Fliegend über die Berge

Per Anhalter ins Paradies. Der Reise erster Teil.

Um Ostern herum war es. Am Tag zuvor hatten zwei Meter Schnee die liebliche Gemeinde an der Mariensäule noch lieblicher erscheinen lassen. Dann aber kam der Föhn, dieses in Nordlichter nie einfahrende Alpenvorlandlüftchen. Innerhalb weniger Stunden bläst das die Dekoration weg und läßt das haselnussige Schwarzbraun in ganzer Tristesse wieder zum Vorschein kommen. Und warm wird's, aber wie. Gestern noch zehn Grad minus, heute kommt man lustvoll das Hohelied singend im Hemdchen hüpfend über die Berge.

Nun, es war Reisewetter. Tramperwetter. Schließlich würde ich wohl das eine ums andere Mal ein paar Minuten an der Straße stehen, bis der nächste kam, der aber sicherlich bald, mich einlud, um mich rasch mindestens bis in die Schweiz zu befördern. Doch dort befand ich mich ja bereits so gut wie, hatte doch der Freund, einer von denen, die mit Ski an den Füßen zur Welt kommen, bei der Gelegenheit beschlossen, ein paar Schüsse den Arlberg runterzumachen. Und von dort weg würden ja wohl ein paar Schweizer wieder nachhause fahren, vielleicht sogar ein bißchen früher, weil sie der vielen Niederländer überdrüssig waren, die sich damals in Mode kommend anschickten, in edlen Gewändern und zwei Meter langen Rennbrettern aus besten Sporthäusern die Pisten mit Stemmbögen zu planieren. Und sollte ich doch etwas zu früh dran sein und ein wenig warten müssen — Cafés und Kneipen gab's genug am Berg, das wußte ich von meinen Skilaufversuchsanordnungen, die der Freundeskreis mit mir unternahm. Eine Zeitlang hatten sie's mit mir probiert. Doch als sie mich nach meinen immerwährenden unfreiwilligen Schußfahrten, die nichts anderes zuließen, als nur geradeaus und eben sehr schnell den jeweiligen Berg hinunterzustürzen, nahezu ausnahmslos aus dem Schnee ausgraben mußten, luden sie mich ab irgendwann gleich in der Gastronomie ab. Da könne ich in Ruhe dichten und denken und würde damit obendrein weiter kein Unheil anrichten.

Als ich die ersten Male über das Land gekommen war, wußte ich wohl mit Brettern unter den Füßen umzugehen. Aber dort, wo man mich das gelehrt hatte, nutzte man diese Fortbewegungshilfsmittel, um Bären und Wölfen zu entfliehen, denen man gerade das Mittags-, manchmal auch das Abendmahl gestohlen hatte. Auf diesen Faßdauben konnte man (zwangsläufig) enorme Geschwindigkeiten erlangen, aber nie diese alpinen, da es an den entsprechenden Gefällen mangelte. So stürzte ich mich anfänglich suizidal (nicht suizidär im Sinne der «Todesästhetik» von Jean Améry) die Berge hinunter, da kaum jemand mich beziehungsweise meine Fahrkünste beachten wollte. Später erbarmte sich meiner ein Skilehrer in Berwang, wohin ich oft heimlich zum Üben fuhr. Nicht nur. Denn ich hatte seinerzeit festgestellt, daß es auch in Österreich ausdrucksstarke Pistentänzerinnen gab. Er tat's aber sicherlich deshalb, da er keine Lust hatte, mich nach den jagerteeigen Bacchanalien auf der Hütt'n hintendrauf auf seinen Ski mit runter ins Tal zu befördern. Ich sollte selber laufen, nein gleiten. Ein bißchen wenigstens. Es war gar nicht so schwierig. Nur gesagt muß man's kriegen. Es erinnerte mich an die Sprechlehrerin, die diese winzigen Fehler korrigierte, die ich anfänglich am Mikrophon gemacht hatte. Alles Haltungsfehler. Mit der richtigen Umsteig- und Umschwungtechnik tut Sisyphos sich dann sehr viel leichter in der Gegenrichtung.

Ende der Extemporiererei, denn tatsächlich: Kaum war ich aus dem Murnauer Übungsgerät für die permanente Rallye Monte Carlo ausgestiegen, packte ein drahtiger, familienfrei aussehender Adonis seine Führungsschienen auf ein nicht minder flott aussehendes bayerisches Gefährt mit Zürcher Kennzeichen. Ob ich? fragte ich mich. Nicht ihn. Meine mangelnde Erfahrung als Anhalter ließ eine solche Frage nicht ohne weiteres zu. Es könnte zudem unhöflich wirken, und das untersagte mir der andere Teil meiner bereits erwähnten guten Erziehung. Mit dem Ergebnis, daß der Mann, ein wenig älter als ich und hinsichtlich seiner Ausstattung sicherlich auch erfolgreicher, einen halben Schritt auf mich zumachte und mich fragte. Ob er mir helfen könne? Ich sähe leicht hilfebedürftig aus. Weit holte ich aus, wollte kulturgeschichtlich am Beispiel der Sozialentwicklung der Reise im allgemeinen und der im besonderen die Welt erklären, eine Tendenz, die mir bis ans Ende dieser bleiben wird, zumindest der meinen, bemühte mich jedoch, dabei keine allzu ausgeprägten philosophischen Züge in mein Gesicht dringen zu lassen, als er mich unterbrach. Ja, kein Problem, bis na Zuri kannscht mit, und dann fragte er noch, ob ich da überhaupt hinwolle, ich hätte meine Ziele nicht so konkret zur Ausführung gebracht. Jaja! Ja doch, riß mir das Glück eine Antwort auf die Denkerstirn. So nahm ich meinen Rucksack, der ein klein wenig leichter geworden war, da der hier oben fehlende Föhn mich dann doch hatte mein Pullöverchen überziehen lassen, und stieg ein.

Klösterle, Innerbraz, Bludenz, Nüziders flogen an mir vorbei, bei Nenzing riß der Pilot das Steuer derart herum, daß das Heck nach Zürich, die Schnauze derweil nach Liechtensein zeigte. Der Zöllner muß mein Gesicht gesehen haben und winkte uns durch, da er annehmen mußte, es müsse sich um einen Krankentransport handeln, der am Schweizer Grenzbaum dann ebenso, da er vermutlich soviel Elend nicht sehen wollte, und weiter ging der Flug via Wattwil, Wätzikon, Pfäffikon, die Landebahn von Kloten hatte man vorsichtshalber freigeräumt. Es fehlte dort nur noch der Hubschrauber, der mich mindestens nach Paris zu Victor Hugo bringen sollte, in dessen Klinik, meinetwegen auch in die von Jeanne d'Arc, ich konnte ohnehin nicht lesen, so todsterbenskrank war ich von diesem Abschnitt der Rallye.

Deshalb muß ich mich erstmal erholen. Beim nächsten Mal geht's weiter. Durch Frankreich. Klar.

Per Anhalter ins Paradies, Fliegend über die Berge, Anhalters Bahnhof, Grabungsvolle Hymnen, Anhalters goldener Käfig, Anbahnungen, Unter Eulen, Die Behütete, Blumenkohl und Pannekoeken, Adeliges Tennis, Nationalgericht, Das Süße und seine Fährnisse, Fluchtgedanken, Gnadenmahl oder Reiche Stunden. Der Reise vierzehnte Folge.
 
Mi, 11.02.2009 |  link | (5142) | 3 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Belgischer Adel


nnier   (11.02.09, 09:28)   (link)  
Ich war mal
im Europapark Rust und habe mich dort, da im Eintrittspreis inbegriffen, in eine Achterbahn gesetzt. Der Wagen wurde spiralförmig innerhalb eines Turms nach oben gefahren, das hörte gar nicht mehr auf, und als ich oben rauskam, machte der Wagen so eine betont langsame Fahrt auf den entsetzlichen Abgrund zu. Ich hätte ein Vielfaches gezahlt, um wieder aussteigen zu dürfen. Bei manchen Mitnehmern war es dann auch nur die Höflichkeit, die es mir verbot, angesichts des Fahrstils um einen kurzen Zwischenstopp zu bitten, um dann zu Fuß zu fliehen. Oder vielleicht war's auch Feigheit.


johnny jonze   (11.02.09, 19:57)   (link)  
Franz Josef Land
Cher Jean ...

Puh, das war aber ´ne umfangreiche Gute-Nacht-Lektüre. Trotzdem danke ... war mir ja nicht bewusst, welche Ausmaße diese Erwähnung eines längst verschiedenen 'Politikers' heute noch haben kann. Nein, meine Putzis kennen den natürlich nicht, die kennen höchstens die Granden der norddeutschen CDU-Fraktion, und da gibts ja auch nicht wenige Knallchargen.

Ihren Texten entnehme ich einen häufigen Aufenthalt in tiefschwarzen Landen, korrekt? Wie auch immer - was ich heute zu posten habe, zieht einem doch landauf landab die Hosen aus. Leider aber alles wahr ...

viel Vergnügen in Frankrike


g.   (12.02.09, 07:27)   (link)  
Mit einem schweizer Rennfahrer
durfte ich anno ich weiß nicht mehr auch Bekanntschaft schließen. Er kutschierte mich, was der Käfer hergab, mit quitschenden Reifen durch das Thurgau. Als er merkte, dass ich mich auf dem Beifahrersitz mehr und mehr verkrampfte, sagte er fürsorglich: "Kah Sorg! Ich weiß als wo die Kantonalpolizei steht!"















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