Kunst kommt von Kucken

Ich hatte damals, als ich mir Anfang der achtziger Jahre öffentlich-rechtliche und gemeinnützige Gedanken um das Museum, um die dazugehörende Pädagogik machte und mich leicht über ein Zuviel der Didaktik beklagte, die eventuell eine gewisse Minderung an der Kunstlust hervorrufen könne, ein Gemälde von Carl Spitzweg im Sinn, jenes, in dem der als liebevoll malender Biedermann verkannte bitterironische Romantikverdreher die Leutchen zeigt, wie sie fast hineinkriechen in ein Bild (das ich im ansonsten netten Netz nicht finde, aber vielleicht finde ich ja das Buch, in dem es enthalten ist, dann trage ich es nach, bis dahin stelle ich ersatzweise diese hundsmiserablige Zeitungskopie hier ein; der Auslöser meines neuerlichen Wortdurchfalls folgt weiter unten).


Den Alles-ist-machbar-Andy Warhola habe ich 1982 mal zitiert im Zusammenhang mit seiner Aussage, die Leute gingen immer dann ins Museum, wenn es regne. Tatsächlich gingen zu der Zeit, jedenfalls in der Bundesrepublik Deutschland, vermutlich, weil es dort zu selten regnet(e), mehr Menschen in die Museen als in die Fußballstadien, auch oder im besonderen um Schalke herum und Dortmund. An den sich seinerzeit rasend vermeerenden Technikmuseen lag's in erster Linie, die langsam auszuufern begannen. Heute sieht man kein Land mehr, weil sie nicht wissen wohin mit den ganzen denkmalgeschützten Erinnerungsarbeiten. Und was enthalten die meisten dieser einst der schweren körperlichen Arbeit beziehungsweise den vorturbokapitalistischen Sklaventreibern dienenden Immobilien heutzutage? Richtig: Freizeit, genauer: Museen. Und da es soviel alte Technik offensichtlich nicht gibt, die man ausstellen könnte, wird ein Teil davon, während allüberall Kirchen in sogenannte Gourmetrestaurants umfunktioniert werden, in Gebetshäuser der neuen Religionsgemeinschaft umgewandelt: in solche der zeitgenössischen Kunst. Daß dabei das, was man darunter versteht, unmittelbar mit der Muttersekte assoziiert, von ihr abhängig ist, erkennen die wenigsten, da Glaube nunmal nichts mit Wissen zu tun hat: Ihm sei nicht klar, meinte dieser bärgeistige Franke neulich in der von diesem nicht minder dégoutanten Nordbayern geführten Anstalt, weshalb achtzig Millionen Deutsche unentwegt mit Börsennachrichten zugeschüttet würden — bei drei Millionen Aktenbesitzern. Man muß die fröhlichen Weisheiten den Gläubigen, nicht etwa den Gläubigern, nur richtig vermitteln, und alle rennen hin, wenn ein Hirte von der Kanzel ruft. Das darf dann ruhig auch ein neuer Gottesanbeter sein, der sein Flehen gen Himmel schickt. Daran ändert auch des Flehenden Aussage nichts, dieses krachige Verkündungsgebimmle sei abartig. Er hat, im Gegensatz zu anderen, nichts gegen diese jeden Gedanken über den Sinn der Kunst zertrümmernden Tsunamis aus heißer Luft getan. Geblieben ist ein Torso einer Bildung, die in Form einer sich seit zehn Jahren bahnbrechenden Welle wirtschaftsokzidentierter Prägung, der Unsinn der Tapete für die Wand, dem Wissensungeübten im Kunstbaumarkt in die Hand gedrückt von Verkäufern, die meistens noch weniger über ihre Ware wissen als ihre Kunden.

Die Fabergé-Kleinodien waren noch nicht durch die Museumslandschaft geeiert vor dreißig Jahren und auch nicht die allseits geliebten Hohenzollern oder Wittelsbacher, aber es nahte bereits die Unwucht solcher Ausstellungen wie Von Greco bis Goya, dieses Lustige Cabinett, aus dem das sich bildende Volk kiloschweren Katalogmüll herausschleppte, wenn er denn überhaupt hineinkam, der Tausendfüßler, der sich zum Ende der Schau hin vom Münchner Haus der Kunst bis an den Friedensengel und wieder zurück die Beine in den Bauch wartete, um den einen oder anderen Blick auf den Bauch des Vordermannes oder den Hintern der Hinterdame zu erhaschen, Hauptsache dabeigewesen und den Freunden am Stammtisch langatmig (zu der Zeit wurde noch nicht gezwitschert und verfolgt) zu berichten über die Freude an der Kunst.

Womit wir wieder bei Volker Hldebrandt wären, an den ich gestern erinnert wurde und an den ich sofort erinnerte, nicht zuletzt, weil wir uns einst bei einem oder auch zwei und noch einem Kölsch eins waren über diesen gemachten Sinn von Kunst. Ein paar Jahre liegt das bereits zurück, aber geändert hat sich daran nichts. Im Gegenteil, sehr viel grotesker ist das geworden mittlerweile. Ich hatte es bereits erwähnt, daß inzwischen offenbar ein jeder ein Stück von dieser Riesentorte meint abhaben zu müssen, sei es, daß er seinerzeit das in fast endloser Auflage hergestellte Holzkästchen von Joseph Beuys für zigtausende Pfund am englischen Trödelmarkt Sotheby's zu verhökern versucht oder ein von Gott Richter signiertes Ausstellungsplakat für ein paarhundert Euro via Internet, sicher nicht zuletzt diejenigen, die seit gestern um einen anderen toten Gott (oder, wie immer sanfter oder auch gelassener, Religionsführer) ärger trauern als vermutlich weiland Marx um seine Jennys oder möglicherweise Nietzsche um seine häufig fehlinterpretierte Botschaft. Als vor gar nicht so langer Zeit die Äpfel noch nicht faulten, wollten sie nur ein paar wenige haben, vielleicht weil sie einfach nur schön und/oder aber obendrein einfach zu bedienen waren. Dann gerieten diese Gerätschaften jedoch zu Monstranzen, da die Welt eine neue Religion suchte oder einen Papst der Säkularisierten brauchte und auf einmal alles losrannte, etwa in der Art eines anderen Fernseh- Kino- und überhaupt Heiligen, der meinte, verkünden zu müssen, Ich bin dann mal weg, und sich Blasen lief auf dem Weg ins Heilige Compostela des Nichtsnutzigen. Daß es auch andere brauchbare oder gar schönere und vielleicht sogar preiswertere Gebrauchsgegenstände oder Bücherregale oder feinere Canapées gibt als die von diesem schwedischen, alles andere als Frieden stiftenden Steuerflüchtling, auf die kommt die in Massen kreativ denkende Welt kaum.

Stellt ein kaum bekanntes Künstlerlein zum ersten Mal in einem Städtlein aus, bleiben ein paar Unentwegte unter sich, die Freunde stellen Freunde vor, nicht virtuell, sondern tatsächlich, wie damals, als es noch keine Followers gab. Wenn aber die Glocke Rembrandt zum Gottesdienst bimmelt, dann bewegt sich die Völkerwanderung in die Kirche Museum. Den kennen sie. Daß der auch mal angefangen hat, das kommt ihnen nicht in den Sinn. Kunst kommt also doch nicht von Kucken, sondern von Gesehenwerden.

Leider habe ich den Miary-Appendix versehentlich wegoperiert. Den Kunstfehler wird mir der Göttinnenanbeter © Volker Hildebrandt hoffentlich nicht in Rechnung stellen.

 
Fr, 07.10.2011 |  link | (3718) | 4 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Marktgeschrei


einemaria   (10.10.11, 12:16)   (link)  
ich finde,
die Kunst könnte ruhig mal mit uns in den Regen kommen. Sind doch prinzipiell alles Lackfarben. Sonst bleibt sie ein Schlechtwetterphänomen.


jean stubenzweig   (10.10.11, 14:00)   (link)  
Ein Schlechtwetterphänomen
ist das, was heutzutage viele unter Kunst verstehen, ohnehin. Ja, Lackfarben: alles was glänzt am Markt, darf leuchten. Wer sich selber schlecht oder gar nicht verkaufen kann, der bleibt im Regen stehen. Es gäbe einige, denen ich einen Schirm gönnte, auf daß sie darunter wenigstens in Ruhe ihr mit ihrer Arbeit verdientes Butterbrot und vielleicht einen Apfel dazu verzehren könnten. – Eine Zeitlang war ich in guter Hoffung, daß auch dieser Blähbauch irgendwann platzt. Ich habe mich offenbar geirrt. Gesiegt hat das, wonach mittlerweile nahezu alles zu streben scheint: Luxus. Kunst als Luxus. Aber wahrscheinlich verstehe ich das einfach nicht.


einemaria   (20.10.11, 17:57)   (link)  
Verzagen Sie nicht. Vielleicht ist die Blase schon längst geplatzt und nur jene, die die Kunst nicht auf der Straße sehen wollen - da erst die Luxuskunst ihre Exklusivität bestätigt - werden selbst Ihren Schirm noch als Kunstraum deklarieren. Das heißt aber nicht, daß sie Recht haben.
Ob Regen oder Sonne: Wir sind der Markt!


jean stubenzweig   (21.10.11, 16:14)   (link)  
Kunst auf der Straße
kommt selten in den Kunstraum, es sei denn, einer hat angefangen wie Basquiat. Dann ist es wahrscheinlicher, ein Engel namens Andy kommt daher und macht Kunst zum Geschäft. Das kann ja noch recht lustig sein. Aber der ist schließlich schon lange tot, und seine Ergüsse werden bald häufiger gefälscht als Banknoten. Klar, die sind mittlerweile auch mehr wert.

Im heutigen Kunstgetriebe wird man gezwungen, anzunehmen, es gäbe, wie bei den Verkäufern der Gesundheit, fast nur noch Betriebwissenschaftler unter den sich Galeristen nennenden Drogisten, die Kunst ausschließlich nach Kriterien ihrer schönen Verkaufbarkeit bewerten. Dementsprechend treten diese Kunstverkäufer auf den Plan, die, man möcht's gar nicht glauben, diese Ware nach Gesichtspunkten sichten, die Gebrauchtwagenhändlern «zur Ehre» gereichten: jede Wellung erzeugt Wallung, jedes Beulchen senkt den Preis, lieber vorher nochmal in die Waschanlage, bevor der Kunde vermuten könnte, es wäre nicht authentisch, was man ihm da andrehen will. Solange es solche Windbeutel gibt, die ansonsten fest ans leere Börsenpapier glauben, wird's auch Blasen geben.















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