Unverstrahlter, glanzloser Küchenalltag Der Großmarkt in der Pariser Banlieu, in Rungis unweit des Flughafens Orly, ist Legende, quasi eine Legende nach der von Émile Zola geschriebenen (Ur-)Legende: Der Bauch von Paris. In den Sechzigern hatte man das Eitergeschwür Les Halles aus dem zentralen Gedärm der Stadt herausoperiert, den Patienten nach Besichtigung der Metastasen wieder zugeklappt und schließlich die Umgebung 1969 durch Tiefgaragen und andere moderne Architektur ersetzt, darunter das Centre Georges Pompidou. Es ist der Freizeitverkehrsweg vom 1. ins 4. Arrondissement, der von der Pyramide des Louvre vorbei an der gerne übersehenen Comédie Française übers Beaubourg auf die Insel der schwulen Glückseligkeit und der Judengucker führen kann. Erst ein ganzes Stück hinter dem Marais in Richtung der Place de la Bastille erhält der das wahre Essen bevorzugende Mensch wieder die eine oder andere Möglichkeit, vom Fremdenverkehr unbehelligt drei bis zehn Gänge in sich einzulegen. Aber auch das ist fast schon eine Legende nach der Legende: Vor etwa fünfzehn oder noch ein paar mehr Jahren gab es bereits einmal eine Fernsehreportage über einen Delikatessenfischer der gehobenen Gastronomie, allerdings zu den Zeiten, als ein Koch zumindest in deutschen Landen noch Koch genannt und nicht wie eines dieser Massenprodukte aus dem Billigheimer als Sternekoch hochgelobt wurde. Wenn ich mich recht erinnere, war er Bretone und brachte aus seiner Heimat riesige Pferdefußaustern mit, eine laut Herrn Meyer von 1905 «weniger wohlschmeckende Art», aber was wissen konversationslexikalische Bratwurstliebhaber schon von der feinen Ostrea edulis. Der Gute aus der Bretagne verkaufte sie in Rungis und besorgte für seine Kunden wiederum andere viele feine Schnuddeligkeiten, auf daß der Mensch auch in Hamburg oder München nicht darbe. Heutzutage heißt so einer Kurier der Köche, und sein Alltag ist im Vergleich zu seinem bretonischen Vorgänger so langweilig wie diese ganzen Sterne, die über den vielen, bald nicht mehr zu zählenden Fernsehküchen schweben. Mich hält das nicht davon ab, mir auch den uninspiriertesten Bericht mit dem lahmsten Aufhänger wie etwa dem eines im Streikstau steckenden Lammrückens anzuschauen, da ich immer mitwill: hinein auch in diesen modernen Bauch neben Paris. Wer je seine Augen und Papillen sich darin suhlen lassen durfte, der kann sich nicht sattsehen. Zwar ist der Alltag eines durchschnittlichen Wochenmarktes etwa im Pariser 13., von der wilden Rue Longue des Capucins in Marseille ganz abgesehen, aber selbst noch im kleinststädtischen Grandrieu alleine schon sehr viel aufregender als der hochgelobte, unterm Strich jedoch nicht mehr als passable unter der Hochbahn in der Eppendorfer Isestraße, aber in Rungis liegen dann tatsächlich ein paar besondere Hingucker sogar für Rohkostler, vor allem aber für Liebhaber freilaufenden Käses herum. Noch haben es die EU-bürokratischen Verordner von Hygienegesetzen nicht geschafft, auch dort die Stockente ihres Federkleids zu berauben und ihr gar den Kopf abzuschlagen, wie das allen voran im führenden Land der Bazillen- und Virenvernichtung längst praktiziert wird, in dem sogar in Fernsehküchen jeder sterneverstrahlte Mâitre goût des plaisir demnächst auch die Flasche mit dem Desinfektionsmittel mit Gummihandschuhen anfassen wird, auf daß sich kein Zugucker alleine vom Hinschauen eine Allergie einfängt. Mir stellt sich immer wieder die Frage, wie bei all diesem aseptischen Glanz diese großen Meister selbst in ihren kleinen Küchen in des Alltags Wirklichkeit eigentlich zum Arbeiten kommen. Da lobe ich mir und stellvertretend für einige andere Bilder wie diese: Ein riesiger Bottich Rot- oder Blaukraut, den Inhalt einer Zehnliterdose Apfelmus, drei Flaschen Apfelsaft darüber, ebenso eine Lage Gewürze, noch einmal zehn Liter Mus, dann eine Flasche Rotwein, nochmal Kraut darüber. Oder eine etwa einen Meter tiefe elektrisch beheizte Pfanne mit Knochen, aus der Bratensauce entstehen wird (und nicht, wie der Fachmann das nennt, aus der Hosentasche des Kochs). Vor allem aber der Griff mit beiden unbehandschuhten Händen in die zu knetenden Fleisch- oder Knödelmassen. Nicht zu vergessen die drei Hummer, die ohne den vielzitierten vorab tötenden Messerstich kopfüber in kochendem Wasser verschwinden, um nach zehn Minuten mit ebenfalls ungeschützen Fingern von ihrem leuchtend roten Panzern befreit zu werden. Da ging einem wie mir, der erfahren durfte, wie Arbeit in der Küche nur funktionieren kann, das semiprofessionelle Expertenherz auf. Gut, der Aufmacher waren Lehrlinge in unterschiedlichen Gaststätten oder Restaurants und der Hinweis auf weite Wege bis in die Küchen einer sehnsuchtsvoll angepeilten Queen Mary, eines (Edel-)Bistrots in Paris oder einer Pizzeria am Currywurstbahnhof von Bochum. Aber (für mich) am interessantesten und auch im reminiszenten Nachhinein wirklich aufschlußreich waren die nahezu unkommentierten laufenden Bilder vom Werktag in Küchen wie der einer gehobeneren auf dem Land oder einer im Münchner Rathaus, wo der Auszubildende ohne Verhüterli auch schonmal den tausendsten Knödel drehen oder der andere sich von seiner Freundin trennen muß, weil er vor lauter Arbeit nicht mehr dazu kommt, sich um sie zu kümmern. Das sollten sich die vor den Fernsehbildschirmen versammelten Guckgourmands vielleicht mal anschauen, auf daß sie wenigstens ein bißchen von dem erfahren, wie's im tiefen Keller ihrer verträumten Edelgastronomie tatsächlich zugeht. Höllisch nämlich. Wenn auch bei weitem nicht so schlimm wie in den Fabriken, in denen die «Nahrungsmittel» hergestellt werden, die sie während ihrer TeVau-Genießereien massenhaft in sich hineinstopfen.
Blick ins Mai-Rohr Eine Familienzusammenkunft bei der besten Brateuse seit aller Anfänge. Der ehemalige frühpensionierte Kieler Fördegeneral hatte sich zu Mutti eingeladen, sich eigens dafür von seinem vielväterlichen Beschäftigungsprogramm beurlauben lassen, um leicht verspätet zu seinem Jubeltag das satt zu bekommen, das er als sein Gemüse bezeichnet, ohne die entsprechende Literatur dazu je bewältigt zu haben. Aus dem Rohr auf den Tisch sollte ein feines Teil dessen, das sich kurz zuvor noch im Ehebett der Lütjenseer biologischdynamischen Bauersleute räkeln durfte und von ihnen die formalerotischen Massageeinheiten nach dem Demeter-Ritus empfing. Für ein derart vitales Stück Muskulatur legt die kommende Nobelpreisträgerin für transzendentale Zellkultur sogar ihr streng vegetarisches Sein eine Bratenlänge lang auf den Prüfstand. Ihr Ehemaliger, dieser informationsdesigntechnologisch fastpromovierte Computerchinese, wäre für so etwas gar aus dem fernen nordöstlichen, am Mare Balticum gelegenen Hafenstädtchen angereist und hätte ein Kilogramm handgeklaute Linda und nochmal soviel von dem roten stormarnischen Heimatkohl als Sättigung beigelegt; aber der ist längst abserviert, und endlich, endlich (!) massiert sie andere Partien. Der Grammy-Preisträger in spe komponierte und dichtete vorher schnell noch eine von diesen mittlerweile kaum mehr zählbaren Balladen auf Sonntagsschweinereien nach des nicht ganz so barbarischen* US-Amerikaners Richard Brautigan selig Sinnlichkeitsvorbild. Das faulste aller wochenendlichen Jutebehältnisse bereitete sich währenddessen auf ein sonntägliches Ritual vor, das seit mittlerweile vierzig Jahren nur ausgelassen werden darf, wenn man sich außerhalb des Sendegebietes von bestimmten lustigen Tierchen befindet (glücklicherweise gibt es das wenigstens im Nordbüro nicht mehr, wo seit einiger Zeit arte Süchtige sogar ex terra auf französisch, nämlich digitalisch befriedigt). Um sich einzustimmen, betreibt es schonmal Kanalhüpfen. Und er bleibt unwiderruflich hängen, der alte Jutesack, stolpert innerhalb seines Festplattenaufzeichnungs- und überhaupt Empfangsgerätes, dem er eigentlich lediglich nebenbei die korrekte, nämlich sommerliche Zeit einjustieren wollte. Vergessen war das kindliche Vergnügen für Großväter. Nicht einmal die mediterran verunstaltete stormanische Tierschulter schien ihn noch zu locken. Schuld an dieser Abstinenz waren Bilder und Töne, die an frühere Zeiten erinnern. Nicht nur der jungväterliche Ex-Fördegegeral, für den das Jungschwein jäh aus dem Demeterbett gerissen wurde, sondern auch '68 hatte in einem April Geburtstag. Den vierzigsten. 2008. Man entkommt ihr nicht, der Erinnerung. Aber die hat Zeit. Bis morgen. Oder übermorgen. * Barbaren, das sind nach Meinung südlicher Siedler Stotterer oder Stammler, die oberhalb des Breitengrades von Lyon, des französischen «Weißwurstäquators», leben und mit denen eben deshalb keine Verständigung möglich ist.
GrünSpam Hätten mir die zu Pfeffersäcken mutierten Grünen so kurz vor der hamburgischen Wahl solch eine Portion Dosenfleisch in meine Referrer manövriert, ich wäre vermutlich eher noch in Aufwallung geraten als durch die Mitteilung eines sich nach körperlicher Liebe sehnenden Fräuleins aus der Taiga, das lieber aus fleischlichem Tun Energie bezieht als einen dürren Baum zu herzen. Eines scheint klar, zum Ismus des Vegetarischen scheint man mich nicht bekehren zu wollen, so wie neulich die ebenfalls aus dem wilden Westen kommende Botschaft, die aus mir einen kämpferischen Nichtraucher machen wollte. Andererseits ist es angenehm zu erfahren, daß es auch in den USA noch Kühe gibt, die Gras fressen und nicht nahezu ausschließlich genetisch umgebogenen Mais. Wenn ich auch in Zweifel gerate, ob ich mir angesichts derartiger bildlicher Präsentation 40 Pounds of Ground Beef at a Special Price bestellen soll, die mich irgendwie an die Produktpalette dänischer Hoffleischer oder anderer gewinnlerischer Sparschweinschlachter in Mecklenburg-Vorpommern oder gerade Niedersachsen erinnert, die von deutschsubventionierten Billiglohnarbeitern zubereitet und für Unternehmen ohne Grenzen steuerbegünstigt hin- und hergekarrt werden, um in schleswig-holsteinischen und anderen Supermarktregalen höchst preiswert angeboten zu werden, auf daß der Mensch nicht vom Fleisch falle. Nicht zu vergessen die Frage, ob es nicht Eulen nach Athen zu tragen hieße, mir solche aufklärerisch anmutenden Botschaften zu übermitteln, der ich schließlich mit José Bové und der Conféderation paysanne seit längerer Zeit nicht nur dieser Malbouffe-Industrie* die Grundmauern zu rammen versuche. Es gibt «Naivitäten», die ich pflege. Nun, nicht alles US-amerikanische befindet sich im Visier der fleischgewordenen Dame aus Alaska. Nicht erst seit gestern weiß ich, daß nicht alles so schlimm ist, wie dieser Leinwandheld es war, was aus dem anderen Amerika kommt. Auch Alice Waters stammt schließlich von dort. Aber die würde mir mit Sicherheit auch kein Dosenfleisch in meinem internetten Adreßbuch hinterlassen haben. * Malbouffe und José Bové
Das blöde Rindvieh Es gibt einige Redewendungen, die solche Autoren oder Gesprächsführer charakterisieren, die nicht auf den Punkt, zu Potte oder vom hundertsten ins tausendste kommen, nein, etwas präziser wäre dann doch genauer: die nicht so gradziellinig texten, als befänden sie sich auf einem Kanal von der N- hin zur Osee. Mir sind die Mäanderer der Schreibstraße am genehmsten. Aus nächster Bloggemeindenähe beispielhaft heranziehen möchte ich den mumifizierten Nnier oder den hermetischen Kid, die mir beide nahezu ausnahmslos ausgesprochene Lesevergügen bereiten, so daß ich mittlerweile Bücher von ihnen fordere. Es gibt ein paar mehr, die hin und wieder diese große Kunst des Hölzken auf Stöckchen, wie der tierische Prieditis zu schreiben pflegt, andeuten. Zu ihnen zählt jener, der es geschafft hat, von Homer auf die Kühe zu kommen. Allerdings liegt die Verbindung von antikem Bildungsgut und weiser Klugheit schon wieder nahe. Denn das Rindviech als solches ist nach (für mich) neueren, tieferen Erkenntnissen offensichtlich kein in diesem Sinn solches, ähnlich der Sau, die alles andere als eine dumme ist, da mag man sie noch so oft durchs Dorf treiben. Ein friesischer gleichermaßen Pferde- und Rindviehflüsterer gab dieses Wissen unlängst in klaren Worten zum besten: Der Gaul könne gerademal geradeauslaufen und mit der landläufig so bezeichneten dummen Kuh, wie der hinkende Bote überbrachte, «intellektuell nicht konkurrieren». Dieser friesische Flüsterer schien mir, im Gegensatz zur Vermutung des Hinkeboten, sein sich despektierlich über seine Klientel äußernder Hufschmied könnte mal von einem Pferd getreten worden sein, von dieser recht unberührt. Von keinem seiner überwiegend edlen argentinischen Reittiere, denen er auf ihnen sitzend zum Rindviehtreiben die Sporen gibt, schien er geschlagen worden zu sein. Alles in allem klärt das ja vielleicht im nachhinein, weshalb ich mir Pferde (ungesattelt) zwar gerne anschaue, aber einen Heidenrespekt vor ihnen habe — Dummheit schlägt nunmal gerne unvermittelt zu. Dann mag ich die dann doch lieber, am besten ohne Sattel, in der Boucherie Chevaline. Und Schweine, auch das eine neuere Erkenntnis, die ich hiermit an die solche Sauereien in jeder Art überaus schätzende Frau Braggelmann weiterleite, solle der Mensch ohnehin nicht unbedingt essen. Das habe keinerlei religiöse Hintergründe, erzählte mir der Forscher ausführlich via Bildungsfernsehen, keine im Judentum und auch keine im Muselmanischen verwurzelten, damit auch keine christlich-jüdische versus islamische (Kriegs-)Ursachen. Der Verzehr von Säuen sei nämlich eine Variante des Kannibalismus', da nämlich das Fleisch des Schweines dem des Menschen in der genetischen Beschaffenheit am nächsten käme. Dann doch lieber auf die Bunte Kuh.
Nebenkampfplatz Ausgangspunkt war zwar eine Art Diarrhoe, aber weil ich eben Logorrhoeiker bin, setze ich wohlweislich den speziellen Fall Braggelmann mal auf eine gesonderte Feuerstelle, um potentielle Kollateralschäden bereits im Vorfeld auszusortieren. Des Renters Zeit hat schließlich eine andere Bedeutung — also nicht unbedingt die des Geldes, sondern hier eher Vorsprung —, zumal die gute Frau aus arbeitstechnischen Gründen kaum in der Lage sein dürfte, diese Frage in nächster Zeit zu beantworten. Aber wenn sie's dann doch tun möchte, dann hat sie noch Platz in der entsprechenden Spalte. Zurechtgewiesen oder gar Lügen gestraft werde ich ohnehin werden. Da köchelt das besser auf einer Nebenstelle. Bei besagtem Heinz-Herbert handelt es sich um einen Kulturfolger der Gattung Passer domesticus, dessen Leben möglicherweise die Altersschwäche dahingerafft haben könnte. Es mag aber auch der Heimatverlust gewesen sein, da ihr Nachbar eine über Jahrzehnte zu einem veritablen Sperlingsfamilienheim gewachsene Hecke aus Gründen liqidierte, die in ruhigeren oder auch vorpostpostmodernen Zeiten in der poetischen Losung Unser Dorf soll schöner werden gedieh. Wer weiß, vielleicht ist er ja seinen Artgenossen dorthin gefolgt, wo er leichter Nahrung findet. Denn aus deutschen Landen kommen schließlich kaum noch Lebensmittel, sondern demnächst wohl nahezu ausschließlich aus Chile oder China. Die hiesigen weiten Felder werden nämlich unausweichlich für Grundstoffe der Energieversorgung benötigt. So kauft beispielsweise die bundesdeutsch regierende und weltweit agierende Rohstoffindustrie seit einiger Zeit sozusagen nachhaltig aus bis vor kurzem beinahe unveräußerlichem Besitz der immerwährend treuen Hand nahezu den gesamten Nordosten der Rest-DDR heraus und schafft auf diese Weise endlich blühende Landschaften, indem sie dort Verbrennungsmittel anderer Art anbaut. Nun ja, irgendwie wollen Gewinne schließlich angelegt werden, und wozu wären Liegenschaften besser geeignet, schließlich ist dort Platz genug. Wenn auch keiner mehr für niedliches, aber nutzloses Federvieh. Es ließe sich also daraus durchaus auch folgern: Heinz-Herbert lebt, wenn vielleicht auch in der großen Stadt, dort, wo nach Meinung vieler der Mensch und deshalb auch der Spatz hingehören. Nicht nur im Herz von Frau Braggelmann ist deshalb Dauertrauer. Aus mit der Trauer wäre es allerdings, würde man die als Kämpferin bekannte und nicht nur deshalb vom Nachwuchs geschätzte Frau Braggelmann zur Vegetarierin ummodeln wollen. Sie allein würde — avantgardistisch, also bereits im Vorfeld etwaiger Vorlagen von Gesetzen oder parlamentarischen Beschlüssen — einen Aufstand verursachen, bei dem die Schutztruppen für tieferzulegende Bahnhöfe oder andere Strahlungen nicht ausreichten. Selbst ich, der ich dieses neumodische Zeugs, das bisweilen Fleisch genannt wird, nicht sonderlich mag, stürmte als Begleiter dieser entzückenden Dame auch dabei mit. Und ich bin sicher, nicht nur ein paar Bulgaren wären ebenfalls mit von der Partie bei dieser dringend notwendigen Internationalen der Restauration. Besinnungsnachtrag: Eigentlich sollte hier ein ein Beitrag über das Zukünftige aus der Ansicht der Futuristen zu lesen sein. Aber meiner Muse ist die Geschwindigkeit abhanden gekommen. Vermutlich hat sie die Kiste mal wieder absaufen lassen oder versehentlich den Rückwärtsgang eingelegt.
Raus aus den Kartoffeln ... Hinein nach Roseburg komme ich immer mal wieder, der guten Kartoffeln wegen. Zur Gemeinde gehörig ist nicht nur ein feines Schloß und überhaupt ziemlich viel, nicht nur virtuell adeliges Erbe samt sommerlichem Musiktheater, sondern es gibt, geschmacklich mir näherliegend, auch sehr feinen Kuchen, wenn auch nicht so sehr innerhalb dieses von blauem Blut durchpulsten Gebälks, sondern im Dorf selbst, wohin ansonsten kaum jemand die Seh(n)sucht nach niederwildhöfischem Gehabe treibt. Gebacken wird er von einer aus dem Nordfriesischen stammenden Hofladnerin, die sich ins Herzogtum Lauenburg hat verpflanzen lassen. Wegen eines dort ansässigen Kartoffelbauern. Und jedesmal aufs neue kommt unser Gespräch dann auf diese Industrie, die sich am liebsten alles patentieren lassen möchte, um daraus Geld zu machen, nicht nur den Kartoffelsamen, auch Ersatzteile für Menschen, sei es in säuischer Form oder wie auch immer. Beim letzten Mal gerieten wir jedoch in einen Randbereich der Agrarwirtschaft, in den der Literatur. Denn ein großer Dichter hat sich 2008 in diesem Dörfchen davongemacht, der schon früh, noch bevor unsereins die Grünen seltsam vorkommen sollten, auf das hingewiesen hat, was uns einst alles blühen wird, nicht nur auf den Äckern. Auf ihn ist hier immer wieder mal hingewiesen worden. Wo beispielsweise die [...]-Klammer steht, gehört das hier hinein. Nach erneuter Lektüre ist es mir ein dringendes Bedürfnis, das nachzutragen: Die uns Erde, Wasser, Luft versauen Das ist der Dichter. Aus: Prolog zu Selbstredend und selbstreimend. Auswahl und Nachwort von Peter Bekes. Philip Reclam jun. Stuttgart 1987, S. 7 Original in: Haltbar bis Ende 1999, Gedichte. Rowohlt, Reinbek 1979
Schwedische Geschmacksbildung Frau Braggelmann hat Urlaub. Seit einem Jahr bereitet sie sich darauf vor. Nach Italien zieht es sie. Weshalb sie nach Isar-Athen reisen wird. Denn sie folgt der von zugezogenen Einheimischen ausgegebenen Parole, nach der dies die italienischste Stadt in deutschen Landen sei. Sicher, das ist bequemer, da muß man nicht wie weiland Hannibal andersrum Elephanten über die Alpen treiben oder, zeitgenössischer, mehr oder minder mobile bewohnbare Wagen über den Brenner, und kann sich gemütlich auf die Leopoldstraße setzen, wo sich schließlich alle japanischen und holsteinischen Preißn versammeln, also all die außerhalb des Sendebereiches des Weißwurstäquators abstämmigen Menschen, um das fröhliche Treiben der ebenso besucherischen Celebritäten zu bekucken und bei der Gelegenheit die neuen, sündhaft gestalteten Disain-Treter vorzuführen. Gemeinsam ist man nicht so fremd in der Fremde. Die Qualität solcher Visitationen beurteilen andere anders. Aber das ist nur eine der vielen Nörgeleien, die einem wie mir, der jahrzehntelang in diesem von randrheinischen, ostwestfälischen oder oberschwäbischen Auswanderern besiedelten olympischen Dorf gemartert wurde, das Leben lebenswert erhalten. Doch da dieses gesellschaftliche Ereignis noch ein Weilchen Anstand hat und Urlaub am Ende oder letztlich Abenteuer bedeutet, entschloß Frau Braggelmann sich zwischendrin zu einer spontanen Kurzreise nach Schweden. Sverige liegt etwa vierzig Kilometer westlich von Braggelfraus Dorf direkt an der Abfahrt Hamburg-Stillhorn. Und da ihr Bester von allen, wie sie ihn nennt, damit beschäftigt war, vermeintlich gestalterische Fehlleistungen zu korrigieren, sich also wohlweislich unabkömmlich gemacht hatte, mußte einmal mehr ich als Reisebegleiter fungieren. Als Hauschronist hat man bisweilen schwerwiegende Verpflichtungen einzuhalten. Von Zeit zu Zeit ist das recht interessant, beispielsweise wenn's um Mensch und Vieh geht. Aber um diese Demonstrationsorte schwedischer Gestaltungsglobalisierung habe ich mich meist herummogeln können. Doch dieses Mal kam ich nicht aus, nach zweijähriger glücklicher Abstinenz. Denn das Töchterlein, genetisch von der Mutter mit diesem Pestvirus bedacht, forschte im lübeckischen Laboratorium festgezurrt nach Axolotls Stammzellen. Die das Schicksal manipulierende Dame hatte es wohl so eingerichtet. Sie läßt ohnehin keine Möglichkeit aus, das blaugelbe Großgeviert anzusteuern, wo auch immer weltweit das angesiedelt sein mag. Es geschieht durchaus, daß sie handabschneidend Gläser zerbricht, um dort neue kaufen zu müssen. Und dies unterstreichend hat sie wohl eigens zu diesem Behufe das Hängeschränkchen ihrer Küche derart raffniert geöffnet, daß es einen kompletten Absturz schaffte und sie seitdem keine intakten Tassen und Gläser mehr im Schrank beziehungsweise auch den nicht mehr hat. Wenn das kein Grund ist, nach Schweden zu fahren! Anderswo gibt es schließlich keine Trinkbehältnisse zu kaufen. Kurz nach Tagesanbruch reisten wir los. Mir zuliebe. Ich bin nicht unbedingt ein Freund allzu umfangreicher Menschenansammlungen. Um neun Uhr öffne das in Wort und Schrift allüberall duzfreundliche Schwedenhaus, meinte meine Reiseführerin. Sie irrte. Die Öffnung findet um neun Uhr dreißig statt. Etwa eine knappe halbe Stunde vorher waren auch wir angekommen. Vor dem geschlossenen Hauptportal zum schwedischen Urlaubsparadies wartete allerdings bereits ein gutes Dutzend Gleichgesinnter. Und es wurden minütlich mehr. Mir schien, es müsse ein Nest geben. Dabei waren es Busse, aus denen mittlerweile sekündlich die Massen strömten. Frau Braggelmann sah meinen fragenden Blick aus den entsetzt aufgerissenen Augen. Das seien alles Frühstücksgäste, denn zunächst öffne das Restaurant, sozusagen die Paradiesvorstufe. Der Pulk schob alles Nichtkampfbereite zur Seite und drängte zum Tor. Unheilvolle Assoziationen drängten sich mir auf. Zunächst sah ich Bilder von sich millionenfach ballenden Spermatozoen, die wie bei einer Liebesparade allesamt durch einen tunnelartigen Spalt zu einem einzigen Ei hin drängten. Wie in der Nachkriegszeit. Da gab's häufig nur ein Ei. Und richtig, die zunächst Drängenden und nach der Pfortenöffnung dann, was die Gehhilfen nach letzter Ölung an Geschwindigkeit hergaben, sogar der verstopften Rolltreppen wegen die unbeweglichen hinauf Rennenden waren überwiegend offensichtlich von Kindheits-, wenn nicht gar von Jugenderinnerungen geprägt. Niemand anderer sollte das vom in der Schweiz still seine Milliarden hütende schwedische Onkel gelegte einzige unchinesisch faule Ei erreichen. Manch einer dieser Dam- und Herrschaften, überwiegend erstgenannte, da diese wohl am meisten Erfahrung hatten bei der Beschaffung von Grundversorgung, vermochte es möglicherweise auch nicht, sich vom Gedanken an Mangelwirtschaft zu lösen. Und richtig — Kuchen gab es keinen. Aber Eier. Viel mehr, als alle Legebatterien Ostasiens je zu legen in der Lage wären. Weshalb der freundliche Schwedenonkel, auf daß auf seiner schweizerischen Schaukelveranda alles im Fluß bleibe, das rührige Ei auch aus Pulver anrühren ließ, das vermutlich von glücklichen kleinen Chinesinnen aus den Sägeresten der Spanplatten anfertigten, von denen ihre Männer die Möbel des Hauses bauten. Die Masse als solche dürfte, nachdem das gesamte Paradies dann freigegeben wurde, eine Etage tiefer auch als Dichtungsmaterial für nicht ganz dichte schwedische Küchenschränke erhältlich gewesen sein. Geschmacklich kam es auch der extrem flexiblen Waffel an den hocharomastoffisiert grellroten Kirschen nahe, an die ich Süßdrogenabhängiger mich in meiner Entzugsverzweiflung getraut habe. Aber knallbunt mag man es in diesem wikingerischen Teil Europas schon lange. Und obendrein ist mir nun auch klar, daß das immerfreundliche blaugelbe Haus nicht nur in den Bereichen des äußeren Interieurs geschmacksbildend ist. Andererseits darf hierbei durchaus die Frage gestellt werden, ob nicht doch unbemerkt Monsieur Tricatel den Sieg davongetragen hat.
Rot glüht der Wein Seit mein Herz samt dem Appendix des einen Beines in den Sümpfen des nordischen Barbaricums steckengeblieben ist (immer wieder aufs neue überrascht mich die Vielzahl der darin lebenden Franzosen), zwingt mich die Verursacherin dieses angenehmen Debakels dreimal jährlich auf einheimische Märkte, jedenfalls auf das, was man kurz vor hinter Sibirien, aber auch anderswo darunter versteht: einmal auf den der Handwerker zum Frühjahr, einmal auf den der Handwerker zum Herbst und auf einen zum Advent. Allen dreien gleich ist das Angebot und daß weit und breit kein Handwerker zu sehen ist, jedenfalls nicht als Anbieter. Die angebotenen Waren, vermutlich auch das Interieur kommen überwiegend aus chinesischen Fabriken. Sieht man vielleicht beim letztgenannten vom von der Kirche überwachten Glühwein ab. Dieser Herr Gott scheint ohnehin einer der wenigen, die noch ein bißchen auf Qualität achten, und das, obwohl der Meßwein abgeschafft wurde; wenn auch nicht für seine Stellvertreter oder andere Privilegierte. Zumindest in in seiner angerührten Mischung kommt in unserem Fall der punschrote innere Heizpilz aus Büchen im südlichen [sic] Herzogtum Lauenburg, hart an der Grenze zu den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Der zum Glühen gebrachte Rebensaft stammt nicht von dort und auch nicht aus Wien oder von der letzten Auswaschung des Tankwagens vom anderen Kontinent, sondern von jüngeren Winzern aus der Pfalz, die ihn selber trinken, wenn und auch nicht vorgeglüht. Das alleine ist beachtlich. Deshalb wohl harren bereits während des Aufbaus der Verteilstation bestimmte Menschen seiner Öffnung. Wie früher bei den Freibänken, als es die noch gab und eine suizidäre (nicht suizidante!) Kuh den ständigen Windecker-Herzbuben-Schall im Stall nicht mehr aushielt und seine Ankündigung umsetzte, noch vor der Schlachtreife zu gehen, wenn das kein Ende hätte. Zur Freibank gingen keineswegs diejenigen, die man später mit dem Prekariat umhüllen sollte, sondern manch einer in feinem Linnen unter schlichterem Umhang und leicht gesichtsverbergender Krempe wurde dort gesichtet. Aber nicht, weil die ohnehin bereits Besserverdienenden durch Kostensenkung oder Sparen am Essen reich werden wollten, sondern weil sie wußten, daß es das Fleisch von Tieren war, die sich beispielsweise auf dem Weg zum Tod ein Bein gebrochen hatten und deshalb qua Gesetz notgeschlachtet werden mußten. Keine Leber gab es frischer, und sie war, wie das Gulasch auch, beaufsichtiger als jedes andere Stück. Fünfmal umetikettiertes, drei Jahre altes Gekröse oder Seperatorenfleisch hatte keine Chance, die Schwelle zur Freibank zu erklimmen und mußte mit dem billigeren Discounter vorlieb nehmen. Diese deutsche (?) Institution wurde abgeschafft, da durch die ständig sinkenden Marktpreise kein Bedarf mehr vorhanden war. Damit war dann alles im europäischen Lot, wie gemeinhin bekannt ist. Auf einen solchen Adventmarkt gesamtdeutscher Ansicht hatte mein Herz mich also vergangenes Jahr einmal mehr verschleppt. Nicht sonderlich einladend war's, nicht nur der im Norden üblichen feuchten Kälte wegen. Aber die Blicke und der Hinweis auf die lieben, schließlich von Opas Portemonnaie abhängigen drei Kleinen hatten mich auf- oder auch dahingerafft. Dafür gab dann einen original französischen Fiete's Crèpes Shop, wo wir die Süßen mit eingeklapptem Brotaufstrich aus, wie Wikipedia verrät, «Zucker, Pflanzenöl, gerösteten Haselnüssen, Kakao, Milchpulver, Sojalecithin und Vanillin» versorgten. Ich machte die Frau vom Shop auf einen kleinen Fehler aufmerksam. Jaja, sie hätte das zwar richtig auf-, aber der Handwerker, ein staatlich geprüfter Meister der Schildermalerei, habe das nicht abgeschrieben gekriegt. Dieses Jahr mußte ich wieder hin zum Advent, er findet nur zwischenzeitlich statt im vielleicht nicht ganz so heimeligen Städtchen im Landkreis Stormarn, der bis nach Lübeck reichenden Speckfalte Hamburgs. Drei Stunden von der Ostsee her herübergeblasener Dauerregen, aber von allen Seiten, auch von oben, 1.800 Liter pro Sekunde auf einen Quadratmillimeter. Vier kleine Kinder, eines war gegenüber dem vergangenen Jahr hinzugekommen, und was sonst noch so dazugehört an Verwandtschaft, die vor nichts zurückschreckt. Die lütten und auch die etwas längeren hatten Hunger nach soviel Hüpfbungee und Kinderkarusell und Heino in Discoklängen und aus der Kirche heraus den Herrn anrufenden echtem stormarner Südstaatengospelsound und Glücksloseziehen für die Charity und die aus kurz vor Kiel angereisten Cheerleadergirls vom Tabellenführer FC Wacker-Grätsche-Plön, auch vor Gottes Haus eingenäßt trotz des Leadings der örtlichen Frau Paster, die auch den Rock'n'Roll-Kurs des protestantischen Karnevalvereins leitet, und dann auch noch glühendem Wein mit Schuß aus dem Ofen, weil man einen Stand ausgesucht hatte, an dem es auch Bratwurst gab und ohne die die Oma nicht leben kann. Die mochten die vier Mädchen aber nicht, sie waren von zuhause besseres gewohnt als Schweinereien aus chinesischem Kommunismus. Pfannkuchen? fragte die ein unendliches Herz für Kinder, aber nicht für leidende Altersliebe habende Großmama. Ja, leuchteten alle Augen feucht, auch die meinen, wenn auch vom Wasserschwall, der, angetrieben von einer zielsicheren Bö, vom Dach des Zeltes über dem um einiges feiner glühenden Wein aus dem Nachbarkreis über mich gekommen war, unter das ich mich eigenschützig geflüchtet hatte, ich aber unglücklicherweise einen Schritt zurückgetreten war, um den herrlichen Regenhimmel zu betrachten. Und als ich wieder einigermaßen durchblickte, da sah ich ihn, den Stand mit der Erlebnisgastronomie. Er war es wieder, der mit diesen original französischen, von Ferraristicrème bestrichenen Fabrikfladen vom letzten Jahr. Und der handwerkende Schildermaler hatte seinen Fehler umgemalt, nun stand dort: Mit assoziativem Dank an Wurst & Frite's. Aber um der lieben Wahrheit willen mußte ich das hier so umfassend ausführen.
Nachwuchs Neinnein! Er wurde wieder freigelassen. Es handelte sich ja um einen deutschen Frosch ... Grenouille ist etwas völlig anderes.
Gut Kirschen essen ist zur Zeit. Nein — war. Es ist vorbei. Jedenfalls, was die feinen knackigen und knurpsigen tiefdunkelroten im Land kurz vor Hintersibirien betrifft. Mein Lebtag habe ich noch nie so viele davon gegessen wie in diesem sechsten Jahr meiner Teilansiedlung im ländlichen Obst- und Gemüseparadies. Einem Schaufellader gleich hatte ich mich zuvor bereits durch sämtliche Erdbeerfelder und Himbeersträucher Holsteins gearbeitet. Und nun bin ich von tiefer Trauer erfüllt. Meine diesjährige Kirschen-Sucht schien am Sonnabend zunächst im Desaster zu enden. Am Nachmittag hatte die Büddenwarderin noch ein gutes Werk getan, indem sie einem der im Norden überall anzutreffenden Verkäuferinnen und Verkäufer einen früheren Feierabend ermöglichte. Sie hat einfach die Reste aufgekauft. Befeuert hatte ihren Kaufrausch — man hört und liest es ohnehin allenthalben, wie locker das Geld sitzt, wenn auch weniger für Lebensmittel; aber die Krise ist beendet — die Mitteilung, das seien die Reste, dann sei Schluß für dieses Jahr. Quasi Sommerschlußverkauf. Fünf Kilo waren es. Sie packte ein. Und bekam sie, des früheren Feierabends wegen, auch noch billiger. Sofort legte ich mich hinein. «Waschen!» meinte meine Aufpasserin auf mich. Pah, das dauert mir zulange und verwässert diesen unvergleichlichen Geschmack. Ist ja zudem kein Schweinegerippe dran. Da muß sogar der Pastis hintanstehen, den verschmähe ich dann. Diese Kirschendroge hat mich in völliger Abhängigkeit. Es wurden immer weniger. In der Sonntagsfrüh lag noch ein kläglicher Rest in einer Schale. Der entschwand im gierigen Frühstücksmaul. Ich grämte mich, daß wir den lieben, freundlichen alten büddenwarderschen Vermietern ein Schälchen hatten zukommen lassen. Ich wollte Kirschen, nichts als Kirschen. Es könne doch nicht sein, daß die mit einem Mal nicht mehr vorkämen da oben auf den Bäumen. «Die Stare», meinte die Vogelsehrliebhaberin, dabei fröhlich in mein entsetztes Gesicht hineinfeixend. Fortan, schwor ich, würde ich für die Ausrottung dieser diebenden Raubvogelart sorgen; es müßten ja nicht immer Wachteln oder Tauben sein. Sie machten ohnehin einen Höllenlärm, wenn sie in Scharen über die Bäume herfielen. Mir meine Kirschen stahlen. Es könne doch nicht angehen, daß es keine mehr gebe, jammerte ich rum und schlüpfte in Hos' und Schuh'. Mehr als verdutzt fragte mich die Büddenwarderin nach meinem Begehr. Das war ihr noch nie vorgekommen, daß ich mich sonntags freiwillig außentürmäßig dreßte. Kirschen, stöhnte ich lustvoll. Auch am Montag wolle ich im Büro nichts anderes als Kirschen. An jeder zweiten Biege hier gäbe es Obstbauern. Da müsse doch einer in der Nähe noch ein paar in seinem Giftschrank versteckt haben. Mein mit gutem Orientierungssinn (ex oriente lux!) gepaarter Instinkt (neudeutsch: Bauchgefühl) ließ mich auch dieses Mal nicht im Stich. «Süßkirschen» verhieß ein kleines Schild in Richtung einer dieser hierzulande zahlreichen winzigen Sträßlein, die äußerst selten ins niemandes Ranch und meist zu mittleren Gehöften führen. Zwei, dreihundert Meter weiter dann: «Schattenmorellen.» Ich war so auf Droge, sogar diese leicht säuerlich nach Herbst klingenden, eher hellroten Gewächse hätte ich genommen. Aber: geschlossen. «Ab 27. Juli.» Weiterfahrt durch die Felder und die Auen. Riesige Pferdeäpfelzuchtstationen. Aber keine Kirschen. Dann irgendwann die Büddenwarderin: «Da, Kirschen!» Ein kleines Schild an einem weit abgelegenen Hof. Das Tor weit geöffnet, aber wochenendliche Stille. All meinen Mut nahm ich zusammen, der Geschmack von Kirschen verdrängte sogar meine übermächtige Angst vor Höfe hütenden Hunden. Nun gut, die Büddenwarderin, Schmieds Töchterlein seit sechhundert Jahren, gab die Avantgarde. Und tatsächlich, der Herr über die Kirschen stand vor uns. Und freute sich. Denn wir nahmen auch die geplatzten. Eine Kiste. Und eine mit Schattenmorellen gleich dazu, eildieweil: Hochgenuß an Pfannkuchen. Am Montag sei endgültig Ende, meinte der leicht bedröppelt dreinschauende Bauer. «Die Stare», nickte die Büddenwarderin heftig in ihrer fröhlichen Weisheit. «Nein», lautete die Entgegnung. «Der Regen.» Er freute sich vermutlich in erster Linie dann ein wenig darüber, daß wir klaglos auch die geplatzten nahmen. Sie sind nämlich nicht zu verkaufen. Nicht nur der Groß- oder auch Kleinstädter mag sie nicht, ebenso der Landbewohner. Der hat seinen letzten Kirschbaum bereits zu Zeiten der Holzniedrigpreise auf dem Oster- oder Sonnwendfeuer verheizt und die Brombeer- sowie Johannisbeersträucher gleich mit und anschließend sein Grundstück grün betoniert. Macht alles Arbeit. Sie alle wollen zudem die edlen, in praller Jungfräulichkeit leuchtenden Früchte, keine mit Kerben und Schlitzen. Da zahlen Sie den doppelten Preis für die Elite unter den Kirschen. Auch wenn die geplatzten mindestens genauso gut schmecken und im vollen Saft stehen. Und geplatzt sind neunzig Prozent. Zehn Tage hintereinander habe es geregnet, meinte der Obstbauer, dabei ein wenig traurig nickend. Zwei Euro das Kilo hat er haben wollen dafür. Daß er trotzdem rauf muß auf den Baum, um sie runterzuholen für uns, danach fragt keiner. Das sind schon Verluste. Bereits die Erdbeeren waren ja recht angegriffen. So erklärte mir vergangene Woche meine ganz persönliche Züchterin Frau Antje jedenfalls den wesentlich niedrigeren Preis als beim Discounter. Bei ihr schmecken sie ganz besonders fein. Sie sind aber auch empfindlicher, da sie die Chemieindustrie nichts verdienen lassen will. Die Feuchtigkeit läßt sie auch rascher verderben. Also müssen sie schnell verkauft werden. Den Leuten ist das egal. Sie fahren trotzdem aus dem Dorf hin in den kleinstädtischen Supermarkt. Und dort gibt es sie schließlich das ganze Jahr. Sie schmecken zwar genauso wie Tomaten oder Paprika oder Kartoffeln. Aber sie sehen gut aus. Und garantieren überdies chemischer Industrie und Großgrundbesitzern das kärgliche Überleben. Deshalb stellt sich auch die Frage, wozu wir in ländlichen Gebieten noch Bauern brauchen. Erd-, sowie Himbeeren oder Kirschen et cetera kommen doch ohnehin allesamt aus der spanischen Wüste. «Das Gejammer über niedrige Milchpreise können wir nicht mehr hören. Wir sind nicht dafür da, überkommene, nicht mehr zeitgemäße Industriezweige mit Almosen aus unseren Steuergeldern am Leben zu erhalten.»
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