Hauptsache Currywurst

Ich mag keine Currywurst. Ich mag keine Currywurst mehr. Das verlangt Präzisierung. Alfons Schuhbeck darf mir dabei assistieren.

Der einstige Heroe der Rührung gegen die Tütensuppe erklärte dieser Tage ein paar unentwegten Verfechtern des immerguten Alten, weshalb man die Weißwurscht gar nimmer zutzeln könne, da sie eine völlig andere, sehr viel festere Konsistenz habe als in früheren Zeiten, zu denen sie das Zwölf-Uhr-Läuten nicht erleben durfte, im Magen verschwunden sein mußte, weil sie in besagten guten alten Zeiten gegen Mittags verdorben sein würde. Überhaupt erläuterte er unterhaltsam aufklärend vor kleinem Publikum mit vielen Zuschauern, die wiederbelebte und mittlerweile in bescheidenen Massen im Umlauf befindliche Küche von Omi sei an Tageszeiten beziehungsweise saisonal orientiert gewesen, und was an Maßnahmen über diese zeitlichen Richtlinien hinausgehe, habe der Erhaltung der Produkte gedient. Der Sauerbraten beispielsweise entstand nur deshalb, da das Fleisch haltbar gemacht werden mußte. Böfflamotte, aus dem französischen Boeuf à la Mode gemischt, ist ein weiteres Zeichen der Haltbarmachung oder Verweichlichung durch Salzlake. Salz und Essig waren also Omis — vielleicht wäre es zeitlich genauer, Uromi abzurufen oder auch zu renaissancieren, da deren Tochter Großmutters Enkel geschmacklich längst auf die unerläßliche Beigabe zum alltäglichen Kilo Rinder- oder Schweinebraten eingestimmt hat: die Sauce aus der Packung.

Diese Mittel, das Mindesthaltbarkeitsdatum vorwegzunehmen, sind also nicht mehr erforderlich. Das im Supermarkt und nicht beim Erzeuger oder wenigstens beim vertrauensvollen Schlachter gekaufte Fleisch sollte man ohnehin am besten gleich ins Klo kippen, auf daß wenigstens die lieben Haustierchen in der Kloake noch ein bißchen Freude am Leben haben. Man kann also durchaus auf Versalz- oder Essigung verzichten und dafür Wein hernehmen. Der irritiert zwar die an das von den wochenendlichen Besuchen bei Uromi altgewohnte Geschmacksnerven, kann ihnen jedoch im positiven Fall eine neue Orientierung geben. Als ich vor etwa zehn Jahren antrat, junge Menschen das Fürchten inform des neuen Schmeckens zu lehren, wollte anfänglich zwar nur einer den Kopf nicht mehr aus dem Topf nehmen, aber mittlerweile nehmen sie alle den Lebenssaft wenigstens zur Parfümierung des Fleisches, und auch den Kenntnisstand über Kräuter ud Gewürze haben sie über Pfeffer, Salz und Petersilie hinaus erweitert. Sogar Knoblauch empfinden sie nicht mehr als gar so artfremd, vor allem seit sie wissen, daß der nur dann stinkt, wenn man sich nur einmal monatlich wäscht, er seine Geruchsstoffe also transpiriert. Wäre dem nicht so, stänke der gesamte Süden Europas oder alles, was dazugerechnet wird. Aber diese Regionen der Feinwürze stinken den an Uromis Pfeffer, Salz und Petersilie Gewohnten und dem Altbewährten in ewiger Treue Verbundenen ohnehin.

Überkreativitäten können allerdings auch Nachteile erbringen, nicht nur für die Geschmacksnerven. Aber bleibe ich bei dem, um das es hier eigentlich geht: um die (Curry-)Wurst. Vor etwa drei Wochen orderte Frau Braggelmann für mich eine dieser Variationen dieses wurst case. Sie ist glühende Verehrerin bayerischer Bratwurst, für die sie weite Strecken bis an Münchens Fäkalienmarkt inkauf zu nehmen bereit ist, wenn sie sich auch seit längerer Zeit ebenso in der Mitte Lübecks lustvoll im Wurst-Himmel tummeln darf. Sie wollte mir wohl etwas Gutes tun, wußte sie doch, daß ich diese Wurstform früher am Wittenberg- oder am Savignyplatz des öfteren zu mir genommen, ja sie kurzzeitig gegenüber dem Bilka an der Kantstraße, Frau Uhse war noch lange nicht eingezogen, sogar mal verkauft hatte, bis ich sie nach drei Nächten bis früh morgens um vier nicht mehr sehen konnte, weil janz Balin sie mir abzuverlangen schien. Aber die, die Frau Braggelmann mir über einen sogenannten Pizzaservice hat kredenzen lassen, die hatte nicht nur das Zwölf-Uhr-Läuten bei weitem überschritten, sondern auch die Grenzen des guten Geschmacks. Ich muß daher annehmen, daß die globale Geschmacksindustrie sich mittlerweile auch der deutschen Volksküche angenommen hat. Die Wurst schmeckte nach einer überfahrenen heiligen Kuh, die sich in ein Versteck geschleppt hatte und deshalb wochenlang nicht bemerkt worden war, und die Sättigungsbeilagen schienen mir aus einem indischen Hinterhof der Textilteilevorfertigung geliefert worden zu sein.

Die Urversion der Currywurst kam für die einen in Berlin in Zeiten zur Welt, als am Stutte oder Stutti, wie der Stuttgarter Platz volksbildlich verkürzend genannt wurde, und der noch kein vorbildlich grüner, von weltläufigem Geschmack beherrschter, sondern ein in der Nachkriegszeit von biederen Puffs und Animierschuppen eingekreister mehr als schlichter Ort war, an dem Frau Heuwer ihr Produkt kreierte und dafür sogar Patent angemeldet hatte. Andere folgen Uwe Timm in dessen hamburgischen Version der Schreibung von Geschichte, nach der es zuerst hundert Kilometer von der Wasserkante entfernt um diese Wurst ging.

Doch nun ist alles völlig anders. Die Mehrheit hat sich der Historie angenommen. Nein, nicht Wikipedia bundesweit. Dort herrscht schließlich nach wie vor die Funktionärarchie. Auch nicht das bislang hoch bewertete Niedersachsen. Dessen einstiger Erster rüttelt in Moskau an den Gitterstäben, um nach innen an neue Mächte zu gelangen, sein ehemaliger heimlicher Versicherungsminister backt in einer bescheidener gewordenen Abzock-manufaktur immer kleinere Verträge. Und nach dem bundespräsidialen Abgang hat auch der politische Häuslebauer aus Großburgwedel so gut wie keine Aufgaben mehr im Bereich der Geschmacksbildung. Für das Feine ist ohnehin jetzt ein Freiheitskämpfer aus dem fernen deutschen Osten zuständig. Der Westen hat in Fragen ästhetischer Erziehung, mag sie noch so veraltet sein in der Sehnsucht nach dem Schönen, die Macht übernommen. Die SPD ist Currywurst. Ob sie sie auch ißt, ist dabei nur von marginalem Wert, zumal Studenten der Politikwissenschaften aus dem erzschwäbischen Tübingen diesen Plakativ-wettbewerb gewonnen haben, die, wie ich dem Handelsblatt entnehme, beide «zu 95 Prozent Vegetarier» sind und «nur einmal im Monat eine Currywurst» essen. Aber das Ergebnis zeige, so einer der beiden Geschmacksbildner, «wie wir uns Glücklichsein in Nordrhein-Westfalen vorstellen». Glück ist Currywurst, hat die Mehrheit entschieden. Und die dürfte, schenkt man den Prognosen Vertrauen, sich aus der neueren deutschen Sozialdemokratie zusammensetzen.

Ich mochte die SPD mal, mehr noch als Currywurst. Ich habe sogar für sie gekämpft, ohne je Mitglied gewesen zu sein. Wahlkämpfer war ich mal, damals, nicht so berühmt wie Günter Kraß, aber mindestens genauso engagiert. Und geschrieben habe ich auch für sie, auch für Nordrhein-Westfalen, wennauch anders als er, von München aus. Dort hatte ich in den siebziger und achtziger Jahren noch ein akzeptables Gefühl, wenn ich mit den Sozis zusammensaß, als sie noch noch ein bißchen solche waren, wenn ich mich auch nie so recht mit deren doch etwas beengtem Verständnis von Kultur anfreunden konnte, das ich oftmals mit ein paar Griechen und Türken und Hinterhofgesang skzzierte. Aber es gab genügend Anders-, Darüberhinausdenkende, die mich dabeibleiben ließen. Als diese SPD mehrheitlich begann, sich auf ein Trittbrett namens Agenda zu schwingen und somit unterwegs waren in die sogenannte Mitte, nicht mehr zu unterscheiden von der CDU, da bin ich von der Fahne gegangen. Verabschiedet habe ich mich von ihr, wie auch nach einer weit über fünfundzwanzigjährigen Mitgliedschaft von der Gewerkschaft. Zwischenzeitlich dachte ich darüber nach, ihr meine Dienste wieder anzubieten, da ich meinte, sie könnte jede Hilfe gebrauchen, um wieder zu einer zwar der Masse nahestehenden, aber auch minderheitliches Denken zulassenenden Partei zu werden. Ähnlich der Parti socialiste, die zu meiner großen Freude gestern ein bißchen gewonnen, zumindest den ersten Schritt auf dem Weg zur Rückeroberung nicht unbedingt der Bastille, aber immerhin des Élysée getan hat. Nun ich bin froh, den deutschen Sozialdemokraten ferngeblieben zu sein, mich anders orientiert zu haben. Denn jetzt weiß ich endgültig, wer dieses Volk ist. Es ißt nicht nur, es ist Currywurst. Das dürfte für den Rest der Republik ebenso gelten. Es ist Signum postmodernen Daseins im Allzuschlichten. Und so schmeckt sie auch. Wie Essen in Teilevorfertigung durch die globalisierte Lebensmittelindustrie. Jeden Geschmack, wenn sie den je hatte, hat sie verloren. Es weiß nicht einmal mehr, daß auch eine Currywurst schlecht sein kann, nicht nur, weil sie über die guten alten Zeiten des Kurz-vor-Zwölf-Läutens hinaus ist. Hauptsache, es steht Currywurst auf der Packung.
 
Mo, 23.04.2012 |  link | (4984) | 13 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Geschmackssache


enzoo   (24.04.12, 10:32)   (link)  
currywurst
ist auf meiner persönlichen speisekarte bereits für ewig gelöscht. als einer, den es selten, wenngleich in den letzten jahren immer öfter in den norden treibt, versuchte ich diese vielleicht ja irgendwo in der deutschen republik als kulinarisches kunstwerk erhältliche zwischenmahlzeit immer wieder mal, wenn der durft gar zu verlockend war, und war eigentlich jedesmal enttäuscht und festigte mein vorurteil gegenüber unseren nördlichen lieblingsnachbarn, was das essen anbelangt. einmal, irgendwo in der näche der hamburger landungsbrücken, bekam ich eine currywurscht, wie man hierzulande sagen würde, die war ganz ordentlich, weil nicht gar so aufdringlich curryig und mit anderen geschmacksnoten untersetzt (nelken?), vom geschmack her also und auch was die anschliessenden verdauungsgeräusche anbelangt, die durch ihre kolleginnen anderswo induziert wurden. auch das ist schliesslich ein qualitätsmerkmal, bzw. ein minderqualitätsmerkmal.

gleiches gilt hierzulande ja für die burenwurst und die käsekrainer, der vor der ausbreitung amerikanigener imbisstuben mit der gemütlichkeit von bahnhofswartesälen aus den erzählungen von heinrich böll in den siebzigern hauptzwischenmahlzeit der wiener bevölkerung. den kleinen hunger um 11 uhr vormittags bekämpfte sie ebenso erfolgreich wie den grossen um 4 uhr früh nach durchzechter nacht, ohne die man trotz erheblichen alkoholkonsums vor hunger kein auge zugetan hätte. während man am würstelstand stehend und über die vergangenen stunden nachdenkend, so weit das halt noch ging, seine wurst verkleinerte und seinen cholesterinspiegel erhöhte, waren von daneben stehenden ebenfalls hungrigen tatsächlich die berühmten worte "a eitrige mit an krokodü, an bugel und a sechzehner blech" zu hören, ohne dass das noch ein klischee gewesen wäre, wie es heute eines ist (die "eitrige" ist dabei die käsekrainer wurst, deren kleine geschmolzene käsestücke optisch eben an die absonderungen von entzündeten körperverletzungen erinnern, ein "krokodü" oder hochdeutsch krokodil die liebevolle bezeichnung für ein eingelegte salzgurke, der "bugel" oder buckel das ende eines brotlaibes und das "sechzehner blech" eine dose bieres aus der im 16. wiener gemeindebezirk beheimateten ottakringer brauerei. ja, auch das ist poesie, zumindest hier).

mittlerweile sind die würstelstände in ihrer reinen form, einst unverzichtbare möbel des wiener alltagsdaseins, grossteils verschwunden. zwar gibts heute schon noch würstelstände, aber die verkaufen eben nicht nur würste und notwendige zutaten wie oben genannte, sondern auch pizza und nudeln und natürlich den unvermeidlichen kebab, bald wahrscheinlich auch lebensversicherungen und kleinautos. hier geht unbemerkt kultur verloren, aber dagegen ist vermutlich nichts zu machen, ausser sie literarisch oder sonstwie festzuhalten, wie es zum beispiel h.c.artmann in seiner geschichte "zorro oder die rache der würstelmänner" in unvergleichlicher weise getan hat.


jean stubenzweig   (24.04.12, 15:20)   (link)  
Dieser Zorro
und seine rachsüchtigen Würstlmänner kommen mir bekannt vor, allerdings dümpelt er weit hinten in meinem düsteren Erinnerungsgedärm beziehungsweise vermutlich noch versteckter, tief vergraben in einem der vielen Bücherkartons. Ist das nicht aus med ana schwoazzn dintn? Oder war das später?

Sie fahren nicht nur gen Norden, Sie bringen auch immer mehr dieses spezifische, leicht balkanische Stück Süden hier hinauf. Das ruft einiges ab bei mir, schließlich machte es mal einen nicht unwesentlichen Teil meiner vielen Iche aus, die meine Biographie prägen. Seine Anfänge nahm es mit der Wiener Gruppe, die es laut Friedrich Achleitner zwar so nicht gab, sich aber insofern auf mich auswirkte, als das revoluzzerische Element in mir von ihr mit ausgelöst worden sein dürfte. Aber ein Weilchen liegt das schon zurück. Vollends abgebrochen war der Kontakt nach der Aufführung eines rudimentären Stückchens der Wiener Aktionisten in München, die leicht befremdend auf mich wirkte, wohl weil der alte Schwung bereits vor gut fünfundzwanzig Jahren raus war aus den einst gut Wahnsinnigen, wie ich sie in jungen Jahren erlebt hatte via Uzzi Förster, dessen Leben mittlerweile nicht nur von Wikipedia beschrieben wird wie das eines allenfalls leicht aus den Geboten gerutschten Klosterschülers. Auch hier schreibt mal wieder die Verkürzung des Wissens die Geschichte und macht aus wirklich wilden Fegern, deren Aktionen sich viele aktuelle popkulturelle Avantgardisten nicht einmal relativiert vorstellen können, Persönlichkeiten, von denen lediglich brave Ordensträger übrigbleiben.

Aber ach, oder was soll's, schließlich zog bereits mit André Heller die Wiener Gemütlichkeit in die Gemüter wohl nicht nur seiner Landsleute und der auch im Geiste benachbarten Deutschen ein. Geblieben von diesen hochgebildeten Chaoten ist gerademal Oswald Wieners Tochter Sarah, ein dünnes Resttröpfchen einstigen Vollbluts, das via diesem Fernsehanstalt gewordenen Zen-Buddhismus titels arte über eine Art mitteleuropäischem Überkreuz-Ikebana die Mägen zudekoriert. Ich assoziiere dabei allenfalls noch die Lipizzaner der Spanischen Hofreitschule zu Wien. Die kommen bei mir gleich nach Eiskunstlauf und Turniertanz, diesen Friseusensportarten, die auch den Rock'n'Roll aufs Streckbett der gesellschaftlichen Disziplin geworfen, ihn mit den Mitteln der Vergewaltigung in die Breite hochkultiviert haben. Inanspruchnahme von Ius primae noctis mit der Verzögerung der Spätversteher oder Ausschlachter. Wie Clamotten-August den Punk. Nichts ist mehr übrig von diesem einstmals köstlichen scheinbaren Durcheinander. Aber wahrscheinlich hängt beispielsweise der neue deutsche Präsident der Freiheit demnächst gar die Toten Hosen mit Bundesverdienstorden zu, weil sie den Punk beerdigt und Fortuna Düsseldorf gerettet haben.

Burenwurst und, au weh, die Käsekrainer. Ja, «die Eitrigen», die haben sie schön im Sinne altästhetischer Lehre beschrieben. Häßlich ist der Geschmack, den ich dabei assoziiere. Aber ich hab's eh ned so mit den Würschtln. Ganz selten mal ein Stück Gelb- oder Rindswurst in Frankfurt am Main in der Kleinmarkthalle, so, als wär's ein dicker Riegel Comté in der an der place de la Révolution, dem Marktplatz von Besançon, auch eine Pferdewurst im Pariser 14. Arrondissement oder im 2. von Marseille. Da bricht jedoch vermutlich allenfalls der Er- oder Hochhalter von Tradition in mir durch. Kebab oder Döner kommen noch seltener an mich ran. Und das Hauptprodukt «amerikanigener imbisstuben» habe ich das letzte Mal in den Achtzigern probiert. Da reichte es mir endgültig. Das Einzige, das ich aus dieser Branche an mich heranlasse, sind die Fritten in Belgien oder, ich habe mal davon erzählt, an der Bude am Hafen von Travemünde. Dort schmeck(t)en sie aber auch wie die kleinen dicken Flamen, außen knusprig, innen weich und zart, wie Champagnertrüffelpraliné aus Kartoffeln. Ansonsten schaue ich allenfalls zu, wenn die Braggelmann-Familie Würstchenbuden wie das Chill out stürmt. Mir ist diese ganze Imbißbudenkultur eher unangenehm. Ohne Bude ist mir der Begriff durchaus recht, aber eben mit anderen Assoziationen. Ich sitze lieber in einem kleinen Restaurant und genieße in aller Ruhe eine Schnuddeligkeit nach der anderen. Doch die Gelegenheiten dazu werden immer seltener. Selbst im einstigen Schlaraffenland verbreitet sich zumindest in den Städten immer mehr dieser Aussatz der Eßkultur.


enzoo   (24.04.12, 17:15)   (link)  
im schatten der burenwurst
hiess das büchlein, ein schmales blaues suhrkamp, das die geschichte vom rächer der würstelmänner enthielt. als ich es vor einiger zeit wieder durchblättern wollte, blieb es ebenso verschollen wie die männer in zweifacher nacht, also wohl verliehen oder, was in letzter zeit immer häufiger vorkommt, von meiner tochter vorab, also vor meinem ableben, geerbt. aber das macht mir nichts, so schafft sie platz in meinen regalen und es ist allemal besser, sie "borgt" sie dauerhaft aus und erfreut sich daran, als dass die bücher im regal ein allzu beengtes durcheinander erleben (zumindest, solange sie die finger von meinen lieblingen lässt!)

die wilden zeiten des wiener aktionismus waren ein wenig zu früh für mich, wie manches, was ich früher versäumt zu haben glaubte. witziger weise jammert mein sohn, jetzt 20 lenze zählend, ebenso darüber, er hätte gern die zeit meiner jugend erlebt, da sei alles viel cooler (was sonst?) gewesen. ich fürchte ja, dass er recht hat, sage ihm das aber nciht. so aber, spätgeboren, blieben meine proteste auf die friedensdemonstrationen der 80er jahre und die mitarbeit in einer ziemlich linken stadtzeitung beschränkt, die mir immerhin einen akt bei der staatspolizei einbrachte, auf den ich auch ein bisschen stolz bin, aber nicht so, dass ich ihn bei bewerbungsgesprächen zitierte.

im sommer werde ich die nord- und ostfriesischen wattenmeere samt inseln und waterkanten und desgleichen besuchen. vertrauensvoll wende ich mich an sie mit der frage, was man da denn isst, was man sonst nirgends auf der welt bekommt und durchaus auch einen zweifelhaften ruf haben kann, und kann ihnen zu meiner kulinarischen kategorisierung verraten, dass ich in hamburg labskaus zwar gegessen, aber nicht genossen habe. ebenso erging es mir mit haggis in schottland. früher rauchte ich auch die im jeweiligen land gängigen zigaretten, was besonders in der ehemaligen sowjetunion schon recht selbstzerstörerisch sein konnte. sie sehen also, dass ich durchaus risikobereit und leidensfähig bin in meinen anstrengungen, ein land mit allen sinnen zu erfassen. wenn sie also einen entsprechenden tipp haben, bin ich ihnen sehr verbunden.


jagothello   (28.04.12, 12:29)   (link)  
Currywurstverkäufer in Berlin
waren Sie? Alle Achtung. Ich befürchte allerdings, dass mit der Sozialdemokratie auch die Currywurst verschwunden ist, zumindest als identitätsstiftender Kulturfaktor. Die Jugend jedenfalls isst Burger und weiß nicht, dass Coca Cola ohne Farbstoffe grün wäre.


jean stubenzweig   (28.04.12, 14:39)   (link)  
Bürger ißt Burger?
Nicht Döner oder Kebab? Sie wollen mir wohl mein Bild von Nordrhein-Westfalen und nebenbei das von Köln definitiv zerstören. Erst haben Sie mir die Rievkoche am Hauptbahnhof genommen, und nun nehmen Sie mir den Restglauben.

Die Currywurst als identitätsstiftender Kulturfaktor verschwunden? Dem widerspräche allerdings dieser «Plakatwettbewerb», den ja meines Wissens die Sozialdemokratie ausgerufen hat. Oder sollte das sozusagen am Ende ihrerselbst ein Beleg ihres Untergangs sein?

Die grüne Coca-Cola. Welch ein Weltbild! Aber vermutlich trifft das eher zu als Bionade als Parteigetränk.

Meine Karriere als Currywurstverkäufer in Berlin war nicht von Höhenflügen gesegnet. Ganze drei Nächte habe ich durchgehalten. Das möchte einen Blick auf meine nicht unbedingt allzu ausgeprägte Freude an der Arbeit werfen. Aber ich habe gute Ausreden: 1. Es war nicht die richtige Currywurst ohne Darm. 2. Ich war lediglich für eine Kommilitonin eingesprungen, die, aus welchem Grund auch immer, kurzzeitig etwas besseres zu tun hatte. Zu dieser Zeit benötigte ich glücklicherweise noch keinen Wursterwerb, damals gab's noch reichlich von zuhause. Das sollte sich erst später ändern, nachdem ich nichts Anständiges ausgelernt hatte: Töten als Broterwerb.


jagothello   (28.04.12, 19:53)   (link)  
Da bin ich unschuldig
Granitsteinplatz-Architektur und Freitreppe zum Weltkulturerbe; das passt nun mal nicht zum 2,50- Büdchen-Imbiss; Köln spielt nämlich Welt neuerdings und da pustet man sich rasch selbst die provinziell-kölsche Seele aus. Mir haben die Dinger allerdings auch nie recht geschmeckt. Zu heiß und zu fettig, das Apfelmus vom Aldi; das musste irgendwann schief gehen.
Döner... die haben doch wohl einen ganz schlechten Ruf nach den diversen Gammelfleischskandalen. Sie fallen aber meiner Beobachtung nach in deutschen Städten ohnehin derselben Tendenz zum Opfer, die restlos alles zu amerikanisieren versucht. Es gibt bereits Stores in bester City- Lage, in denen ausschließlich englisch performt wird; denn das ist es mittlerweile, das Turnschuhkaufen: Eine Performance, ein Event. Currywürstchen, Burger und Döner (mein Rechtschreibprüfprogramm besteht sympathischerweise auf Diner) selbstredend unerwünscht!


jean stubenzweig   (29.04.12, 14:06)   (link)  
Alle Welt spielt
doch mittlerweile die ganze Welt, zumindest die kleine will auch mal ein bißchen groß sein. Es ist also nur zu verständlich, daß Köln ebenfalls mitspielen will.

Döner. Sie meinen also, auch der samt seiner Verdorbenheit sei mittlerweile Bestandteil der US-Amerikanisierung? Dabei mögen es die Freunde aus dem erweiterten mittleren Westen es doch ebenfalls jugendlich rot leuchtend, wie gerade selbst mit der Armbrust erlegt in den wilden freien Bergen. Dabei schmeckt es doch nur gut, wenn es, wie mir der nette Herr Vuković sagte, «kann bald allein laufen zu Polizei, um anzeigen mich». Meine nicht nur hier mehrfach erfolgten Aufrufe zur Reeuropäisierung verhallen nahezu ungehört.

Überhaupt: gammel. Wie hat man doch das schöne Wort für das Alte ins Negative hin verbogen! Denken Sie an Gammel Dansk, an diesen (einst? ich habe ihn lange nicht gekippt) edlen Magenbitter, den man gut gebrauchen konnte, wenn man sich etwas zuviel ältliches Getier zugeführt hat.

Sie benötigen ein Rechtschreibprüfprogramm? Mich würde das verrückt machen alleine wegen des Gekringels unter jedem zweiten Wörtchen, das die nach dänischem Vorbild auf fünfhundert Begriffe eingedampfte deutsche Sprache nicht kennt. Was das taugt, beweisführen Sie selbst: Döner kennt es gar nicht. Und Döner für oder zum Diner halte ich nicht unbedingt für eine appetitliche Synonymisierung; beispielsweise bald nur noch Gammel für Fleisch?


jagothello   (30.04.12, 14:10)   (link)  
Ältlich Getier
ja, das merk ich mir. Und auch die Magenbitter-Strategie. Ich bin in meinem Leben noch nicht darauf gekommen, solches zu mir zu nehmen. Aber mit zunehmendem Alter... warum nicht. Mehr als das Prüfprogramm bräuchte ich einmal einen Hinweis darauf, wo man es abstellen kann. Ich bin viel zu sehr daran gewohnt, mir von den Maschinchen Vorschriften machen zu lassen. Eine ungute Entwicklung ist (auch) das!


jean stubenzweig   (01.05.12, 13:36)   (link)  
Wie das Prüfprogramm
abzuschalten ist, weiß ich auch nur in Word. Darin in Format bzw. Autoformat sagen, das Gekröse und Gekringel will ich nicht haben, also das Häkchen in dem Rechtschreibungs-Kästchen wegklicken. Bis Sie's gefunden haben probieren Sie's mal prophylaktisch mit 'nem Magenbitter. Am besten mit einem Gammel Dansk. Der schmeckt besser als der Meister aller Jäger,


enzoo   (01.05.12, 14:58)   (link)  
wenn ich mich
da kurz einmischen darf: vielleicht heisst diners club in der türkei ja döners club? ich war schon lang nicht mehr dort, und was genaues weiss man ja nie, wie der jubilar aus bayern aber schon genau weiss. und magenBITTER? sind sie denn nciht die besten freunde nach dem essen, selbst wenn es leicht, möglicherweises sogar light gewesen ist? worin ja ein grosser unterschied besteht.


jean stubenzweig   (02.05.12, 15:02)   (link)  
Alles Prophylaxe!
Da es für informationstechnisch Unterbelichtete, zu denen auch ich mich zähle, bisweilen bitter sein kann, bereits während der Suche nach dem richtigen Menu auf Unverdauliches zu stoßen, scheint es mir aus der Erfahrung heraus angeraten, im Vorfeld für Entspannung der tiefer gelegenen Organe zu sorgen.

Es soll ja Menschen geben, die im Bauch Gefühle haben oder gar mit dem Gedärm denken; laut Ulfur Grai ist das gar wissenschaftlich nachgewiesen. Gut, Gefühle im Bauch habe auch ich. Doch die vierte Welt meiner Emotionen scheint unterentwickelt, denn von dort meldet die meist lediglich ans Gehirn, das daraufhin einen vorgefertigten Befehl ausstößt: Rasch zur Toilette, Darm entleeren. Ich habe tieferorganisch offensichtlich einzig eine innere Uhr. Dazu benötige ich meistens nicht einmal Kaffee. Ein sicheres Mittel der Abfuhr ist allerdings ein Magenbitter, am besten auf nüchternen Magen. Das wirkt sich nicht nur ungemein erleichternd aus, sondern insofern auch befreiend, als die leichte Benebelung dazu führt, die unsinnige Suche nach irgendwelchen Programmen aufzugeben, die dazu führen, eine Rechtschreibprüfung vorzunehmen beziehungsweise diese wieder abzuschalten. Dann geht es leichter weiter, am besten auf dem Sofa.

Das habe ich heute ausprobiert. Ich habe die Gelegenheit genutzt. Da mir mein Mittel zum Überleben wie das in Dänemark hergestellte, offenbar mit suchtbildenden Stoffen versehene Lakritz ausgegangen war, war eine kurze Reise, vergleichbar der einer in die Coffeeshops der Niederlande oder einer von München aus in die Manufakturen der Kaminwurzen Südtirols, notwendig geworden. Zum Behufe der Versuchsanordnung, um eine Verifikation der Problematik zu erreichen wurde gestern Gammel Dansk mit in die dezente Papiertüte gepackt. Jetzt bin ich irgendwie umnachtet. Vermutlich verstehe ich deshalb das mit dem Jubilar aus Bayern nicht.

Einen Döner-Club dürfte es in der Türkei vermutlich nicht geben, da dieser seltsame Bratklops aus ältlichem Getier am elektronisch gesteuerten elektrischen Spieß meines Wissens eine deutsche Erfindung ist, zumindest in der üblichen Serviervariante des für mich wegen Kleinmäuligkeit unvertilgbaren Klappbrotes. Ich habe das mal versucht, alles an und in mir hat sich gesperrt, nicht zuletzt, weil es geschmeckt hat wie vermutlich Labskaus aus der Dose oder getestet wie Currywurst eines indischen Pizzaservices in Südholstein. Auf dem Teller präsentiert und am Tisch sitzend nehme ich Döner-Kebab durchaus, aber nur, wenn es aus feinstem Lamm besteht, so, wie es die Mutter einer Kollegin von Frau Braggelmann zuzubereiten pflegt, wenn sie zu Besuch im kühlen Norden weilt, köstlich wie nahezu alles aus ihrer Kochhand. Das ist dann sozusagen authentisch türkisch. Im Land selbst dürfte kaum jemand mit einem mit Gammelrindfleisch gefüllten Fladen zwischen den Zähnen durch die Straßen tapern. Es sei denn, es handelte sich um eine weitere dieser düsteren Nebenentwicklungen der Globalisierung, hier und beispielhaft jetzt um kulturell Reintegrierte aus Nordrhein-Westfalen oder Berlin. Für das balkanesische Wien mitzusprechen, dazu fehlt mir jegliche Kompetenz.


enzoo   (03.05.12, 12:38)   (link)  
jetzt haben sie
mich endgültig neugierig gemacht auf den gammel dansk, nicht nur, weil ich dergleichen magenberuhigungssafterln selbst sehr gern trinke, sondern weil ich auch sammler von kuriosen und wohlklingenden namen bin, der zb. einst einen umweg von 100 km in der sommerhitze des nicht klimatisierten fahrbaren untersatzes in kauf nahm, um das ortsschild von banja luka zu fotographieren, auch nach tatabanja führte mich einmal solches begehren, nach hidegség (ein ort namens kälte, aber nicht in sibirien, sondern in ungarn!) und der tirolerer ort "fleischessen" ist ja so bekannt wie "fucking" und "petting" in oberösterreich und bayern, wenn auch nur halb so interessant. darum muss auch mal "gammel dansk" auf den tisch, so wie der "leuchtfeuer" in der an kitsch nicht zu übertreffenden flasche, den ich mal auf hiddensee gekauft habe (und für meine begriffe etwas zu süss ist).

auch in mir finden sie keinerlei expertise, was döner-kebab in wien-balkan-süd anbelangt. ich esse zwar hin und wieder einen, jedoch nur mit hühnerfleisch von einem hürstüllür meiners vertrauens und einem derart hohen umsatz, der hoffen lässt, dass die hühner am spiess weniger zeit verbringen als die 20 tage in der aufzuchtstation, ehe sie abgemurkst werden, da mir die gefahr zu gross scheint, einen nach altem bock stinkenden lammenen vorgesetzt zu bekommen; und ebenfalls nur mit messer und gabel, denn als vollbartträger hat man ja ohnehin nur wenig geheimnisse, was seine essensgwohnheiten betrifft, auch wenn das mitunter verächtliches mitgefühl bei den anderen essern, die mich durch ihr döner-gekaue und kebab-hineingestopfe immer an die odysseischen lästrigonen erinnern, hervorruft.

mit dem bayrischen jubilar war gerhard polt gemeint, der seinen 70er feierte, und die legendären worte "nichts genaues weiss man nicht" wenn schon nicht erfand, so doch berühmt machte, zumindest in meiner rezeption.


prieditis   (03.05.12, 12:42)   (link)  
Magenbitter auf nüchternen Magen
Das erlebte ich einmal an einem Kiosk (so´ne Bude, wo man was kaufen kann) an einem frühen Morgen:
"Jib mich´ns iersch´n Zündkers...damit dä Motor annet starte kütt"*

"Gib mir mal erst eine Zündkerze...damit der Motor am starten kommt"















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