Der Teufel ist tot.

Aber schon lange. Deshalb sei hier echtes public viewing betrieben, möge der Zug noch einmal trauern.

Photographie: LearningTour


Das waren Zeiten. Als der Rote Dany in Paris von den Barrikaden stieg und die Partyfront entdeckte. Als Gerd Zumbier, von Rudolf Krämer-Badoni in seinem Erstling Gleichung mit einer Unbekannten als ein neuer Zwerenz entlarvt, sozialistische Heilslehren verbreitete, in Sozio-Chinesisch, jener in der Zeit gängige Sprache der In-crowd. Als der Gastgeber noch ein Kribbeln unterm Gürtel wahrnahm, wenn so ein Rasputin-Typ an die Gattin Hand anlegte. Das waren noch Zeiten.

Heute, als der Salon-Linke klingelte, riß sie die Tür und dann ihren Mund auf: Da stand er. Der damals (damals ...) so ausgesehen hatte wie heute Bernard-Henri Lévy, der Noveau Philosophe, kernig die Faust in den sozialistischen Himmel gereckt. Er hatte gegrüßt als Voll-Sozi und die Party-Gäste mit seinem angeheitert geschmetterten Völker, höret die Signale zum Erschaudern gebracht. Und alle hatten applaudiert und waren ehrfurchtsvoll näher gerutscht und hatten ihn erwartungsvoll umringt: der Melierte, der in Investment machte, oder der Gatte, der die Pfirsichhaut seiner Ärztin-Buhle rühmte und ihr Courèges-Modelle finanzierte. Die beflissene Waschmittelfabrikanten-Gattin, die sich einen Namen als Kunstmäzenin schuf.

Jetzt ist das Fest in vollem Gange. Die Ärztin-Buhle, im blaßrosa Chiffonkleid, präsentiert ungefragt die vom Gatten geschenkte hochkarätige Décolleté-Umrahmung. Nicht einmal der Sozi-Zahn von damals, die Abschreibungshai-Tochter, hängt sich an seinen Arm. So muß er sich reinschleichen. Am offenen Mund vorbei, ungeladen! Nicht leger: im Smoking mischt er sich unter Neuankömmlinge. Und keiner lobt den Witz, daß er ein T-shirt mit der Aufschrift FADED GLORY dazu trägt.

So flapsig wie unter diesen Umständen möglich, wirft er seine Begrüßungsformel in den Raum: Guten Abend — anstatt Freundschaft! Man hat ihn entmythologisiert, nicht empfangen. Das Comeback bleibt aus — er muß Anschluß suchen. Viel Wahl hat er nicht. Er trifft passionierte Drachensegler, einen Kokain-Messias oder den Forschen, der nach dem starken Mann schreit: «Die ganze Wirtschaftsführung wird ja noch gekidnappt. Nennen Sie das eine wehrhafte Demokratie?» Derart weise angesprochen, kann der Ungeladene nur noch schlaff abnicken.

So dreht er sich weg, in die Ecke dort, läßt sich mächtig angewidert in den Sessel fallen, wo er — ein Glas abgestandenen Moët & Chandon in der Linken — seine letzte Stunde konstatiert.

Noch einmal rafft er sich auf und erwägt einen Smalltalk über Pilgrim. Aber die paar Frauen, eingekreist von opernerfahrenen Golfspielern und Biorhythmikern, reden über Fests Hitler-Film und sehen aus, als hätte man sie nur eingeladen, weil sie keine Videokameras oder 12-Millimeter-Wummen mit sich führen. Die allenfalls noch vom Butt reden — wenn überhaupt, wenn sie nicht zu Hause sowieso einen Mini-Rilke haben, der auf dem Bettrand sitzt, der wacht und lange Briefe schreibt. Diese ganze systemimmanente Scheiße halt.

So beschließt der desillusionierte Salon-Linke, bevor er sich ins indische Poona verzieht, sich als als Philosophie-Dozent zuvor noch an einen dieser zarten Studentinnenbusen heranzumachen. Die gibt's gottlob noch. Ob rechts, ob links, ist ihm egal.

Es gibt keine Salonlöwen mehr. Jedenfalls keine linken!


Flohmarkt: Savoir-vivre, 1977
 
Do, 08.07.2010 |  link | (5190) | 7 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele



 

Leicht löchriger Schirm

Mit großem Dank für die von mir wegen sich einstellender Assoziationen leicht taillierte Photographie von iFancheZ. Die alte Leichtfüßigkeit geht dahn. — Merci beaucoup pour l’magnefique image !

Auf der Suche nach einem (zu verlinkenden) Artikel über Cahiers du Sud geriet ich an einen in der Seite parapluie. Grundsätzlich würde ich nichts gegen ihn einzuwenden haben, wären da nicht diese Sätze, die mir ein wenig das lokalpatriotische Blut hat hochköcheln lassen. Aber auch scheinbare Präzision ist es, die mich immer wieder mal aus dem gelassenen Tritt bringt.

«Le Panier: herumstreunende Hunde, offene Mülltonnen, es riecht durchdringend nach Meer und Urin, Schreie von Möwen und spielenden Kindern; fragt man am Alten Hafen nach dem Weg durch dieses Viertel, bekommt man den Rat, sich dort als Frau auch tagsüber nicht ohne männliche Begleitung zu bewegen.»

War die Autorin Krüger mit Joseph Roth unterwegs, dem Angsthasen? Hat sie sich bei ihm den Rat geholt, aus den genannten Gründen dort nicht hinzugehen? Oder woher hat sie das? Denn das Marseille, von dem er, im Gegensatz zu seinem Zeitgenossen, dem flanierenden Kurt Tucholsky, schrieb, stank tatsächlich und war gewalttätig. Wenn er die Atmosphäre in seinen Weißen Städten des Südens schilderte, das ist bis heute spürbar bei vielen Besuchern dieser nordafrikanischen Exklave, die ihr angelesenes pessimistisches (Vor-)Urteil bestätigt wissen wollen, daß einem die Stadt nicht ganz geheuer zu sein hat. Eine entsprechende Geisteshaltung bewahrt diesen tragischen Odem dauerhaft.

«[...] hier riecht es wie zu Hause vor Ostern: nach Staub und gelüfteten Matratzen; nach Lack für die Türen, nach feuchter Wäsche und Stärke; nach angebrannten Speisen; nach geschlachtetem Schwein; nach gesäubertem Hühnersteig; nach Schmiergelpapier; nach einer gelben Pasta für Messing; nach einem Mittel gegen Ungeziefer; nach Naftalin; nach Bohnerwachs; nach Eingemachtem.»

Ich stelle Vermutungen an: War die Autorin Krüger ohnehin allein zur Ausstellung in der Vieille Charité, ist nicht von unten her durchs Quartier gestiegen, sondern von «oben», von der (be-)schön(t)en Seite her eingetreten ins ehemalige Armenkrankenhaus, das von den gebildeten Ständen vor einigen Jahren zur Pilger-Immobilie hochgeheiligt wurde, hat nur vorgegeben, im Panier gewesen zu sein? Aus Angst, irgendeiner könnte ihr dort an die hübsch geblümte Bluse wollen. Denn sie erwähnt außer dieser Kult(ur)stätte kein weitere Besonderheit des Viertels. Hat sie bereits während des Studiums im dreißig Kilometer entfernten Aix-en-Provence der richtigen Stadt lediglich hin und wieder mal ein zentrales Besüchlein abgestattet und ist ansonsten über die Gegend um den Alten Hafen nicht weiter hinausgekommen? Aber selbst dort scheint ihr entgangen zu sein, daß nach dem verdienstvollen Jean Ballard eine Straße benannt ist (an der ich, vom Vieux Port kommend, rechtsseitig gerne meinen Pastis nehme und von der aus es nur ein paar Schritte zu den putains sind direkt neben dem Opernhaus). Und nebenbei frage ich: Was hat Les Cahiers du Sud überhaupt mit dem Panier zu tun, wo es zwar ebenfalls Pastis, aber öffentlich weitaus weniger dieser wohl vor allem vom gebildeten Reisenden gefürchteten Schwälblein des Bordsteins gibt? Ist sie doch eher Benjamin, Roth und anderen lesend nachgeschlichen bei deren Blick in «blinde Fenster»? Stutzig macht dann allerdings der nicht als Zitat ausgewiesene «Rat, sich dort als Frau auch tagsüber nicht ohne männliche Begleitung zu bewegen». Weil mit einem Mann an der Seite der Gestank erträglicher wird?

Sicher glänzt und glittert es dort nicht derart, wie es diejenigen bevorzugen, die die Elle an die Perspektive der Burg legen. Tatsächlich gibt es nicht ganz so schmuckvolle Ecken in den hinteren Höfen, gleichwohl die sich bereits am Rand des Viertels befinden, dort, wo Monsieur Haussmann architektonisch walten durfte. Doch den Panier als Abfall-Viertel zu bezeichen, das ist dann vielleicht doch eine leicht mißratende Wortwahl, möglicherweise auch eine erhobene Nase, die den Geruch eigenen Nicht-Wissens nicht wahrnehmen mag, die lieber hineingesteckt wird in ungeprüfte Absonderungen derjenigen, die es ebenfalls anderswo abgeschrieben haben. Da wundert es mich nicht weiter, daß ich immer wieder, auch Jahrzehnte nach Ab- und Auslauf der vielen schlechten meinungsbildenden Filme, gefragt werde, ob ich keine Ängste hätte in dieser Stadt (die ohnehin wie kaum eine andere Frankreichs europäisch aufgebügelt wurde und wird). Das nährt dieses uralte, offenbar nicht auszumerzende Cliché. Autorinnen wie sie tragen dazu bei, daß nicht nur der trotz oder wegen seiner seltsam anmutenden Vorstellung von Schönheit etwas zu kurz gekommene Mensch sich dort immerzu fürchtet, ja, sich nachgerade ängstigen will. Und sie fördert mit solchen Äußerungen obendrein, daß dieser wunderbaren Metropole der Bastardisierung die alten Ecken und Kanten abgeschlagen werden, die sie so liebenswert machen, marschiert letztendlich mit dem Konsumentenheer, das von Paris aus die Stadt weltmenschlich veredelt, wie weiland die Römer alles in ihr ästhetisches Lot gebracht haben.

Ich kenne keine Einheimischen — und ich kenne einige! —, die solchen Äußerungen auch nur annähernd folgen könnten. Im Gegenteil, die meisten fühlen sich wohl im Panier. Sogar nachts. Und sie sitzen auch noch herum, mitten auf den Plätzen und Plätzchen. Und wenn's schlecht riecht, dann allenfalls wegen der fürchterlichen Global-Pizza, die sich die dort (noch!) lebenden, nicht eben zu den Wohlhabenden gehörenden im Supermarché kaufen, weil sie meinen, sich verkriechen zu müssen oder sich das — gleichwohl immer noch preisgünstige — Essen der umliegenden Restaurants nicht leisten können. Im Panier leben noch Menschen. Und nicht nur Araber, überhaupt Afrikaner (die allerdings auch solche sein sollen, wie ich's vom Hörensagen kenne)! Im sogenannten neuen Marseille wird es die allerdings bald nicht mehr geben, wenn sich das so weiterentwickelt — nur noch Marseillais, die so gerne Pariser sein möchten.

Literarische «Führungskräftekommunikation ...»?


Ürsprünglich war das mal für die vor nunmehr seit über zwei Jahren eingestellte Seite gedacht. Aber nun bin ich wieder über das Thema gestolpert. Und so habe ich es mir in aller Ungerechtigkeit des Wütenden über die Ecke Cahiers du Sud geradegebogen, da ich ständig diesen geradezu frenetischen Jubel lesen muß über die (typisch französische) Modernisierung «meiner» Stadt, vor allem immer wieder verfaßt von denen, die zum Günstigtarif für ein Wochenende dorthin fliegen und die prompt die «kulturellen» Trampelpfade entlangschleichen, ohne auch nur einmal hinter die historischen Fassaden zu schauen.


Ein kleine Auswahl zu La Marseillaise (nicht nur für Klickverweigerer): La Déesse. Cul.Unterschiedliche AnsichtenBelsunce tristesseIzzos PolarsHoch obenGefangen im Tour PomèguesBoubouHafenromantischesLiebesgeschichte(n)L'ÈstaqueAngekommenWie im KinoStrahlende SchönheitRestefisch und Rustikales

 
Mo, 05.07.2010 |  link | (2030) | 7 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Linksrheinisches



 

Afrikanisches Biermoosgebläse

Eines hat mir die öffentlich-rechtliche Aufbereitung der Kickerei in Südafrika gebracht: Es gab für sogenannte Nischenkucker einen Rahmen, der den Inhalt bei weitem überwog. Nachdem ich mich gleich zu Beginn des Spektakels bald ausgeklinkt beziehungsweise zu arte hingerettet hatte, erlebte ich beinahe eine ganze Nacht lang eine außergewöhnliche Berichterstattung über die Zustände in Südafrika, zwanzig Jahre nach Ende der Apartheit. Und auch gestern sah ich mich gezwungen, über Wiederholungen nicht nur nicht zu schimpfen, sondern sie hoch zu preisen. Da geriet ich nämlich erneut in den Bann dieses Landes, in dem ich als Junge nicht mal eben so mit dem anderen von nebenan plaudern durfte, wie das einer aus der großen Familie der Biermösl-Blosn tat. Die hat nämlich 2007 eine nicht nur musikalisch intensive Reise in den Süden dieses Kontinents unternommen, die beeindruckend abgefilmt wurde.

Nun gut, ich habe die musizerenden Weil-Brüder immer gemocht, von Anfang an, noch bevor sie begonnen hatten, mit Gerhart Polt gemeinsam zu wirken. Sie haben mir, der ich sehr bald nach meiner Ankunft im Land der Baiern wieder ausreisen wollte, da ich mich an Düsseldorfs Kö wähnte und beruflich zudem an den Rand eines Getriebes geriet, das ohne jede Übertreibung in Kir Royal geschildert wurde, Rossini nicht zu vergessen. Meinen Aufenthalt im Land haben mir ein paar wenige erträglich gemacht, die sich als Eingeborene nicht haben wegspülen lassen von dieser Sturmflut an Freizeitasylanten aus West-Nordwest. Alleine sie haben verhindert, daß mir nicht fortwährend schwarz vor Augen und Ohren wurde, alleine durch sie habe ich feststellen dürfen, daß es in diesem schwarzen Staat ebenso großartige Menschen gibt wie in einem noch immer nicht von Schwarzen beherrschten.

Eindrucksvoll haben das die Weils vorgeführt. Nein, nicht nur vorgeführt im Sinne ihrer musikalischen Virtousität, einer Grandiosität, die mich einmal mehr verblüffte. Ihr Umgang mit den Einheimischen, deren unbefangene Nähe, die Gemeinsamkeiten waren von einer Fröhlichkeit, die ihresgleichen suchte. Aber eben auch die aus dem Biermoss gewohnt kritischen, weit über die Musik hinausgehenden Töne haben mir vor Augen und Ohren geführt, weshalb ich es im Land der Bayern dann doch fast dreißig Jahre ausgehalten habe. Eine aus dem Off lakonische weilsche Stimme hat das im besonderen Maß belegt: daß es erschreckend sei, wie die rassistische Apartheit durch die kapitalistische abgelöst worden und das bei den deutschstämmigen Weißen in Namibia noch nicht einmal angekommen sei. Doch ich will das diejenigen erzählen lassen, die diese Reise getan haben: Hans Weil hat nämlich Tagebuch geführt. Aber auch der Hinweis auf den Film möge nicht untergehen. Sollte sich jemand die Gelegenheit bieten, ihn anzuschauen, dem sei das dringendst angeraten, denn offensichtlich steht es auch außerhalb des Öffentlich-Rechtlichen noch auf dem Programm, das Plattln in Umtata.
 
Fr, 02.07.2010 |  link | (2824) | 2 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Ich schau TeVau



 







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