Loswerden muß ich das. Auch wenn ich in meinen Lesehinweisen auf andere Seiten nicht werten wollte, sondern nur alphabetisieren — doch ich kann das Wasser nicht halten (im Alter ja bekanntermaßen eine häufig vorkommende Störung), der immer wiederkehrende Druck ist einfach zu stark. Ach was, aufhören möchte ich, auch nur noch eine einzige Zeile zu schreiben, jedenfalls das, von dem ich immer meinte, es könnte wenigstens ein bißchen komisch sein oder ironisch oder am Ende gar einen Anflug von Satire haben. Eigentlich möchte ich gar nichts mehr schreiben, sondern mich nur noch lesend der schieren Vergnügungssucht hingeben, selbstredend ganz im schillerschen Sinne von der Wahrheit, die nur mit List, durchaus über die Unterhaltung zu verbreiten sei. Meine Hingabe samt applaudierender Verbeugung also an: Zynæsthesie
Bis der Handwerker kommt ... Da erreichte mich heute ein wunderschönes Präsent — die Präsentin schaffte es, mir in meine Eremitage ein Bändchen der Streichholzbriefe des von mir überaus geschätzten Deuters aller Zeichen, Umberto Eco, zukommen zu lassen, das sich doch tatsächlich noch nicht innerhalb meines in der Karton- und Dachboden-Verbannung befindlichen Eco-Regal-Meters befand. Selbstverständlich habe ich gierig zwischen die Seiten gegriffen, als ob's um eines jener truffe en chocolat ginge, die des kleinen Chocolatier am Münchner Fäkalienmarkt. (Ja! besser als der beste der — jedenfalls mir bekannten — in Paris! Allerdings stammt dieser Genußhersteller auch aus dem Land, in dem solches komponiert wird ...). Ich bin genußfündig geworden insofern, als ich Ecos Worte (in leicht abgewandelter Form – möge er mir verzeihen, der große Meister aus Bologna! er hat gerade genickt) zwischen aller Zungen und Gaumen lege — auch wenn das schwer urhebergerechtet ist, was auch in Ordnung ist so. Also ab, wie Herr Klimmt, in die Buchhandlung — ja nicht zu diesen alles anderen als weiblichen Kriegern! — mit Ihnen allen, zumindest die Gesammelten kaufen und sich vergnügt im Sessel zurücklehnen. Weg vom Bildschirm! Hinter dem lauern ohnehin (hoffentlich) bald die Verfassungsrichter und stellen den Gesetzesschändern ein Stop-Schild vor. Also, ein kleines Stückchen nur, das tue ich jetzt einfach, auch wenn's entstellt ist durch meine entsetzlichen, launischen und nur bedingt launigen, wieder einmal an nur ein paar Wenige adressierten Wörter, die aber hoffentlich wenigstens denen dennoch als Worte hineinfahren. Schließlich ist das hier (auch) eine heftige Empfehlung. Und mir ist eben so danach. Sei's drum, dann krieg ich eben Prügel, die andere verdient haben. Seit ich geschrieben habe, daß ich keine Manuskripte (mehr) lese, will meine (nordost-, früher mitteldeutsche) Briefträgerin den Beruf wechseln und in die IT-Versand-Branche umsteigen. Ein büchener EDV- und Fisch-Autor hat mir einen Süßwasserlachs aus Mecklenburg-Vorpommern geschickt. Andere schicken mir, einen Gedanken aufgreifend, den ich ich beiläufig habe fallen lassen, Abhandlungen über kunsthistorische Metametaphysik, fragen mich nach meiner Meinung über die hauptsächlichsten Weltsysteme innerhalb des Kunstmarktes oder Kunstkritikervereinigungsvereine oder erbitten Spezialbibliographien zu 1990 geborenen Künstlern. Versuchen Sie mich zu verstehen. Ich habe Familie. Jemand hat mich getadelt, weil ich aeroporto in areoporto umgewandelt habe in den Korrekturfahnen. Ich weiß allerdings nicht, ob ich es war oder der Setzer, unsere Wörterbücher behandeln den Fall unterschiedlich, der Zanichelli verurteilt die erste Form als falsch, der Devoto-Oli akzeptiert areoplano als umgangssprachlich. Die Lexika kennen ein areometro (Aräometer, Senkwaage), aber das kommt etymologisch von griechisch araiós, «dünn», und ein Aeroport ist heute zu dicht bevölkert, um Areaport genannt zu werden. (Vor allem der Münchner, der einzig kontinuierlich Direktflüge nach Marseille anbietet, nachdem der Billigbomber ab Lübeck nicht mehr startet, weil ich zuwenig abgehoben war, und jetzt muß ich über Hamburg und Nizza, wo ich gar nicht hinwill, aber wirklich nicht.) [...] Mit diesen Angaben hoffe ich, die berechtigten Klagen meiner Autoren und deren uns verbindenden Galeristen befriedigt zu haben. Ich werde mich nicht mit weiteren Präzisierungen aufhalten, da mir die Geschäftsführung meines Verlages geraten hat, mich bei diesen Ausführungen in den Grenzen einer vernüftigen Volkstümlichkeit zu halten. Der großartige — nichtentstellte — Originaltext ist nachzulesen in: Das Alte Buch und das Meer (aus dem Italienischen vom kongenialen Burkhart Kroeber, mit Illustrationen des fein widerborstigen Luis Murschetz, Hanser Verlag München 1995). Ich geh jetzt weiterschnarchen. Bis der Handwerker kommt. Bis nächste Woche irgendwann. Alle Lust ist aus mir gewichen. Und mir ist so wirr.
Walsers Vermächtnis Schon zur Zeit, als Martin Walser seine Rede in der Frankfurter Paulskirche gehalten hatten und die ersten Stürme durch den deutschen Blätterwald getobt waren, überkamen mich leise Zweifel an der Berechtigung dieser teilweise derben Kritiken. Vor allem keimte in mir der Verdacht — die Erfahrung hatte es mich gelehrt —, es könnten einige Kommentatoren wieder nur die Waschzettel gelesen haben — wie sie das gerne machen bei ihren umfassenden Rezensionen; allzu oft habe ich es erlebt, daß Kritiker eine documenta oder einen Ernst Jünger verrissen hatten, die ihr Lebtag noch nie in Kassel oder von dem Kriegsfreiwilligen lediglich Auszüge aus dessen In Stahlgewittern bekannt waren. Seinerzeit von Jaap Grave um meine Meinung gebeten, da er für eine Tageszeitung seiner niederländischen Heimat ein Interview mit Walser führen sollte, verwies ich aus ebendiesen Gründen auf Zurückhaltung im Zusammenhang mit diesem Thema in den deutschen Medien. Ich sollte richtig liegen. Aus dem mir (auf Tonband) vorliegenden Gespräch geht zwar hervor, daß Walser sich seinerzeit zweifelsohne kritikfähig geäußert hatte, aber das meiste doch unüberdacht und häufig aus dem Zusammenhang gerissen zitiert, allzu oft schlicht abgeschrieben worden war. Letztendlich geschieht genau das auch im Zeit-Text von Tanja Dückers. Zwar ist ihr recht zu geben an dem Punkt, an dem sie auf den allzu leichtfertigen oder erinnerungsunfreudigen Umgang der Deutschen mit ihrer Nazi-Vergangenheit hinweist. Aber der Hinweis «Seit Martin Walser in seiner Paulskirchenrede für sich die Entbindung vom ‹Erinnerungsdienst› einforderte, herrscht eine Stimmung, die man mit dem kleinen Wort ‹genug› beschreiben könnte: ‹genug gebüßt›, ‹genug über den Holocaust geredet›» ist nicht minder leichtfertig. Unfreiwillig, aber letztendlich dann doch haut sie damit in dieselbe Kerbe. Bildungswillige jüngere Menschen, die sich in die Zeit und sonst gar nichts vertiefen, um ihre Wissenslücken zu füllen, geraten so in ein nicht ungefährliches Niedrigwasser, bei dem ihr Historienschiff leicht auflaufen könnte. Frau Dückers' gutgemeinter Hinweis könnte sich als desinformierende Sandbank erweisen, von der nur noch ein umfassend ausgestatteter Schlepper herunterhelfen kann. Sicher, ein älterer Mensch, zudem möglicherweise einer, der indirekt (oder gar direkt?) von dieser Vergangenheit malträtiert worden war — und der deshalb, wie das ZDF, und nicht nur dessen History wegen, auf einem Auge erblindet sein könnte —, weiß um die Hintergründe der Debatte um Martin Walsers Äußerungen zur Buchhandelsfriedenpreisverleihung vor bald zehn Jahren. Aber die — darüber bin ich gerade im Dickicht des Archivs gefallen — in Zusammenhang zu bringen mit einem vermutlich (mal wieder!) nicht oder nur in Auszügen gelesenen Buch über einen «liebenden» Mann, der zum Zuge nicht kommen durfte, weil der längst abgefahren war, das ist als Witzchen so flach, daß es, wie die Büddenwarderin zu sagen pflegt, unter jeder Tür in die Stube gelangen könnte. Nochmal im Zusammenhang mit Martin Walsers Elegie. Es ging um einen Kommentar, der ungeschickterweise nun doch gelöscht wurde. Mehr dazu von Hans Pfitzinger im Kommentar. Die dazugehörige Photographie stammt von maha-online unter CC.
Elegie War Fähigkeit zu lieben, war Bedürfen Von Gegenliebe weggelöscht, verschwunden, Ist Hoffnungslust zu freudigen Entwürfen, Entschlüssen, rascher Tat sogleich gefunden! Wenn Liebe je den Liebenden begeistet, Ward es an mir aufs lieblichste geleistet; Und zwar durch sie! — Wie lag ein innres Bangen Auf Geist und Körper, unwillkommner Schwere: Von Schauerbildern rings der Blick umfangen Im wüsten Raum beklommner Herzensleere; Nun dämmert Hoffnung von bekannter Schwelle, Sie selbst erscheint in milder Sonnenhelle. [...] Mir ist das All, ich bin mir selbst verloren, Der ich noch erst den Göttern Liebling war; Sie prüften mich, verliehen mir Pandoren, So reich an Gütern, reicher an Gefahr; Sie drängten mich zum gabeseligen Munde, Sie trennen mich — und richten mich zugrunde. «Das Gedicht ist bekannt als die Marienbader Elegie oder Elegie von Marienbad und gilt als Goethes bedeutendstes Alterswerk. Es ist Anfang September 1823 im Anschluß an einen Aufenthalt in Marienbad entstanden als Reaktion auf die unerfüllte Liebe des vierundsiebzigjährigen Goethe zu der neunzehnjährigen Ulrike von Levetzow.» (Ernesto Handmann; nach ihm beziehungsweise dessen Seite ist hier auch zitiert, auch die komplette Goethesche Marienbader Elegie ist dort nachzulesen.) Der zeitlebens immer irgendwie Verliebte Johann Wolfgang von Goethe hatte Ulrike von Levetzow kennengelernt, als sie fünfzehn Jahre jung war und er kurz vor siebzig, also nicht unbedingt so frisch wie dieser Morgenthau. Alle Hinweise auf möglicherweise entstehende Verletzungsgefahren an Herz und Hirn, allen voran durch seinen mit ihm befreundeten Arbeitgeber Carl August von Weimar, fruchteten nichts, der Vernarrte blieb hartnäckig dran; der Großherzog überbrachte gar den Heiratsantrag. Doch die junge Frau verschmähte den Alterotiker. «Amalie von Levetzow beriet ihre Tochter», wie FemBio zu entnehmen ist, «in dieser ungewöhnlichen und heiklen Situation mütterlich klug ohne Bevormundung und empfahl sorgfältige Überlegung. Ulrike hatte aber ‹noch gar keine Lust, zu heiraten› und fand, sie brauche keine Zeit zum Überlegen. Sie habe Goethe lieb wie einen Vater, aber er sei durch seinen Sohn August und dessen Frau Ottilie in Weimar versorgt und brauche sie daher nicht.» Sie blieb also lieber unter sich (und heiratete nie!). Der Herr Geheime Rat indessen packte nach der Abfuhr sich und seinen Schmerz in die Kutsche gen Weimar und verfaßte darin rasend sein Klagelied. Kaum angekommen, so ist's überliefert, war das Marienbader Trauerstückchen auch schon fertig. Die Geschwindigkeit ist kaum verwunderlich, hatte er doch das Thema Elegie ohnehin von den alten Römern in Pacht übernommen. — Goethes Höhepunkt hat Friedemann Bedürftig sich 2004 in Die lieblichste der lieblichen Gestalten angenommen, und Katharina Rutschky hat das Buch (und damit die Selbstverliebtheit des Weimarers) im DeutschlandRadio freundlich-kritisch kommentiert (siehe meinen Kommentar Unerklärlich ist mir ...). Die Photographie Marienbad#14, dieser Schuß ins Herz entstammt der außergewöhnlichen, poetischen Serie L'année dernière à Marienbad von Ana Pinta. Der Titel dieses Albums spielt an auf den 1961 in die Kinos gekommenen Film Letztes Jahr in Marienbad von Alain Resnais. Zwar bezieht Resnais sich darin keineswegs auf Goethes Erlebnisse, sondern auf eine Verklärung der Erinnerung (Nostalgie), benutzt Marienbad als Metapher. Doch wir erlauben uns den feuilletonistischen Luxus der freien Assoziation. «Das Bild in Resnais' Meisterwerk», schreibt Björn Last, «bildet nie zwingend die natürliche Realität ab, sondern deutet ständig darauf hin, daß es vielmehr die filmische, surreale Abbildung eines Traums oder einer anderweitig verfremdeten, subjektiven Wahrnehmung beinhaltet.» — Nur so (oder anders) will diese Abbildung eines Blattschusses verstanden sein. Ana Pinta schreibt über ihr Bild: «Die Photographien dieser Serie wurden im Palacio do Catete aufgenommen, dem Wohnsitz der brasilianischen Präsidenten zu der Zeit, als Rio de Janeiro noch unsere Hauptstadt war. Heute ist der Palast der Republik ein Museum, und die Atmosphäre dort erinnert mich an den Film L'année dernière à Marienbad. Die Photographie zeigt den Pyjama des Präsidenten und Diktators Getulio Vargas nach dem Schuß in die eigene Brust. Es geschah 1954. Wie im Film von Resnais spielt eine Gruppe von Schauspielern einmal wöchentlich in den Räumen des Palastes die Ereignisse der letzten Tage von Getulios Leben nach.»
Gelegenheiten Zeiten gab's, da konnte man nicht mal eben ein Video mit Heinos Tokyoter Inszenierung von Schwarzbraun ist die Haselnuß oder das Weiße Rößl auf Kishuaheli ordern und zwei Tage später in Empfang nehmen. Sooo lange ist das noch nicht her, daß ich am Ende des Films alleine in einem Münchner Kino saß, festgenagelt von der Faszination des Cyrano de Bergerac und mich bald darauf fragte: Wenn das in deutscher Sprache schon so beglückend singt, wie muß das erst in französischer klingen? Also wollte ich das haben, das entsprechende Videoband, wollte mich berauschen. Doch dazu bedurfte es langer Wege. Nun gut, die Dame fuhr damals nach Mailand, um ordentliche Schuhe zu kaufen, oder besser Florenz, weil man da eben die Uffizien mal wieder miterledigen konnte und den Friseur gleich mit. Unsereins mußte früher eben nach Paris. Sicher, man hätte den oder die anrufen können, aber man will die Leutchen ja nicht immer so belasten mit seinem Kleinkram. Und noch bevor ich die Suche beginnen mußte, fiel ich auf dem Weg zur place Bastille auf dem Boulevard Richard Lenoir vor einem Billigphotoladen über eine Verkaufskiste mit Sonderangeboten — soldes —, darin: mehrere Videos, unter ihnen der Cyrano, für zehn Francs. Das waren damals ungefähr drei Mark, nach heutiger Wertermessung etwa ein Euro fünfzig, na gut, die Preissteigerungen berücksichtigt: zwei. Zwar hatte ich nicht bedacht, daß der Film für das in Frankreich genutzte SECAM-System gespeichert worden war, so daß ich es am PAL-Fernseher nur schwarzweiß sehen konnte, aber es war nicht weiter tragisch, ging es mir doch in erster Linie um den Ton; er brachte mir die Farbe, die ich wollte, den Rest hatte ich ohnehin im Hirnkino gespeichert. Die Zeiten haben sich geändert. Nicht nur, daß man nicht mehr mit derlei technischen Problemen konfrontiert wird, mehr noch: die DvD bietet in der Regel geich mehrere Sprachen. Zwar kaufe ich sie nach wie vor im Ursprungsland, auch wenn sie überall erhältlich wäre (selbstredend ebenso via Internet, wo ich jedoch nichts kaufe, jedenfalls nicht ohne Not [und das erledigt dann die Büddenwarderin], sondern beim Händler; ich kaufe ja auch meine Wurst nicht an der Tankstelle und das Benzin nicht im Backladen). Andererseits tue ich mich mit meinem mittlerweiligen Hin- und Hergehüpfe auch etwas leichter als derjenige, der für eine solche Aktion seine Reise unterbrechen müßte auf dem Weg an den spanischen Grill. Nicht außer acht gelassen werden dürfte dabei auch, daß der auf dem Weg nach Würstel con Krauti Befindliche vermutlich eher weniger nach einem solchen Minnesang wie dem cyranoschen lechzt. Und genau diese unterschiedlichen Interessenslagen lassen mich oft als Gewinner hervorgehen im oft gewalttätigen Preiskampf der Händler. Die bestellen nämlich immer wieder mal auf den Verdacht hin, es könnte auch mal ein Kunde sich in seinen Konsumrauschtempel verirren, dem nach anderem ist als dem Gängigen. Man will ihn schließlich nicht an die Konkurrenz verlieren, ihn im Haus halten. Doch da der in Regel gar nicht auf die Idee kommt, in dieses Großgeizverkaufslager zu gehen, um nach seinem abseitigem Geschmack zu suchen, bleibt das Zeug liegen. Und landet in der Ramschtruhe. Und dort stehe ich dann, mit dem Luxus Zeit ausgestattet, und wühle verzückt im Müll. Was habe ich im Lauf vieler Jahre da alles schon rausgezogen! Kürzlich erst für einen Euro fünfzig das wunderschöne Buch von dem seit den Siebzigern geschätzten F. C. Delius: Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus. Oder vor ein paar Monaten, billiger als ein Stück trocken Brot, Mathias Greffraths Schmuckstück Montaigne heute. Und wenn ich denn tatsächlich mal in einen dieser Superhaifideleietimärkte gerate, da man anderswo bestimmte Druckertinten eben nicht bekommt, lasse ich die Musik- und Filmtruhen selbstverständlich nicht aus. Manch edles Werk findet sich dann oft ganz unten im Schatzkästlein. Vor einiger Zeit war das mots d'amour in der Interpretation von Anne Sofie von Otter, etwa zum halben Preis. Sogar Miles Davis Bitches Brew trompetete mich letztens an. Aber das hatte ich bereits seit Urzeiten auf Vinyl und kam, um die Platte zu schonen, später als CD hinzu, das mußte nicht sein, auch wenn sie nur zehn oder gar fünf Euro kostete, die glänzende Scheibe. Letztes Jahr haben die Büddenwarderin und ich beinahe vergessen, dem armen Allerjüngsten, der alle zwanzig Minuten was Warmes in den Bauch braucht, was zu essen zu kaufen, so satt waren wir: Sieben oder acht Filme hatten wir im Körbchen, das reichte uns, zwar nicht aus der Ramschkiste gefischt, aber allesamt mindestens um die Hälfte reduziert, darunter solche Kleinode wie Der Mann, der die Frauen liebte oder Die Braut trug schwarz. Gut und billig — mal anders gesehen. Brauch ich Internet?! Außerdem kann ich da nichtmal stöbern. Die Photographie dazu mit dem mehrsprachigen Titel zum Thema Ausverkauf oder auch Gelegenheit stammt von dem Niederländer pseudonyms Photocapy und steht unter CC.
Ich suche was ... verzweifelt, ein Buch, nicht in einem Regal, sondern in den seit fünf Jahren noch immer nicht ausgepackten Kartons, für deren Inhalt einfach kein Platz ist, da kommt mir Frau Vanderbeke entgegen. Die war mal von Berlin aus an die Ausläufer der Cévennes gezogen, so liest sich das jedenfalls, nach den beschriebenen Herbst- und Winterstürmen, in die es mich lesend hineingesogen hatte und die da oben alles zerfetzen, wie der Mistral die Rhône hinunterfegt nach Marseille, der einem das Gefühl gibt, man befände sich in der Antarktis. Gerade hat's ja wieder mal im ganzen Land ordentlich geblasen. Ich weiß nicht, ob sie dort noch lebt, aber es liest sich offensichtlich nach wie vor gut, habe ich die Suche nach dem Symbolismus bei Saint-Paul-Roux schließlich aufgegeben oder auch nur vergessen und mich mal wieder ihr gewidmet. Wie damals stelle ich fest, daß sie vieles offen läßt – was die Phantasie beflügelt. Es sind teilweise bezaubernde, sehr respektvolle, aber auch amüsante, eigenwillige, im besten Sinn eigen-artige lakonische Charakterisierungen von Menschen in Frankreich — aber auch deutscher Urlauber: «Der Mann sagte, was sag ich immer: Urlaub ist verschärfter Existenzkampf.» Oder: «Es gab wieder meinen Wein, obwohl er auch heute kein St. Emilion war, und später stellte sich heraus, daß die Bohnensuppe, die ich gekocht hatte, während sie duschten, kein Lammfilet war, nicht einmal Loup de mer, sondern tatsächlich Bohnensuppe mit weißen Bohnen. Paßt irgendwie nicht hierher, sagte der Mann.» Der Gehalt der Wiedererkennung ist enorm. Überall, wo diese gut und noch besser verdienenden und besserwissenden Deutschen auftauchen, meistens mit Fahrrädern für (damals) je achttausend Mark aufm Dach ihres Saab oder Volvo für achtzigtausend. Leute aus Werbung oder Journaille. Heute nennt man das Irgendwas mit Medien. Sowas fährt nicht Mercedes. Bei Vanderbeke heißen diese futuristischen Maschinen zur Mountainbesteigung Fluggeräte. Die Österreicher haben ihre Bezeichnung für die neonhelmgeschützten Besitzer dieser Fluggeräte, mit ihnen müssen sie jedenfalls verwandt sein: mit den Piefkes. Ja, und dann: nicht nur der Landschaft wegen, sondern auch wegen der Beschäftigung der Protagonistin des Romans, nein: der längeren Erzählung mit den Farben dieser Gegend, die sie daran hindern, nach den Hörfunksendungen Cézanne für Kinder, Miró für Kinder eine titels van Gogh für Kinder zu schreiben, «weil das Licht gegen Ende des Sommers so grau wurde, ganz durchsichtig leuchtend grau, daß ich Cézanne plötzlich besser verstand als früher», und der Gedanke an van Gogh für Kinder ihr Unbehagen bereitete, das jedoch «so undeutlich» war, «daß ich nicht weiter darüber nachdenken mochte — nicht, solange wir noch im Niemandsland lebten und uns jeden Tag erzählten, was wir sahen, und jeden Tag war es etwas Neues, und jeden Tag war es schön und wurde immer noch schöner von Tag zu Tag». Und mit Paul Klee für Kinder hatte sie dann auf einmal Schwierigkeiten, weil er ihr so fremd geworden war. Überhaupt geht es um Farben, und es geht dabei sehr farbig, manchmal sogar bunt zu, auch wenn es mal nicht um Farben geht, sondern um die Gespräche mit dem Mann, der hin und wieder da ist, wenn er zurück ist von seinen Kunstreisen. Sie malt die Vielfalt der Farben und läßt die Konturen weg. Und ich bin dennoch ganz begierig, möchte die Einfassung der Farben sehen, möchte wissen, wo der Landstrich liegt, den sie da mit viel Verliebtheit und auch sich anbahnender Liebe zu den dortigen eigenwilligen Menschen festhält. Ich komme auch nach zehn Jahren nicht darauf. Doch es muß weit südwestlich des Rhône-Tals sein, denn sie schreibt von einer Fiesta, einer Stadt, durch die junge Stiere getrieben werden, und Schafe und Meeresgetier kommen auch sehr häufig darin vor. Es dürfte sich also um die südlichen Cévennes handeln, also nördlich von Montpellier, da sie auch von Bergen erzählt, in denen es schrecklich stürmen kann im Herbst und im Winter ... Ich mit meinem Lokalisierungswahn in der erzählenden Literatur. Immerzu meine ich, alle Orte und Gegenden genau ausfindig machen zu müssen. Anstatt einfach mitzufrieren oder mitzuschwitzen, nicht nur beim Feiern. Oder das Buch zu empfehlen. Ach so, ja, ich hab's gerne wiedergelesen.
Binsenwahrheiten? «Es ist damit nicht anders als mit der Demokratie oder der großen Liebe oder der heilen Familie oder dem Weltfrieden. Früher gehörte der liebe Gott noch dazu, und es ist immer dasselbe Prinzip: Entweder man glaubt es, oder man glaubt es nicht. Wenn alle daran glauben, heißt es, es funktioniert. Natürlich funktioniert es dann längst noch nicht unbedingt, aber das ist nicht so furchtbar wichtig. Wenn nur alle dran glauben, wird es schon funktionieren, und die, bei denen es nicht funktioniert, haben eben nicht stark genug dran geglaubt.» Ich lese, nach langer Zeit mal wieder, Birgit Vanderbeke, hier: Geld oder Leben. «Den Titel des [...] Buches von Birgit Vanderbeke», steht im Perlentaucher geschrieben, «bezeichnet Rezensent Martin Krumbholz rundheraus als Schlamperei. Hier werde, wie er findet, die Einsicht, dass Leben Geld kostet, was der Rezensent als ein Grundthema des Buches identifiziert, ‹frohgemut ins Gegenteil verkehrt›.» Tobias Döring wirft ihr in der FAZ gar vor, sie habe eine «triviale Bordüre aus Binsenwahrheiten» genäht, mit der sie sich über «Konsumterror und Markenwahn» der Neunziger entrüste. Kurzum, ein alter Hut sei das. Als solcher ließe sich allerdings auch die kommentierende Schilderung von Zuständen bezeichnen, wie sie in den fünziger Jahren ff. geherrscht haben und die manch einer sich wieder zurückersehnt beziehungsweise wie wir sie ja teilweise bald alle wiederhaben. Deshalb ignoriere ich die Vorwürfe, Vanderbeke komme mit diesem Buch schlicht und «gutgemeint» daher, und lese einfach mal weiter. Es könnte ja sein, daß sie schlicht recht hat mit ihrem «Genörgle», weil es weiterhin abwärts geht. Bis vor sechs Jahren hat mich ihr lakonischer Stil durchaus beeindruckt, ebenso ihre unprätentiösen Inhalte. Geld oder Leben ist von 2005. Daß ich (mal wieder) ein bißchen spät dran bin, tut überhaupt nichts zur Sache. Ich mag ältere Bücher nunmal, durchaus wie die Zeitung von (vor-)gestern. Dabei wird so manches Mal interessanter Kahlschlag neu belichtet, aufgeforstet im Wald eigener Erkenntnisse. – Schau'n mer mal, wie der große bayerische Philosph aus Giesing zu sagen pflegt.
Pup Fiiie ... pfrrt-brrt machte es am (dürftigen) Ende. Und das nach einem sich anbahnenden finale furioso, bei dem ich an mich halten mußte, in meiner Gier nach luxuriöser Speisenfolge nicht wieder ins Schlingen zu verfallen. Es war ein fader, käseartiger Nachgeschmack samt dünnlichem Kaffeegebräu, das gut und gerne der Fabrik des Herrn Tricatel aus der Personnage von L'aile ou la cuisse entquollen sein konnte, jener außerhalb Frankreichs vermutlich ausnahmslos als Klamauk oder neudeutsch Comedy wahrgenommenen, sehr frühen ahnungsvollen Prophezeiung massenweiser Lebensmittelvergiftung. Daran ändert auch nicht der schlußendliche Versuch, die klägliche Neige mit einer Prise T. S. Eliot aufhübschend zu würzen, «verlegen um lautmalende Wörter, die ausdrücken sollten, was der Donner sprach». Der schriftstellerische horror vacui des zu schreibenden Anfangs ist mit diesem Ende wiederholt. Zu Beginn meines nun bereits eine ganze Weile anhaltenden Branchenlebens lehrte mich ein wohlgesonnener Mentor, eine Geschichte habe immer einen Bogen zu beschreiben: der Leser solle mit dem Ende nach Möglichkeit zurückgeführt werden an den Anfang, am besten inhaltlich assoziativ, auf jeden Fall zumindest sprachlich qualitativ, dabei nie in der einmal erzeugten Spannung nachlassend. Dieses ungeschriebene Gesetz wurde hier jämmerlich perforiert. Ich hätte es bei dem dritten Viertel bewenden lassen sollen, allenfalls gerade noch ein Schlückchen darüber hinaus, als Absacker sozusagen, bevor die fahle Illumination in Form eines scheinbar alles zerstörenden Feuerwerks einsetzt. Dann wäre es ein wunderbarer petit mort gewesen: der kleine Tod als Synonym für den Höhepunkt der Lust und der Trennung vom (einstmals) Geliebten gleichermaßen. Oder aber: Hamilton-Paterson wäre (durch einen Lektor?) besser beraten gewesen, nach diesem furiosen, vorweggenommenen Finale um die groteske Schilderung des in sich zusammenbrechenden teilmafiotischen Ostblockgebäudes, geschuldet dem Begehren des im Buch fiktionierten, bulgarisch riechenden Landes, europäisch unioniert zu werden, den Schreiblöffel wegzulegen. Denn was danach kam, war das Auffüllen des außergewöhnlich reduzierten Fonds mit wässrigem Abfall ins eher Schlichte, sowohl inhaltlich wie auch formal (gleichwohl andere daraus noch eine ganze Buchsaucenpalette zur Auslieferung bereitstellen). Zumal ohnehin alles offen geblieben war vor der geradezu hormongefüttert hühnerbrüstigen Schlußzote, zu der auch noch Eliot herhalten mußte. Das stößt mir nachgerade säuerlich auf. Am Übersetzer hat's nicht gelegen. Der hat sein vermutlich bestes gegeben, und das alleine ist bereits nicht eben wenig. Aber fehlende Ingredienzien lassen sich nachträglich ohnehin nicht hinzufügen beziehungsweise bleiben wirkungslos; das ist das kleine Küchen-Einmaleins. Folge ich also dem Lesetip und widme mich lobenden Wortes ihm. Aber bevor dessen voraussichtlich literarische Leckereien auf meinem Lesetisch liegen, schaue ich erstmal wieder mit diesem Herrn in die Glucke* rein beziehungsweise mampfe bei Kolks blonde Bräute weiter: «... und heude ahmd essen wir Schniddßl mit Pommfriddß. Ich mach mir Majonehse aufn Tella. Mahra Keddschobb. Und dann gehd se imma midttu Pommfriddß in meine Majonehse!! Daß kannich nich ab sohwaß!! Aw, ich bin faßd gepladdßd! Ich sach: Mahraaa —! Ich kann sohwaß nich ab ...» * die, da kaum verschlüsselt, von mir in die Isestraße hineinidentifiziert wurde
Alkoholtote Neunaugen «Der Trick ist, sie in gutem trockenen Sherry zu ersäufen. [...] Auf die Neunaugen muß man dabei nicht allzuviel Mitgefühl verschwenden, denn sie sterben einen Tod, den zahllose Menschen ersehnen, nämlich an akuter Alkoholvergiftung. Selig besoffen, mit anderen Worten. Sie müssen dann zwölf Stunden in einer kühlen Speisekammer in dem Sherry liegenbleiben, damit dessen Aroma das Fleisch von innen und außen durchdringen kann.Zu diesem Buch, das mich quasi zu und mit Henri II. de Hambourg erreichte, von dem ich etwa drei Viertel gelesen habe und bereits darüber zu trauern scheine, daß es bald zuende sein wird, weshalb ich es zusehends langsamer lese, es also genüßlich lutsche wie das Fett vom Auge des Salms, werde ich voraussichtlich noch näheres verlauten lassen. Es kann aber eine ganze Weile dauern, da ich es möglicherweise erst noch einmal lesen mag, weil ich diesen Alien Pie, einer Pastete aus geräucherter Katze, Karettschildkröte und vielen ebenso unexotischen Ingredienzien wie beispielsweise grünem Speck, frischem Ingwer, Haushaltspetrolium, einer Bussardfeder als Krönung und, im besten Wortsinn, köstlichen Anspielungen auf Künste und Kulturen sowie deren genmanipulierten Fehltriebe viel zu schnell verschlungen habe, weshalb die eine oder andere Zutat an meinen Geschmacksknospen vorbei kerzengerade ins Rectum gefahren sein könnte. Ein wenig fühlt es sich an, als ob da unten ein kleinkindfaustgroßer Trüffel festsäße, der nur deshalb durchflutschte, weil er mit einem Eimer voll kellerduftendem Champagner hinabgespült wurde: Ein Sakrileg, begangen an durchkomponierter Schreibkunst, hervorgerufen von zeittypischer Raserei: des Hinunterschlingens von Edlem? Oder schlicht ein Klumpen, geformt vom einen oder anderen leicht manierierten Tröpfchen sowie überbeanspruchten und deshalb zum sprachlichen Kracher verunglückten Witzchen und damit durchgerutscht und unausgewertet auf den endgültigen Abgang wartend? Ich könnte es machen wie die Wiederkäuer: alles von ganz tief unten hochwürgen, erneut und dieses Mal ordentlich kauen, um es anschließend und endgültig der Verdauung zuzuführen. Aber ich bin ja kein Rindvieh. Es geht schließlich nicht alleine um lebenserhaltende Maßnahmen, sondern um Genuß. Und den habe ich ich ohne jeden Zweifel. Aber am besten lese ich es erstmal zuende und blättere gegebenenfalls zurück in: James Hamilton-Paterson: Kochen mit Fernet-Branca. Aus dem Englischen (in ein filigranes, nachgerade wohltuendes Deutsch übertragen) von Hans-Ulrich Möhring. Stuttgart 2005
Verruchte Tat Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich etwas getan, was ich nicht glauben würde, wäre ich nicht selbst dabeigewesen: noch in der Umlaufbahn des Buchhandels befindliche Bücher gebraucht erstanden, und dann auch noch übers Internet. Nun gut, ich hab's nicht selbst getan, ich habe jemand anderen diese frevelhafte Tat tun lassen. Dennoch bin ich über mich selbst erschüttert, schließlich bin ich mittelbar daran beteiligt gewesen. Zum einen, da ich (nicht nur) Buchkäufe im Internet grundsätzlich ablehne, da ich der Meinung bin, daß für das Buch die entsprechende Handlung da ist, die ich, wie so viele, eben nicht für ein Fossil halte, sondern die für mich zu einem angenehmen Leben gehört wie der kleine Kramer im Dorf; der in zunehmendem Maße und glücklicherweise wiederbelebt zu werden scheint, weil man die Faxen dicke hat mit diesen unpersönlichen Konsummonstren irgendwo auf der grünbetonierten Wiese. Das Erlebnis des Stöberns gehört zum Buchkauf ebenso dazu wie das haptische. Und wenn man Glück hat, stößt man auf eine Buchhändlerin oder einen Buchhändler, mit denen sich ein Schwätzchen halten läßt, das sich fast so informativ und erheiternd entwickeln kann wie das mit dem Nachtportier im Hotel. So lasse ich es gerne mit mir geschehen, wenn ich nach dem gezielten Einkauf mit ein paar Sächelchen mehr in der Tüte das Lädchen verlasse. Immer wenn du denkst, es wär' kein Platz mehr da, kommt von irgendwo ein Plätzchen her ... Ziel war eine Empfehlung, der ich gerne folgen wollte. Das erwies sich schwieriger, als ich dachte. Zwar machte mich der Hinweisgeber darauf aufmerksam, daß diese Titel aller Wahrscheinlichkeit nach nicht beim Sortimenter zu haben sein dürften, aber ich wollte es trotzdem versuchen. Und so hatte ich wenigstens ein paralleles Erfolgserlebnis (oder auch die Buchhändlerin). Denn meine Altersdemenz hatte wieder mal nahezu alles aus meiner Gedächtnisumlaufbahn geschleudert. Der Name fiel mir gerade noch ein, als ich in dem Lübecker Großbuchmarkt stand, in den meine Büddenwarderin mich mangels schnuckeliger Bücherlädchen hineingezerrt hatte, da sie mich nicht leiden sehen kann und wenigstens einen Versuch gestartet haben wollte. Zunächst stieß ich auf die für (ohnehin nicht sonderlich geliebten) Großbuchhandlungen obligatorischen tauben Ohren und die gewohnt hilflose Sucherei im elektrischen Verzeichnis lieferbarer Bücher (VLB) mit anschließendem schulterzuckendem Es tut mir leid, da kann ich Ihnen nicht weiterhelfen. Doch da ich bei Büchern nicht so schnell aufgebe, versuchte ich es im Regal. Kein Schulz zu finden. Da sprach mich, inmitten dieses unsäglichen konsumrauschigen Vorweihnachtsrummels mit Hauen und Stechen schenkungsverpflichteter Buchfreunde, eine wohlgewandte und auch -gewandete, angenehm anzuschauende junge Frau an und fragte, ob sie helfen könne. Ich stammelte irgendwas von Schulz, Schulz, dann fiel mir gerade noch ein Frank dazu ein. Das Lächeln wurde noch natürlich-freundlicher, und sie sagte: «Sie meinen sicherlich Das Ouzo-Orakel.» Ich war derart überrascht und verunsichert, daß ich zunächst verneinend den Kopf schüttelte, vermutlich, weil ich diese griechische Anisvariante nicht sonderlich mag, mir dann aber gerade noch rechtzeitig einfiel, wie recht sie doch hatte und voller Freude schrie: «Ja, ja! Woher wissen Sie das denn?!» Sie überlächelte meine offensichtliche Unkenntnis, einer Buchhändlerin gegenüberzustehen, und fügte an: «Das gehört zur Hagener Trilogie. Ich fürchte nur, daß wir das nicht vorrätig haben.» Sie fand dann auf dem Bildschirm tatsächlich nur die Schnaps-Offenbarung, die bei Eichborn erschienen war, und nicht die beiden anderen Titel Kolks blonde Bräute und Morbus fonticuli, als mir die Erinnerung zurückkehrte: Der Sargnagelschmied hatte ja darauf hingewiesen: nur bei Zweitausendeins. Also bedankte ich mich artig bei der Buchhändlerin, die tatsächlich zu wissen schien, was sich am Markt auch an älteren Titeln so tummelte und vermutlich nicht nur vor dem Computer herumhing wie unsereins, sondern zwischendrin gar auch mal ein sogenanntes gutes Buch las, bescheinigte ihr noch ihr außerordentliches Wissen und eine ebensolche Hilfsbereitschaft und ließ mich von meiner Büddenwarderin an die frische Luft zerren, da sie befürchtete, ich könnte aus lauter Dankbarkeit und Vergeßlichkeit wieder all die Bücher kaufen, die längst in meinen Regalen herumstanden oder seit nunmehr fünf Jahren in den unausgepackten Kartons warteten, endlich einen ihnen gebührenden Platz zugewiesen zu bekommen. Die Büddenwarderin. Wenn ich sie nicht hätte! Sie redet nicht lange rum, sie handelt. Wenn's sein muß, auch mit Büchern. Und im Internet ohnehin, da würde sie jede 100.000-Euro-Frage beantworten, verspürte sie Lust dazu. Ruckzuck hatte sie die Hagener Trilogie ausgemacht und nicht nur virtuos mitgesteigert, sondern auch sämtliche Konkurrenten ausgestochen. Sicher hätte ich, Buchhandelskonzern hin oder her, Das Ouzo-Orakel mitgenommen, wäre es vorrätig gewesen, auch für rund fünfundzwanzig Euro, das wäre ich der kompetenten und freundlichen Buchhändlerin schuldig gewesen. Aber so habe ich alle drei Bände hier liegen, für rund fünfzehn Euro inclusive Porto. Nicht wie neu, sondern neu. Es ist mir ein Rätsel, wie diese Bücher gelesen sein können. Mit weißen Baumwollhandschuhen, wie sie der Restaurator trägt, wenn er eine bilblia pauperum aus dem 15. Jahrhundert mit größter Vorsicht umblättert? Man könnte meinen, der Leser sei von meiner Mutter erzogen worden. Und gerademal fünf Tage hat das gedauert, vom Zuschlag am frühen Sonnabend, über die Zahlung am Sonntag bis zur Lieferung als innen gepolstertes Päckchen am gestrigen Donnerstag. Wer möchte sich da über Ungereimtheiten im Internethandel und die «nicht funktionierende» Post beklagen? Trotzdem werde ich weiterhin Buchhandlungen aufsuchen. Ich brauche sie. Und vor allem, seit man mir in der Bücherklause Uhlenhorst nebenbei erzählte, daß die Post die amazonischen Bestellungen der jungen Leute im Haus bei ihnen zur Abholung hinterlegt. Dieser Logik kann ich nicht so recht folgen. Irgendwas scheint mir da ein wenig durcheinander in einigen Köpfen. Da geht's ja in meiner wirren Denkzentrale geordneter zu.
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