guter französischer Regionalist käme nicht auf die Idee, einen Roquefort oder einen Fleur du maquis an seine Geschmacksnerven zu lassen, der nicht aus fettem Rohmilchkäse besteht. Napoleon schrieb seiner Josephine, sie möge sich nicht waschen, er komme (in zwei Wochen) heim. An dieser französischen Einstellung hat sich bis heute nichts geändert. Diese «Gurkendiplomaten» können uns mal. Das haben sie schließlich schriftlich. Es lebe das Reinheitsgebot. Und das geht auch ohne Slow Food (so sehr ich die ursprüngliche Zielrichtung dieses Vereins auch schätze). Ich habe mittlerweile mehrfach von Untergrundbewegungen gehört, die gesetzlos in versteckten Kellern und Baumhäusern richtige Lebensmittel produzieren. Allerdings muß man, um die genießen zu können, dorthin fahren, da sie nicht aus ihren Regiönchen rauskommen, auf keinen europäischen Markt gelangen.

Machiavelli und andere Durcheinanderbringungen in den nächsten fünf Minuten.


jean stubenzweig   (01.08.11, 16:40)   (link)  
Aufklärung und Vernunft,
auf diese Verwandtschaft scheint mir Ihre, Einemaria von der Harten Linie, Erwähnung Macchiavellis zu deuten. Ich bin jedenfalls nicht sicher. Wenn ich hier auf Diderot, d'Alembert et all hinweise, hat das eher die Direction Kirchen- oder auch Religionskritik. Das ist ja der Unterschied zwischen diesen Aufklärern und dem lange Zeit fälschlich als deren «Avantgardist» gefeierten Rousseau, von dessen Raison ich früher ebenfalls ein wenig beeinflußt war, da ich auch über die Literatur an diese Form des Wahren und Guten herangeführt worden war und mich der Doktrin nicht entziehen konnte. Teilweise ist Rousseau bis heute der Führer, für viele nicht ohne triftigen Grund, basierte sein neues Staatsgefüge doch auf den Grundmauern christlicher Lehre; selbst wenn sie in neuerer Lesart Ethos heißen mag. Dutschke fällt mir dabei ein, der mit seinem Gretchen dem protestantischen Eifer nahestand, und auch Vereine wie die Humanistische Union kommen meiner alterswirren Picabia-Assoziationskurve nicht aus, benötigen doch die ebenfalls Staatsrituale, die einer protestantischen Konfirmation ohne Kirche gleichkommen; in der DDR hatte es nach dem Vorbild des großen Bruders aus dem Osten solche Weihen bereits gegeben. Heute werden solche Menschen vielleicht Wutbürger genannt, sogar katholisch dürfen sie sein, so offen ist die deutsche Gesellschaft mittlerweile geworden; wenn auch das politische Verständnis von Öffnung zumindest teilweise ein anderes zu sein scheint als das norwegische.

Eine Vernunft gibt es, von der sich viele geistesfürchtige Menschen Anleihen bei Macchiavelli gekauft haben könnten, zumal es auch um den Staat geht, von Niccolò während dieser Wiedergeburt zum Leuchten gebracht, in der viele sich heute wieder zu befinden wähnen. USA-Anleihen fallen mir dabei vor allem ein, weil's gerade aktuell ist, denn ohne Schulden, das wissen vielleicht sogar ein paar Teetrinker in ihren Planwagen auf dem Weg in die Freiheit des mittleren Westens, geht im Finanzmarkt überhaupt nichts.

Andy Warhol steht als Synonym für Veränderungen auch in den Künsten: Anything goes. Andererseits kommt das kaum noch zur Sprache, befinden sich die Artisten längst wieder in einem Status wie zur Zeit der großen Mäzene, nur daß diese Medici, zusehends mehr auch in Deutschland, das mal eine Zeitlang in der Kunstförderung für Unabhängigkeit von der Privatwirtschaft stand, heute Konzernnamen tragen. Als ich mich noch intensiver mit dieser Thematik beschäftigte, gab es eine große Bank, bekannt dafür, daß sie im Schönwetterfernsehen auch im Regen sang und tanzte, die sich bis in die Achtziger bei der Geldvergabe an die Künste in der Öffentlichkeit so vornehm zurückhielt, daß viele gar nicht merkten, wieviel die für die Förderung der Kultur im Sinn einer Verantwortung durch Eigentum getan haben. Da gab es tatsächlich eine Anweisung von ganz oben, nach der Künstler, die andere Bankhäuser nicht einmal betreten durften, mit Wohlwollen zu behandeln, also ihnen nicht nur Konten zu eröffnen, sondern auch Überziehungen zu gewähren seien. Dann wurde der eiserne Vorhang endgültig zur Recyclingware erklärt und der allerletzte Rest Mäzenatentum in Sponsoring umbenannt. In den Vorstand der erwähnten Bank waren Manager eingerückt, die zwar weiterhin Geld beispielsweise für eine im letzten Krieg zerstörte Kirche Dresdens gaben, aber diese Spende auch als solche allüberall ausgewiesen sehen wollten. Längst ist auch dieser Kulturförderer mit Hilfe von sehr viel (Steuer-)Geld an einen nun in güldenen Farben durch den Regen tanzenden Schirm verhökert worden. Der Bankdirektor, der mir sehr, sehr viel Informationen zu diesem System hatte zukommen lassen, ging mit der glockenumläuteten Renaissance nicht nur dieser Frauenkirche in Frührente, er wollte mit alldem nichts mehr zu tun haben.

Anything goes. Das galt je bereits sehr früh als Vernunft — und auch bei Staatsangelegenheiten wie Macht und deren Erhalt kam dieser Begriff schließlich zur Anwendung —, solange es nur die richtige Richtung hatte. Bereits unser Machiavelli plante mit dem Arno so etwas ähnliches wie einen militärischen Rhein-Main-Donau-Kanal. An dem dürften sich vor allem sogenannte konservative, also im Wortsinn bewahrende Politiker bei ihren Naturbegradigungen orientiert haben, aber sie schlugen gigantische Schneisen auch dort durch deutsche Städte, wo die Aliierten noch etwas hatten stehen lassen. Alles mögliche wurde plattgemacht, und als Blendmaterial wurde ein Vernunftbegriff eingesetzt, der einen sozialen Ursprung hatte, das Neue Bauen. Daß es lediglich die von den dieser Idee verpflichteten Architekten und -ingenieuren entwickelte Technik war, die zur Anwendung kam und nicht etwa die in ihren Anfängen ansatzweise realisierte gesellschaftliche Verbesserung menschlicher Grundbedürfnisse, das merkte kaum jemand. Dafür gab's dann später ziemlich viel postbörnersche Dachlatte auf die Hintern der dann (Alt-)Achtundsechziger, von denen aber ohnehin viele nicht verstanden hatten, um was es eigentlich geht.

Also, ich sehe schon, wir sollten uns vielleicht zunächst einmal einigen, ob Sie die Aufklärung damit überhaupt in Verbindung bringen. Zwar habe ich mit der sogenannten Ratio interpretatorisch vorgegriffen, aber nur aufgrund meiner Vermutung, Sie könnten die Aufklärung aus dieser Richtung kommen sehen.

Für mich hat sie — Mut zur Redundanz — mit Bildung zu tun; das war unter anderem Diderots Ziel. Bildung, das bedeutete mal Muße, Spiel, und die Muse verteilte bisweilen ihre Küßchen. Heute jagen sie vernunftbestimmt und daran gewohnt, täglich mindestens eine Sau durchs politische Dorf zu treiben, Kinder und Jugendliche in Formel-1-Geschwindigkeit zum Abitur, ohne das auch von Meister Röhrich bald kein Ausbildungsplatz mehr zu kriegen ist, und argumentieren dabei, in anderen europäischen Ländern sei das schließlich auch so, man müsse schließlich die Chancengleichheit gewahren. Womit wir uns wieder Griechenland annäherten. Daß in Englands oder Frankreichs Ganztagsschulen dem Nachwuchs nicht nur ein Vielfaches an Zeit bleibt, sondern in diesen Institutionen auch für Muße und Spiel und die Tante küssende Muse gesorgt ist, ist rechtsrheinisch jahrelang verschwiegen worden. In diese weitere Variante ideologischer Unterschlagung eingemengt ist der Deutschen Liebe zum Kind, über das alleine die Eigentümer Eltern zu bestimmen haben. Und die lassen der späteren Karriere wegen die Kleinen bereits im Mutterleib Chinesisch lauschen, als ob's nur eine chinesische Küche gäbe und nicht hunderte. Oder sie setzen sie, wenn die eigenen Kapazitäten erschöpft sind oder nicht ausreichen, vielleicht auch, weil man sie nicht ranließ an diesen Napf, vor die andere Möglichkeit der (Unter-)Bewußtseinsbildung, den Fernseher. Dann fordern sie mit einem Mal von der Schule und damit vom Staat die Übernahme der eigentlich von ihnen zu erfüllenden Aufgaben. Da ist ihnen die «diktatorische Herrschaftsform» oft genug wurscht wie analoger Käse, Hauptsache sie werden satt dank «fürsorglicher Erziehung».

Ach, so viele Fragen stehen an für fünfzehnhundert Seiten (letztendlich hoffnungslose) Welterklärung. Dazu werden noch so manche fünf Minuten erforderlich sein.


einemaria   (03.08.11, 00:30)   (link)  
Sie überschätzen mich - hoffe ich - Diderot? ich lese höchstens mal Sekundärliteratur, eigentlich nur noch Wikipedia. In meinen Blog-Texten verwende ich aber ausschlieslich Parolen. Das schreibt sich flüssiger finde ich.

Aufklärung ja, aber an wem? Mein stets fliesender Glaube hat im Moment das Bild gewonnen, als erdreiste sich nun auch noch das herrschende Bewusstsein, dem Opfer ins Gesicht zu spucken. Einem Bewohner dieses Landes, der dieses Bewußtsein so nicht teilt, wird ziemlich deutlich mitgeteilt - ob architektonisch oder mit Analogkäse - dass er nicht mehr erwünscht ist. Und wer die Prügel nicht einsteckt, tut dies nur deshalb nicht, weil er kriechend sich zwischen Arbeitsstelle, Shopping Mall und TV bewegt. Kein Mensch steht heute mehr am Fließband. Das sollte uns zu denken geben. Vielleicht sitzen wir ja drauf. Im Kindergarten Chinesisch lernen müssen, aber daheim kein Natriumglutamat im Essen. Eine Kommunikationsgesellschaft im Hotline-Betrieb. Das Wort Drama muss heute neu geschrieben werden, insbesondere rechtsrheinisch.

Da ist Aufklärung der falsche Ansatz, nicht die richtige Methode. Die Bodentruppen der hartenlinie rekrutieren sich historisch, wenn überhaupt, aus dem Dadaismus. Sie wären auch schon einsatzbereit ... man nennt dies vermutlich eine Betriebsstörung ... aber wir waren auf Gehsteige trainiert und nun gibt es die schon kaum mehr. Naja.

Bildung ja, aber Schaumbildung. Und zwar kein Augustiner, nicht mal Kaltenberg, nein, Kaiser muss es sein, Kaiser Fasstyp, dem Sponsor des FC Wacker Innsbruck (steht drauf) - vielleicht ist auch der Verein Sponsor des Bieres, wer weiss.
Fast hätte man es vermuten dürfen, daß die Bierdose ihren kulturellen Höhepunkt erst feiert, nachdem sie so gut wie verboten wurde. Das tut einfach gut nach zwei gewonnenen Weltkriegen.
Ich trinke viel davon, weil ich möchte, daß mein Blog lustig und unterhaltsam wird, leider funkt mir da die Staatslage ins Gebälk. Und jetzt auch noch das Wetter. Wo bleibt der verdammte lash-back?

Nun gerät der Dosenbetrieb hier derart aus den Fugen, daß ich nur noch schnell einen lieben Gruss an Meister Johannes schicken kann und















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Jean Stubenzweig motzt hier seit 5808 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 22.04.2022, 10:42



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