Alkoholtote Neunaugen

«Der Trick ist, sie in gutem trockenen Sherry zu ersäufen. [...] Auf die Neunaugen muß man dabei nicht allzuviel Mitgefühl verschwenden, denn sie sterben einen Tod, den zahllose Menschen ersehnen, nämlich an akuter Alkoholvergiftung. Selig besoffen, mit anderen Worten. Sie müssen dann zwölf Stunden in einer kühlen Speisekammer in dem Sherry liegenbleiben, damit dessen Aroma das Fleisch von innen und außen durchdringen kann.
[...]
Geschrieben, versteht sich, zu einer Zeit, als die Erde und was darauf kreucht und fleucht, uns noch untertan waren. Heutzutage haben wir Pizza, und die Welt sieht danach aus.»
Zu diesem Buch, das mich quasi zu und mit Henri II. de Hambourg erreichte, von dem ich etwa drei Viertel gelesen habe und bereits darüber zu trauern scheine, daß es bald zuende sein wird, weshalb ich es zusehends langsamer lese, es also genüßlich lutsche wie das Fett vom Auge des Salms, werde ich voraussichtlich noch näheres verlauten lassen. Es kann aber eine ganze Weile dauern, da ich es möglicherweise erst noch einmal lesen mag, weil ich diesen Alien Pie, einer Pastete aus geräucherter Katze, Karettschildkröte und vielen ebenso unexotischen Ingredienzien wie beispielsweise grünem Speck, frischem Ingwer, Haushaltspetrolium, einer Bussardfeder als Krönung und, im besten Wortsinn, köstlichen Anspielungen auf Künste und Kulturen sowie deren genmanipulierten Fehltriebe viel zu schnell verschlungen habe, weshalb die eine oder andere Zutat an meinen Geschmacksknospen vorbei kerzengerade ins Rectum gefahren sein könnte.

Ein wenig fühlt es sich an, als ob da unten ein kleinkindfaustgroßer Trüffel festsäße, der nur deshalb durchflutschte, weil er mit einem Eimer voll kellerduftendem Champagner hinabgespült wurde: Ein Sakrileg, begangen an durchkomponierter Schreibkunst, hervorgerufen von zeittypischer Raserei: des Hinunterschlingens von Edlem? Oder schlicht ein Klumpen, geformt vom einen oder anderen leicht manierierten Tröpfchen sowie überbeanspruchten und deshalb zum sprachlichen Kracher verunglückten Witzchen und damit durchgerutscht und unausgewertet auf den endgültigen Abgang wartend?

Ich könnte es machen wie die Wiederkäuer: alles von ganz tief unten hochwürgen, erneut und dieses Mal ordentlich kauen, um es anschließend und endgültig der Verdauung zuzuführen. Aber ich bin ja kein Rindvieh. Es geht schließlich nicht alleine um lebenserhaltende Maßnahmen, sondern um Genuß. Und den habe ich ich ohne jeden Zweifel.

Aber am besten lese ich es erstmal zuende und blättere gegebenenfalls zurück in:

James Hamilton-Paterson: Kochen mit Fernet-Branca. Aus dem Englischen (in ein filigranes, nachgerade wohltuendes Deutsch übertragen) von Hans-Ulrich Möhring. Stuttgart 2005
 
So, 28.12.2008 |  link | (8018) | 3 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Kopfkino


ulfur grai   (28.12.08, 18:20)   (link)  
Oh ja, lecker! Meine Lieblingsgerichte wären allerdings "Pandschabi in Kohlrabi", "Wiedehopf im Siedetopf" oder die unübertroffene "Rotbauchunke in Knoblauchtunke".
Damit Sie die Köstlichkeiten in Fernet Branca aber nicht noch einmal aufwärmen müssen, hier der Hinweis, dass es doch längst (die allerdings nicht mehr ganz so spritzige) Fortsetzung gibt (eine Fortsetzung eben): Einarmsegeln mit Milli, letztes Jahr erschienen und wieder übersetzt von dem vorzüglichen Hans-Ulrich Möhring.
Guten Appetit und guten Rutsch!


jean stubenzweig   (29.12.08, 01:58)   (link)  
Angenehmer Besuch
hier. Schön, Sie zu lesen.

Es war ja klar, daß einer wie Sie das alles schon kennt. Bei mir ist es mittlerweile zum Normalzustand geraten, etwas hintendran zu sein. Gleichwohl ich nie neuerscheinungsbesessen war, es mittlerweile sogar genieße, von Empfehlungen überrascht zu werden und durch Geschenke von Menschen, die mich gut kennen und wissen, wie meine Kurzweil beschaffen ist. Von der «nicht mehr ganz so spritzige(n) Fortsetzung» Einarmsegeln mit Milli habe ich bereits gelesen, und ich werde wohl darauf verzichten – «eine Fortsetzung eben». Allerdings werde ich mich sicher früheren Büchern von Hamilton-Paterson widmen, ebenso dem Übersetzer Hans-Ulrich Möhring, wahrhaftig eine Entdeckung.

Da Ihnen Literarische Völlerei ähnlich genehm zu sein scheint wie mir, ein Hinweis von meiner Seite aus (der sich hinter dem Link verbirgt), ein «Erinnerungsbuch. Es verbindet Düfte mit Erlebnissen, Ereignissen. Dabei ist Opincar der französischen Literatur sehr nahe, die Begebenheiten des Lebens mit Gerüchen assoziiert, allen voran Marcel Proust mit seinem Hauptwerk Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (À la recherche du temps perdu). Die Kraft der Wahrnehmung (Ästhetik), des Geschmacks bannt sie alle, Proust, Opincar und deren Leser. Sogar Kant blinzelt mit seiner Urteilskraft hinein ins Buch.»

Aber vermutlich kennen Sie ihn längst, diesen als Roman deklarierten Vademecum schmunzlerischen Weltkulturküchenlateins. Andererseits sollen hier ja noch ein paar andere mitlesen ...

Die Wünsche für das Neue Jahr gebe ich gerne zurück.


ulfur grai   (29.12.08, 23:17)   (link)  
Noch ein Lesetip
Vielen Dank für die lukullo-literarische Empfehlung, denn Opincar kannte ich denn meinerseits nun doch noch nicht, habe mir den Titel aber gleich auf meiner Wunschliste notiert.
Da "Einarmsegeln mit Milli" keine uneingeschränkte Empfehlung war, erlaube ich mir, mich mit einem Tip zu Ihrem lohnenden Vorhaben zu revanchieren, HUMöhring genauer kennenlernen zu wollen. Vermutlich wissen Sie nicht, daß er in diesem Jahr ein erstes eigenes Buch vorgelegt hat. Sicher kein leicht eingängiger Roman, aber eine wahre Fundgrube an interessanten und klugen Beobachtungen und Überlegungen in einer stets aufmerksamen und sensiblen Sprache. Titel - wie könnte er anders lauten? - : "Vom Schweigen meines Übersetzers" (Fahrenheit, 2008)















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