Meerbuschschaumsauce an linksrheinischem Kaviar, hinuntergespült mit Moëtschangdong. Da fehlt tatsächlich nur noch Verona, la colonne commémorant une victoire, die Siegessäule des gesellschaftlichen Aufstiegs. Hoch das Bein, die Markenliebe winkt, die Luxusgüterindustrie braucht Soldaten. Der Lachs im Rhein fällt (mir dabei) ein. Der war, wie andere Fische auch samt deren Eier, früher, aber allzu lange ist das noch nicht her, mal ein Arme-Leute-Essen. Das läßt mich ausschweifen. Von Jochen Gerz hatte ich einst einen Vorläufer seiner sozial anmutenden, jedenfalls das Gesellschaftliche plastizerenden Bilder im Büro hängen. Bis mir jemand die Revolution klaute (leider darf ich es, obwohl ich's gerne täte, hier nicht abbilden, da es sich nicht mehr in meinem Besitz befindet und ansonsten der Nachfolger von Herr Pfennig von Bild-Kunst böse mit mir würde). Der Diebstahl geschah zu der Zeit, als die vom Geld Beseelten in der Kunst allen Unkenrufen zum Trotz verstärkt Mehrwert zu sehen begonnen hatten. Auf eine Verbindung zum Leben, gar auf einen Blick zum Hintergrund der Straßen von '68, auf die Idee wäre der Dieb wohl eher weniger gekommen. Mich treibt das allerdings jetzt zur geradezu gnadenlosen Ausschweifung, abseitig den Titel eines der gerzschen Kunststücke zu paraphrasieren: Der Stein will zurück zur Schleuder. Die Brut will zurück ins Nest. Oder vielleicht auch so: «Der Stein ist viel zu groß (geworden), um je wieder zurück zur Schleuder zu finden.» In verdrängter Kenntnis einst gar nicht so fröhlicher Urständ' niederen Standes essen sie (wieder) das, was in ihrer Mutter Bauch auf den Tisch kam. Und sie nehmen es dort zu sich, wo das herkünftig schlichtere Volk sich während der Eiszeit versammelte: an der Bierbude, die ich in Frankfurt am Main als Wasserhäuschen kennenlernte, allgemein Kiosk genannt. Aber mit solchen massenhaft auftretenden Geröllhaufen wollen die von der neuen Liberalität hochpolierten Findlinge nicht verwechselt, in Verbindung gebracht werden. Die Russenmafia in der Tatort-Dramaturgie drängt sich mir im weiteren auf. Die hatte ursprünglich auch kein Geld, kam dann irgendwie doch dazu, wenn auch weniger über den Handel von Versicherungen. Der hat seinen Ursprung vermutlich in der niedersächischen Landeshauptstadt. Nein, die heißt nicht Großburgwedel (wo sich übrigens mittlerweile auch der kleine Bürger dringend eine Kunsthalle wünscht; nun ja, auch die neuere Jungbäurin würde nicht in ein altes Haus hineinheiraten). Wenngleich sich das aufdrängt, geht es doch um Meerbusch, offenbar vergleichbar mit Pulheim, «Ministerpräsidentenheimstatt und Wohlstands-Kommune». Überhaupt dräut über mir der Verdacht, im Land der Unterirdischen könnte es noch mehr Emporkömmlinge nicht nur aus dem Bergbau geben als im Land, das vor einigen Jahren angetreten war, die Republik zu dirigieren. Doch der eine zog sich zurück nach Rußland, womit ich selbstverständlich keinerlei Assoziation zu exkommunistischen Triaden herstellen möchte, also solchen Führungskräften, die die Sozialisierung von Banken eingeleitet und deren Schuld den Glaubenden an das Gute in den Politikern überlassen haben. Und ein anderer zog es vor, sich bei schmaler Vorruhestandsrente in sein schlichtes Heim einmauern zu lassen, das Abbild seiner formalästhetischen Utopien, auch seinen geistigen, seinen spirituellen Fähigkeiten entsprechend. Mein Haus ist mein Schloß, wie der an die Immobilie glaubende Engländer zu sagen pflegt, oder auch Burg, wie der dem Mittelalter offensichtlich nicht auskommende Deutsche das übersetzt, da mag's noch so gezogen haben im Wohnturm neben dem Bergfried oder der Kot stinkend durch die, das Reinheitsgebot noch ignorierend, niedlichen Baden-Badens oder Rottenburgs und der Oos' und Neckars geflossen sein. In einer der von Deutschen sehr geschätzten, mit Intellektuellen besetzten öffentlich-rechtlichen Gesprächsrunden entgegnete einer, der sich als Investment-Punk darstellte, einem anderen, der für ein Anhalten des Wirtschaftswachstums, für ein gesellschaftliches Umdenken, für eine Rückkehr zur Kleinteiligkeit auch des Werkens und des Handels, partiell auch in überschaubaren Währungen plädierte, diese Ansichten seien mittelalterlich, und er vergaß nicht anzufügen, überdies rechtsradikales Gedankengut. Der wirkliche Punk sei die Freiheit der Geldvermehrung. Sie allein mache die Menschen frei. «Ich tue all die Dinge», äußerte er in Der Aktionär, «von denen die meisten von euch nicht einmal zugeben, dass sie von ihnen träumen. Ich wohne an den feinsten Adressen von Frankfurt und Wien, besitze Luxusautos mit insgesamt mehr als tausend PS, esse in den besten Restaurants, tanze in den angesagtesten Clubs und treffe die schönsten Frauen der Welt. Ich bin 34 Jahre alt und gehöre zu den Leuten, die ihr Finanzjongleure nennt.» Irgendwie habe ich Punker anders in Erinnerung, wie auch die Skinheads mal alles andere als national, sondern eher links, also richtig soziale, um den bösen Ausdruck sozialistisch in diesem Zusammenhang zu vermeiden, Wesen waren, da mögen sie noch so komisch ausgesehen haben. Aber so ist das eben: Wen die Mode einholt, der kommt in ihr um. Die spezifischen Wasserhäuschen von Meerbusch sind ihr unterlegen. Der asoziale Mob im kleineren Format hat sich ihr bemächtigt, jetzt hält er punkig Hof. Der heißt jetzt Party, und aus dem fidelen Hüpftanz Gaillarde wurde auseinander getanzter Rock'n'Roll in quasi analog gemäßigter Form, vermutlich weil der mit Überwurf ein allzu proletarisch-revoluzzerisches Gefühl aufkommen lassen könnte. Auch Lieschen und Fritzchen wollen mit dabei sein, wenn die Hofpost abgeht, wenn das Haupt wie zu des Sonnenkönigs Zeiten höfisch erhoben wird. Da die sich den von Film und Fernsehen erleuchteten Glanz und Glimmer jedoch nicht leisten können, pumpen sie sich ihre Louis d'or für ihren Tanz um die goldenen Kälber, für ihre Karossen und Hofkostüme eben zusammen. Anderslinksrheinisch werden die gehobenen Lieschen und Fritzchen Marius et Jeannette genannt. Deshalb komme ich auf Louis d'or; er habe ein Lied für die Deutschen geschrieben, teilte einst Hofmann von Fallersleben von Helgoland seinem Verleger Campen mit, aber es koste vier «Louisdor. An Bord des Schiffes spielte die Kapelle für die Franzosen die Marseillaise, für die Engländer ertönte ‹God save the King›, für die Deutschen aber blieben die Bläser stumm. Diese Situation empfand der politisch engagierte Passagier schmerzlich.» So steht's im Bildungswerk. Marius et Jeannette scheinen mir allerdings noch ein wenig mehr als anderswo einem Bewußtsein anzuhängen, ein anderes Verständnis von Freiheit als das unseres Neopunk dürfte als Rudiment des Wissens in deren Köpfen dümpeln. Es mag am linksrheinisch tiefergehenden Unterricht gelegen haben, der die Erleuchtung durch Aufklärung stringenter oder überhaupt thematisierte. Die führte zur Moderne, und die wiederum verhieß in der Folge Reichtum, zumindest Wohlstand für alle. Ingang gesetzt wurde das zu Zeiten, als das Volk sich dank Denis Diderot und dessen Mitstreiter seiner Unzufriedenheit bewußt geworden war. Der König meinte irgendwann, das solle ihm doch die Gründe dafür mitteilen. Sie ließen ihm massenhaft Carnets zukommen, Hefte voller Sorgen. Die viele Post wurde dem Herrn zuviel, so ließ er alles beim Alten. Da heraus entstand die Anekdote, nach der es wider besseres Wissen der Geschichtsschreibung immer wieder auch in öffentlich-rechtlichen Bildungsprogrammen heißt, die aus Österreich eingewandert wordene Antoinette hätte gesagt: Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie eben Kuchen essen. Etwa dreihundert Jahre nach den Anfängen der Moderne beherzigen sie das. Nur noch Kuchen wollen sie, aber nicht etwa Brioche, was, hätte sie's gesagt, die Königin damit gemeint haben dürfte, sondern lauter leckere Törtchen, am liebsten mit edlem, zart perlendem Wein gefüllte. Erweitert könnte die Metapher auch Kaviar an Meerbuschschaumsauce an der Moëtschangdong-Bude heißen. Wasser am Häuschen ist aus. Sie haben es zu etwas gebracht. Und das sollen alle sehen. Mein Haus, mein Auto, mein Konto, das gehört allenfalls zum Niederadel. Dem kuckt aber doch keiner zu. Sie wollen hochadelig sein. Ihnen soll der Zwölfender gehören, der sich bei ihnen als der mit zwölf Zylindern und hunderten vorgespannten Edelpferden zeigt. Wo auch immer sie sich die zusammengehandelt, wenn nicht gar -geklaut haben. Die anderen, denen sie das gerne zeigen würden, zu welcher Pracht auch sie es gebracht haben, die bleiben allerdings zuhause oder unter sich, trinken, wenn auch lediglich zu besonderen Anlässen richtigen Champagner und nicht solch eine Allerweltsplempe, wo kein Inhalt drinnen ist, sondern nur ein Markenname die Äußerlichkeit kennzeichnet, und die essen auch nicht nachhaltig Biokaviar und spenden anonym für die Tafel. Sie sitzen an ihr. Manchmal treffen sie sich mit anderen, um sich auszutauschen.Und sie behalten ihre Louis d'or im Trésor, haben diese Münzen ohnehin nicht in Ecu umgewandelt, wie der Euro beinahe mal geheißen hätte. Und sie tun vor allen Dingen eines nicht: Sie sprechen nicht darüber.
Lokale Politiker und (ihre) Geschichte Gestern habe ich erzählt bekommen, was die Abkürzung NMW bedeutet: Niemand Will Mich. Ich möchte auch so ein nettes Kraftfahrzeugkennzeichen. Bereits angemeldet habe ich die Okkupation des für mich idealen Gartenhäuschens, das mich an einen wunderschönen Hinterhof in Speyer erinnerte, wo nicht nur mir alles so toskanisch erschien. Immer noch zarte, familiare Bande haben mich nämlich, wie ich bereits Jagothello verkündet habe, ob er wollte oder nicht, in meiner elektrischen Kladde bin ich gnadenlos, mit einem Ort verknüpft, der ein paar Minuten zu Fuß nur von der Trave entfernt ist, fast an der Ostsee, also in einer Gegend, wo man in den Städtchen und Dörfern die DDR immer noch ein wenig erkennen kann, sie spürt, nicht zuletzt durch die Grußfreundlichkeit gegenüber Fremden, und wohin eine andere junge Frau, das sich in den Endspurt ihrer Dissertation begebende, für mich seltsame Axolotl-Forschung beziehungsweise die von Auswirkungen von Genmanipilationen auf Tiere betreibende Töchterlein, vermutlich in Bälde hinziehen wird, zu ihrem Wirtschaftsingenieur, der nach einem Kohlenpott-Zwischen(aufenthalt)halt in die Heimat zurückgekehrt ist und dort bleiben möchte und sich deshalb im Osten ein nahezu perfektes, Ziegel auf Ziegel handgemauertes, durchaus großzügiges und auch noch unterkellertes Haus für wahrlich günstiges Geld gekauft hat, quasi hautnah der Ostsee und dennoch in der Nähe des lübeckschen Arbeitsplatzes. Ich verstehe es gut, denn es ist wirklich sehr schön dort auf diesem Land mit den wunderschönen Alleen mit alten Bäumen, die man nicht umgenietet hat zugunsten eines «schnelleren Verkehrsflusses». Und aufrichtig freundlich sind sie auch noch, die Ossis aus dem dem ehemaligen, strengstens bewachten Sperrgebiet. Es ist von jeher ein Mechanismus in mir gewesen, der immer dann, wenn sich ein Bezug zu einem neu kennengelernten Ort hergestellt hat, bei mir die Neu-, nein — womit ich wieder bei den Sprachverdünnungen oder -verunfallungen bin, denn früher unterschied man mal zwischen Neu- und — Wißbegier auslöst. Also habe ich ein wenig geschnüffelt, es ist heutzutage schließlich via Internet ein leichtes beim Gehen den Boden zu berühren. Man muß nicht mehr stunden-, ach was, tagelang in Stuben der Archivierung hocken und suchen. Ein Klick und die Offenbarung der Wahrheit tut sich auf. Nehme ich's mal ein wenig zurück und setze für Wahrheit Realität ein. Die kann erschütternd sein. Das zu erkennen, dazu benötige ich nicht einmal die Schnipselwirtschaft des ehemaligen obersten Verwalters und heutigen, von diesem ganzen Volk unbedingt gewollten Präsidenten der deutschen Demokratie-Monarchie. Sie bietet auch so Tristesse genug. Aber das muß kein typisch ostdeutsches Problem sein. Da dürften Ost und West eindeutige Gemeinsamkeiten aufbieten, sie dürften seit Urzeiten quasi (wieder-)vereinigt sein. Historie im eigentümologisch zutreffendsten Kleinstbürgerformat. Man mag das sehen oder interpretieren, wie man mag. Ich gebe mit Wikipedia eine Denkkrücke. Wobei ich dabei vor allem Charles Dickens assoziiere, er schildert den gutmütigen Spießer — gemeint sind Menschen, die einer oberflächlichen Geselligkeit frönen und sich zudem gerne in Vereinen aufhalten. Harmlose Scherze und eine Art familiäres Treiben herrschen vor. Die bösartigen Varianten von Spießern tauchen bei Honoré de Balzac in seinem Roman Die Kleinbürger auf, den Gehässigkeit, Klatschsucht, Verleumdung und Verrat, Dünkel, Besserwisserei und Aufgeblasenheit auszeichnen. Der Untertan in Heinrich Manns gleichnamigen Roman von 1918 ist ein autoritätshöriger Opportunist, Mitläufer und Konformist. Vieles daran erinnert an Adornos «Autoritäre Persönlichkeit».Aber vielleicht treibe ich's dabei wieder etwas zu weit. Wie auch immer: «Selmsdorf — Geschichte und Geschichten», lese ich also «— ein Heimatbuch. Fertig ist das Werk bis heute nicht — zum Verdruss von Gemeindevertretern, die nun vehement forderten, den Teil, der fertig ist, zu veröffentlichen und ihn später mit ‹Beiheften› zu ergänzen.» Ja, so sind sie, die Politikusse. Eine Historikerin arbeitet an einer Dorfchronik. Den Gemeindeherren geht das nicht schnell genug. Rom sei, möchte man anmerken, auch nicht an einem Tag archiviert worden. Auch oder gerade wer in einem ehemaligen Dorf des mißverstandenen Sozialismus nach hinten blicken soll, der benötigt eben seine Zeit, das geht nicht so rasch wie eben mal bei Wikipedia kurz reinschnuppern, wo immer alles parat nachzulesen steht, ob's nun seine Richtigkeit hat oder nicht. So argumentierte die Geschichtsforscherin Christiane Woest denn auch vehement dagegen, wie es in der Seite des Selmsdorfer virtuellen Rathauses heißt. «Ein Archäologe hört auch nicht mitten in der Arbeit auf.» Detlef Lüth von der Wählergemeinschaft Bürger für Selmsdorf hielt dagegen: «Es wird immer so sein, dass es neues Material und neue Erkenntnisse gibt.» Lüths Vorschlag: ein Teil der Chronik vorweg herausgeben und später ergänzen. Wer behütet mich, für andere kann ich nicht sprechen, kleinen Bürger (eins siebzig, ich nähere mich zusehends napoleonischer Größe), mich virtuellen Einwohner von Selmsdorf eigentlich vor solchen politikdenkerischen Anregungen? Hat das sich immer schneller drehende, westlich-kapitalistische Rad der unaufhaltsamen Geschwindigkeit den Osten endgültig erreicht? Die DDR-Literaur ist schließlich auch nicht an einem Tag geschrieben worden, ja nicht einmal innerhalb eines solchen auf der Müllhalde gelandet und auch nicht in Lagerhäuser des Westens gerettet worden. Soll damit demonstriert werden, daß es ein Ende haben muß mit dem Denken, das nunmal seine Zeit braucht? Seriöse Geschichtsschreibung ist nunmal kein Häppchen nach dem Prinzip Bürger ißt Burger, zu dem ich gestern auf dem Weg in den endgültigen Osten mehr oder minder gezwungen ward. (Nein, ich mag diesen Schnellfreßfraß einfach nicht. Ich habe ihn mal wieder geko..., na, probiert eben. Und Pommes frites könne sie auch nicht. Auch die mache ich viel besser, und zwar aus richtigen Kartoffeln und palmölfreiem Fett.) Wer bei einer Dorfchronik in diese Richtung denkt, der hat Geschichtsschreibung immer noch nicht verstanden. oder will das ger nicht «Am Sinn des Buches», heißt es im virtuellen Rathaus von Selmsdorf, «zweifeln die Gemeindevertreter nicht. ‹Ich glaube, dass die Nachfrage für eine Chronik hier in Selmsdorf da ist›, sagt Marcus Kreft. Das Buch eignete sich beispielsweise als Geburtstagsgeschenk.» Für einen Lokalpolitiker vielleicht. Mir schwebt dabei vor, was solch eine Chronik möglicherweise noch zu leisten vermöchte, wenn man ihr nur Zeit genug läßt: den etwas intensiveren Blick nach innen vielleicht. Aber ich fürchte, daran könnte ein größeres Interesse nicht bestehen, weil man Geschichte lieber wie Kreischgymnastik für wenigstens alterstechnisch ziemlich weit Fortgestrittene, wie ein Schlagertralala der Art eines Kessel Buntes vom Verwahrsender des auf ewig Gültigen, dem Mitteldeutschen Rundfunk, oder etwa nach dem Verständnis von Guido Knopp aufgeführt wissen möchte. Bei meinem Verständnis von Geschichtsschreibung könnte beispielsweise die Suche nach Demokratischer Identität ausschlaggebend oder wenigstens hilfreich sein. Ach, Häppchenkultur.
Virtueller Stammtisch der Duodez-Finanzwelt Karl Wilhelm Goebel hat in seinem Blog Großburgwedel, der neuen Heimat eines ehemaligen deutschen Bundespräsidenten und der deshalb wohl, das stelle ich jetzt mal so in den Raum, vom Autor Super City genannt wird, vorwärtsschreitend und rechtschreibreformerisch auch noch mit ss geschrieben, obwohl dazu nun wahrlich kein Anlaß besteht, den Euro abgehandelt (ich schätze die twainsche Parenthese überaus). Anregung war ihm der neueste Erguß des einstigen (Mit-)Führers der Deutschen Bundesbank. Für den will ich nun wahrlich keine Werbung betreiben, aber ich möchte mich den Worten sowohl Goebels anschließen, der auf «eine erfreulich sachliche Kritik» im Zürcher Tagesanzeiger hinweist, als auch dem Verfasser des Artikels, Philipp Lüpfe, der eingangs schreibt: «Wegen des Buches gegen islamische Zuwanderung ist Sarrazin zum Feindbild der Liberalen und Linken geworden. Aber es wäre dumm, sein neues Buch deshalb von vorneherein zu kritisieren oder gar totzuschweigen. In der Eurofrage ist Sarrazin wahrhaft kompetent.» Mir schwebt dabei vor allem die nicht nur von François Hollande gestellte Forderung vor, der — das aber lediglich nebenbei, diesen von mir aus verschiedenen Gründen als höchst unangenehm empfundenen Herrn Schäuble als Eurogruppenchef, als Nachfolger von Jean-Claude Juncker ablehnt —, der der Meinung ist, die selbstherrliche, das sind nun meine Worte, man möchte meinen, sich mittlerweile unangefochten wie eine europäische Duodez-Fürstin oder Königin oder gar wie eine napoleonische, also selbsternannte Kaiserin der alten Finanzwelt, sich also selbst verherrlichende Frau Merkel den Fuß von der Bremse nehmen soll, deren Wirkung vor allem andere, quasi minderbemittelte benachteiligt. Es «entstünden», so Burkhard Hirsch, verlinkt von meiner als persönlich empfundenen Vorleserin und als weitere hiesige Nebenbeidreingabe, «immer mehr Regelwerke durch gewählte Vertreter, die sozusagen losgelöst von den Bürgern unter Fraktionszwang entschieden würden. Nach Ansicht Hirschs entfernen sich die Politiker in bedenklichem Ausmaß von ihren Bürgern.» Nun will ich mich nicht neuerdings als Fachmann des fließenden oder stockenden Geldes emporstilisieren. Aber die hiesige elektrische Kladde ist nunmal so etwas wie ein virtueller Stammtisch, so etwas wie weiland der tatsächlich existente, neudeutsch analog genannte, jour fixe, die freitägliche heure bleue, quasi die heure de grande écoute der Hyde-Park-Redner in den münchnerisch universitätsvierteligen Café et cetera über das Zentner bis zum endlichen Cocorico (siehe Kneipenzickzack) des Laubacher Feuilletons, wo bei Bier, Wein und sonstigem Spirituellen die Ideen so manches Mal nach Druck auch andere heftig erquickten, dem einen die Zehennägel aufrollte und der anderen die Brüste nach oben stülpte, und an dem gebe ich zum besten, was ich von einem, wie mir scheint, schweizerischen Experten in den Raum gestellt wurde. Das Resultat ist eine qualvolle Phase des sogenannten Deleveraging. Konsum und Investitionen werden auf ein Minimum reduziert, alles steht im Zeichen eines Schuldenabbaus. Tritt der Staat gleichzeitig auf die Schuldenbremse, droht eine Verelendungsspirale wie zu Zeiten der Grossen Depression. Das Sparen des Staates hat paradoxe Folgen: Die Schuldenquote, gemessen am Bruttoinlandprodukt, steigt. Im Klartext: Sparen führt nicht zu weniger, sondern zu mehr Schulden.Nun mag der Knüppel der Kritik der Sachverständigen aus dem Sack hüpfen und auf mir tanzen.
Mein Tag der (R)Evolution. Einmal will auch ich politisch aktuell sein, da es mich am meisten bewegt. Denn heute ist (m)ein Tag der Entscheidung, dem ich dauerwütend seit längerem entgegenzittere. Die Anhänger von Marine Le Pen, gegen deren 2002 in die Stichwahl gekommenen Vater, aber auch gegen Sarkozy ich vor der letzten Wahl auf die Straße gegangen bin, gehen davon aus, daß sie spätestens zur übernächsten Madame le Président werde. Nun gut, was die Fangemeinde sich so ausmalt. Aber die Gefahr ist groß, ein bißchen übel wird mir dabei durchaus. Schon zu ihres Vaters Jean-Marie Regentschaft war es zum Beispiel in Marseille schier unmöglich, einen der kleineren Läden zu mieten, etwa Bar-Tabac, Journal et cetera, im 1. Arrondissement, also im Zentrum, im weitläufigen Bereich des alten Hafens bis hinauf in den multikulti-geprägten, ältesten Stadtteil Panier, aber durchaus auch in weiter weg gelegenen Quartiers, war man nicht Mitglied oder zumindest Sympathisant des Front National. Tochter Marine hat ihn nun mit Weichmacherparolen geöffnet. Doch manch einer derjenigen, die gewiß oder eigentlich überhaupt nicht in das Weltbild dieser Hasser all dessen passen, was ihnen fremd erscheint, hat sich ihm bereits zu Papas Zeiten zugewandt. Es gab viele Schwarzfüßler und sogar einige Beur, die für Rechtsaußen gestimmt haben, also für die, die sie dorthin zurückjagen wollen, wo sie nach Meinung der Frontkämpfer hergekommen sind, nach Afrika, unabhängig davon, ob sie fürs Land in den (Algerien-)Krieg gezogen sind, im Heimatland geboren und auch dessen Staatsbürger sind. Die sowie überhaupt viele Kleinstbürgerliche etwa aus dem Lager der Ladenbesitzer, da wären Bar-Tabac, Zeitungen oder Kleinwerkstätten, aber eben auch die Bevölkerung der kleineren Städte und der Provinz, die von der ruhmreichen Kolonialgeschiche des Landes nichts oder nichts mehr wissen wollen, machen einen großen Teil der potentiellen Wählerschaft aus. In diesem Gewässer hat Sarkozy nun um die Gunst des Èlecteur gefischt. Das hat ihm noch einmal ordentlich Gegensturm ins Segel geblasen, so daß gar der durch-und durch-altbürgerliche Bayou (wie Madame le Pen selbst) zur Stichwahl die Empfehlung verweigert hat. Ob's zur Abwahl reicht, bleibt offen, aber ich bin guter Hoffnung für morgen. Die gegen vermutlich erhebliche Stimmengewinne von Marine le Pen in fünf oder zehn Jahren ist allerdings bereits entschwunden. Auch hierbei bin ich froh, nicht mehr zu den Jungen zu gehören, nicht nur zu denen, die der amtierende Monsieur le Président einst wegkärchern wollte.Da also die bittere Realität aus dem Phantastischen der Reise durch das All herausragt oder auch ein Thema für sich ist, stelle ich ich meine Antwort auf den Kommentar der Kopfschüttlerin aus dem fernen kurz vor Moskau auf Seite eins beziehungsweise reihe die dazugehörenden Passagen noch einmal in einer neuen, meiner Ordnung auf. Ich tue das auch, weil erfahrungsgemäß Kommentare häufig nicht gelesen werden, weil der Mensch an sich dazu neigt, nur das zu lesen, was auf der ersten Seite steht. ich las heute in der berliner zeitung: Der Wahlsieger in Frankreich wird damit leben müssen, dass sein Erfolg auch vom Votum einer erstarkten national-istischen Rechten abhängt, die die französische Politik künftig stärker als zuvor prägen dürfte.Links zu verlinken, ist kein Tabu im hiesigen kleinen Häuschen, auch die rechte(re) Welt bietet Information, an die ich häufig nicht gelange, da ich sie, wie auch den Freitag, nicht regelmäßig lese, Glücklicherweise habe ich eine Vorleserin. Ein Tabu wäre allenfalls der allzu einschlägig vierbuchstabige große Bruder dieser Springer-Presse, deren Gegner ich war, bin und bleibe, auch wenn ich zugestandenermaßen eine Zeitlang selbst zum Konzern gehörte, wenn auch in einem Verlag weitab politischer Meinungsbildung, der dann an ein anderes Haus verkauft wurde, zu dem ich allerdings mittlerweile auch keine sonderlich positive Meinung mehr habe. Was Lutz Herden im Freitag nicht berücksichtigt, obwohl er sich doch auf Geert Wilders bezieht: darauf hinzuweisen, daß dessen Umtriebe auch nicht gerade wütende Proteste seitens der EU-Politiker hervorrufen, wie auch in anderen Mitgliedstaaten unserer Union. Aber vielleicht sollte ich hier etwas moderieren. Es sind in erster Linie die immerfort die sogenannte Mitte propagierenden Medien zur Hauptsendezeit, die kaum etwas nach außen dringen lassen von den meist im Hintergrund stattfindenden Debatten um Ereignisse dieser Art. Im Vordergrund läuft eben das ab, was die breite, politisch nicht wirklich interessierte Masse bewegt, zum Beispiel die Versuche der dänischen Rechten, wieder Grenzkontrollen einzuführen. Wenn's um diese andere Art der freien Fahrt für freie Bürger geht, dann geht auch das Interesse des gemeinen Interessenten auf. Als Frau Merkel ihrem Galan ein Geschenk machen wollte und ihren Innenminister vorschickte, der daraufhin wahlk(r)ampftechnisch von temporärer Grenzschließung plapperte, was Merkozy logischerweise die abendlichen Nachrichten bei Bier, Kartoffelplätzchen und/oder auch alkoholgeschwängerten Praliné namens Cherie sicherte, da schauten sogar viele ins meinungsregelnde Staatsfernsehen hinein und ließen auch sonstige trittbrettfahrende oder auf Gleichschaltung bedachte Meinungsmacher nicht aus. Ich halte es schlicht für Unsinn, wenn in diesen Breitwalzmedien behauptet wird, es würde sich mit Hollande europäisch etwas ändern. Er wird allenfalls — hoffentlich tut er das tatsächlich, wenn er die Präsidentschaft übernehmen sollte — so manchen Fehler oder bewußt vergessene Versprechen von Sarkozy korrigieren und mal zu den Stahlarbeitern in die Lorraine oder zu anderen Hinterbliebenen der von Sarkozy extrem zugunsten des teuflischen Haufens geförderten Globalisierung fahren oder den Spekulanten den Hahn des sprudelnden Geldes ein klein wenig zudrehen, überhaupt die Binnenwirtschaft etwas zu beleben versuchen. Mehr zu tun, das wird auch ihm kaum möglich sein. Ein würdiger Nachfolger Mitterands — man mag über dessen Regentschaft denken, was man will — wird er kaum werden, dazu ist das Schiff Grande Nation bereits zu weit ins Universum entschwunden, um im dortigen Phantasialand nach großen nationalen Wundern eines neuen Lebens im alten zu suchen. Realität ist die in der europäischen Wiege vor sich hinschlummernde Petite Nation. Die große alte ist allenfalls noch in den geradezu wundersam existierenden Kolonien zu besuchen. Wer die bezahlt, das wird nicht weiter erörtert. Es ist aber auch zu großartig, per Inlandsflug nach Guadeloupe, nach Martinique oder nach Réunion zu fliegen, wo man, so es persönliche Kontakte gibt, das Frankreich der fünziger und sechziger Jahre bestaunen kann. Mir hat mal ein Schwarzgekäuselter auf Martinique gesagt, nie würde er nach Europa ziehen, denn dort gäbe es das Mutterland schon lange nicht mehr, das wahre läge fernab davon, also hier. Ein Restaurant am Rand des Unversums. Viele auf dem alten Festland wollen einfach nicht wahrhaben, daß es nunmal die Grande Nation war, die soviel Buntes in den Kessel brachte. Das ist auch eine Art von Geschichtsbewältigung: die des Ignorierens von Wirklichkeit. Aber DOM-ROM gleich Départements d’outre-mer existiert nunmal, auch wenn die meisten nicht hinfahren, wahrscheinlich, weil es nicht zum Schengen-Raum gehört, man also nicht einfach mal barrierefrei zum Autobahnbrettern rüberfahren kann (wie umgekehrt die zu Feinschmeckern gewordenen Deutschen zum Billigeinkauf von tiefgefrorenen Schnecken, ja sogar, erst kürzlich selbst gesehen, von Froschschenkeln oder Crevetten aus den einstigen Atomversuchsgebieten). Auch an Nordafrika wollen viele nicht denken, obwohl das doch zu großen Teilen waschechte Franzosen waren, die dorthin übergesiedelt sind, weil ihre Trauben das Zeitliche gesegnet hatten und die dann nach dem Algerienkrieg als Pied-noir zurückwollten in die Heimat, dort aber nicht mehr gelitten waren, genauso abfällig behandelt wurden wie diese ganzen faulen Bastarde aus diesen Drecksländern. Gegen diese alle trat und tritt dieser kleinwüchsige Narkozy nun auf beziehungsweise aus, will sie, seit ihm die scheinbar königliche Macht dennoch abhanden zu kommen scheint, mehr noch als früher, also wenigstens geistig, da ihm seine allzu offen geäußerten brutalen Methoden doch einige verübelt haben, wegkärchern, er, dem große Teile der Bevölkerung vor fünf Jahren ihre Stimme gaben, weil sie davon ausgingen, daß ein Restimigrant wie er, ein vom Vater eingeschleppter Ungar, mehr Verständnis aufbringe für die Nöte der historisch Übriggebliebenen, zu denen auch die Beur gehören, die Nachkommen der Einwanderer aus Afrika, das war ja nicht nur Algerien, sondern noch einige Länder mehr, in denen die Tricolore wehte. Er meinte wohl, es würde ihm ausreichen, sich der Stimmen derer zu vergewissern, die immer daran glauben, es könne wirtschaftlich nur mit ihm und überhaupt aufwärts gehen, auch, weil er dieses Pack aus dem Land vertreiben will. Die hat er teilweise nun auch noch von ihrem bürgerlichen Glauben abfallen lassen, weil sie allesamt ihrem Katholizismus anhängen und ihn mittlerweile für einen Scharlatan halten. Es haben sich möglicherweise ein paar moralisch einwandfreie Evangelen daran erinnert, daß man ihre Vorfahren bis nach Preußen vertrieben hat. Ob François Hollande es besser machen wird, darf infrage gestellt werden. Er kann ähnlich werden wie François Mitterand, zumindest genauso höfisch agieren. Aber selbst unter diesem Aspekt hätte ich mehr Hoffnung als bisher. Lediglich der Gedanke an Marine Le Pen könnte sie ins Sterben schicken. Dennoch gehe ich jetzt zitternd um meine Stimme auf Sendeempfang. Vielleicht schreie ich heute abend noch einmal kurz auf. Aus Schmerz oder, hoffentlich aus Freude. Der Champagner liegt bereit. Im Keller ist's ja kühl genug. Im anderen Fall gibt's Pastis. Pur. Besser wäre Absinth. Wegen der Bitterkeit der Realität und zur Betäubung. Das käme der Flucht aus diesem schlechten Roman näher.
Durchs wilde Werbsurdistan Bereits Mitte der Achtziger setzte bei mir der Ärger ein. In den Neunzigern schien es für jemanden wie mich dann vollends unmöglich, ein Polohemd oder eine Hose ohne aufgenähtes oder aufgedrucktes Emblem zu erstehen. Wollte ich dennoch unbedingt ein Produkt bestimmter Fertigungsqualität haben, war es die Regel, daß ich oder besser eine weitaus geduldigere Freundin das Adelskennzeichen einer bestimmten Marke in fieseliger Arbeit vom Werkstück entfernen mußten. Es war zum Behufe der heutzutage so geschätzten Anonymität erforderlich, meist kleine Ladengeschäfte aufzusuchen, deren Produkte dann durchweg sehr viel teurer bezahlt werden mußten. Wollte das auf diese Weise oberflächliche Individuum unerkannt in der Masse verschwinden, hatte es dafür eben seine Gebühr zu entrichten. Doch selbst das scheint heute kaum mehr möglich zu sein, allenfalls ein paar Inselchen läßt die globale Klimaerwärmung noch aus dem angestiegenen Mehr des immer massigeren Geschmacks hervorlugen. Ähnlich den passiv Kreativen des Zuschauens beim Kochen dürfte heutzutage kaum noch jemand über Bekannte oder, wie das heute auf Globaldeutsch heißt: Friends verfügen, die beispielsweise einem wie mir einst eine Breitcordhose auf den Leib zu schneidern vermögen. Gebannt schauen sie im TiWie oder eher noch im worldwide Net in der Tube den alten Meistern dabei zu, wie die Schuhe klöppeln, die einem zwanzig und mehr Jahre an den Füßen bleiben, um dann in den Laden einer zumindest europaweit vertretenen Kette zu entschwinden und sich ein paar dieser Treter zuzulegen, in denen stehend einst ein Minister der Partei gekürt wurde, die einmal fürs Selberhäkeln und -stricken im heimischen Gärtchen stand und die für mich nicht erst seit heute als Synonym für eine weltläufige Pseudoindividualität steht, quasi als Vorbild für eine einzige politische Glaubensrichtung, die sich quer durch alle Parteien ausgedehnt hat, also ein einheitliches Bild nicht nur deutscher, sondern durchaus auch europäischer, ach was, euroglobaler Gemeinschaft herstellt. Phom hat ein überzeugendes Bild gemalt. Es ist geradezu dreidimensional. Es ist derart plastisch, daß ich an die Lehre erinnert werde: Man habe, um alle Nuancierungen zu erkennen, um die Skulptur, um die Plastik herumgehen. Oder diese Variante: Das Kind hebt das Gemälde von der Wand weg an, um dahinterzuschauen, in der Wißbegier, was sich dahinter verbergen könnte. Ursprünglich wollte ich bei Phom lediglich einen Kommentar abgeben. Ich habe ihn hierher verlagert, da es auch mein Gedankenbild ist. Das mag man Piraterie nennen, doch eher tendiere ich zu der hier bereits mehrfach markierten These von Kurt Tucholsky: Es gibt keinen Neuschnee. Ein wenig erhoffe ich mir auch, auf diese Art des Kopierens den Betrachterkreis (s)eines Gedankengemäldes zu erweitern. Am liebsten würde ich komplett abschreiben. Aber dann käme ich mir vor wie ein allzu vom Urheberrecht befreiter Herr, vielleicht auch wie der Zuschauer einer Kochsendung, in der die Zubereitung feinster Meeresfrüchte zelebriert wird, der dann aber in den Supermarkt geht, um eine Packung mit Markenfischstäbchen zu kaufen. So getraue ich mich lediglich, ein Amuse-gueule zu servieren, das zudem meine Sichtweise hervorhebt: Man ahnt gar nicht, wie sehr Menschen heute bestrebt sind, zu Werbeträgern zu »avancieren«. Schüler tragen Y-Rucksäcke und Z-Schuhe, ein junger Herr trägt eine dieser Jacken mit dem bekannten Pfotenabdruck, ein anderer macht Werbung für den Kilimandscharo (nein, nicht das Bergmassiv!) und eine junge Frau wirbt für einen berühmten Handtaschenfabrikanten. Ein mittelalterlicher Herr wiederum schickt sich an, für das Unternehmen, dessen Name auf seiner Mütze steht, zu werben. In Anbetracht des Zustands dieser Mütze praktiziert er das auch schon eine ganze Weile. Unentgeltlich, vermutlich. Ein gewisser Landsmann stellt das wesentlich geschickter an — er könnte alleine durch das Tragen seiner Mütze das finanzielle Auslangen finden. Und dabei müsste er noch nicht einmal auf Gänsestopfleber oder Kaviar verzichten. In besagter Tram wird derweil ein nicht mehr ganz so junger Herr mit grau meliertem Haar nach der Uhrzeit gefragt. Er zieht einen Ärmel seines Sakkos hoch und legt damit eine Uhr offen, der deutlich ein Markenname eingraviert ist. Zur selben Zeit zeigen andere Leute draußen im Regen »Flagge«, indem sie ihre Schirme aufspannen, von denen etwa jeder zweite einen Werbeaufkleber trägt.Daß es Märkte geben muß, auf daß der heute beschönigend und irrwegführend zugleich Verbraucher genannte Konsument über das Angebot informiert werde, daran besteht auch für mich partiellen Verweigerer kein Zweifel. Ohne Propaganda wäre viel durchaus Nützliches noch immer nicht angekommen. Daß jemand wie ich bereits vor dreißig Jahren auch ohne Internet zu der Erkenntnis gelangt ist, daß ein Gurkenhobel aus Holz mit darin gebetteten Messern aus kohlenstoffhaltigerem Eisen nicht nur nachhaltiger, sondern auch wirkungsvoller ist als ein modernster aus erdöligem Kunstoff mit Wegwerfstahl, das mag am untergegangenen Bedürfnis nach tatsächlicher Information liegen. Es ist zur Randbemerkung verkommen. Aber daß es in der immer wiß-, richtiger: neugierigen Gesellschaft soweit kommen mußte, daß das ständig um Individualität bemühte Individuum derart die Orientierung verliert, bietet schon wieder eine Neuorientierung. In Phoms Heimatland heißt eine Religionssendung des Fernsehens bezeichnenderweise Orientierung. Interessanterweise ignorieren diese sich über Marken definierenden Individualisten die Tatsache, daß letztlich nahezu alles erforderliche Zubehör aus einem riesigen Lager des Ostens kommt. Aber dort wird bekanntlich das Licht angeknipst, dort geht die Sonne auf, die die Gemeinsamkeit im Guten und Großen voranbringt. Und die hat ihren Preis. Alles muß billiger werden. Da trägt man dazu bei, auch noch als kostenloser Werbeträger für die Senkung der Kosten zu sorgen. Das macht zwar ein paar wenige reich, aber die Masse arm. Doch wer gehört schon zur Masse? Wir sind allesamt Individualisten. Mein heutiger Kommentar möge bitte lediglich als erweiternde Reklamation eines mittlerweile endgültig ungläubig Staunenden gelesen werden. Allerdings belegt diese aus anzunehmenderweise jüngerer Perspektive geschilderte Werbung im Alltag, daß ich noch nicht ganz so abgeschrieben bin wie mittlerweile der größte Teil der Gesellschaft.
Krieg der Welten. Nationale Sozialisation. Ich bin, wie sicherlich viele andere auch, gewissermaßen abgestumpft. Es mag daran liegen, daß ich zu den ewigen Langsamdenkern gehöre, für die in einer sich immerfort modernisierenden Gesellschaft kaum Platz ist. Zwar bin ich immer irgendwie bemüht, die Ereignisse dieser Welt zu vertiefen und auf diese Weise differenziert zu betrachten, indem ich möglichst viele Einzelheiten heranziehe, die über die Oberflächlichkeit, bisweilen auch vorgefilterte Berichterstattung hinausgeht. Aber oftmals scheine ich angesichts der Masse der Vorkommnisse zu scheitern. So geschieht es immer öfter, daß ich mich in meiner zusehends verhärtenden Unbeweglichkeit und wohl auch altersbedingt auf Sicherheit bedacht auf das konzentriere, von dem ich meine, ohnehin etwas mehr davon zu ahnen. Daraus mag dann eben manchmal kalter Kaffee entstehen. Aus diesem meinem Zustand des Sedierten herausgerissen hat mich allerdings das Ereignis in Norwegen. Es geschah ebenfalls mit der mir obligaten Verzögerung, aber anders gewichtend als bei der Ungeheuerlichkeit dieses 11. Septembers vor elf Jahren, als ich nach einem lebensrichtungsverändernden Ereignis in einer lang, bis heute anhaltenden Phase der Rekonvaleszenz gemütlich im Lehnstuhl sitzend am Bildschirm zuschaute, wie ein Flugzeug in einen Wolkenkratzer raste und darin explodierte. Ich war sicher, hier müßte es sich um eines dieser fiktiven Realitätsvor- oder Nachstellungen handeln, mit denen wohl Orson Welles in Krieg der Welten 1938 angefangen hatte und die mittlerweile als beliebtes dramaturgisches Mittel nicht nur bei Privatfernsehsendern Konjunktur zu haben scheinen. Auch nachdem ich es ein fünfzehntes oder neununddreißigstes oder hundertstes Mal gesehen hatte, war ich mir nicht sicher, ob hier nicht doch ein paar ganz gewiefte Programmgestalter an der Schraube zur Einschaltquote gedreht hätten. Mittlerweile scheine ich tatsächlich an der Station angelangt zu sein, die Nonfiktionalität anzuerkennen. Beim Vorkommnis in Oslo und der niedlichen Fjordinsel vor einem dreiviertel Jahr hielt meine Begriffsstutzigkeit nicht so lange an. Vielleicht liegt es daran, daß meine Synapsen noch immer ein wenig von einst skandinavischen Heimatgefühlen durchpulst werden und ich nach meinen wenigen Besuchen im Nordwesten dem Völkchen so etwas wie familiar bestimmte Sympathie entgegenbringe, die in einer kulturellen Eigenständigkeit wurzeln könnte, die möglicherweise nur noch Randerscheinungen der großen Welt zu erbringen in der Lage sind. Andererseits mag es sein, daß ich ein aus grundsätzlicher Opposition heraus arg schlichter Befürworter von Minderheiten bin. Ich drücke den Färöer-Inseln sogar beim Fußballspiel gegen Les Bleus die Daumen, obwohl Frankreich meines Wissens nie versucht hat, diese paar Eilande zu kolonialisieren. Sozusagen nachhaltig erschüttert bin ich von der Tatsache, daß da ein einzelner einfach mal eben fast hundert Menschen dahinraffen kann, ohne daß die Polizei eingreift. In Frankreich wäre das nicht passiert, vermutlich noch weniger in Deutschland, jedenfalls nicht mehr nach dem Anschlag während der olympischen Spiele in München, als die Sicherheitshüter noch wirrer durcheinanderrannten als die vor einem knappen Jahr auf Utøya. Aber das ist wohl das Opfer, den die vom Frieden Bewegten zu erbringen haben. Und selbst wenn das norwegische Parlament reagiert hätte wie vermutlich das deutsche mit einer erheblichen Verschärfung der Gesetze, die Sicherheit wäre dadurch kaum erhöht worden. Wer wäre wirklich in der Lage, die auf diese Weise zu garantieren? Der Wirklichkeit des Wahnsinns, ob nun genetisch bedingt oder durch Sozialisation, ist nicht beizukommen. Man bleibt also friedlich bedacht da oben am nordwestlichen Rand des Weltgeschehens. In dessen alter, europäischer Mitte bewegt das Sicherheitsbestreben weitaus weniger. Selbst ein erhöhter Glaube an die Macht des Staates, der Staat selbst ist nicht in der Lage, Morde zu verhindern, obwohl er das eigentlich können müßte. 1972, so wurde mir kürzlich öffentlich-rechtlich zugetragen, saß eine Eingreiftruppe auf gepackten Gewehr- und wahrscheinlich auch Granatenkoffern, um den palästinensischen Attentätern Einhalt zu gebieten. Sie kam nicht zum Zug, da deren Existenz ein Geheimnis bleiben sollte. Denn er war für beziehungsweise von einem geheimen deutschen Dienst geschaffen worden, um im Angriffsfall durch die Russen diese quasi hinterrücks niederzukämpfen. Nun gut, das war kalter Krieg. Heute ist das kalter Kaffee. Aber ist es das auch angesichts eines heutigen Verfassungsschutzes und wer weiß wie vielen schnellen Arbeits- oder Einsatzgruppen, die nicht in der Lage sind, eine Ansammlung von Verbrechern daran zu hindern, andere Menschen umzubringen und weiterhin menschenverachtende Botschaften via Konzertveranstaltungen und ähnlichem zu verbreiten? Mir erscheint das als eine gegenteilige nationale Sozialisation. In Norwegen übersieht man, soweit meine Informationen dazu ausreichen, keineswegs die Problematik, die durch völlig irrwegig zusammengeschusterte historische Details zustandekommen können, gebündelt zu einem hochexplosiven Paket. Dennoch bleibt man gelassen, man setzt auf eine weitere, verbesserte Demokratisierung. Daran ändert auch nichts ein Laienrichter, der sich als ein nicht minder Verblendeter, letztendlich genauso als Radikaliist erweist. Der Rechtsstaat reicht dem Angeklagten zur Eröffnung der Schlacht die Hand und erteilt einem Platzverweis, der wie der vor Gericht Stehende zum Mord aufruft. Ich bezweifle, daß in Deutschland ein solcher Vorgang in ein paar Minuten abgewickelt worden wäre, auch, daß innerhalb eines so relativ kurzen Zeitraumes dieser Prozeß zustandegekommen wäre. Weit über zehn Jahre liegt es zurück, daß eine sich offenbar nach einer einst überaus volksbeliebten Motorradmarke nennenden Gruppierung angefangen hat zu morden. Deren Anfänge reichen noch weiter zurück, meines Erachtens nicht nur in die neunziger Jahre, sondern sie dürfte viel tiefer in einer Mentalität wurzeln, die bei weitem nicht alleine bei den Ossis zu suchen ist. Dennoch wird man nicht fündig. Ich mag nicht teilnehmen an einer deutschen Diskussion darüber, ob einem Breivik ein Portal für sein irres Weltbild geboten, ihm zugehört werden soll. Es existiert längst, auch im besten Deutschland aller Zeiten hat es seine Rénaissance erfahren. Aber machen wir's doch wie bei Radio Hirn will Arbeit. Dort, in der der wertfreiheitlichen Aufklärung verpflichteten öffentlich-rechtlichen Anstalt mit auffälliger Portalöffnung für diesen EINEN lassen sie einfach einen im Knast missionierenden Priester sprechen, der da in aufgekratzer Sanftmut meinen darf: Der Herr wird's schon richten, in etwa: ER wird alle (re-)sozialisieren und integrieren. Lasset uns glauben. Ob buddhistisch, christlich, jüdisch, muslimisch oder wie dieser angeklagte national-norwegische Kämpfer mit seiner Anti-Global-Ismus-Religion. Das rettet die Welt. Friede sei mit ihr.
Nach-Denkliches über Nachhaltigkeit Darüber spricht zwar niemand mehr. Aber nachdem ich auf der Suche nach der besten Ruhestätte bei die Fische, quasi beim Probeabtauchen oder Unterwassersurfen, nunmal darauf gestoßen bin, nehme ich mir das Recht heraus, diesen Teil der nachdenklichen gleich nachhaltigen Antwort auf meine Entgegnung kundzutun, die angesichts heutiger Lebensgeschwindigkeit einer komisch wirkenden Geschichtsschreibung vielleicht im Sinne einer Halbwertzeit des Wissens zuzuordnen ist, jedoch zugleich die Frage zu stellen: Wer, verdammt nochmal, ist Gauck? «Immerhin, Sie bringen eine Frage: Wie müsste denn ein akzeptabler Bundespräsident beschaffen sein? Nehmen wir sein absurdes Amt einmal als gegeben. Also, ich würde Loriot vorschlagen. Wäre er nicht so alt, würde ich diesen Vorschlag in aller Ernst-haftigkeit hier affichieren. Aber daran sieht man, wie ich mir so einen Bundespräsidenten vorstelle: Witzig, weise, unterhaltsam, integrativ. Oder nehmen Sie Dieter Hildebrandt. Es ist ja ein Show-Amt. Dafür benötigt man keinen Politiker. Es muss ein kluger, mittel-scharfer Kommentator seiner Zeit sein. Einer, der die Dinge auf den Begriff bringen kann und ihnen eine Pointe abnötigt. Kommen Sie mir jetzt nicht mit Harald Schmidt! — Ach, kommen Sie mir doch, mit wem Sie wollen! Nur Gauck sollte er um Himmels Willen nicht heissen.» Die Nachdenkliche Krankenschwester am 28. Juni 2010. Dazu Felix Bartels sozusagen letzte Worte. Ich, der ich mich im Wasser zuhause fühle wie das EiGelb im EiWeiß (all copyrightet by Apfelfeuilletons), habe mit vielleicht zwölf, eher etwas später erst schwimmen gelernt, und von einem solch wackeligen Brett zu hüpfen habe ich mich allenfalls zwei-, höchstens viermal getraut, aber auch nur, weil ich im Grunde ahnungsloser Frühreifling den Mädchen zeigen wollte, was ich für ein toller Hecht sei. Andererseits: Würde ein Hecht je von einem Brett in einen Dorfteich springen wie der Dotter in das Ei? Aber heutzutage ist ja so wunderlich viel anders als dieses damals, von dem zu schreiben quasi verboten ist, auch wenn man es selbst erlebt hat. Das bringt mich ständig irgendwie leicht ins verwirrte Grübeln darüber, ob man überhaupt noch eine Daseinsberechtigung hat als Übersechzigjähriger, Überfünfzigjähriger, Übervierzigjähriger, Überdreißigjähriger, Überzwanzigjähriger, Überzehnjähriger, bis zurück in die Gebärmutter der eigenen Mutter, vor allem, wenn der letzte Oralorgasmus weit hinter dem Horizont des damals liegt. Sinn-, verspätete Mittlebenskrise? Ist Essen doch der Sex des Alters? Aber vielleicht will ich mich lediglich davor drücken, weiter von der Liebe, von der auf dem flachen Land zu erzählen.
Gehirngespinste Kopfschütteln, quasi die Zweite, wieder anderes Thema. Ich kann's auch Exkursion nennen. Eine solche tat ich, seit langer Zeit mal wieder, seit dem Erblinden meines Geläufs. Auf der Suche war ich, nach der Sonne, die gestern noch schien. Doch nun auch hier: die Dunkelheit des zuhäuslichen Giftschranks hat mich wieder. Lesen und Schreiben ist meines Erachtens ein Prozeß, mittels dem nicht nur Informationen erfaßbar und vermittelt werden können, sondern auch zu dem verhilft, das viele so gerne einem Stirnband gleich auf Hirnhöhe vor sich hertragen: Kreativität, und sei es der, irgendwann virtuos Märchen als Geschichte(n) zu erzählen. Kurzum: Es fördert die Intellektualität, die vom Wortstamm intellegere abgeleitete Fähigkeit, sehen, erkennen, unterscheiden zu können. Ich kam 1998 in die unglückliche oder, wer weiß das schon, glückliche Situation, einen Dachschaden zu erleiden, der nicht nur mein Denken und damit Leben völlig verändern sollte, ihm fast eine Wende von hundertachtzig Grad bescherte, mich darüber hinaus in logischer Konsequenz auch über längere Zeit mit Neurologen zusammenbrachte, die mir nicht nur Logorrhoe und maßlose Wißbegier attestierten, die sie nach Untersuchungen meines offenbar zu Lebzeiten sezierten Gehirns feststellten, das durch eine offensichtlich genetisch bedingte Fehlkonstruktion, gleichwohl reparablen, Schaden erlitten hatte, unter anderem dem kollateralen, mich intensiv mit Gehirnforschung zu beschäftigen. So kam es während der bis etwa 2005 andauernden Diagnosendialoge immer zu anhaltenden Austäuschen — der Privatpatient ist auch oder gerade deshalb gern gesehener Gesprächspartner, auch Ärzte plaudern bisweilen nicht eben zurückhaltend, es ließe sich gleichwohl behaupten, sie stellen ihr Wissen hin und wieder etwas eitel in den Vordergrund —, in denen mir das eine ums andere Mal der Reim bestätigt wurde, den ich mir im Lauf der Zeit meiner Beschäftigung mit meiner oben gelagerten Festplatte gemacht hatte und das mir insofern verwandtschaftlich bestätigt wird, als ich als Opi Zeuge dessen sein darf, was Eltern vermögen, die ihren Kindern nicht nur lesen und schreiben beibringen, sondern sie dabei auch intellektuell befähigt erklärend begleiten. Auch die Gespräche zwischen mir und einem Freund, der sein gutes Geld zwar als Augenarzt verdient, aber sein Studium der Neurologie immer nicht nur im Blickfeld gehalten und obendrein fünf Kinder hat, bestätigen mir immer wieder aufs neue, welche Bedeutung das Lesen und Schreiben auf die intellektuelle Entwicklung des Menschleins hat. Am eigenen Hirn mußte ich zudem erfahren, wie wenig hilfreich es für diese Belebung des Zellenhaushalts ist, Kinder statt vor dem Fernseher in einer Bibliothek zu parken. Nur die oben erwähnte Begleitung fördert ergänzend deren fruchtbringende Teilung, letztendlich auch die Sozialisation. Das mußte ich nämlich an mir selbst erfahren, da ich um der lieben Ruhe willen häufig im Giftschrank meiner Mutter eingesperrt ward und heimlich in Alfred Anderschs Die Rote lurte, als ob's ein Porno wär'. Was das Festhalten beziehungsweise das Auseinandersetzen, also das Unterscheiden ausmacht, erfuhr ich recht spät, als mir Zuwendung durch eine Kinderfrau zukam, die gemeinsam mit mir las und das Gelesene erläuterte. Aus mannigfaltigen Denkbeispielen schuf ich bereits in Jahren der Adoleszenz Abwandlungen über das Leben anderer. Während Gleichaltrige Liebesgedichte schrieben, verfaßte ich Versuche etwa über Nathalie Sarraute, weil man mich zunächst mit ihr alleine in der Bibliothek geparkt hatte und mir logischerweise die Tiefen ihrer Geisteswelt verborgen geblieben waren. Aber das Verfassen half, zumindest später hatte es seine Auswirkungen. Einmal mehr wäre dabei die kleistsche Technik des «allmählichen Verfertigens der Gedanken beim Reden» anzuführen, das ich gerne fürs Schreiben mißbrauche. Es kann nämlich für zur Unordnung hin Tendierenden beim Sortieren und Wiederfinden von irgendwann einmal Ab- oder Weggelegtem helfen; ich beispielsweise, der ich nicht gerade der legendären leninschen Schreibtischordnung huldige, werde beim Texten rascher fündig als beim Suchen auf der meist lustvoll unaufgeräumten Arbeitsplatte. Nun sind diese mit mir und ich mit ihnen befaßten Neurologen sicherlich keine Zukunftsforscher beziehungsweise vielleicht nicht allesamt auf dem neuesten Stand der Gehirnforschung und deren Experimente. Einig dürften sie sich aber darin sein, daß diese meines Erachtens schauerlichen Eingriffe in das Innerste des Menschen noch sehr lange Zeit — fünfzig oder hundert oder gar fünfhundert Jahre dürfen durchaus so genannt werden — brauchen, bis es zur alltäglichen Anwendung kommt. So sollte es noch ein ganzes Weilchen bei der Kenntnis bleiben, daß Lesen und Schreiben der Bildung förderlich ist, bis hin zu diesem intellegere, das Sehen, Erkennen, Unterscheiden meint, also Weiterbildung eben nicht nur im Sinne ökonomie-lobbyistischer Tätigkeit. Wenn es nach der ginge, das ist meine Rede seit langem und auch hier immer wieder, würde man ohnehin schon jetzt am liebsten den meisten Menschen das Gehirn amputieren oder zumindest mit einigen Kabeln ausstatten. Ach, was rede ich, kann ich mich doch es Eindrucks nicht erwehren, daß die Manipulation längst stattfindet, nicht eben wenige stellen sich als Selbstversucher zur Verfügung, indem sie ihr eigenes Denkorgan abschalten. Oder wie soll ich das anders deuten, als daß die Regierungsfestplatten der führenden Industrienationen, allen voran vielleicht die deutsche mit ihrem Bilden im Sinne des neuen Schaffens von unteren Klassen oder auch sich der Sklaverei Hingebungswilligen durch global agierende Konzerne, programmiert werden? Brot und Computerspiele hin, Minimallöhne und Leiharbeit beziehungsweise auf diese Weise geschönte Statistiken her. Ich kann diese Kadavergehorsamkeit nicht mehr ertragen, diesen Leichnam, aus dem es herausgrummelt: Was soll man denn machen? Eben gerade habe ich «meiner» geschätzten Postbotin, die mir eines meiner quartaligen Allwissensschriften anlieferte und die ich drei Wochen vermißt hatte — Anfang dreißig, Hörsturz —, das mongolische Märchen erzählt, in dem die Mutter ihren Kindern die Unverbrüchlichkeit von Gemeinschaft darstellt, altmodern manchmal auch Solidarität genannt. Erst gibt sie ihrem Nachwuchs einen Pfeil in die Hände, der leicht zu zerbrechen ist. Dann bindet sie fünf Pfeile zusammen. Der Bund ist nicht zu knacken. Selbst die sogenannt höher Gebildeten merken nichts, weil sie sich bereitwillig lediglich zum Auswendiglernen schulen lassen, bis zu der Stufe, an der sie zur Gewinnmaximierung auf gehobener Ebene beitragen, auf der sie dann mit dreißig der erste Schlag trifft. Man gaukelt ihnen auf einem bestimmtem Niveau vor, jeder könne «es schaffen». Jedem seinen Hörsturz. Bildung. Das bedeutet für mich das Sehen, das Erkennen, das Unterscheidungsvermögen, das seinen Anfang beim Erlernen des Lesens und auch des Schreibens nimmt. Diese Fördermaßnahmen zu intellektuellen Fähigkeiten kann nur ereichen, der nicht, der sich nicht durch eine Bildung bremsen läßt, die wirkliche Lernprozesse verhindert. Ich bezweifle, daß man die tatsächlich erreicht, indem einem nahezu das gesamte Procedere aus dem Kopf gelöscht wird, das zum Erlernen der Unterscheidung zwischen Nord und Süd, der Orient- und Okzidentierung führt. Ebenso habe ich Zweifel daran, daß eine drahtlose Verbindung zwischen einem Kopf und dem Zentralcomputer in der Befehlsstation irgendwo im Élysée, im Kanzleramt oder überhaupt in Mountain View oder Menlo Park darin Platz schafft für umfassendere, anderweitig nutzbare Kapazitäten. Arbeitsblätter statt lesen und schreiben, das scheint mir ein Beweis dessen, wie wenig Kreativität tatsächlich gewollt wird, die meines Erachtens nur von einem Wissen geprägt werden kann, das Zurückliegendes mit Neuem verquickt, das Staben erkennt und in Bücher bucht. Ob die elektrisch funktionieren, das spielt dabei keine Rolle. Die Performance bleibt das Verfassen, eben das Zusammenfassen von erlernten Kenntnissen. Aber wen interessiert's, ich bin ohnehin ein altbackener, harter Brotkanten des Kulturpessimismus, weit weg und aussortiert vom und aus dem wirklichen Leben. Nein, darunter leide ich nicht. Denn seit einiger Zeit weiß ich: Und sie dreht sich doch.
Abschaum Da ich seit Jahrzehnten aktiver Köchler bin, weiß ich, wie man Suppen und Fonds herstellt, weiß ich, daß der nach oben kommt, wo man ihn abschöpft, um die Brühe zu klaren, obwohl es sich um fast reines, also im Prinzip wertvolles Eiweiß handelt. Die dicken Brocken kommen nicht hoch, Fleisch und Knochen denken nicht daran, sich abschöpfen zu lassen. Gesellschaftlich unten zu sein, ganz tief unten, geschätzter, weit von uns und allem entfernter, von Asien aus die andere Sicht der Dinge bietender Einemaria, und was das ist, ja, wer weiß das überhaupt? Ich kann mich als nicht aktiver politischer Mensch, als nur noch im Elfenbeinturm hockender Privatier, als nicht an den Fronten des Daseins Kämpfender allenfalls auf das berufen, was ich den Medien entnehme, wozu bestimmte Ausformungen des Internets gehören, also Hörensagen. Es ist eine Weile her, daß ich Erscheinungsbilder in der Öffentlichkeit wahrgenommen habe. Manchmal habe ich sie sogar wie zur Erklärung gesucht, beispielsweise mit Straßenbahnfahrten vom Hackeschen Markt weg hinauf in den Norden, wo sich mit jeder Haltestelle ein anderes Publikum einfand. Damit kam ich durchaus in Situationen, in denen ich wider meine Erkenntnisse oder besseres Wissen nach Äußerem be- oder empfunden habe. Genelon hat das jüngst in seiner ohnehin immer wieder beachtenswerten und eindringlichen, mich jedoch dieses Mal aus meinem eremitischen Dösen rüttelnden Ausführlichkeit geschildert und beurteilt. Er betitelt seine, die ich mir im nachhinein erlaube, auch meine zu nennen, Nachdenk-lichkeiten Ideologie vs. Analyse: «Im Angesicht dieses Menschenschlages, den ich seit über zehn Jahren aus nächster Nähe erlebe, entfahren mir bisweilen böse Gedanken wie:Dieser Schilderung nach ließe sich Burmesien auch in Deutschland (Frankreich et cetera) vermuten. Wirklich beurteilen kann ich das nicht. Anzunehmenderweise ist dieser Vergleich auch unzulässig. Aber Armut gibt es, siehe oben, auch innerhalb Europas, nicht einmal nach Griechenland fahren müssen wir deshalb, bleiben wir in den blühenden Landschaften von Herrn Kohl. Als erschreckend empfinde alleine den Gedanken daran, vor allem angesichts der Tatsache, daß es häufig die sich rechtsaußen und nicht minder geographisch auch westlich bündenden «Kameradschaften» — war da mal was? — sind, die sich meines Erachtens in nichts von anderen religiösen, ebenso dogmatisch geprägten Bruderschaften unterscheiden, die sich der «Unterschicht» annehmen, ihr Heimatgefühle angedeihen lassen. Womit wir wieder bei den immer freundlichen Mitmenschen wären, die sich wenigstens um die quasi Hinterbliebenen kümmern. Es ist die Mehrheit der Großgemeinde namens Bundesrepublik Deutschland, die nun, kaum hat sie einen neuen Pfarrer gefunden, über ihn und dessen Vorstellungen von Moral und überhaupt herfällt, ohne zu wissen, was Sache ist (auch hierzu hat Genelon sich nachdenkenswert geäußert). Mir behagt weder der alte wie der vermutlich neue Präses; letzterer alleine aufgrund der Tatsache, daß er seinen oder, wie er vermutlich meint, aller, also auch der erklärten Athetisten lieben Gott in einem Satz mit einem parlaments-demokratischen Wahlentscheid auf eine Stufe stellt. Und ich bin sicher, ein Volks-entschiedener erlebte nicht minder ein Desaster wie das in Stuttgart geschehene. Wäre ich Zyniker, ich gönnte es diesem Volk, das in weiten Teilen, zu denen auch oder eben diese Thierses gehören, ein potentielles Staatsoberhaupt zunächst einmal in eine Zwangsehe befördern will, bevor er es repräsentieren darf. Damit hätte es seine politische Untauglichkeit als sich modern nennende Gesellschaft vorbildlich unter Beweis gestellt. Ich bin aber allenfalls Sarkast, also Ironiker, weshalb ich bei dem witzelnden Vorschlag bleibe, das Volk möge «bis zum Rockzipfel einer Opposition» beim Alten bleiben, weil es darin am zutreffendsten gespiegelt wird. Also spöttele ich weiter, jedenfalls für die gute Hälfte des Volkes: Aus meiner Perspektive ist und bleibt es eines des Kadavergehorsams, weil es in seiner Charakteristik zumindest die Nähe zur geistigen «Unterschicht» darstellt. Es gebärdet sich als satisfaktionsfähig, kennt jedoch die Regeln und Gesetze der herrschenden Klasse nicht, die ihm Brot und Spiele bietet, womit es sich letzten Endes zufrieden gibt. Denn anders kann ich mir es nicht erklären, daß es immer wieder dieselben politischen Mehrheiten schafft, ob sie nun Opposition oder Regierung et vice versa heißt. Es ist besagte Hälfte. Es ist gläubig. Es braucht immer irgendeinen Führer. So es eine Hoffnung geben sollte, ein Begriff, den ich, Bloch aus der Heimatperspektive hin- oder herbetrachtet, mittlerweile nur noch wie Glück oder Schicksal ebenso mit Glauben oder Gläubigkeit assoziieren mag, auch weil er historisch stark mit dem Judenchristentum, zu dem nach Worten des geflüchteten Schafs im Wulffspelz eben auch noch die Muslime gekommen sind, verwurzelt ist, dann liegt sie in der Jugend. Sicher, in ihr schimmert sie immer vor sich hin. Aber ich habe in letzter Zeit den Eindruck, daß sie nicht nur endlich einmal Fehler nicht nur summiert, zumindest innerhalb der bestehenden Gesellschaft subsummiert oder auch analysiert, sondern tatsächlich Änderungen herbeizuführen versucht. Ob sie so schnell aufgibt, sich korrumpieren läßt, wie wir sogenannten Achtundsechziger das getan haben, das weiß auch ich nicht. In den Siebzigern haben wir gewitzelt: Bin ich Jesus, bin ich Prophet, wächst mir Gras aus den Ohren? Was auch heißt, daß ich keineswegs an irgendetwas zu glauben bereit bin. Amen, ןאָמֵן, آمي, wirklich; so sei es; ließ es sein. Am Rande, aber zu meinen Kochidealen passend, zum von mir nach wie vor befürworteten Multikulti ein Filmtip.
Der Mensch ist des Menschen Wulff Oh weh. Aber das mußte sein. Ich führe es auf meinen Zustand zurück. Trotz aller Schlaffheit raffe ich mich angesichts der laufenden Ereignisse zu dem Gedankengang hin: Was wäre gewesen, wäre das Faß nicht übergelaufen? Es wäre beim alten geblieben. Bei genauer Ausleuchtung sehe ich, er wäre nach wie vor der weniger rechte, aber richtige Präsident der Deutschen, exakt in der Waage zwischen Recht und Unrecht. Ich gehe davon aus, daß seine Lebenspraxis die «seines» Volkes in entsprechender Befürwortung spiegelt. Es verschafft sich Vorteile, wo es nur geht, die Nachteile mögen die anderen haben, die sich dagegen nicht wehren können. Die Haltung gegenüber der «Faulheit» Anderslebender ist exemplarisch. Die sich scheibchenweise distanzierenden Politikerkollegen sprechen die gleiche Sprache. Auf einmal herrscht, wie es soeben bei Phoenix hießt, «sprachloses Entsetzen». Menschen anderer Länder wird vorgeworfen, was im eigenen Land unter den Teppich gekehrt wird. Es regt mich fürchterlich auf, wie alle so tun, als ob das nicht längst der Normalzustand wäre.
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Jean Stubenzweig motzt hier seit 6023 Tagen, seit dem Wonne-Mai 2008. Letzte Aktualisierung: 07.09.2024, 02:00 ... Aktuelle Seite ... Beste Liste (Inhaltsverzeichnis) ... Themen ... Impressum ... täglich ... Das Wetter ... Blogger.de ... Spenden
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