Heiliges Compostela des Nichtsnutzigen

Das ist zwar ein Schwedenhaus, aber andere Schweden haben auch schöne Häuschen.

Eigentlich gehört das eher hier hinein. Aber da ich werbe- oder PR-technisch kein sonderlich geschickter oder gar konsequenter Threader bin und weiß, daß bei mir ein in den Kommentaren verborgenes Thema auch schonmal gänzlich untergeht, postere ich's ans ohnehin für Apokalypsen vorgesehene Eingangsportal.


Daß er nicht ganz kosher ist, das ist mir seit langem bewußt. Womit ich nicht alleine auf seine gar nicht komische denkerische Vergangenheit anspiele, so, wie der Teppichbeißer eben überhaupt nicht lustig war; auch wenn man uns das seit einiger Zeit beharrlich zu vermitteln trachtet, unter anderem von französisch übermenschelnder oder auch (nicht romantikblau-, sondern) mehr koranblumiger Autorenseite. Daß der alte Schwede seit langem in der Schweiz auf seinem dort fiskalisch maximal reduzierten Geld sitzt, weil er keinerlei Gelüste verspürte, seine geradezu gigantischen Gewinne an die Infrastrukturen anzugleichen, die auch für ihn, aber von anderen Schweden bezahlt wurden (sogar die einst bitter klagende Mutter von Pippi Langstrumpf zahlte brav im Land; und das ist nicht einmal ein gerechter Vergleich), das war mir schon lange bekannt. Ebenso weiß ich seit längerem um seine Stiftungen, in denen er das schier unglaublich viele Geld bunkert, das er mit einer Qualität verdient hat und weiterhin verdient, die nur «funktioniert», weil das Denken vieler Menschen nicht funktioniert.

Ich weiß, wovon ich rede, gehörte in der Mitte der siebziger Jahre doch eine zu dieser Zeit noch nicht ganz so hohen Firmenhierarchie ein wenig weiter oben angesiedelte Dame zu meinem engeren Bekanntenkreis, aus dem sich hin und wieder zarte freundschaftliche Bande bildeten. Interessanter- oder auch bezeichnenderweise lernte ich sie kennen, nachdem ich gegen diesen barbarischen Wikinger ins Feld gezogen war. Wer sich nicht wehrt, lautete seinerzeit die Devise, lebt verkehrt. Aber da gab es auch noch nicht so viele Fernsehredaktionen, aus denen es wegen der Suche nach den Quoten permanent hinausposaunt: Hier werden Sie geholfen. Da ich damals noch zu den etwas geringfügiger Besserverdienenden zählte, sah ich mich gezwungen, ein seinerzeit tatsächlich noch preiswertes oder auch schlicht billiges Regalteil zu kaufen. Allerdings tat ich das nicht, ohne mich zuvor schriftlich (man hatte noch die Zeit und damit auch eine gewisse Sicherheit) zu vergewissern, daß ich Anschluß fände für den wahrscheinlichen Fall, überbrächte mir der Briefträger das nächste Honorar (ja, früher gab es so etwas mal). Als es zwei Wochen danach soweit war und ich guten Mutes ins erste deutsche, 1974 eröffnete schwedische Möbelparadies, also nach E(l)ching pilgerte (heutzutage gibt es ja kaum zählbare San Compostelas des Nichtsnutzigen, und die massenhaften Frommen werden in Bussen auf kommu- sowie regionalen Jakobswegen dorthin gekarrt), um mich regaltechnisch zu erweitern, teilte mir, der ich ans damals übliche Duzen eigentlich gewohnt gewesen wäre, eine Informationsstandsprecherin kurz angebunden mit: Sie, das ist ausverkauft, nicht mehr lieferbar. Es war es dann doch. Jedoch auch erst, als ich ein wenig Barrikadenerprobter denen auf die Zinnen gestiegen war. Seither habe ich auf weitere dieser hölzernen Minderqualitäten verzichtet, nicht zuletzt deshalb, da sich ein schwedischer (!) Hersteller anbot, der fein verarbeitetes Holz in einem letztlich günstigeren Preis-Leistungs-Verhältnis produzierte, auch noch maß- und passergerecht in die Wohnung lieferte und technisch abseitige Verrenkungen obendrein nicht vonnöten waren. Für die Umzüge in den richtigen Süden sowie nach leicht südlich von Schweden kaufte ich zwanzig Jahre später nach, das System war unverändert, und auch nach sieben Jahren leuchtet das Holz wie frisch verarbeitet (links), es sieht nicht aus und stinkt auch nicht wie finkel brännvin, bekannter als gammal Akvavit aus schwedisch kolonialen Chemiebrutstätten in China. Die alten, nach wie vor nach Holz riechenden Regale sind mehrfach umgezogen, teilweise über sehr weite Entfernungen, und immer noch erfreue ich mich ihrer. Veränderung erfuhren sie allenfalls über eine reizvolle Patina, die sich zudem hervorragend an die hundert Jahre alte Handarbeit angleicht.

Die später zur Freundin gewordene Dame war es auch, die mir damals schon ausführlich begründet vom Erwerb der Produkte aus den (un-)schwedischen Manufakturen abriet, da sie mit meinen Vorstellungen von Qualität, auch denen von menschlicher Gesellschaft nicht konvenierten. Dazu gehöre auch, daß der Herr alles andere sei als das damals bereits von ihm in die Öffentlichkeit projizierte und bald allüberall leuchtende (Vor-)Bild: der sich väterlich gebende, sich immer wohlgesetzt jovial und auch etwas tröstlich-bescheiden gerierende Familienunternehmer. So neu waren die 2009 ausgebenen Verlautbarungen des Herrn Stenebo (Spiegel) für mich also nicht unbedingt, eher einer gewissen Logik folgend, Rachsucht und Widerruf hin oder her; die mögen eine Rolle spielen, sind letzten Endes aber doch nur Randfiguren dieses dramatischen Geschehens, das, wie üblich beim Theater, kaum jemanden ernsthaft interessiert. Denn vor dieser schwedischen Bühne fühlt der Mensch sich geborgen.

Gestern nun erreichte mich die Information, daß zum einen die Gelder über mehrere, in den Niederlanden angesiedelten Stiftungen über vielfache wundersame Umwege in einem nicht minder wunderbaren, nahezu steuerfreien Karibik-Staat landen. Und zum anderen die Vermutung, der reichste Schweiz-Siedler könnte die etwa sechsunddreißig Milliarden Dollar möglicherweise doch nicht gänzlich sozialen oder vielleicht kulturellen Zwecken zuführen. Kontrollierbar ist dieses Geflecht nicht, da es sich nicht etwa um eine Aktiengesellschaft, sondern um eine gemeinnützige Stiftung handelt, die keiner Pflicht unterliegt, Zahlen zu veröffentlichen. Zu derart altruistischen Anflügen, denen andere Dagoberte unterliegen, scheint der Wikinger sich ohnehin nicht unbedingt hingezogen zu fühlen, auch wenn er gerne den Anschein erweckt, auch den, im Altersschaukelstuhl gewiegt zu werden und die Söhne arbeiten zu lassen. Doch das alleine müßte sich nicht weiter störend auswirken. Reichtum verpflichtet schließlich längst nicht mehr jedermann, wie auch jederfrau mittlerweile weiß. Daß aber alle, die Fiskalisches leisten, ihm auch noch beim Baden im Geldhaufen behilflich sein müssen, das läßt mich dann doch ein wenig die Contenance verlieren. In zunehmendem Maß beschäftigt er nämlich Mitarbeiter, die am Monatsende dann soviel oder auch sowenig im Täschchen haben, daß sie, um (über)leben zu können, aus dem mit Steuergeldern gefüllten Hartzer Käsetopf bezuschußt werden müssen. Von fünfzehn Prozent sogenannt ausgeliehenen Kräften spricht der eine, von fünfundzwanzig oder gar mehr der andere. Der schwedische Schweizer oder andersrum läßt seine Sprecher sprechen, das träfe nicht zu. Ohnehin würde die nicht in den sozialen Ofen gesteckte Kohle zum Beheizen der eigenen Betriebe verfeuert. Wieder andere, die sich aus Angst vor Kälte am Arbeitsplatz oder gar dessen Verlust nicht getrauen, beim (Aus-)Sagen ihr Gesicht zu zeigen, behaupten, es sei alles noch viel schlimmer in der lieben weltweiten schwedischen Großkonzernfamilie, die China noch reicher oder, je nach Perspektive, auch ärmer macht.

Konsequenterweise sollte ich die dann während meiner Reisebegleitungen doch noch erstandenen und bei mir herumstehenden zwei, drei Dinge (eine andere Bezeichnung als dieses auch sprachliche Armutzeugnis verdienen sie nicht) nun dorthin befördern, wo sie in jeder Hinsicht hingehören: auf den (Sonder-)Müll. Das formal wie funktionell gelungene Höckerchen, das allerdiings gebe ich nicht mehr her. Es war aber auch, nachdem mir das jemand Mitte der Neunziger mitgebracht hatte, ganz bald wieder aus dem Sortiment genommen worden. Vermutlich, weil es zu langlebig war (die Hubtechnik funktioniert noch immer). Oder müßte ich jetzt schreiben: nachhaltig? Das mir von der immerwährend erneuerungsbedürftigen Nachwuchswissenschaftlerin überlassene, wenige Jährchen junge CD-Türmchen jedenfalls neigt sich wie das gebildete Vorbild PISA längst bedenklich dem Zusammenbruch entgegen. Während die von Tischlern gebaute Arbeitsplatte vermutlich meine vielen Enkel samt deren Kinder und Kindeskinder überdauern wird. Wie die Lampe aus der Bauhauszeit, in der man noch nicht geschichtsverklärend an Manufaktereien dachte.


 
Fr, 13.08.2010 |  link | (5930) | 15 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Gesellschaftsspiele


jean stubenzweig   (13.08.10, 12:12)   (link)  
Falls Interesse besteht
an dem das Kabelgewirr* verbergenden suchstöckchenbewehrten Herrn unter meiner Rechenmaschine – es handelt sich um den in den siebziger Jahren auch noch jüngeren, aber seinerzeit quasi temporär erblindeten Timm Ulrichs, der ein Schild vor der Brust mit der Aufschrift trägt: Ich kann keine Kunst mehr sehen!

* Mitte, möglicherweise gegen Ende der Neunziger spottete der Apfelhersteller sogar mal in den Kinos: Die Freiheit von den Kabeln. Ach, du fröhlich werbende Welt der Un-)Wirklichkeit. Nie sind meine Apfelkisten unverkabelt ausgekommen. Zumindest dann nicht, wenn sie mit herstellerfremden Produkten verbunden werden wollten. Was ja vorkommen soll.


seemuse   (14.08.10, 13:20)   (link)  
irgendwie
fühle ich mich ertappt ( -;


jean stubenzweig   (14.08.10, 18:00)   (link)  
Bei dem Kunstgewirr?
Ich kann diese Internet-Hieroglyphen nicht lesen. Für plötzliche Blindheit stehen diese Zeichen vermutlich nicht.


prieditis   (14.08.10, 18:12)   (link)  
Vielleicht
kann ich helfen, als Kleinstadtarchäologe mit Internethieroglyphnebendisziplin.

Beim obigen (-; handelt es sich vermutlich um eine alpine Variante des "Kniepemännekens". Ein k.u.k. Zwinslmann (Patsch, da fühle ich die Hand des Grundschullehrkörpers: "Das ist kein Mann, das ist ein Herr!"), ein k.u.k. Zwinslherr, sozusagen.


jean stubenzweig   (14.08.10, 20:34)   (link)  
Sie Internethieroglyphnebendisziplinärer!
Sie mißratener Grundschullehrkörper. Und Sie meinen nun also, jetzt wisse ich bescheid? Zwinslherr. Kniepemänneken. Das einzige, das ich verstanden habe, ist K.u.K. Und das wird großkleingroß geschrieben, schließlich geht es vorn und hinten um Majestäten!!! Nur die Mitte ist vernachlässigbar. Entweder Sie klären mich korrekt auf – oder gehen wieder Kleinstadtumgraben.


prieditis   (14.08.10, 23:30)   (link)  
Oh,
dann lege ich das Schäufelchen noch einmal aus der Hand.

Die Zeichenkombination (-; steht für ein freundliches zuzwinkern.


vert   (14.08.10, 23:55)   (link)  
legt man den kopf nach rechts, kann man es sogar direkt erkennen...

geht auch andersrum, dann aber mit dem anderen auge:
;-)


jean stubenzweig   (15.08.10, 15:07)   (link)  
Oh! Ich sehe Gesichter.
Oder sind das am Ende Gesichte?

Ach nein – Kniepenmänneken sind nicht so schrecklich.


apostasia   (13.08.10, 21:56)   (link)  
Soeben gelesen.
Wenn es um Unterstützung geht: 50 Millarden €!


jean stubenzweig   (14.08.10, 10:33)   (link)  
Soviel geschrieben worden
ist darüber bereits, daß ich von einem entsprechenden Bekanntheitsgrad ausgegangen bin. Aber das ist immerhin in einer noch verträglichen Kürze zusammengefaßt. Eigentlich ist es ja um einiges komplizierter. Und erst gestern vernahm ich bereits wieder einige Stimmen aus dem (Feld-)Lager der Arbeitgeber, die trotz der wieder ansteigenden Umsätze und damit Gewinne keineswegs auf Niedriglöhne, in welcher Form auch immer, verzichten möchten. Man müsse an die Zukunft denken, sprach ein jugendlich-dynamisch wirkender Fabrikant in ein öffentlich-rechtliches Mikrophon, und fügte dann noch rasch ein dürftig-nebulös erklärendes Investitionen an. Das sagt der schwedische Schweizer auch gerne. Investition in die Stiftung und aus der Stiftung. Zulasten der anderen, die sich nicht wehren (können?). Und am Abend dann die Sendung über die Wirtschaftskrise 2.0, aus der hervorging, daß die Finanzwirtschaft längst wieder Blasen und Boni produziere, als ob es keine Zukunft gebe. Die deutschen Jongleure scheinen dabei einmal mehr die Führungskraft zu geben, denen kein Gesetz wirklich Einhalt gebieten will. Ein, wie mir schien, tatsächlicher Experte wies auf die Zukunftsgefahren von Wirtschaftskrise 3.0, 4.0, 5.0 und so weiter hin, ein anderer meinte, das immerwährende Wachstum, von dem die meisten behaupten, ohne es ginge es nicht, neige sich erwiesenermaßen seinem Ende zu. Ich frage mich seit langer Zeit, wann denn dieser Wachsturm über die Atmosphäre hinausschießt. Vielleicht irgendwann durchs Ozonloch?

Kann eigentlich niemand mehr ganz normal sein Geld verdienen? Ohne die Last anderen aufzuschultern. Diese modernen, nein, zeitgenössisch immerzu nach vorn orientierten Unternehmer, diese Avantgardisten der Märkte, mittlerweile die sechziger und auch siebziger Jahrgänge nicht nur dieses Wikingers oder auch Barbars, die sich offenbar nichts sehnlicher wünschen, als in die Zeiten der Patrizier und Plebejer oder auch des Herrn und seines Vasalls oder auch einfach dem Lehnswesen zurückzukehren, wenn auch ohne historische Kenntnisse und Verantwortungsgefühl, aber für sich selbst bei fließend warm Wasser, Kanalisation und Autobahn – ach, es ist ein Kreuz zwischen Altruismus und Egoismus. Eine hübsche, nach Skandinavien weisende Auslegung findet sich zum Homo homini lupus. Ich stehe staunend und kopfschüttelnd in dieser Gesellschaft. Was ist aus ihr geworden? Wüßte ich nicht, daß es Unternehmer gibt, die durchaus auch an die denken, die ihnen ihren Reichtum geschaffen haben und sich dem verpflichtet fühlen, ich wäre längst verzweifelt. So bleibt mir nichts als Wut auf diejenigen, die des eigenen wachstürmlichen Geldspeichers zuliebe nicht nur gesellschaftlichen Abfall produzieren. Und damit auch der Ärger über diejenigen, die sich nicht wehren.


kopfschuetteln   (14.08.10, 22:42)   (link)  
vier dinge fallen mir spontan ein
arbeit muss sich wieder lohnen, (ich muss immer den drang hysterisch zu lachen unterdrücken) von einer nachhaltigen umsetzung sieht man bewußt ab. die sache mit der dekadenz.
alles schmarotzer, angeblich, die unterstützung vom staat brauchen. oder die? die sich ihre gewinne von der allgemeinheit zahlen lassen. passend dazu wäre noch die entwicklung der unternehmssteuern, schlussendlich die forderung der rente mit siebzig.
lobbyarbeit lohnt sich jedenfalls.


jean stubenzweig   (15.08.10, 13:59)   (link)  
Erst fiel die Mauer, dann der Lohn.
Im (gleichwohl unpolitischen) Austragshäusl befinde ich mich zwar mittlerweile und glücklicherweise — Bayern hat, entgegen aller z'widerwurzigen Erinnerungen, offenbar doch irgendwie ein wenig festgemacht in mir. Aber dort war es nunmal, von wo aus sich für mich lange Zeit Arbeit gelohnt hat, später dann in einem hanseatischen Unternehmen mit dortigem Sitz, das mich unbeschwert überall hat sitzen lassen, immer ist alles mit guten Spesen gewesen. Aber auch die anderen waren gut versorgt. Nicht nur Direktoren erhielten ordentliche Gehälter, auch der Bürobote konnte nicht nur leben davon, sondern angenehm wohnen und auch essen sowie mehrmals jährlich ins Ausland fahren, wo für ihn ursprünglich Inland war. Dann wurde eine Mauer geschleift, und ein pfälzischer Preßsack, von dessen speziellen Freunden nach französischem Vorbild liebevoll als Birne bezeichnet, versprach blühende Landschaften. Ein fröhliches Join Geventure setzte ein, das seltsame Reisen in abgelegenste Örtlichkeiten zur Folge hatte. Mit einem Mal wurden Gelder knapp, da man sie für abstruseste Aufkäufe maroder Betriebe irgendwo im Niemandsland benötigte. Die privatwirtschaftlichen Gehälter begannen zu frieren, Honorare wurden im kalten Krieg geschockt. Eingeheizt wurde fortan mit Investitionen.

Dieser Birne folgte ein kunstsinniger Arbeiter, um dessen auch von mir erhofften Wahlsieg ich in einem Rutsch oder auch Rausch von Paris aus bis nach Berlin durchgedüst war, um ihn in der Nähe der Örtlichkeiten zu feiern, wo wir einstmals die Zinnen der Freiheit erklommen hatten. Mächtig gebechert hatten wir dieses Sieges wegen. Der Kater war ein dicker, außerordentlich fieser. Dieser Sozialdemokrat, dem es nach langjährigem Rütteln an den Bundesregierungsgittern gelungen war, hineinzugelangen ins Zentrum der Macht, sollte bald voller Stolz verkünden, er habe den Niedriglohn erfunden. Die gewaltige, mächtige Woge (neudeutsch: Tsunami) des den Globus umrundenden Geldes hatte ihm die Erinnerung an seine schlichtere Herkunft weggespült, die er über zweite bildende Wege offenbar überwunden glaubte, und ihn deshalb wohl zu christlich-demokratischer (Wirtschafts-)Politik führte.

Dankbar nahm seine protestantische Nachfolgerin diesen Ball auf und spielte fortan in der obersten Liga mit, in der es um nichts anderes ging und geht: um die Leistung derer, die den anderen die Börse füllen. Führende Exportnation wurde die deutsche. Nun, das war sie zwar zuvor bereits, aber an der Qualität ihres Spiels sollten fortan die anderen gemessen werden. Die Bundesrepublik Deutschland als einer der weltweit zwanzig führenden Clubs, als Dompteuse Europas. Während der Rest der alten Welt bemüht war, wenigstens ein klein wenig Gerechtigkeit (Gleichheit = Égalité ist etwas anderes und bedeutete auch in der französisch revolutionären Deklaration der Menschenrechte lediglich die vor dem Gesetz) inform von Mindestlöhnen — eine «Dekadenz in der Variante der Sandalenfilme oder was sonst der Politiker so von der Kulturgeschichte des Alten Europa mitbekommen hat» — auch nach unten durchdringen zu lassen, meinte die Kanzlerin aller samt professionellen Beratern aus der gemütlichen Lobby, alle anderen müßten in den von der deutschen Bahn vorgefertigten Geleisen spuren. Am deutschen Wesen hatte zumindest die europäische Welt zu genesen.

Jetzt könnte ich sagen: Ich bin stolz, ein Ausländer zu sein. Aber zum einen kann ich mit diesem Stolz-Begriff nichts anfangen, da ich an nationale Vorbestimung nicht, genauer: überhaupt nicht glaube, es also eher für Zufall halte, wann und wo jemand in die Welt geworfen wurde, und zum anderen ist es ohnehin unsinnig, es daran festmachen zu wollen, denn Eliten und solche, die es gerne wären, weshalb sie auch die personalisierten Parteien wählen, die verlautbaren, ein jeder verfüge über die Möglichkeit, in die Liga des Höchstlohns aufzusteigen, gibt es wahrlich allüberall. Da muß ich nicht einmal über den großen Teich nach Westen schauen, der Blick über meiner Mutter Land hinein ins von allen geliebte Zentrum der Liebe reicht völlig aus. Da sitzt lässig ein Mann herum, der unter bestimmten Vorausetzungen ganz bestimmte Frauen liebt, herzt und auch verzaubert. Dieser altungarische bürgerliche Roi tut sich zwar um einiges schwerer, all das durchzusetzen, was seiner rechtsrheinischen Herzensdame so leicht von der Hand zu gehen scheint, weil seine Untertanen nicht untertänig genug sind, vermutlich, da noch Überreste von Revolutionsblut in deren Adern fließen — nur dort, wo noch die einstigen kolonialen Landschaften blühen, ist man nicht so krawallig gestimmt, weil Inlandsflüge zwischen dem indischen Ozean oder der Karibik und Paris nunmal günstiger sind —, aber auch die wird er schon noch gekärchert kriegen, am Ende gar mit Hilfe dieser ganzen Sozialisten, die Europa regieren. Die denken beispielsweise schließlich auch fortwährend daran, wie man Studenten dazu kriegt, rascher auswendig zu lernen, auf daß sie effektiver und effizienter in den Wirtschaftskreislauf zu integrieren sind.

Bisweilen bin ich geneigt anzunehmen, die Deutschen wünschten sich solch einen König, weil sie so gerne ihren alten Kaiser Wilhelm wiederhätten. Als Kadavergehorsam empfinde ich das jedenfalls, was der Deutsche mit sich machen läßt. Bei Genova meine ich kürzlich gelesen zu haben, all die 400-Euro oder noch billigeren -Kräfte sollten doch mal ordentlich streiken — innerhalb von vierundzwanzig Stunden hätten sie den Mindestlohn. Aber auch all die anderen wissen offenbar noch nicht, wie rasch sie absteigen können in die untere Liga oder noch tiefer. Einige hat's getroffen in letzter Zeit. Und nicht unbedingt nur die Älteren. Also die über fünfzig. Aber die haben wahrscheinlich ohnehin zu lange studiert und wußten zuviel. Weshalb man sie prophylaktisch aussortiert hat, bevor sie allzu aufsässig wurden. Bald sind die Vierzigjährigen dran. Denn auch die taugen noch nicht für einen ordentlichen Wirtschaftskreislauf. Demnächst erwischt's auch die Dreißigjährigen. Oder sie bleiben drin. Weil sie fleißig und billiger sind. Bachelor reicht doch. Und der Bürobote wird in dreimal vierhundert jobgesharet und muß für sechs arbeiten. Den Rest zum Leben zahlen Steuerfrau und -mann.

Nein, das ist nicht schicksalbedingt oder gar gottgewollt.

Ach, ich muß aufhören. Ich habe mich schon wieder in nicht endenwollende Rage geschrieben. Streiken darf ich ohehin nicht mehr. Zu alt. Austrag. Besser ich ziehe mich in meinen Schaukelstuhl zurück. Oder besuche Frau Braggelmann. Die hat nämlich weltbeste Champagnertrüffel im Gepäck. Ja, aus Bayern.


caterine bueer   (16.08.10, 15:05)   (link)  
Eine Variante
des Abstiegs?


jean stubenzweig   (16.08.10, 21:16)   (link)  
Hämisch gegrinst hätte
ich beinahe. Nicht zuletzt, weil ich's mal wieder habe kommen sehen. Sie sind die wirklich schlimmen Spießer.

Nein, ich tilge «beinahe». Ich tu's. Ganz breit. Dieser zu reinen Konsumrauschigen gewordenen Weltverbesser wegen, die nicht, aber auch gar nichts begriffen haben, weil sie über mindestens sowenig intellektuelles Vermögen verfügen als diejenigen, auf die sie wegen deren scheinbaren Mangels hinabschauen, die sie verachten, versteckt hinter ihrer Gardine ihrer mundgeklöppelten Humanität. Sie sind angekommen in einer Wirklichkeit, die sie mitproduziert haben, weil sie nichts wollten als eine bessere Welt für sich.


jean stubenzweig   (26.09.11, 20:32)   (link)  
Einen Dauerkeks
hat SverigesRadio bei mir gesetzt. Das hat bei mir die Spammüllquote erhöht wie den voraussichtlichen Aktienabsturz von Vattenfall nach der Meldung, man werde ab sofort nur noch sauberen Dreck in die Luft ablassen. Vermutlich hat man in Stockholm etwas von der Qualität der Arbeit ihres Steuerflüchtlings bemerkt. Die kann man allerdings genauso in den Mülleimer schmeißen, wie ich das mit diesem Dreck getan habe, dessen sich immer mehr bedienen, um andere Leute auszuhorchen und zu -gucken.















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