Wohl gastlich

Daß der Deutsche seinen Wald über alle Maßen liebt, wird vor allem dort sichtbar, wo man nichts mehr sieht (beispielsweise vom nahen Meer). Ich hatte ja bereits darauf hingewiesen: Der (unfreiwillige K.u.K.-)Deutsche Joseph Roth wollte sogar die Provence bewalden; ihm war's zu hell dort ohne die das Licht verbergenden Bäume.

Und man erlebt die deutsche Sehnsucht nach dem Dunkel ja auch immer wieder in der hiesigen Gastronomie: Sobald der letzte Tageslichtrest sich aufbäumt gegen den Untergang und unsereins noch einmal beglückt von dieser Art petit mort aus dem Fenster schaut, kommt von irgendwo ein Händlein her, stellt die unvermeidliche Kerze auf den Tisch und läßt sie aufflackern, während das andere das Licht ausmacht. Deutsche Romantik, nein, das alltägliche Allerweltsverständnis davon: dein Name lautet Verdunklung. Dabei hat der luzide Geist Novalis 1798 geschrieben: «Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.»* Also Licht an! Nicht aus. Heller Schein! Nicht trübe Funzel. Das ist nichtmal Ansichtssache.

Unsereins zieht den freien Blick übers freie Land aufs freie Meer vor. Das mag in der nach Süden auslaufenden Haute Provence sein, in der Vendée, der Charente Maritime, aber auch an der Nordseeküste. Auf der gewiß nicht kleinen Il de Ré meint unsereins, vom Anfang bis zum Ende, von der einen Seite bis zur anderen über die Weinstöcke blicken zu können. Ähnlich verhält es sich auf den west-, ost- und nordfriesischen Inseln inmitten von niederländischen beziehungsweise deutschen Wassern. Doch durchfährt man Usedom vom Süden in den Norden, geht's durch den (Wald-)Tunnel. Und erblickt man am Ende dieser schier endlos erscheinenden Röhre das Licht, ist das Meer, hier die Ostsee, auch schon wieder verschwunden, verdrängt vom binnenländischen Süßwasser, das unter der Wolgaster Brücke Peene heißt.

Wolgast. Der wohle oder sich wohlfühlende Gast? Der im kleinen Reiseführer, der sich «wie einige der berühmten Herzöge gleichen Namens, die fast 400 Jahre von unserer Stadt aus das Pommernland regierten», Bogislaw nennt, weiß es auch nicht so genau: «Unter den Slawen soll es etwa ‹gastlicher Ort› geheißen haben.»

Wie auch immer — es sitzt sich angenehm dort in dem kleinen (Musik?-)Café seitlich des Rathauses, dessen ältestes Gestein aus der Gründungszeit der Stadt stammt: dem 13. Jahrhundert. Davon sieht man nichts mehr, und auch von der folgenden Bauepoche sind nur noch ein paar Rudimente erkennbar: etwa die Fensterummauerungen der Gotik. Auf die einstigen seitlichen Laubengänge weist Bogislaw hin, doch darauf — wo die Architekten sich die Mühe gemacht haben, den richtigen Ansatz zu finden — muß der bauhistorisch Unkundige tatsächlich hingewiesen werden. Denn dort, wo einst die Laube ging, stehen sie nun, glasüberdacht, die Fahrräder, vermutlich der Rathausbediensteten.

Vom Café aus hat man den Blick frei über den Platz. Ein paar Touristen nur wie wir, die vermutlich auf einen Ausflug von der Insel rübergehüpft sind. Ansonsten schaut das friedlich, ja heimelig aus. Es sprengt kaum das Vorstellungsvermögen, hier als Städtchenbewohner im wesentlichen in Ruhe seinem Tagwerk und ansonsten gelassen zu werden. Auch hat man sich mehr als bemüht, das alte Stadtbild derart wieder herzustellen, ohne daß es, wie im Westen der Republik geradezu desaströs unvermeidlich, japanische oder sonstige Reisegruppen magisch anzieht, für die Deutschland nunmal auszusehen hat wie Rothenburg ob der Tauber oder ähnlich «romantisch» fachgewerkten Puppenstuben. Kein aufgeblähtes Altes also, im großen und ganzen wohlfühliger architektonischer Burgfriede.

Ein Gebäude allerdings steht da, das einen verblüfften Blick abnötigt: Entweder ein Meister der fünfziger Jahre — oder gar feinfühliges Wagnis der neuzeitlicheren Stadtoberen, denkt sich unsereins. Doch zu Zeiten der sozialistischen Banalarchitektur in der DDR dürfte das wohl kaum möglich gewesen sein. Also doch Nachwendezeit. In jedem Fall formalästhetisch gelungen, diese Verwandtschaft zum Bauhaus, denkt man so für sich hin, auch der Mut der (sachkundigen!) Verantwortlichen, dieses Nebeneinander von Alt und Neu zuzulassen, so gänzlich ohne Ängste vor der Fremdenverkehrsdirektion.

Die Büddenwarderin sieht das rätseldurchfurchte Gesicht des Architekturratsuchenden. «Moment» grinst sie laut an ihn hin und entschwindet durch die Pforte des mittlerweile eher barockigen Rathauses. Kurze Zeit später schwenkt sie Papier: Das historische Wolgast. Wißbegierig wird das handliche Ringbüchlein durchforstet. Und dann — schon wieder Verdunklung. In meinen Gesicht auf jeden Fall. «Aber», heißt es bei Bogislaw alias Barbara Roggow, Leiterin des Museums von Wolgast, «ups» — das ups hätte fett und kursiv gedruckt gehört, g'nä Frau! — ups also, «was ist das — ein Gebäude scheint überhaupt nicht in dieses Ensemble zu passen. Das Bankgebäude scheint ein architektonischer Fehlgriff jüngerer Zeit ...». Fehlgriff. Vielleicht der nach dem Büchlein? Gar nicht mehr weiterlesen mag man, tut's dann aber doch — und es ist ja auch rasch vorbei, denn Bogislaw meint kurz, nach dreieinhalb engen Zeilen, «wenden wir uns wieder den noch älteren Gebäuden auf dem Marktplatz zu». Das nenne ich touristenfreundlich. Bloß keine Geschmacksver(w)irrung, um des lieben Bildungshimmels willen nichts Neues in der Guten Alten Welt!

Poelzig heißt der Stadtverhunzer, das gibt Bogislaw noch preis. Hans Poelzig hat das Haus entworfen, der große Sachliche, der kurz nach der Errichtung dieses Gebäudes 1934, noch bevor er vor den Nationalsozialisten in die Türkei, wo man ihm einen Lehrstuhl angeboten hatte, entfliehen konnte, 1936 gestorben war.

Wenden wir uns eben wieder den älteren Gebäuden zu, wie Bogislaw Barbara Roggow empfiehlt, ihrer Westentasche, wie's in der Hauptbildungssendung des NDR-Fernsehens heißt, der Aktuellen Schaubude. In der sieht's dann etwas unaufgeräumter aus als in der (von durch Neuheiten verschandelten) guten Stube Wolgasts. Ein paar Schritte nur runter vom kopfsteingepflasterten Touristenparadeplätzchen, und schon fordert die jüngere Geschichte ihren Tribut. Ein winziges Stückchen mangelnden Aufbaus Ost lugt noch hinein in den Platz des wohlen Gastseins.

Und weiter unten? Quasi bei Wolgasts unterm, besser hinterm Sofa? Dort, wie sollte es hier anders sein als vergleichbar anderenorts, wo der Geiz so geil ist. Oder die Nachbarn der Kirche so arm sind wie deren Mäuse oder noch genügend vorhanden sind?

Gefallen hat's unsereins dort, vor allem (ohne jede Ironie) hintenraus. Dort ist's weitaus erhellender als unterwegs zu diesem Licht am Ende des Tunnels, Usedom geheißen, das nichts anderes bedeutet, als daß die Schönfärberei sich fortsetzt, mit der Geschichte übertüncht werden soll.

* Novalis, Schriften, hrsg. v. Richard Samuel, Stuttgart 1981, Bd. 2, S. 545, in: Notizen zu den Fragmentsammlungen
 
Mo, 08.09.2008 |  link | (4358) | 21 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Unterwegs


hap   (08.09.08, 22:14)   (link)  
Lob des Waldes
Iss ja drollig: Während Mössjöh Stubenzweig die freie Sicht aufs Meer preist, habe ich gerade ein langes Zitat der Französin Colette ins tazblog gestellt, anhebend mit den Worten: "Die alten mächtigen Forste sind mir besonders teuer. Es trifft mich ins Herz, einen der Riesen fallen zu sehen, die dort ihre Äste ausbreiten. Da gibt's kein Gestrüpp, kein Unterholz. Säulengleich steht Baum an Baum. Die engen Pfade machen den Tag zur Nacht und lassen Schritt und Stimme schaurig widerhallen. Oh, wie liebe ich diese Wälder! Hier kann ich träumen, den Blick in die grüne, geheimnisvolle Ferne verloren, hier genieße ich Ruhe, kostbare Einsamkeit und jene unnennbare Angst, die mir aus Stille und fließendem Dunkel erwächst."
Den Rest finden Sie hier:
http://www.hans-pfitzinger.de/page8.php
P. S. Wilhelm Raabe alles Gute zum Geburtstag!


jean stubenzweig   (09.09.08, 09:46)   (link)  
Irgendwie stellt
das eine Verbindung her zu den Mystifikationen von Joseph Roth: «... jene unnennbare Angst, die mir aus Stille und fließendem Dunkel erwächst.» Da haben wir's wieder: das Dunkel, die Tannenwälder.

Oder, näher dran an der Wirklichkeit: Der Deutsche liebt den Wald, und Colette stand dessen Gedankengut ja durchaus nahe, zumindest des Deutschen, der vierzig Jahre, nachdem sie das geschrieben hatte, zusammen mit Vichy in Frankreich aufräumen sollte. Nationalheiligtum hin oder her. Das verschwindet in France gerne im Dunkeln.


nnier   (09.09.08, 10:25)   (link)  
Zum Wald: Ich las vor Jahren mal ein Interview mit einem zweisprachig aufgewachsenen Deutschfranzosen, leider habe ich keine Ahnung mehr, wer das war und worum es sonst noch ging. Interessant fand ich ein bestimmtes Thema: Wie klingt eigentlich das Deutsche als Sprache, wenn man nur den Klang hört? Der Befragte äußerte sich in dem Sinne, dass für ihn das Deutsche immer "aus dem (dunklen) Wald" gekommen sei.

Engländer bezweifeln gelegentlich, dass es man auf deutsch Liebeslieder singen könne - für sie klinge das immer, als werde jemand angeschrien. Dass das nur von den Sauerkraut-Blitzkrieg-Schweinehund-Fetzen kommt, die die Germanen in angelsächsischen Filmen so von sich geben, glaube ich nicht; sondern es gibt einen generellen Klang, den eine Sprache und ihre Melodie haben. Man hört diesen Klang umso reiner, je weniger man vom Gesagten versteht. Und jenseits aller Stereotypen ruft ja z.B. der Klang des Italienischen vollkommen andere Gefühle und Assoziationen hervor als Ungarisch oder Polnisch. Und ist es nun tatsächlich so, dass spanische, französische oder englische Kinder von Waldmenschen phantasieren, wenn sie die deutsche Sprache hören?


jean stubenzweig   (09.09.08, 12:15)   (link)  
Assoziationen
wie die Ihren sind es, die mich immer wieder phantasieren lassen ...

Fernab jeder Linguisterei lehnt sich der fühlende Dilettant aus dem Sprachfenster: Ein Dialekt entwickelt sich oder hat sich entwickelt gemäß seiner Umgebung. Das sind Empfindungen, die ich immer wieder habe, und zwar in allen Ländern. Franzosen aus den Ardennen sprechen nunmal waldiger, hügeliger als die aus dem Mittelmeerraum oder der Atlantiknähe. Bei den beiden letzteren meine ich die Nähe zum Meer herauszuhören. Im Massif Central (Margeride, Lozère) etwa gurgelt der Gorge, die Schlucht, aus der Brust, aus der Kehle. Und ich bin davon überzeugt, daß ein okzitanisch, in der langue d'oc (Region Languedoc[-Roussillon]), der über die Pyräneen reichenden galloromanischen Sprache, gesungenes Liebeslied herzergreifender wirkt als im langue d'oil Nordfrankreichs, wo die Engländer ja eher geräubert haben; wenn auch weniger die Sprache.

Und damit: Wie kommen denn ausgerechnet die darauf, Liebeslieder schöner vortragen zu können? Auch sie sprechen germanisch! Anglisch, Jütisch! (Das sollten Sie mal hören, wenn die aus der Kieler Ecke stammende Büddenwarderin die Minne singt! Das klingt dann doch eher nach Klümp in alter Henne.)

Sprachen wie das Fränkische beispielsweise empfinde ich als erdig, das Thüringische oder das Schwäbische kleinteilig, das Rheinische fließend, das Pottlerische kohlig. Und so weiter und so fort.

Sprachen, Dialekte sind Spiegel der Mentalitäten, sie haben sich aus der jeweiligen kulturellen Entwicklung ergeben, wobei die Landschaft immer hineinspielt.

Wobei ich nicht sicher bin, ob erst die Henne da war oder zuvor das Ei.


nnier   (09.09.08, 13:41)   (link)  
Ich hatte mich so bemüht, "une banque" so richtig schön nasaliert auszusprechen, damals als Schüler da irgendwo in Südfrankreich, und sie verstanden mich nicht, bis einer rief: "Ah, il cherche une bang-k". Weiter bin ich bei den binnenfranzösischen Dialektdifferenzierungen nie gekommen; das "erdige" Fränkisch etc. kann ich aber sehr gut nachvollziehen (nachfühlen?), und besonders gut gefällt mir das "kleinteilige" Schwäbische. Was die Mentalitäten und Dialekte angeht: Ja! Die maulfaulen "muss ja" - Ostfriesen; die Sachsen mit ihrem vorgeschobenen Unterkiefer; die s-teifen Hanseaten; die gemütlichen, aber poltrigen Bajuwaren. Ich glaube nicht, dass diese Assoziationen lediglich durch Beobachtung sozusagen angelernt sind, sondern dass es schon viel frühere, möglicherweise vorsprachliche Empfindungen gibt, die man mit den jeweiligen Klängen verbindet. Ich müsste ganz tief buddeln, um hier genauer zu werden, weiß aber, dass ich (da die Verwandtschaft weit gestreut ist) schon als kleines Kind gewisse Gefühle und Gedankenbilder mit der Sprache bspw. in "Nochthessen" und schon ganz andere mit der um Frankfott verbunden habe.


jean stubenzweig   (09.09.08, 17:01)   (link)  
Maulfaul?
Die Ostfriesen? Entweder sie waren noch nie dort bei denen in der Schönen Ostfriesen Land – selten habe ich Menschen so viel und unentwegt quasseln hören wie diese. Oder Sie bringen die schlicht durcheinander bei Ihrer Herumfahrerei im bremischen Hinterland. Die im Westen angesiedelten Ostfriesen – ich sage Ihnen! Bevor die in die achteckige Fleischkiste kommen, muß man denen aber das Maul gesondert zunähen (der Einheimische würde vielleicht sagen: extra totschlagen). Wat mut, dat mut, dat werd wohl mehr in Nordfreisland ...

Sehr schön Ihr Beispiel bang-k. Ja, alles will richtig akzentuiert sein. Aber es geht auch ohne geschriebenen Akzent (den man anderswo ja zu töten bereit ist). Erinnern Sie sich? Enten(aus)flüge:

«Immer wieder fragte der Dépanneur am Telephon nach der Farbe des 2 CV. Immer wieder hatte die Freundin ihm gesagt, es sei ein 2 CV Charleston. Nach dem fünften oder sechsten Mal, kurz vor der endgültig festen Überzeugung, die Charleston-Ente sei tatsächlich ausschließlich für den deutschen Markt produziert worden, rief er aus: Ah! Charleston. Die Betonung muß am Ende eben ein bißchen französisch hoch hinauf. Klar. Franzosen tanzen so etwas nur, wenn es Charleston heißt. Ton style oder so ähnlich. Wie die junge Frau, die mir beziehungsweise meinem mit dem Englischen doch eher vertrauten Gehör ein paar Jahre später und ein paar Meter weiter hinauf in der Bar am Quai Valin nicht minder hilflos zu erklären versucht hatte, es handele sich bei der US-amerikanischen Sängerin mit der wunderschönen Stimme aus dem CD-Spieler um Kate Büsh.»

Aber es ist dort eben nicht anders als in Nochthessen oder Frankfott. Wenn der Einheimische vom Fremden partout nicht verstanden werden will, weicht er aus ins Patois. Wobei im Süden Frankreichs dann etwas funktioniert, was es im Deutschen kaum mehr gibt (vom norddeutschen Platt wohl abgesehen): das Benutzen der eigenen Sprache, das regional unterschiedliche Okzitanische zum Beispiel. Und wenn sie in Marseille eine Partie Pétanque spielen und versehentlich ein Spiel gewonnen haben sollten, dann ist es sehr wahrscheinich, daß provençal zum Spracheinsatz kommt. Verstehen werden Sie diese Verwünschungen glücklicherweise nicht.

Aber eben fällt mir ein, von wegen Platt und so: Wer je in Niederbayern oder in der Oberpfalz war, fühlt sich mit seinem mühsam angehörten oberbayrischen Teilmünchnerisch auch nicht eben wohler.


nnier   (09.09.08, 20:39)   (link)  
Wor de Nordseewellen trecken an' Strand
Da ich der Ostfriesen Land sehr schätze und es auch gelegentlich aufsuche, muss es ganz einfach daran liegen, dass ich die richtigen Quasselköppe noch nicht getroffen habe. "Ich komme aus dem Land der Friesen / und habe viel gemein mit diesen", sang einst Karl Dall mit den Fröhlichen Insterburgern. Ich kann mich leider nicht mit ihnen gemein machen, schätze ihre trockene und wortkarge (doch!) Art aber durchaus (und glaube nicht, dass sie das nur als Schauspiel für die Touristen in Greetsiel aufführen).
Es ist jedenfalls immer schön, schwäbische Touristen nachmittags "Guten Morgen!" sagen zu hören, wenn sie beschließen, sich endlich den merkwürdigen Landesitten anpassen zu wollen.


nnier   (09.09.08, 21:17)   (link)  
... und noch zu Frau Büsch: Da erinnere ich mich an den Schüleraustausch mit Pau, als der Radiomoderator "Phile Caullinese et Philippe Béli avec Izi Loveur" ankündigte.


jean stubenzweig   (09.09.08, 21:44)   (link)  
Sehn'Se
das meinte ich mit kleinteilig. Zumindest in kleinen Teilen. Aber ich muß einen Spieß brechen für die da. Denn Ruhrgebietler und Kohlenpottler tun das auch sagen tun. Nur fällt das bei deren Weggenuschel, das immer irgendwie nach Pommes rot-weiß klingt, auch wenn sie abends Moin, eima Packfisch bestellen, nicht so auf wie bei unseren schwäbischen Freunden, von denen wir ja wissen, daß sie alles können außer Hochdeutsch. Aber immerhin: Bei beiden Stämmen ist die Bereitschaft zur Binnenintegration um einiges ausgeprägter als bei anderen deutschen Nationalträgern.

Und wenn Sie schon von puppenstubigen Touristenschleppnetzdörfern und deren Oberfischer erzählen: Haben Sie Otto Walkes schonmal erlebt, daß er nicht quasselt? Ich bin sehr gerne immer wieder hingefahren während drei bis vier Jahrzehnten und täte dies auch weiterhin, zöge es mich nicht immerfort in meinen mediteranen Turm, von dem aus ich auf Afrika blicke, aber ich habe tatsächlich überwiegend Redeflußbegabte kennengelernt dort, sowohl im küstennahen Binnenland als auch auf den Inseln. Im Gegensatz zu den welschen Nachbarn im Westen – oder aber eben im erwähnten Norden.

Vielleicht wird ja in Ihrer mittel- und unmittelbaren Umgebung so viel auf Sie eingeredet, daß Sie die Ostfriesen als wohltuend wortkarg empfinden.

Aber vielleicht übertreibe ich's jetzt ein bißchen, nicht nur mit meinen haltlos mutmaßenden Unterstellungen ...

Und das da, das schlägt alles: «Phile Caullinese et Philippe Béli avec Izi Loveur.» Das schließt meinen Bildschirmtag grandios.


nnier   (09.09.08, 23:31)   (link)  
Otto Waalkes! Das Argument wiegt schwer. Und erinnert mich daran, dass ich erst vor kurzem mir vorstellen musste, wie das wohl so wäre im Liverpooler Beatlesshop: Tagein, tagaus mit deren Musik beschallt zu werden, das wäre selbst mir bald zuviel. Und warum erzähle ich das hier? Weil ich vor vielen, vielen Jahren mal in Emden Dat Otto Hus besucht habe. Und dort überkam mich das Grausen, als mir bewusst wurde, dass die armen Verkäuferinnen den ganzen Tag Otto-Platten hören müssen! Holadähiti! Eck-eck-eck-eck!


hap   (09.09.08, 23:44)   (link)  
"Deutsche Sehnsucht ..."
Ach geh, die "deutsche Sehnsucht nach dem Dunkel" - was für ein Schmarren! Kommt mal wieder runter und raus aus eurem frankophilen Elfenbeinturm, Mössjöh Stubenzweig und Fanclub!

"Das was er schrieb, war manchmal Dichtung,
doch um zu dichten schrieb er nie.
Es gab kein Ziel. Er fand die Richtung,
Er war ein Mann und kein Genie.

Er lebte in der Zeit der Zöpfe,
und er trug selber seinen Zopf.
Doch kamen seither viele Köpfe
und niemals wieder so ein Kopf.

Er war ein Mann, wie keiner wieder,
obwohl er keinen Säbel schwang.
Er schlug den Feind mit Worten nieder,
und keinen gab's den er nicht zwang.

Er stand allein und kämpfte ehrlich
und schlug der Zeit die Fenster ein.
Nichts auf der Welt macht so gefährlich,
als tapfer und allein zu sein."*)

Ich kann's nicht mehr ab - was soll denn das (und wem?) helfen, wenn man von der "deutschen Sehnsucht nach dem Dunkel" spricht? Sich im Negativen suhlen? Alles raunende Torfköpfe, die Deutschen?
Ach was, sie haben doch alle den Kampf gegen die Dunkelheit gekämpft, die Engländer, die Franzosen, die Spanier, die Amerikaner, die Russen, die Finnen und die Deutschen, von Don Juan und den Yaquis ganz zu schweigen. Jetzt gebt doch bitte dem Pegasus die Sporen, und bleibt nicht in selbstgefälligen Selbstverständlichkeiten hängen - issja wunderbar, sich zu vergewissern, dass da einer denkt, wie man selbst. Aber die Platte hat nen Sprung und hängt fest an derselben Stelle.
Ich sehne mich nach dem Dunkel - unter die Decke schlüpfen und mich freuen, auf die Träume und auf morgen, den lichten neuen Tag.

*) Lessing, Erich Kästner


jean stubenzweig   (10.09.08, 05:34)   (link)  
Letzte Halbe
schlecht gewesen? In der Folge Brille falschrum oder gar nicht aufgesetzt?

Du warst es, der Colette zitiert hat (an deren dunkle Vergangenheit mit den Deutschen ich erinnert habe). Und ich habe die Ahnungen eines anderen, Joseph Roth, gegenübergestellt: zur Erinnerung: «... jene unnennbare Angst, die mir aus Stille und fließendem Dunkel erwächst. Da haben wir's wieder: das Dunkel, die Tannenwälder.» (Davon mal abgesehen, daß die Deutschen abgedunkelte Räume nunmal bevorzugen, weil's so schön «romantisch» ist.)

Ich könnte übers deutsche Dunkel eine ganze Menge erzählen, ohne Plattensprung. Was da oben allerdings nicht passiert ist. Denn anschließend ging's hier um Sprache, um Dialekt, und das Empfinden damit und dafür, mal hier, mal dort. Am Ende geht's um Ostfriesland und dessen Otto. Ach ja, Franken haben wir noch gestreift. Ich und der «Fanclub», wie Du den einen hier nennst, mit dem ich plaudere. Und der das, über das Du hier meckerst, als Beobachtungen anderer geschildert hat, und auch noch als Randbemerkung im Zusammenhang mit Sprache. – Das nur zur Erinnerung.


nnier   (10.09.08, 10:42)   (link)  
Dis is ja so ne Sache. Ich mein's ja nicht normativ. Ich kann nur beschreiben, dass ich mit bestimmten Klängen bestimmte Gefühle und Assoziationen verbinde. Und es interessiert mich immer wieder, wie andere das erleben. Es reiht sich da so eins ans andere, und nicht immer kommt man zum selben Ergebnis, wie man anhand der total wortkargen ostfriesischen Dauerquassler feststellen kann.


hap   (10.09.08, 11:14)   (link)  
Der Griechensohn
Keine Sorge, die letzte Halbe war ausgezeichnet, die zwei davor auch. Nur etwas kühl isses geworden gegen halb acht im Paradiso-Garten, als die Sonne unterging und es dunkel wurde. Du kennst ja meine Website, da steht oben drüber, was ich neben Sex und Musik noch für wichtig halte.
"Davon mal abgesehen, daß die Deutschen abgedunkelte Räume nun mal bevorzugen, weil's so schön «romantisch» ist."
Ja, eine Bedienerin in der Ritzi-Hotelbar hat mir auf meine diesbezügliche Frage geantwortet: "Das ist doch viel gemütlicher."
Unter dieser Art Gemütlichkeit hab ich so manchen Winter gelitten. Statt das Lokal zu erhellen, wenn's draußen früher dunkel wird, "dimmen" sie die Funzeln runter. Überall. Und weil ich ja zum Lesen und Schreiben ins Café oder sonstige Lokal gehe, hab ich mich immer sehr achtlos behandelt gefühlt. "Der Gast" will's ja gemütlich. Uuuuuäääähhhh!
Deshalb ist im vorigen Herbst das Paradiso mein Stammlokal geworden. Saavas, der Griechensohn, stand eines Tages mit einer Leselampe vor mir, wickelte die Schnur vom Sockel und stöpselte den Stecker in die Wand hinter mir. Mit den Worten: "So kannst du besser lesen", stellte er die Lampe auf den Tisch und knipste die 60 Watt an.
Das ist mir in meiner knapp 45-jährigen Laufbahn als Gast zum ersten Mal passiert. Ein Grieche brachte das Licht ...


jean stubenzweig   (10.09.08, 14:32)   (link)  
Diogenes
war das vermutlich, der sich irgendwie in der Mythologie verlaufen hatte ...

Eigentlich war er unterwegs zur Athener Agora, um dort mit seiner Laterne am hellichten Tag Menschen zu suchen. Aber er hatte keine richtige Landkarte, sondern nur so ein modernes Navigationsgerät und war deshalb im Münchner Paradiso gelandet. Und als er dort herumirrend gefragt wurde: «Was tust du mit dem Licht?» und dann erwidert hatte, «Ich suche Menschen!», hat er's vor Dich hingestellt.


jean stubenzweig   (10.09.08, 14:46)   (link)  
Ich vermute
werter Herr Nnier, daß ich mich Ihretwegen in nächster Zeit aufmachen muß, um beweistechnisch nach besagten dauerquasselnden Ostfriesen zu fahnden. Hoffentlich lande ich nicht in Athen, denn die dem Neuen nicht eben unaufgeschlossene Büddenwarderin hat sich überzeugen lassen, unbedingt so eine dieser modernen elektrischen Landkarten haben zu müssen.

Vielleicht fahre ich besser mit meinem Döschewoh ...


hap   (10.09.08, 16:37)   (link)  
Diogenes & das Fass
Bin ganz gerührt von Diogenes mit dem Navi (so nennt man das im lockeren Gespräch am Nebentisch). Diese Dinger müssen höchst aufregend sein, man kann sich gar nicht mehr vorstellen, worüber sich die Leute früher unterhalten haben. Wer erinnert sich noch an die Zeiten, als man mit eingebautem Beifahrer, einem Michelin-Atlas und Taschenlampe unterwegs war?
Aber das mit dem Diogenes hat mir sehr zu denken gegeben. Vielleicht hast du recht, erst gestern hat er wieder ein Fass hinter die Theke gerollt.
Und gute Fahrt mit dem Döschi - vielleicht baust du dir bald ein Navi ein, dann kannste den Michi-Atlas zu Hause lassen.


nnier   (12.09.08, 22:23)   (link)  
Aurich, Athen, Acker
Weil ich aus nostalgischen Gründen gelegentlich in die Heimatzeitung schaue, bin ich nicht nur über Uran im Trinkwasser oder die neuesten Trends beim Hanfanbau bestens informiert, sondern lerne auch die Risiken der Navigationssysteme einzuschätzen:
... sich nicht zwischen der Dame im Navi und den Warnungen seiner Frau (70) auf dem Beifahrersitz entscheiden zu können. Viel zu früh und deshalb noch viel zu schnell bog er [...] ab, fuhr aber auf der unmittelbar davor liegenden Abfahrt Dramfeld und landete am Ende nach einem Überschlag auf dem Acker.



hap   (12.09.08, 23:00)   (link)  
Ach, der Acker ...
... dem wird doch hoffentlich nichts passiert sein. Interessant: Das Alter der Beifahrerin scheint eine Rolle zu spielen. Aber vielleicht hatte sie ja gerade eine schwache Batterie in der Taschenlampe, als sie die Karte gelesen hat, weil sie dem neumodischen Navizeug nicht getraut hat. -
Dabei find ich die Dinger außerirdisch toll - vor nem halben Jahr hab ich zum ersten Mal eins gesehen, im Auto von meinem Freund Peter Moody Meyer, einer von zwei Menschen, bei denen ich mich auf den Beifahrersitz traue. Ich kann nur sagen: Waaahnsinnn! Sogar mein Haus hat's angezeigt, und dabei wusste der Peter genau, wie man da hinkommt. Aber ohne Navi fährt er nicht mal mehr zum Briefkasten.
Na ja, der nächste ist fast sechs Kilometer entfernt.


jean stubenzweig   (13.09.08, 12:00)   (link)  
Kompaß und Kärtchen
Es steht mir ja nicht an, mich in alles einzumischen, was hier so untereinander ausgemacht wird. Aber auf diesem meinem Hoheitsgebiet habe ich ein für allemale festzuhalten:

1. Werde ich von Damen, gleich welchen Alters, landkartentechnisch navigiert, wird grundsätzlich nach etwa dreißig Kilometern festgestellt, daß das vielleicht dann doch das falsche Links oder das falsche Rechts war.

2. Kenne ich niemanden – und ich kenne davon einige –, die mit solch einem modernistischen Hypernavigationsgerät unterwegs sind, der je auf geradem Weg dort angekommen wäre, wo er hinwollte. Alleine dreimal fuhr eines dieser jüngeren Familienmitglieder (das sich zur Zeit durch Neuseeland navigieren läßt und deshalb vermutlich übers australische Perth in Auckland landet) in letzter Zeit wider besseres Wissen von Büddenwarder aus via Autobahn nach Hamburg, etwa die doppelte kilometrische Känge als über die Dörfer. Und der Nachbar, der hier jeden Wurm persönlich kennt und damit auch dessen Behausung, kommt, seit er so ein Ding via Internet erstanden hat, auf die dreifache Jahresfahrstrecke. Aber vielleicht findet er die ansagende Dame ja so sympathisch.

3. Meine michelinsternigen Kärtchen einmal angeguckt – und immer angekommen, auf direktem Weg. Außerdem weiß ich, um welche Uhrzeit die Sonne wo steht. Zur Not liegt immer ein Kompaß bereit. Dazu bedarf es auch keines permanenten käuflich erwerbbaren Updates.

Das muß(te) einmal gesagt werden!


nnier   (13.09.08, 23:23)   (link)  
Und wie sich's manchmal so fügt, habe ich nach Jahren des Zögerns heute ein solches Gerät bestellt. Ich muss nämlich bekennen, eine ziemliche Orientierungsniete zu sein. In eine fremde Stadt hinein finde ich ja meistens noch; aber heraus komme ich nicht! (Unser betagtes Wäglein sehe ich aber ohnehin recht selten von innen; die Kilometeranreicherungsfahrten macht die Dame des Hauses).















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