Apo-Opa aus der parlamentarischen Opposition Ich meine, es wäre Kurt Kister in der gestrigen Süddeutschen Zeitung gewesen, der in aller Deutlichkeit darauf hingewiesen hat, daß die in den letzten Jahren besonders gerne von alerten Anfangsvierzigern geschmähten Achtundsechziger etwas in Bewegung gebracht haben. Ich finde den Text nicht, dafür ist mir ein anderer von ihm untergekommen, mit einer Überschrift, von der ich ohne weiteres geschworen hätte, sie wäre von mir: Die grüne Milieu-FDP. Sei's drum, ich hatte meinen Lieblings-Tucholsky schließlich seit längerem nicht mehr: Es gibt keinen Neuschnee. Bei mir wäre ohnehin lediglich mal wieder Friedrich Karl Waechter zu zitieren gewesen. Und hier wurde es auch noch vom Chefredakteur der nach der vierbuchstabigen Schmierenpostille zweitauflagenstärksten deutschen Tageszeitung notiert. Außerdem schätze ich den Autor Kister seit seinen in ihrer Subtilität teilweise brillanten Kolumnen Anfang der Achtziger. Doch ein paar Jahre Lebenserfahrung scheinen ihm in seiner Verteidigung des Umfelds des Apo-Opas Kretschmann dann doch zu fehlen, oder er ist mittlerweile auch auf den Pfad der Altersweisheit geraten, weshalb er ein paar Ursachen dafür unter den Tisch fallen läßt, die in den achtziger Jahren zur Zeit der Gründung der Grünen nicht nur bei mir nicht unerhebliche Abwehrreaktionen hervorgerufen haben und die jetzt fröhliche Urständ zu feiern scheinen. Nicht eben wenige hielten den sich seinerzeit formierenden Wurmfortsatz der Außerparlamentarischen Opposition für unwählbar, nicht unbedingt wegen seiner Häkeleien während der Vereinsversammlungen, sondern vor allem, weil sich von den Rändern her allerhand an Mysteriösem mit eingebracht hat in das, was mittlerweile als neue Mitte bezeichnet werden darf. Besonders verdächtig hatten sich dabei die Eigner der Kähne gemacht, die am Rand dieses Moorteichs aus verschiedenen Ursuppen offenbar abwartend dümpelten, bis sie hineingeholt würden ins Zentrum. Nicht nur Sektierer waren das, sondern durchaus auch solche, die politisch aus einer geographischen Richtung kamen, aus der für einige vielleicht Erleuchtung, unserer Erachtens aber keineswegs Erhellung kam. Und unter Aufklärung verstanden wir zu dieser Zeit eben nicht allein Oswald Kolle, uns stand nach der schrecklichen Totalverdunklung eher nach mehr Licht im Sinne des siècle de la lumière, deren Vertreter übrigens, im Gegensatz zur heutigen landläufigen Meinung, keineswegs alleine a-, sondern teilweise durchaus theistisch gelagert waren, aber in jedem Fall skeptisch das Licht der Erkenntnis leuchten ließen. Innerhalb dieses Glashauses, in dem ich saß, befanden sich zugestandenermaßen auch nicht allzuviele von denen, die Quirinus sicherlich nicht ganz zu unrecht, aber eben genauso falsch, weil unvorgehoben als rationale Denker bezeichnet. Sicher gab es die auch, aber wir hatten zu denen weniger Kontakt, wir waren eher die den brotlosen Künsten Zugewandten, die in Laberfächern ihre Intelligenz verschwendeten; unter ihnen auch solche, die innerhalb der Gesellschaften der Ethik mehr Raum gewähren wollten, weil sie der Meinung waren, Religion via deren Moral könnte das Blickfeld einengen. Diese Art von Rationalisten, die sich die Begriffe zurechtbogen wie sie sie gerade brauchten, suchten damals schon Schutz unter den Fittichen einer schwarzen, manchmal gelblich ondulierten Glucke. Am Beispiel Architektur und Städtebau habe ich diesen Mißbrauch mal beschrieben. Mit Vernunft hat das nichts zu tun. Aber in der Sprache des monetären Wachstums wird dieses Wörtchen ebenfalls ständig vergewaltigt. Auch der Begriff Toleranz hat einige aus dem Hinterhof kommende Bedeutungen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Mittlerweile ertappe ich mich immer öfter bei dem Gedanken, es könnte vielleicht besser sein, auch an den Grünen hätte sich nichts geändert. Wenigstens nicht soviel, weil mir die früheren insofern genehmer waren, als mit ihnen leichter über das geistige Individuum zu reden war. Aber dem ist nicht mehr so. Zwar sind sie mir immer noch lieber als dieser ganze Politadel samt Hofstaat, vor allem für mein linksrheinisches Revier wünsche ich mir mehr davon. Doch die deutschen Verts streben den Status einer Volkspartei an, auch wenn vielen von ihnen in erster Linie das eigene Wohl näher ist, das sich gerne in Gemeindefeierlichkeiten zelebriert. Das ist mir nicht geheuer. Und obendrein: das mit Partei und Volk, das sind Begriffe, die mir ohnehin seit je Unbehagen verursachen, weil ich dabei das Völkische assoziiere. Nun ja, ich gehöre zu denen, die's mit den Massen nicht so haben. Zwar marschiere ich mit, quasi aus Tradition, aber im großen und ganzen benötige ich keine Fahnen und Banner und schon gar keine Messen nicht nur digitaler Bohème, um in eine solidarische Breite denken zu können. Mir sind die kleinen analogen Kreise lieber, innerhalb derer sich gemütlich sitzen, hölzerne Bauklötzchen staunen und plaudern oder auch debattieren läßt. Es gibt Menschen, die mich gerne aussortieren oder in die Gummizelle sperren möchten, weil es mir an Gemeinschaftsdenken mangelt, etwa da mich Hürden wie etwa die der deutschen fünf Prozent stören und mir Weimarer Verhältnisse demokratischer erscheinen als Zusammenballungen wie beispielsweise Paraden der Freikörperkultur, bei denen es auch schonmal vorkommt, daß ein ganzes Volk oder ganze Völker unter Ketten und Räder geraten. Jetzt wird also im Verbund der Badener und der Schwaben einer regieren, der, ich hatte es bereits erwähnt, neusprachlich daherkommend als wertkonservativ bezeichnet wird. Altachtundsechziger, Kommunist, Maoist — bitte, geschätzter Kurt Kister, das war der heutige Meßschreiber des aktuellen Oberschafhirten auch. Wen hat man denn in Baden-Württemberg tatsächlich gewählt? Zunächst einmal hat man sich, was völlig in Ordnung ist, gegen Atomkraft und einen tieferzulegenden Bahnhof gewandt. Aber dann: als einen Dirigenten eines einst ziemlich kakophonischen, aber immer einstimmiger werdenden Orchesters einen von denen, die mir seinerzeit bereits wenig behagten, weil ihnen die Freiheit des einzeln Denkenden nicht unbedingt als höchstes Gut galt. Der Mann ist nicht wert-, sondern erzkonservativ, nicht nur, weil er stockkatholisch ist. Hätte die CDU auch nur ein bißchen auf des Volkes Stimmen gehört und denen der Natur gelauscht, hätte sie einen der ihren unter ihr Kirchendach bekommen und den dann innerparteilich wählen können. Ein Grüner wäre das mit Sicherheit nicht geworden, und auch kein Roter. Der Neubeuerner Chorleiter fällt mir dabei ein, dem ebenfalls das Gute im Menschen frommt. Der hatte zu Gründungszeiten der Grünen beispielsweise einen weiteren «Verursacher beträchtlicher ‹Flurschäden› im Visier» hatte. Er setzte das damals gleich mit dem Bau beispielsweise des Rhein-Main-Donau-«Altars». Von Kernkraftwerken sagte er nichts, obwohl es Anfang der Achtziger auch in Bayern bereits einige gab. Während unsereiner bereits in den Siebzigern einen gewaltigen Schrecken bekommen hatte, als in den USA sich so ein Gerät energisch entlud. Aber Baden-Württemberg kriegt ja nun einen Chorleiter mit kommuni-, gar maoistischer Erfahrung, die dem Franken nun wirklich völlig abging. Da wird das aus einstigem Hilfe- zum Jubel- oder Heilsruf gewandelte Hosiannah vielleicht nicht so hochkulturell, aber auf jeden Fall mehr nach Gemeinschaft unter schlichtem Dach klingen. Eine der beliebtesten Parolen spontan und fröhlich gesinnter Menschen lautete etwa bis zur Gründungszeit der Grünen:
«Nicht jede Behauptung wird kraft ihres Urhebers automatisch in den Stand der Tatsache versetzt.» So sehe ich das auch, Herr Fährmann. Ich setze das — unter Aufbietung letzter Kräfte — auf die Front-Seite, weil ich im immerwährenden Krieg mit der (Selbst-)Disziplin schon wieder eine Schlacht gewonnen habe und mir deshalb ein Nebenschauplatz aus dem Ruder gelaufen ist. Ich verstehe diese permanente verbale, bisweilen rüpelhafte Drescherei ohnehin nicht. Gut, ein bai'risch Herz ist treu, fühlt sich inniglich an seine italienische Urheimat gebunden. Und mit den Preißn gibt's schließlich die Tradition einer Feindschaft, die gepflegt werden will. Geprobt wird das normalerweise an den Alpenurlaubern, denen es an den vielen Tegernseer Dorftheatern beständig vorgeführt wird, nicht nur in privatwirtschaftlich geführten Biergärten mit Bühne, auch öffentlich-rechtlich, im bayerischen Buntfunk zum Beispiel, der die erforderlichen Kulissen erst gar nicht mehr in den Fundus zurückträgt. Als Brauchtumspflege wird das dann offiziell ganz gerne bezeichnet. Nun zählt der hier Gemeinte wahrlich nicht zu diesen von regionalgenetischem Stolz gekennzeichneten verbalen Schuhplattlern. Dennoch muß da jemand tief in ihn hineingestochen haben, daß das Herz nicht aufhören will, höchst derben Saft zu bluten. Bei diesem sperrfeuerartigen Abschießen von Knödeln auf eine papierne Lüftelstreitmacht könnte selbst der Ahnungsloseste bisweilen auf die Idee gebracht werden, Spree-Athen sei in seiner Mitte mehr als der Zentralfriedhof der provinzlerischen Kultur auf preußischem Boden. Aber Berlin besteht nunmal nicht alleine aus Mitte, wohin ich auch nicht wollte (und Sie werden vermutlich auch nicht dorthin ziehen), weil ich mir die gute Erinnerung an das sich anfänglich behutsam erholende Scheunenviertel bis hin zum noch nicht veredelten Käthe-Kollwitz-Platz bewahren möchte. Es wurde mir Anfang der Neunziger von einem dort Aufgewachsenen gezeigt, samt Besteigungen der Trümmerberge im achten Hinterhof. Aber als dieser Kiez dann von den Westtruppen aufgerollt wurde, ist selbst er auf die andere Seite der zwar längst abgeräumten, aber virtuell in ihm weiterhin bestehenden Mauer umgezogen, ins von Wessies nicht so verstrahlte Wilmersdorf, wo Otto Schily einst klischeefrei residierte, denn auch das grüne Kreuzberg von Hans-Christian Ströbele begann unbewohnbar zu werden. So, wie es sich mittlerweile in Mitte lebt, ertrüge ich das nicht. Und es gibt wahrhaftig noch andere schöne Kieze. Ich vergleiche die Stadt lieber mit Paris, das ebenfalls aus mehreren Kleinstädten oder auch Dörfern besteht. Ich muß ja nun wirklich nicht im Marais oder direkt an der Place de la Bastille oder gar im Palais Royal wohnen. Direkt daneben, von jungen Müttern mit eleganten dreirädrigen Kinderwagen unbemerkt, gibt es versteckte Sträßchen mit eher schöneren, weil lebendigeren Töchtern. Irgendwo habe ich davon mal erzählt, aber ich finde es nicht in meinem Verhau (es kann allerdings auch im alten, im Mai 2008 gelöschten Blog gewesen sein), also kann ich es nicht verlinken, sondern muß es (bei mir!) abkopieren. Es ging, wie anders, um Paris, genauer, um bestimmte Auslandskorrespondenten, die aus ihrem Amtssitz eher selten herauskommen und deren geheime Ecken auch nicht kennen. Also, wenn wir von der Tatsache mal absehen, daß es ein Buch eines Deutschen für Deutsche ist, das aber eben ein falsches Bild schafft — sie fragen ja auch immer nur Wickert, den Ritter des Käseordens, Wickert, den sachgemäßen Weinlagermeister. Das erwarten sie alle von ihm. Ich weiß ja auch nicht, ob er was anderes kennt. Ich kenne jedenfalls auch ein gänzlich anderes Paris. Es ist das Paris, über das unsere Dreitagetouris dann immer stöhnen: Mein Gott, ist das teuer! Die alte Geschichte: ein paar Schritte nur weg vom Trampelpfad. Wenn ich meine Nase mal richtig reinstecke in die Stadt, dann weiß ich eben, daß ich dort abgekocht werde, wo sie schon auf mich warten. Aber direkt neben dem Centre Pompidou kostet der Café, der Pastis et cetera genauso sieben bis acht Francs wie oben in Butte-aux-Caille, wo ich auch noch ein angenehmes Gespräch haben kann. Oder im Zehnten, dem neuen Chinesenviertel. Oder eben am Alten Hafen in Marseille und Umgebung. Da kann ich für den Café problemlos sechzehn Francs hinlegen. In diesen Touristenauffangstationen. Ich muß eben da reingehen, wo keine anderen Touris sich niederlassen und auf die Filmstars warten. Die sowieso da nicht reingehen. Jedenfalls in Paris. In unserer Heimat gibt's davon ja glücklicherweise eher weniger. Und wenn ich auf der Terrasse ein Bier bestelle, dann kostet das eben mehr. Das Bier oder das Perrier dans France sowieso. Klar, bei Wickert erfahre ich nichts darüber. Ich muß schon selbst auf Entdeckungsreise gehen. Und das geht nicht, wenn ich mich nur im Rudel derer bewege, die sich genauso bewegen wie ich, nämlich gar nicht. Der ich immer nur neben Saint-Germain-de-Prés hocke, obwohl ich nur hundert Meter durch die Filmkulisse muß, um ein Stück abgefucktes Paris zu sehen — das aber lebt! Oder vor dem Louvre dümple oder vor der Comédie Française, während es direkt neben dem Palais du Royal die traumhafteste Kneipe gibt, mittendrin im alten, ersten Arrondissement von Paris: die Bar L'Entracte, genau schräg gegenüber dem Eingang vom Théâtre du Palais-Royal, wo alles nur die Hälfte kostet und der Wein nicht nur deshalb besser schmeckt, sondern auch, weil dort richtige Menschen sitzen. Und ich keinen Eintritt zahlen muß dafür, daß ich mir das Publikum anschauen kann oder das Theater ein paar Meter weiter vor dem Luxusedelrestaurant. Oder, wenn's denn sein muß, zwei Schritte nur im Park selbst, dort kann ich die hübschen jungen Mütter der Mittelklasse begaffen, die ihre Kinder gelangweilt schaukeln. Oder im Marais. Da geh'n sie immer nur Juden kucken. Oder Schwule Schwule kucken. Da können sie auch in München bleiben und sonntags in die Glyptothek gehen. Die nehmen auch Pariser. Als ob's das alles anderswo, wie Martine es ja geschrieben hat, nicht auch gäbe! Aber: ach, war das aufregend! Klar. War ja teuer genug. Da muß ich ja applaudieren. Also ich, der ich immer nur dasitze und auf den Abklatsch dessen warte, was mir über alte Filme geliefert wird und die ein Frankreich zeigen, das es — so allerdings noch gibt! In der Mentalität nämlich. Doch die kann ich nicht finden, wenn ich meine Nase nicht reinstecke in dieses wunderbar duftende Kopfkissen, in dem meine Bastardin die ganze Nacht durchwühlt hat. Und wenn ich meine Marseillaise riechen möchte, dann kann ich das nur, wenn ich selber mit meinem Trüffelzinken Witterung aufnehme. Wie schrieb doch Napoleon an seine Josephine: Nicht waschen, er komme — in zwei Wochen.Gut, das da oben ist schon etwas ältlicher. Aber mir sind auch heute noch das 5. oder das 14. Arrondissement lieber. Oder der Savigyplatz mit dem Zwiebelfisch (ganz unten). Aber längst koalieren die Grünen auch mit den Schwarzen, nicht alle, aber doch arg viele halten sich mittlerweile am liebsten in dem Revier auf, das früher allein von dieser geldlich funkelnden Freiheit beherrscht wurde. Und gestern las ich, daß sogar die Junge Union in deren Lager überläuft. Grund zur Freude bei den Grünen. Aber wenn ich zurückdenke, dann kommt mir dieser eigentümliche Blick vieler Münchner fürs wesentliche schon länger bekannt vor. Ich habe die so beliebte Maxvorstadt von der Heterogenität her noch einigermaßen intakt erlebt. Aber seit rund zehn Jahren überwachsen im Uni-Viertel nur noch schicke Klamottenläden, Cafés und feine Friseure die alten Geschäfte, sogar das Türkendolch haben die Mietgewinnmaximierer längst erstochen. Da braucht's nicht einmal eine Gentrifizierung. Denn das gewinnlächende Spiel gehört ohnehin zu den Hauptcharakteristika des Neuen Bauens in dieser Stadt mit dem hohen Freizeitwert, der gerade wieder einmal über den Olymp hinaus gesteigert werden soll. Sollte das umgesetzt werden, dürfte sich dann endgültig nur noch die ohnehin knapper bemessene Seite der bundesdeutschen Eigentumsschere in diesem Großdorf heimisch fühlen. Bereits jetzt erzielen auf Versteigerungen Immobilien das Doppelte des Verkehrswertes. Vielleicht sind das ja diejenigen aus Mitte, denen es dort zu eng wird. Aber allzuviel Raum gibt es nicht mehr im Zentrum des weiß-blauen Maniera di vivere. Allein die olympiafreie Entwicklung etwa eines Gärtnerplatz- oder Glockenbachviertels et cetera hat ausgereicht für den angestrebten Zenit. Weiter mag ich gar nicht darauf eingehen. Sie hat letzten Endes erheblich dazu beigetragen, mich aus Isar-Athen zu vertreiben. Andererseits ist das wohl die allgemeine Tendenz, deren einzige Orientierung (ex oriente lux oder eher in diese Richtung) die Wachstumsanbetung zu sein scheint. Unterm Strich ist das eine neue Bürgerlichkeit, die zwar mal als Friedensbewegung angetreten war und sich gegen die Atomkraft richtete, auch der Natur war sie zugetan, aber die wurde schließlich bereits vom fränkischen Freiherrn von und zu Guttenberg geschützt. Und die ruft nun die Harmoniefindung über den Konsum aus. Als ob auch hierbei die Schörghubers die Parole ausgegeben hätten, wie der Südwest-Presse zu entnehmen war. Die muß sich auskennen, schließlich gehört zu der auch die Süddeutsche Zeitung. Nicht nur Hamburg, nicht nur das Gängeviertel befindet sich im Kaufrausch am Eppendorfer Baum. In Frankfurt am Main vernichten sie gerade das in seiner ursprünglichen Menschenmischung gemütliche Bornheim entlang der Berger Straße. Die Betreiber eines Caféhauses in der Glauburgstraße ziehen sogar die Zugbrücke hoch. Das sind diese Eltern, die gegen Atomenergie sind, aber ansonsten offenbar nichts gegen Terrorismus haben und deshalb die iPad-Partei wählen. Ich will mit solchen Menschen nicht zusammenleben. Aus allen Poren wächst denen dieser protestantische Dualismus, der sogar in Katholiken steckt. In Baden-Württemberg tritt ein ehemaliger Lehrer und aktives Mitglied der Kirche an, um Ministerpräsident zu werden. Hamburg hatte eine Lehrerin, die den gesellschaftlichen Aufstieg suchte. Bis in Zeiten, als die Post begann, modern zu werden, war in Anzeigen von Zeitungen, hinter denen immer ein zeitgemäßer kluger Kopf steckt, häufig zu lesen: Aus paritätischen Gründen Akademiker bevorzugt. Wie das im Zeitalter der digitalen Elektrizität formuliert wird, entzieht sich meiner Kenntnis. Sicherlich sprachlich nicht so reduziert, wie die junge Frau das zu meinem erheblichen Amusement in Abgeschminkt dokumentiert. Aber was soll's, alles ist besser als die Mappus-CDU und die Homburger-FDP. Und gegen Lehrer habe ich auch nichts. Ganz im Gegenteil, es war mir beschieden, herausragende und gleichermaßen sozial engagierte kennenlernen zu dürfen. Aber mit dem Streben in eine bessere, also höhere Gesellschaft hatten die allesamt nichts im Sinn. Die brauchten keine Stützen. Die waren selber welche. Aber ach, was plappere ich da eigentlich so vor mich hin? Ich verstehe doch nichts von Wirtschaft und Wachstum der Gesellschaften. Und Gut und Böse trete ich obendrein nicht eben sachlich-freundlich gegenüber. Ich sollte diese Thematik definitif den Westviertel-Experten überlassen. Selbst wenn der eine oder andere bisweilen ebenfalls aus der Kurve der höfischen Contenance getragen wird.
Die (Kin)Seherin vom Nockherberg Seltsames geht in mir vor. Mindestens zwei Jahrzehnte lang wollte ich Bayern den Rücken kehren, München wieder verlassen. Es war immer schwieriger geworden, da aus einem sich beruflich in Bewegung gekommenen KüMo nunmal nicht so ohne weiteres auszusteigen ist, ohne dabei ziemlich naß zu werden. Aber nach fast dreißig Jahren war es mir dann doch gelungen. Zehn Jahre ist es mittlereile her, daß ich auf große Fahrt in den tieferen Süden aufgebrochen bin und es mich auch im höheren Norden angelandet hat. Und mittlerweile beobachte ich mich dabei, immer öfter in die bayerische Ferne zu sehen, ohne daß ich unbedingt nach einer Alpha-Funktion suchte. Doch weiterhin umschiffe ich diesen weißblauen Staat großräumig. Auch Berlin hat mich nach meinem Abgang wegen Überdruß erst wiedergesehen, als die Mauer durchlässig wurde. Der Wall gen Bayern steht, aber die Festung in meinem Kopf wird altersbröckelig wie Isar I. Nun ja, ich hatte schließlich auch schöne Zeiten dort, wohin ich mich unter Schwierigkeiten aufgemacht hatte. München, das ich zunächst überhaupt nicht anvisiert hatte, sondern das liebliche Murnauer Moos mit seinem Blauen Reiter, ich von dort aber vertrieben worden war ins italienische Isar-Athen, das letztlich immer der Grund war, ständig wegrennen zu wollen, es hatte auch seine angenehmen Seiten. An sie herangeführt im größten Dorf der Welt wurde ich seit Mitte der siebziger Jahre unter anderem durch eine heranwachsende junge Kabarettszenerie. Und die kam aus Niederbayern. Einem Passauer Bauernbursch' war ich begegnet, der sich am Rand meines in seiner Nutzung dörflich anmutenden Planrechtecks Adalbert-, Amalien-, Schelling- und Türkenstraße in der Maxvorstadt als primus inter pares einer um 1977 gegründeten semiprofessionellen Formation namens Machtschattengewächse erwiesen und sich mit denen dann in einem weiter draußen gelegenen, recht robusten Hinterhoftheater niedergelassen hatte. Er erzählte mir von seiner Heimat und von Mitstreitern, die sich ebenfalls aufgemacht hatten, satirisch gegen Macht und Dumpfheit nicht nur des örtlichen Klerus' aufzubegehren. Neugierig fuhr ich dorthin und erfuhr im Scharfrichterhaus, welche Lebenslust der wortreiche Kampf gegen die Pfaffen und deren politische Vasallen hervorbrachte, daraus ging auch schonmal ein Christus hervor. Intensiv und ausführlich leuchtete ich das dortige Geschehen wie beispielsweise den politischen Aschermittwoch in der Nie-Gelungen-Halle oder der Schlacht der kernig-kräftig ausgerüsteten Kapfinger-Soldateska gegen die kommunistisch geführte und mit Spielzeugpistolen schießende PKK (Passauer Kleine Zeitung) aus, und über lange Zeit hin war das eines der Themen, die mir oberhalb des Weiswurstäquators geradezu aus der Schreibmaschine gerissen wurden. Das dürfte seine Ursache darin haben, daß den Bremer, Hamburger und Hannoveraner Redakteuren (-innen gehörten zu dieser Zeit noch dem Raritätenkabinett an) alles nach Bayern Klingende gleichbedeutend mit Ohnsorg-Theater war, also norddeutsche Volksbelustigung für Urlauber am Alpenrand. Zur Ehrenrettung einzelner muß hinzugefügt werden, daß ihnen der Begriff Volkstheater tatsächlich bisweilen widersprüchlich erschien und sie auch darüber informiert waren, daß es sich bei der Partnachklamm um kein niederbayrisches Outdoorparadies mit angeschlossener Trachtenbühne handelt. Nun ist das in seinen Anfängen durchaus beachtliche norddeutsche Fernsehtheater für ziemlich breite Zuschauer, auch Neues aus Büttenwarder genannt, mittlerweile zu dem mutiert, was man in Oberbayern nicht nur den japanischen Preißn als echte oder vielleicht besser verständlich als authentische Volksunterhaltung offeriert. Das sowie das nach wie vor Exotik assoziierende Bairische dürfte mit Ursache dafür gewesen sein, daß unser Mittlerer vergangenes Jahr das sich alljährlich wiederholende Derbleck'n bei Starkbier für sich entdeckt hat. Sogar Mutti hat er infiziert. Nein, nicht die kinderlose uckermärkische mit Regierungssitz Berlin, die seit einiger Zeit gerne so genannt wird, obwohl sie alles andere als mütterlich auf mich wirkt, die obendrein die bairische Seele nicht und somit auch nicht die Sprache versteht. Von der eigenen ist die Rede, die (Rand-)Kieler Sprotte. Und die erinnerte mich, vermutlich, um mir Gutes zu tun mit der Erinnerung an die alte Heimat, gestern daran — heute abend um sieben im Bayerischen! Brav habe ich dem Folge geleistet. Und dann stand sie da, die Mutti. Nein, nicht die mecklenburgische, sondern die bayerische. Als brave, leicht überholte Bavaria stand sie, bereits in dieser Positionierung unterschied sie sich von ihren allesamt männlichen Vorrednern, neben, nicht hinter dem den Körper verbergenden Podest. Und was tat sie? Sie schimpfte ein bißchen. Anfänglich dachte ich noch, die von mir ansonsten sehr geschätze Kinseherin wird sich vermutlich erstmal warmreden, um dann verbal das Worthölzchen auf den Köpfchen tanzen zu lassen. Doch es kam eher zu weiteren — Frau Braggelmann rief das nach einer Weile empört in mein Telephon — Streicheleinheiten. Und sie setzte ihre Suada fort mit der Forderung nach Bruno Jonas, das sei noch ein richtiger Niederbayer; daß auch er ein Passauer Scharfrichter war, hatte ich als Kabarettchronist ihr mal erzählt. Tatsächlich habe ich mich dann ausgeklinkt. Meine Beurteilung kreiste um Begriffe wie hintergründig oder tiefsinnig und daß man das vermutlich so nennen würde, käme die Kritikfrage auf. Und so kam's dann auch. Später hatte ich nochmal hineingeschaut ins Bayerische, wo sie dann in der Runde saßen, allesamt Frauen, an die ebensowenig ausgeteilt worden war wie an die Männer. Man war sich sanft lächelnd einig: hintergründig und tiefsinnig, das sei eine neue Qualität, irgendwo schmunzelte oder zischelte dann noch etwas zwischen strahlenden Zähnen in sanftmutigem Munde hervor, das nach weiblicher Dramaturgie hätte klingen können. Na gut, ich bin ein Mann, und schließlich ist das kein politisches Kabarett, wie die gute Frau Braggelmann es bevorzugt, beispielsweise kein Dieter Hildebrandt oder kein Werner Schneyder, auch kein Urban Priol, und schon gar nicht ein Georg Schramm, ebenso keiner dieser eher stillen, aber um so hintergründigeren oder tiefsinnigeren, Eindringlichkeit vermittelnden wie Hagen Rether. Das ist eben Derbleck'n, Wirtshaushumor, bei dem zeigt man allenfalls die Zähne, aber man beißt nicht zu. Dennoch möge nicht in Vergessenheit geraten: Vorredner der Kinseherin haben das getan. Der eine oder andere hat sich damit auch abserviert, weil der eine oder die andere sich dann doch ein bißchen zu sehr beleidigt gefühlt hatten. «Liebe Salvator-Freunde,
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