Diplomatie der unteren Stände

Höflichkeit ist eine Zier, doch besser geht's auch ohne ihr.

Mutter schmeißt Baby aus dem Fenster, so oder so ähnlich schlagzeilt das Blatt, bei dem ich immer daran denken muß, daß es sich zu nichts anderem eignet, als damit allen möglichen Menschen mal in diese vier Buchstaben zu treten. Es ist jedoch keineswegs nur dieses Blatt, von dem ich seit Jahrzehnten gerne sage, daß ich nicht einmal als seit Tagen toter Fisch darin eingewickelt sein möchte. Das geht bis zur Weigerung, Opa aus der Nachbarschaft dieses lediglich mit allerärgstem Analogkäse in Verbindung zu bringende Blatt mitzubringen. Die Millionen Fliegen, die nicht irren können, assoziiere ich, wenn ich seniler Bettflüchtling beim vermutlich einzigen Bäcker in ganz Norddeutschland, der ein sogar recht wohlschmeckendes Ciabatta produziert, Espresso (nun ja) trinkend auf den Lieferwagen warte, im Blickfeld den Verkaufsständer mit vier verschiedenen Zeitungen, aus dem Hereinkommende nahezu ausnahmslos zu diesem Osservatore pauperum greifen. Doch nicht nur das greift ständig zu diesem Kammerton des gesunden Volksverstandes, genügend andere, weitaus mehr als die drei darbenden seriösen Zeitungen in diesem Blätterwäldchen bedienen sich dieser immerwährenden Volksweise, die allerorten erklingt, auch in bewegenden TV-Bildermagazinen, mögen sie nun Brisant oder Leute heute heißen: Wie das nur geschehen konnte! Dabei war sie doch so höflich und zuvorkommend, die Mutter. Nie kam laute Musik aus der Wohnung, und ihren Müll hat sie immer sauber getrennt.

Wie ich darauf komme? Der gute alte, auch nach seinem zweihundertsten Todestag noch jünger daherkommend als die renaissancierten, ewig nach hinten Klagenden dieses Wider die Theaterverhunzer, das sind diejenigen, die so ahistorisch und werkungetreu Geschichte in die Aktualität (ver)zerren, dieser Claus Peymann hat es ausgelöst, er hat's endlich mal wieder zurechtgerückt, was anläßlich dieses ganzen andächtigen Todestagsgeschwurbels in den Medien völlig untergegangen oder auch von ihnen unterdrückt worden zu sein scheint: Heinrich von Kleist war von den Nationalsozialisten vereinnahmt worden, die sich ohnehin alles mögliche angeeignet hatten, was ihnen in den Rahmen ihrer scheußlichen Ideologie paßte, nicht nur, weil dieser preußische Offizier gegen die Franzosen kämpfte. So einer darf sich sogar umgebracht haben, auch wenn das eigentlich streng verboten ist im Land der christlich-jüdischen Leidkultur. Er war schließlich deutscher Dichter, da spielt ein unstetes Leben quasi als Landfahrer ohne festen Wohnsitz, sozusagen als Zigeuner lediglich eine Nebenrolle. Auch wenn er den Geheimrath zu Weimar mal duellieren wollte: Er ist schließlich deutsche Volkskultur. Man kennt es: Michael Kohlhaas, den Ernst Bloch einen «Don Quijote rigoroser bürgerlicher Moralität» nannte. Und dann Der zerbroch'ne Krug, für den man gerne sein Tourneetheaterabonnement nutzt und sich dann überhaupt nicht darüber wundert, welch ein höflicher und zuvorkommender Mensch dieser Dorfrichter Adam doch eigentlich ist; als Musical täte der sich sicherlich auch gut eignen tun. Nicht schließlich dieses Über das Marionettentheater, für dessen Bewegung man ebenfalls abonniert hat im städtischen Marionettentheater für Kinder, weil die von der Einheit von Kunst und Leben eher eine Vorstellung haben, die in ihrer Anmut nachgerade romantisch daherkommt, wie im Mittelalter, in dem der Franzosenkaiser Charlemagne, der im anderen Nationalbewußten eigentlich ein deutscher Führer war, auch wenn diese Lande bis fast zu den Preußen noch als Kleinstaaten immer fröhlich und bunt wie beim heutzutagigen mittelalterlichen Handwerkermarkt vor sich hinträumten oder sich, je nach Geisteshaltung, gegenseitig massakrierten wie Karl der Große einst die Sachsen, die daraufhin endlich zu christlichem Kreuze krochen. Da darf man auch schonmal die Fäden aus der Hand verlieren und ihm andichten, er hätte schließlich aus Liebe erst seine Gefährtin und anschließend sich erschossen. Wie bei Petra Kelly und ihrem deutschen Offizier Gert Bastian, wenn die auch nicht unbedingt in diese Art der Märchenvermittlung paßten. Ein Weltverbesserer sei er gewesen, dieser Kleist, meinte Peymann, ein Revolutionär. Und er, Peymann, und noch ein paar andere wissen auch, daß dieser Kleist nicht unbedingt einer gewesen war, bei dem keine laute Musik aus der Wohnung gekommen wäre und Zweifel daran bestehen dürfen, daß er seinen Müll immer sauber getrennt hätte. Selbst in der ständig auf der Suche befindlichen Erinnerungsarbeit meines Dachstübchens hat er seine Spuren hinterlassen, seine Denkpraxis habe ich mir angeeignet, wenn auch nicht ganz so werkgetreu, bei der allmählichen Gedankenverfertigung.

Oder so: Feuriger Schutz ...
Französisches Exerzitium
«das man nachmachen sollte:

Ein französischer Artilleriekapitän, der, beim Beginn einer Schlacht, eine Batterie, bestimmt, das feindliche Geschütz in Respekt zu halten oder zugrund zu richten, placieren will, stellt sich zuvörderst in der Mitte des ausgewählten Platzes, es sei nun ein Kirchhof, ein sanfter Hügel oder die Spitze eines Gehölzes, auf: er drückt sich, während er den Degen zieht, den Hut in die Augen, und inzwischen die Karren, im Regen der feindlichen Kanonenkugeln, von allen Seiten rasselnd, um ihr Werk zu beginnen, abprotzen, faßt er mit der geballten Linken, die Führer der verschiedenen Geschütze (die Feuerwerker) bei der Brust, und mit der Spitze des Degens auf einen Punkt des Erdbodens hinzeigend, spricht er: «hier stirbst du!» wobei er ihn ansieht — und zu einem anderen: «hier du!» — und zu einem dritten und vierten und alle folgenden: «hier du! hier du! hier du!» — und zu dem letzten: «hier du!» — Diese Instruktion an die Artilleristen, bestimmt und unverklausuliert, an dem Ort, wo die Batterie aufgefahren wird zu sterben, soll, wie man sagt, in der Schlacht, wenn sie gut ausgeführt wird, die außerordentlichste Wirkung tun.»
Paris, den 14. Juli Zitiert nach: Heinrich von Kleist: Werke in einem Band, hrsg. v. Helmut Sembdner, Carl Hanser Verlag, München 1966, Anekdoten, Seiten 782f.

So langsam darf die Gesellschaft die berechtigte Frage stellen, ob ich auch so ein Mörderbube bin, der vielleicht heimlich Kleinstkinder aus dem Fenster schmeißt und andere, nur weil sie Fremde sind und deshalb keinen Nationalstolz haben können, einfach umbringt. Ich bin verdächtig, alleine deshalb, weil ich ein immer höflicher und zuvorkommender Mensch bin. Weshalb das so ist, spielt dabei keinerlei Rolle. Es ist nämlich alles nur gespielt. Da mag das noch so seine Wurzeln haben. Ich bin nämlich französisch erzogen worden. Man stelle sich das in der Art vor: Ich habe im Supermarché jemanden versehentlich touchiert, drehe mich herum, schaue den Berührten in die Augen und entschuldige mich gerührt für diese Tat. Und zwar von Herzen kommend. Denn ich bin verzückt von Schönheit. Doch die ist eine Frage der Ästhetik, kommt also von innen und will draußen als Anmut gefallen. So gesehen hat sie mir oftmals geholfen beim Erstürmen von Herzen. Stehe ich in einem Berliner oder Münchner (Hamburg und sein, nicht nur der geldfette, Speckgürtel scheint die Ausnahme von der Regel) Supermarkt und jemand schiebt mir den Einkaufwagen in die Achillessehne, wird er mich fragen, warum ich hier so dumm herumstehe. In Frankreich, dem Land der köpferollenden Revolution geht man höflich miteinander um. Im deutschen Land des Gehorsams trennt einem der Kadaver die Achillessehne ab, wahrscheinlich, um nicht mehr flüchten zu können. Aber es ist wohl alles eine Frage der Auslegung des Begriffes Ästhetik.

Es mag daran liegen, daß diese Höflichkeit sozusagen eine urfranzösische Angelegenheit ist. Trotz allem wird sie häufig auch rechts des Rheins als Kompliment mißverstanden. «... il soutint sa thèse pour le doctorat d'une façon si remarquable, qu'elle lui valut les compliments des professeurs», schrieb Gustave Flaubert in seinem 1869 erschienenen Buch Lehrjahre des Gefühls, da buckelt einer, in meiner wirren Auslegung, vor den Professoren. Ich bin zwar ein höflicher Mensch, mache mir aber nichts aus Komplimenten und verteile sie auch höchst ungern, da ich sie mit dem Höfischen, den Höflingen in Verbindung bringe. Das sind diejenigen, die vom Sonnenkönig in den goldenen Käfig von Versaille gesperrt wurden, wo sie nichts anderes durften, als ihm ehrerbietig Komplimente zu machen. So ist das bis heute geblieben. Wo man auch hinschaut in diesem Land, das ich, ja nun, da halte ich's eher mit einem Deutschen, der zum «Vaterland» gesagt hat, er liebe seine Frau, aber ich tue mich da auch leicht, schließlich ist's ohnehin mein Mutterland; doch ich vaterlandsloser Geselle bekomme bereits bei dem Begriff Patriotismus Probleme. Kurzum, alljährlich feiert man mit riesigen Aufmärschen La Révolution, von der schon Kurt Tucholsky anmerkte, die meisten wüßten kaum noch, weshalb sie am 14. Juli auf die Straße gingen. Und doch sehnt man sich kaum nach mehr, als selber ein bißchen alter Adel sein zu dürfen. Es gibt dazu keinen Kitsch, der zu schade wäre, nicht doch ein sonniges Plätzchen in der durchgeistigten Haltung zu finden. Da hilft nicht einmal die (fast) strikte Trennung von Kirche und Staat. Einmal katholisch, immer katholisch. Wer an den Himmel glaubt, der will hinein in ihn, will wenigstens ein bißchen Niederadel, unterer Stand sein. Das sind diejenigen, die am niederen Wild nagen durften, den Karnickeln und Wachteln et cetera. Und so etwas wird heutzutage wohl deshalb gezüchtet in den euroglobalistischen Bachelor-Aufzuchtstationen.

Daß ich solch ein höflicher Mensch geblieben bin, gleichwohl nie katholischer und auch kein hugenottischer oder was es sonst noch gibt auf diesem Schlachtfeld christlich-jüdischer Liebe zum Andersseienden, dafür kann ich nichts. Wir schon Heimito von Doderer bemerkte: «Jeder bekommt seine Kindheit über den Kopf gestülpt wie einen Eimer. Später erst zeigt sich, was darin war. Aber ein ganzes Leben lang rinnt das an uns herunter, da mag einer die Kleider oder auch Kostüme wechseln wie er will.»

Um meinen guten alten Bekannten werde ich mir keine Gedanken mehr machen müssen, der in seiner unhöflichen Art jedes Dankeschön gegenüber Dienstleistern mit der Begründung verweigerte, er bezahle schließlich dafür. Diejenigen, die sich nicht so benehmen, wie es die Gesellschaft von ihnen verlangt, stehen nicht mehr unter Verdacht. Jetzt sind solche Höflinge wie ich dran, allesamt Mörder, aber höflich und zuvorkommend.
«Man stürmt heute keine Bastillen mehr. Das äußerlich greifbare Symbol ist seltener geworden, und man muß schon ein bißchen künstlich nachhelfen, wenn man einer modernen revolutionären Bewegung zu Gedenktagen verhelfen will. Die Unterdrücker sitzen nicht mehr in einem einzigen Palast der Stadt, der zu stürmen wäre, Banken stehen an jeder Ecke, selten gerinnen Reaktion, Nutznießertum und die Pest der Unterdrückung zu einem Mann, zu einem Haus, zu einer Fahne. Das Leben spielt sich heute auf dem Papier ab, in Telefondrähten, an der Börse. Schwer, das zu stürmen und den Sturm kenntlich zu machen.»
Paris, den 14. Juli

Verwirrt ab zum Sturm ins Nickerchen.
 
Di, 22.11.2011 |  link | (5298) | 17 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele



 

Wünschelrutengänger sucht erquickenden Quell

«Wer schreibt, um Bildung zu zeigen, muß Gedächtnis haben; dann ist er bloß ein Esel. Wenn er die Fachwissenschaft oder den Zettelkasten benützt, ist er auch ein Schwindler.»
Karl Kraus

Gesucht und gesucht habe ich in meinem Archiv, ich wußte, daß ich es irgendwo in meinem etwa ab 1992 angelegten Lagerschuppen der irgendwann wieder verwertbaren krummen und verrosteten Geistesnägel anderer, gegen den der vielzitierte Heuhaufen mit seiner berühmt-berüchtigten Nadel ein geradezu (be)dürftiges Häuflein darstellt, digital gestapelt hatte. Schließlich gab es seinerzeit noch keine Maschinen wie etwa Kuckel, das kam erst einige Zeit später, bis es zum Monster wurde, das ich nur noch in Blaulichtfällen ab Seite 139 an mich heranlasse, wenn alle anderen nichts mehr abzugeben in der Lage sind. Seinerzeit mußte noch alles aus Büchern abgeschrieben und in Zettel's Kasten gelagert werden, zu dem meine letztlich saudoofe Festplatte mißraten ist, in der ich offensichtlich immer noch nach analogen, utopischen (Land, das nirgends ist) Unsystemen suchend alles mögliche finde, jedoch meist nicht das, was ich suche. In der Kunst wird das das objet trouvé genannt. Bin ich denn ein Künstler!? Wer, wie oder was auch immer — während der intensiven Räumsuche bin ich kurz vor dem Fenstersturz beinahe letztes Ende darauf gestoßen:
Ist Genialität etwas anderes als Wiederfinden?

Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen, es muß anders werden, wenn es gut werden soll.»
Georg Christoph Lichtenberg

Nun schätze ich das nach Südniedersachsen emigrierte bucklicht Männlein aus dem südhessischen Ober-Ramstadt ja durchaus. Alles Erdenkliche läßt sich mit ihm ausschmücken. Und Erdenkliches hat er schließlich ebenso von sich gegeben. Das Allererdenklichste hat wohl der nicht minder geschätzte Sangesphilosoph Mauri Antero Numminen (der übrigens besser deutsch schreibt als so mancher deutscher Skandinavistik-Experte bei Radio Hirn will Arbeit schwedisch spricht und weitaus mehr vom Tango Tango versteht als die Darsteller meines Lieblingsfriseusensports, die sexy Turniertänzer, indem er Platon sagen läßt:
«Ich habe mit meiner Empfehlung gemeint, daß ein Mann vor seinem fünfunddreißigsten Lebensjahr eine Frau überhaupt nicht berühren soll. Du hast dich, und das ist in der Tat lobenswert, bis zu deinem fünfunddreißigsten Lebensjahr von den Frauen ferngehalten. Aber was du jetzt treibst, gehört bereits zu dem, was man den Liebesakt nennt. Der Nichtvollzug des abschließenden Teils bringt dir keinen einzigen zusätzlichen Punkt.»)
dazu beigetragen. Aber das, stelle ich gerade fest, ist ja dann doch wieder etwas anderes, die beiden bringe ich nur zu gerne durcheinander, der hier hieß nämlich Wittgenstein, dieser andere Logiker. Man muß das Wiedergefundene nur richtig einordnen. Nenne ich das mal Chaostheorie. So sieht es aus mit meinem Navigationssystem, das mit meiner Weltkarte im Oberstübchen offensichtlich ebensowenig klarkommt wie das elektrische, das auf der Autobahn zur Uni Bochum ständig und immer lauter werdend flötend mahnt: Bitte wenden!

In diesem Sinne, und so weiter. Aber ich bin schließlich eine Antwort schuldig, für die ich letztlich in den Irrgarten meiner archivierten Gedanken anderer eingestiegen bin. Die Frage derjenigen, die einen meiner Aufsätze gelesen hatte, die ich mich hier einzustellen nie getrauen würde, weshalb ich denn so unendlich viel zitieren und das auch noch mit «unerträglich übermäßigen Anmerkungen» versehen würde. Irgendwann bin ich dann doch auf die Quelle gestoßen in meinem Wünschelrutenverfahren, und zwar ohne mit Hilfe des Elephantenfußes adoleszent-halsbrecherisch den Gipfel des Apo-Thekenschranks zu erklimmen und gar den linnenen Wälzer aus der Anderen Bibliothek (als sie noch eine andere war) nochmals von vorn bis hinten durchlesen zu müssen; es wäre nicht das erste Mal, ich habe auch schon monatelang nach einem Buch mit grünem Einband in den Regalen gesucht, aus dem ich zitiert hatte und meinte, da ich mich so angenehm im Schreibfluß befand, die Fußnote könne ich später nachtragen, und das ich — und somit auch nicht die entsprechende Seite — nie wiederfand. Kurzum:
«In meinen Zitaten lasse ich andere sagen, was ich selber nicht so gut ausdrücken könnte, sei es aus Mangel an Sprachgewandtheit, sei es aus Mangel an Scharfsinn.»
Michael de Montaigne
«Was sich mir nicht auf Anhieb erschließt, tut es um so weniger, je mehr ich mich hineinbohre.» (II, 10)
Eine Suchmaschine zu bedienen, ist nicht schön, auch nicht die des eigenen Hirnstübchens. Denn es macht viel Arbeit. Mehr noch als die Kunst, über die Kunst zu schreiben.
 
Sa, 19.11.2011 |  link | (2930) | 5 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Seltsamkeiten



 

Pisam farsilem

Pisam coques. Cui oleum mittis. abdomen et mittis in caccabum liquamen et porrum capitatum, coriandrum uiridem, imponis ut coquatur. Isicia minuta facies quadrata, et coques simul turdos uel aucellas uel de pullo conciso et cerebella prope cocta cum iuscello coques. Lucanicas assas, petasonem elixas, porros ex aqua coques, nucleorum heminam frigis. Teres piper, ligusticum, origanum, gingiber, ius abdominis fundis, lias. Angularem accipies, qui uersari potest, et omentis tegis, oleo perfundis, deinde nucleos aspargis et supra pisam mittis ut tegas fundum angularis, et sic componis supra petasonis pulpas, porros, lucanicas concisas. Iterum pisam supermittis. Item alternis aptabis obsonia, quousque impleatur angularis. Nouissime pisam mittis, ut intus omnia contineat. Coques in furno uel lento igni imponis, ut ducat ad se deorsum. Oua dura facies, uitella eicies, in mortario mittis cum pipere albo, nucleis, melle, uino candido et liquamine modico. Teres et mittis in uas ut ferueat. Cum ferbuerit, pisam mittis in lancem, et hoc iure perfundis. Hoc ius candidum appellatur.
In alle erdenklichen Sprachen ist das übersetzt worden. Im Kochbuch der Römer, Rezepte aus der Kochkunst des Apicius, eingeleitet, übersetzt und erläutert von Elisabeth Alföldi-Rosenbaum, war das auch mal deutschsprachig nachzulesen, mit freundlicher, also bezahlter Genehmigung (von den großen Verlagen verzichtete bei Kleinauflagen allein Suhrkamp auf Lizenzgebühren) nachgedruckt im Laubacher Feuilleton 7.1993, in dem es überwiegend um Gastrosophisches ging. Ich trau's mich trotzdem nicht, es hier hineinzuhieven, weil's nämlich urheberrechtlich zum Artemis-Verlag gehört, der es 1970 erstmals veröffentlicht hat. Da das Buch nach wie vor (in immer wieder erneuerter Auflage) erhältlich ist, befürchte ich Ärger, da wären dann sicher Büschelweise Haare in der Suppe.

Die spätere französische Königin hätte diesen Fraß wohl nicht geschluckt, auch wenn er noch so römisch gewesen sein mag. Aber schließlich war sie Florentinerin, bevor sie in den Westen zog, um diesem vom Mistral durchrüttelten Volk da drüben, diesen Möchtegern-Bocuses ordentlich die nouvelle cuisine zu lehren. Mir ist das egal. Ich mag einfach Erbsensuppe zu gerne. Wahrscheinlich hat mein nahezu ewiger Aufenthalt rechts des Rheins doch zu tiefe Spuren in meinen Geschmacksnerven hinterlassen. Und längst stehe ich mit einem Knospenbein auch noch im aus Kleinasien nach Kurz-vor-Sibirien eingewanderten Ursumpf dieser breiartigen Masse. Zudem dräut schwerer Novembernebel über allem. Meine einstige Teilzeitkochlehrerin, eine wunderbare und -same Freundin aus dem Badischen, seinerzeits wie ich in die lieblichen vorälpischen <i>stillen Winkel des beim Murnauer Moos beheimateten Blauen Reiters eingewandert, die mir so manchen verfeinernden Hinweis gab, etwa den des neben Basilkum und Estragon angereicherten Dills sowie Eigelb und leicht belgisch, also süßlich parfümierten Senf als Beigaben zur allerfeinst gehobelten Gurke, die dann in Sahne ertränkt Salat geheißen wurde und auch nach vierzig Jahren noch der Gäste Lust erzeugt, riet mir als Beigabe für die Erbsensuppe frischen Wirsing. So mag ich sie bis heute am liebsten. Als großer Experimentator, wenn auch als einer ohne Documenta-Ambitionen, habe ich es auch mit Kohlrabi und auch mit Blumen- oder Grünkohl oder mit allem zusammen mit allen erdenklichen Kräutern und Gewürzen ausprobiert. Aber da ich als Alter ohnehin dem Alten zugeneigt bin, werde ich das Rezept von diesem Alten nun doch mal testen. Ich hab ja sonst nix zu tun. Und für Erbsensuppe tue ich fast alles. Deshalb gebe ich das obige Küchenlatein in meine von kalter Spaltenfüllerei geschmierte Phrasendreschmaschine und schlage auch die Inhalte zu Sprachbrei:

Koche die selbstredend selbstgezogenen und -geernteten Erbsen. Füge Öl1 dazu (auch bei Béziers2 stehen Bäume, unter denen sich wundersam davon träumen läßt, daß deren Früchte einem in die offene Suppe fallen). Nimm Bauchlappen (Schweinebauch, den die Gattin deines Charcutiers kurz zuvor noch selbst gekrault hat) und gib ihn zusammen mit liquamen3, ganzen Lauchstangen und frischem Koriander in einen Topf. Setze den auf die eigens zu diesem Behufe in der Mitte deines denkmalgeschützten Hauses neu errichteten Esse zum Zweck des Erhitzens nieder und lege dich zum Nickerchen aufs Canapé. Sollte es dir währenddessen ebenfalls zu warm geworden sein, wähle die Rufnummer 112 und in weiser Voraussicht auch die desjenigen, der dir das Dach über dem Kopf gegebenenfalls noch vor dem nächsten Winter reparieren kann. Schneide kleine Würfel aus gehacktem Fleisch (das noch kurz zuvor noch glücklich war, im Zweifelsfall ergreife bewährte Maßnahmen4) und koche sie zusammen mit Amsel, Drossel, Fink und Star und sonstigen Singvögeln oder aufgeschnittenem Huhn aus Nachbars Garten; koche halbgares Hirn (bedenke: allzu frisches könnte noch von klaren Gedanken durchzuckt sein) in der Brühe. Grille auf dem Meisterwerk des Vaters5 von Schmieds Töchterlein unweit des baltischen Meeres (gerade erscholl in meinem Hackfleisch-TV6 erneut die Hymne auf den norddeutschen Griller7) lukanische8 Würstchen, koche einen Vorderschinken (all das bietet auch der Biobrillenhersteller9 in Lütjensee und ist kulinarhistorisch betrachtet ebenfalls geeignet), koche Lauch in Wasser und röste in der auf Herrn Trödels Markt als Antiquität erstandenen ehernem Bräter der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts vierhundertfünfzig Gramm Pinien- (nein, auch nicht ersatzweise koreanische Kiefern10-)kerne. Leihe dir beim Dorfapotheker oder, falls auch den die Gesundheitsreform dahingerafft haben sollte, gegebenenfalls bei Madame Lucette11, einen Mörser aus, stampfe in demselben Pfeffer, Liebstöckel, Origanum und Ingwer, gieße Brühe von dem Schweinebauch darüber und rühre dies glatt. Nimm eine Auflaufschüssel (angularis12), die sich stürzen läßt, und lege sie mit omentum13 aus. Fette sie mit Öl. Streue die Pinienkerne hinein und lege eine Schicht Erbsen darüber, so daß der Boden der Schüssel bedeckt ist. Darüber gib das Fleisch von dem Vorderschinken, den Lauch und die in Scheiben geschnittenen lukanischen Würstchen, darüber wieder eine Schicht Erbsen. Ebenso fülle die übrigen Zutaten ein, schichtweise mit den Erbsen abwechselnd, bis die Schüssel voll ist, und zwar so, daß die oberste Schicht eine von Erbsen gebildete wird. Koche dies im Backofen oder auf kleinem Feuer, bis es steif wird. Fange zuvor noch fröhlich freilaufende Eier ein, lasse sie hart kochen, entferne die Dotter und stampfe das Eiweiß im Mörser zusammen mit weißem Pfeffer, Pinienkernen, Honig (von Mörderbienen, da alle anderen mittlerweile tot sind), Weißwein und etwas liquamen, gib dies in einen Topf und lasse es kochen. Wenn es gekocht hat, stürze den Erbsenauflauf auf eine Lanx14 und gieße die Sauce darüber. Diese nennt man weiße Sauce und besteht, trotz aller Beteuerungen der wegen des vielen Fischs vom Mare Balticum ins eher binnenländische Büddenwarder geflüchteten Küchengeschichtsschreiberin15 nicht alleine aus Butter, Mehl und Wasser, welche sie bevorzugt über alle nationalgerichteten Kohlarten gießt.

Anmerkungen:
Da mir wiederholt zugetragen wurde, daß meine Verlinkerei zu Unachtsamkeiten führen könne, bediene ich mich der klassischen Fußnote. Den richtigen HTML-Umgang — auf daß alles hinab- und wieder hinaufhüpfe — lerne ich vielleicht auch noch; zumal das da oben spationierungstechnisch nicht eben edel ausschaut. Sollte es mir gelingen, gestalte ich's um.
1Öl
2 Béziers
3 liquamen
4 Maßnahmen
5 Vaters
5 Hackfleisch-TV
7 norddeutsche Griller
8 lukanische; Marseille[8.1]
9 Biobrillenhersteller
10 Korea-Kiefer11 Madame Lucette
12 angularis
13 omentum
14 Lanx
15 Küchengeschichtsschreiberin

 
Do, 17.11.2011 |  link | (4543) | 8 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Geschmackssache



 







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