Der Flug des Ikarus Büchersendung an Maria, der Klosterfrau Melissengeist, leidende Heilerin der Abteilung innere Geriatrie zu Pungeville s. R. oder auch: Vom Vorgänger des Pastis. «Hubert: Also gut. Ich stelle mich vor: Hubert Lubert, Romancier von Beruf, auch aus Berufung und mit einem gewissen Ruf. Als Romancier schreibe ich also Romane. Da ich Romane schreibe, habe ich es mit Romanfiguren zu tun. Und nun, sehen Sie, hat sich eine von ihnen dünne gemacht. Buchstäblich. Ein Roman, den ich gerade angefangen habe, etwa zehn Seiten, fünfzehn allerhöchstens, in den ich die allergrößten Hoffnungen setzte und da verschwindet auf einmal, kaum skizziert, die Hauptperson. Da ich ohne sie natürlich nicht weitermachen kann, möchte ich Sie bitten, sie ausfindig zu machen. Morcol (nachdenklich): Das ist ja höchst pirandellesk. Hubert: Pirandellesk? Morcol: Adjektiv, von Pirandello abgeleitet. Aber stimmt ja, das können Sie nicht verstehen.» Zitiert nach: Manfred Koopmann Eine bis heute gültige, zündende Kurzbesprechung von 1970 im Spiegel Offenbar doch vergriffen (mir unverständlich), aber gebraucht zu haben, unter anderem hier: http://www.booklooker.de/B%FCcher/Angebote/titel=Der%2BFlug%2Bdes%2BIkarus.%2BRoman. Und noch ein Schuß Mariacron in die Magensonden fortgeschrittener Damen, die ihr Lebtag nie und nimmer Alköhöl zu sich genommen haben: Alkoholtote Neunaugen Perlentaucher Und schließlich das angesprochene gute Buch für den brütendheißen Sonnenstrand, Inselsommer, das originalsprachlich deux été oder auch zwei Sommer tituliert ist. Version 2
Teile der/die Romantik Die Romantik bedeutet dem einen Kerzenschein mit der oder dem Liebsten, dem anderen starrköpfige Beharrlichkeit, und sei es gegenüber sich selbst, auf jeden Fall so lang, bis es anderen, den an die unumstößliche Lehre Glaubenden gelungen ist, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Ach, nicht schon wieder, werden jetzt so manche denken. Aber ich bin nunmal beharrlich, Redundanz habe seine Richtig- und damit Wichtigkeit, lehrten mich meine Lehrer, Frauen waren seinerzeit noch zu sehr Minderheit, beim Rundfunk. Ich lasse mir meine Erkenntnisse zur Romantik nicht verbiegen, wie etwa die Wirtschaft das mit mir versucht, indem sie mir zu vermitteln trachtet, das sei keine gesellschaftlich relevante, allenfalls eine weit hinter uns liegende Epoche gewesen, sondern bedeute das marktwirtschaftliche Untersuchungsergebnis, das nur traute Zweisamkeit, das darauf folgende kuschelige Heim mit dem darin und drumherum gelagerten Retro und andere käufliche erwerbbare Glückseligkeiten zuläßt. Am Wochenende hatte ich Einblick in verschiedene Zeitschriften und Warenhauskataloge, nein, ich wartete nicht in des Arztes Zimmer in Hoffnung auf die Vertreibung meiner Visionen, in denen der Begriff sozusagen akut virulent ist. Das verdunkelt das Bild von ihr, man möchte meinen, man wolle die globalisierten Völker dorthin zurückdrängen, wohin sie nach der Strategen Meinung ohnehin gehören, in die den nicht lesen Könnenden gewidmete biblia pauperum der nachpostmodernen Zeit, der zappelnden Bilderflut. Der immer allgemeiner werdende Sprach- und Bildgebrauch verhängt alles, was ein Lichtlein hineinlassen könnte, das wenigstens bei der Suche nach dem Ausgang aus diesem unterirdischen Labyrinth helfen könnte. Ich bin mir bei der Suche nach den Ursachen nicht im klaren, es ist schon eine Weile her, daß ich die Schule verlassen habe, aber ich ahne und vermute, es könnte an der modifizierten Lehre liegen, im kleinen bestätigt durch Jagothello, der auf curriculare leichte Festgenageltheiten verweist, die Normabweichungen verbietet, diese vielleicht gar unter Strafe stellt, welcher Art auch immer, und sei es die Abordnung an eine Sonderschule für Quertreiber. Einer der mich einst Unterrichtenden, ein Germanist und Romanist, ach was, alles in Zusammenhänge rückender Hochschullehrer, der einzige, den ich je verehrt habe und dessen allzu frühe Sichselbstsegnung ein unvorstellbares Loch in mich gerade das Denken Beginnenden riß, das erst einige Zeit später in Zürich ein für (fast) alles offener schweizerischer Märchenerzähler aufzufüllen wußte, indem er sich meiner Suche nach romantischer Aufklärung annahm, gab mir einen entscheidenden Ratschlag mit auf den Weg: Vertraue keinem, der unter dem Siegel der Objektivität Apodiktisches von sich gibt, erkenne immer selbst und gib die dann gedachten Gedanken erst dann weiter, wenn du offen genug dafür bist, grundsätzliche Offenheit zuzulassen, erst dann gelangst du in die Nähe zur Objektivität. Gut vierzig Jahre danach scheine ich mich ihr anzunähern. Das ist ein geistiger Landgewinn, den mir die Jugend auch nicht annähernd ausmalen konnte. Ich verbinde die Romantik, der ich in der allgemeingültigen Lehre, in der, die sie in die Kategorie Liebe zur Weisheit rückt, nicht unbedingt nächststehe. Für mich, der ich nichts lehre, was ich je gelehrt haben sollte, war bestimmt alles falsch, weil viel zu früh von fester Bestimmung, skizziert beispielsweise Jean Paul, der in des Teufels Papieren anmerkte, «der Mensch ist der große Gedankenstrich im Buche der Natur», die Romantik. Der auf ewig Unvollendete schrieb zu seinem Ende hin eine Entschuldigung bei den Lesern der sämtlichen Werke in Beziehung auf die unsichtbare Loge.Ich kann mich an keine seiner Erzählungen oder auch «kleinen Geschichten» erinnern, die mir in dieser Epoche der sogenannten Gegenbewegung zur Aufklärung über Nebenwege nicht letztlich doch das Siècle des Lumières illuminiert hätten, hier zum Beispiel oder auch beispielhaft mit seiner Dr. Katzenbergers Badereise: «Ein Gelehrter, der den ersten Juli mit seiner Tochter in seinem Wagen mit eignen Pferden ins Bad Maulbronn abreiset, wünscht einige oder mehre Reisegesellschafter.» — Dieses ließ der verwittibte ausübende Arzt und anatomische Professor Katzenberger ins Wochenblatt setzen. Aber kein Mensch auf der ganzen Universität Pira (im Fürstentume Zäckingen) wollte mit ihm gern ein paar Tage unter Einem Kutschenhimmel leben; jeder hatte seine Gründe – und diese bestanden alle darin, daß niemand mit ihm wohlfeil fuhr als zuweilen ein hinten aufgesprungener Gassenjunge; gleichsam als wäre der Doktor ein ansässiger Posträuber von innen, so sehr kelterte er muntere Reisegefährten durch Zu- und Vor- und Nachschüsse gewöhnlich dermaßen aus, daß sie nachher als lebhafte Köpfe schwuren, auf einem Eilboten-Pferde wollten sie wohlfeiler angekommen sein und auf einer Krüppelfuhre geschwinder.Mir ist die Dunkelheit durchdringendes Licht angenehmer, wohler ist mir's, wenn alles ausgeleuchtet ist. In einer strahlend hellen Kneipe sitze ich sehr viel lieber als in finsterer Spelunke, in einer Bodéga, bevölkert von denen, die sich absinthisch mit ihrem «Schicksal» abgefunden haben. Dem von Herbert Köhler in Lethes Freibrief angeführten Gleichnis mag ich nicht folgen müssen, nach dem Diogenes selbst am hellichten Tag mit einer Laterne in der Hand auf der Agora nach Menschen sucht. An der See fühle ich mich behaglicher als im tiefen Wald, und mag es noch so stürmen; dabei liegt mir allerdings Caspar David Friedrichs ewig sehnsüchtelnder Blick in die Ferne, noch dazu bei aller Ablehnung des Fremden bei weitem nicht so nah, fühle ich mich doch nicht so romantisch klein, wie darüber so gerne philosophelt wird, ums auf eine allgemeine oder allgemeingültige Ebene zu heben, die der Herr Magister vom Volksbildungsheim bestimmt, auf daß alles seine wohlgeordnete Ordnung habe, bloß keine Irritation aufkomme. Mein romantischer belle vue auf diese Art belle époque, der auf die See, mit meinem Sehen habe ich alles im Blick, auch wenn ich mich umdrehe. Als romantisch bezeichneter Tinnef ärgert mich, weil die alles zudekorierende Verhübschung durch Naturnähe, die Alpen aus dem Baumarktkatalog den freien Blick aufs Mittelmeer verstellt. Ich will sehen, wer durch die Gänge meines Lebens und damit auch durch das anderer schleicht. Meine Erfahrungen beeinflussen auch andere Menschen. Wenn ich denen ständig vermittle, daran könne man ohnehin nichts ändern und das dann mit Plüsch und Plimm ausstatte, schalte ich der Gesellschaft das Licht aus. Und mit Romantik hat das ohnehin nichts zu tun. Dann sitzen diese Verdunkelten in eben dieser durch Klitterung verdunkelten Ecke der Geschichts-darstellung, die durch die Verkleinerer beispielsweise der Konsumerhöher angestrebt wird. Eine politisch bewußte Gesellschaft darf der Romantik durchaus deren auch kritischen Blick abgewinnen, wie das Schriftsteller dieser Zeit, da etwa wären E.T.A. Hoffmann oder eben Jean Paul, teilweise getan haben. Mir hat sich jedenfalls ein anderes Verständnis von ihr ergeben als das in der Regel angewandte curriculare System, das in jungen Jahren einmal gepaukt und über das in der Zeit danach nicht mehr nachgedacht wurde. Möge man es ein teilromantisches nennen. «Die Zeitlichkeit des Sprechens ist evident. Das Sprechen führt den Zug der zeitlichen Dinge an wie ein tanzendes Kind mit einem Wimpel, auf dem nichts geschrieben steht, oder etwas, das es weder weiß noch versteht, oder mit Kinderschrift: Tod. Deshalb folgt die Kunst in dem Zug der zeitlichen Dinge weit hinten nach, mürrisch. Sie träumt von der Gegendemonstration.»
Lesen wie ein Toter im Meer Jemandem ein Hörbuch ans Herz legen täte ich nie, jedenfalls keine Schrift, die meines Erachtens fürs Lesen geschaffen wurde, auf daß die Phantasie sich im Kopfkino entfalte, wie ich es nenne. Geschrieben, gemeint hatte ich: Für Menschen, die beim Lesen nicht mehr fühlen können oder keine, meinetwegen auch keine Zeit mehr dafür haben, für die gibt's das (auch) auf die Ohren. Also allenfalls ersatzweise. Auch ein Christian Brückner, an dem sich viele überhört haben mögen, den ich dennoch auch nach Jahrzehnten als Sprecher nach wie vor schätze, kann mir die Blumen des Bösen nicht derart vermitteln, wie mein Gehirn, je nach Stimmung, also unter Zufuhr aller möglichen Botenstoffe, dazu in der Lage ist. Das mag, um bei Baudelaire zu bleiben, wie bei gesungener Musik Melancholie hervorrufen oder auch den kritischen Geist in mir wecken. Les Fleurs du Mal kamen zögerlich aus dem Bücherregal auf mich zu, da ich in einem anderen Zusammenhang nach einem Bild suchte, sie sich anboten, und ich mich daraufhin in diesen gemeinhin als unbeschreibbaren Landschaften verlor, ich nach langer Zeit wieder einmal durch diesen Sumpf versuchte voranzukommen, darin steckenblieb, ich in diesen an allen erdenklichen hervorquellenden Quellen der Sehnsuchtssprache lag wie im Toten Meer. Tatsächlich sehe ich auch ich beim Lesen von Belletristik kein Experiment. Das mag daran liegen, daß ich seit langem keine Neuerscheinungen mehr lese. An eine erinnere ich mich insofern bemerkenswert negativ, als ich Folgen im Radio gehört hatte und ich nach der zweiten begeistert in die, mittlerweile auch nicht mehr existierende, Buchhandlung des nächst-gelegenen Städtchens gerannt war, um das Buch zu erstehen. Es stellte sich heraus, daß der Autor, ein bekannter Schauspieler, sich sein Werk quasi aufs Maul geschrieben haben muß; ich kenne das aus meiner Hörfunkzeit, als ich bei sogenannten Hörbildern, auch unter Feature bekannt, mich bemüht habe, mit Vergnügen meine Diktion den mir bekannten Sprecherinnen und Sprechern anzupassen. Im Nachhinein hatte ich gar den Eindruck, das Buch (nach der Sprache?) könnte überhaupt erst nach der Ausstrahlung entstanden sein. Kurzum, gelesen war es eigentlich eine ermüdende Angelegenheit. Ich war eben einem Sprechartisten aufgesessen, der kein Artist der denklichen Sprache war. Es erwies sich als ein verbales Soufflé, das in sich zusammenfiel und flach liegenblieb. als im Kopfkino eine Tür aufging und Frischluftzug entstanden war, Nehme man's als Marginalie. Es ist mir eben spontan, wenn auch zusammenhanglos eingefallen, nachdem ich bei Melusine Barby gelesen habe. Auch früher habe ich gerne auf das Neueste verzichtet, doch die später dann nebenberufliche Beschäftigung mit der unterhaltenden Materie Buch hat mich immer wieder mal hineingestubst. Da landete so manches an. Heutzutage tue ich das, was ich mir für den Eintritt des Ruhestands vorgenommen habe: Altes wiederlesen oder überhaupt zum ersten Mal lesen. Da ist einiges liegengeblieben, das sich vermutlich nicht einmal mehr auf der Liste der lieferbaren Bücher befindet, weil es längst im Ramsch gelandet ist, wie so vieles bereits nach einem halben Jahr. Es besteht kein Respekt mehr vor Autorinnen und Autoren, die sich häufig jahrelang an ihren Büchern abgegearbeitet haben. Ich kann mir durchaus vorstellen, daß es lesenswertes Neues gibt. Aber ich sehne mich nicht danach. Ich liege im Toten Meer auch der Belletristik.
An den Leser Assoziativ von mir senilem Bettflüchter in noch tiefschwarzer, dunkler Nacht nachgedacht und nun vorgelesen beim Gedanken an Vom Fensterbankerl zur Schlachtbank, ein wenig auch Verbindung herstellend zum nicht stinkenden Geld. In Dumpfheit, Irrtum, Sünde immer tiefer Versinken wir mit Seele und mit Leib, Und Reue, diesen lieben Zeitvertreib, Ernähren wir wie Bettler ihr Geziefer. Dummheit und Knauserei, Irrtum und Sünde setzen In unserem Geist sich fest, bringen dem Leib Gefahr, Und die Gewissenbisse, diese liebe Schar, Ernähren wir, wie Bettler ihre Läuse letzen. La sottise, l'erreur, le péché, la lésine,Halb sind die Sünden, matt ist unsre Reue, Und unsre Beichte macht sich fett bezahlt, Nach ein paar Tränen rein die Seele strahlt Und wandert froh den schmutzigen Pfad aufs neue. Die Sünde ist sehr zäh, die Reue zaudert gerne. Wir fordern fetten Lohn für ein zerknirschtes Wort Und wandern dann vergnügt im Schlamm des Weges fort, Gewiß, daß Tränenwasser jeden Fleck entferne. Nos péchés sont tétus, nos repentirs sont lâcges; Charles Baudelaire: Die Blumen des Bösen/Les Fleurs du Mal Die normal gesetzten Strophen entstammen der Übersetzung von Therese Robinson aus dem Jahr 1925; sie ist komplett nachzulesen unter Gutenberg.Spiegel. Wobei für diejenigen, die's nicht wissen, angemerkt sein möchte, daß das Project Gutenberg 1971 von Michael Hart, einem Freund der Literatur, privat, also meines Wissens ohne jede kommerzielle Absicht, auf den Weg gebracht wurde. Die fett gesetzten in der Übersetzung von Siegmar Löffler sowie das kursiv dargestellte Original — nach Œuvre complètes de Baudelaire, Bibliothèque de la Pléiade, Edition Gallimard, Paris 1961 — ist zitiert nach: Poetische Werke/Schriften zur Literatur, zwei Bände, französisch und deutsch, © 1973 Insel-Verlag Anton Kippenberg, Leipzig. In der Auflage von 1992 ist die in Band 2 zweisprachige Ausgabe nach wie vor erhältlich. Für Menschen, die beim Lesen nicht mehr fühlen können oder keine Zeit dafür haben, gibt's das auf die Ohren.
Links von der rechten Bibel der Armen Der mit seiner Sehnsucht nach Differenz so wohltuend unamerikanische Italiener Sergio Benvenuto läßt das uns von der medialen rechten Seite dieses Mondes, also allem autopisch-irdischen, das mit dem Herz oder auch dem Mund- oder Schreibwerk auf dem rechten Fleck, gerne als linkisch vorgeführte Pferd Fidel Castro aufzäumen, diesem scheinbar letzten, alten, kranken Gaul im zum Abbruch bereiten Stall der Linken, der mit dem letzten Vorbild für Recht und Ordnung, droit et ordre, dem rechten Gallier de Gaulle geistig eher weniger verwandt ist, allenfalls dessen Abzweiger im Aufräumen eines Sau- oder Augiasstalls, Nicolas Sarkozy, käme das zu: nettoyer au Karcher (ausmisten, gründlich aufräumen, den Schweinestall aufräumen, auskärchern, ein eben nicht vom ehemaligen französischen Monsieur le Président erfundener Begriff, sondern durchaus Alltagssprache in Frankreich, jedenfalls dort, wo man deutschen Produkten zugeneigt ist, hier dem Mercedes unter den Hochdruckreinigern). Aber dieser Herr ist längst narkozy; ob für immer, das wird sich weisen, wenn's auf der linken Seite der ENA wieder zu ruckeln beginnen sollte, vielleicht gibt's dann wieder Küßchen für Mutti Angela. Raus aus den exkursiven Gedanken. In der Ausgabe 97 von Lettre International steigt der italienische Apologet der Linksumorientierung ein bißchen link ein. «Als Enrico Berlinguer — bis 1984 legendärer leader der Kommunistischen Partei Italiens — Kuba einen Besuch abstattete, sagte Fidel Castro ihm frei heraus, la sinistra — die linken Parteien — verlören die Wahlen seiner Meinung nach stets deswegen, weil sich mit dem Wort sinistra düstere und negative Bedeutungen verbänden.» Das ruft zunächst einmal die Bitte auf Erklärung, auf Aufklärung auf den Plan des Orien-tierungslosen, dem ex oriente lux, das aus dem Osten kommende Licht unter Erschwernis aufgehen will, ist es doch heute weitaus verdunkelter als zuvor, als Muslime uns noch mit der Freiheit des Handels, überhaupt die aus den Ländern der aufgehenden Sonne weitaus mehr als Flötentöne beibrachten, beispielsweise das zur Weisheit des Fortschritts fahrende oder führende Rad. Signore Benvenuto tut das direkt im Anschluß, geht geradezu alteweltdidaktisch, im europäischen Sinn der Aufklärung zunächst in die Tiefe der unterschiedlichen Bedeutungen der romanischen Sprachen: «Un tipo sinistro bedeutet soviel wie ein unheilvoller, schlimmer, unheimlicher Typ, und sinistro als Substantiv bedeutet Unglück, Unheil, Unbill. Im Spanischen hingegen hat sinistra eine mißgünstige Bedeutung, izquierda dagegen ist ein neutraler Begriff, der die Parteien der Linken als eine Seite, einen Teil der politischen Landschaft bezeichnet. Also lautete der Ratschlag des lider maximo: entledigt euch des Namens ‹Linke› und ihr werdet siegen.» Was dann und weiter unten kommt in diesem, mich auch in seinem Webmuster, wie an einer alles andere als dem Gebet dienenden Perlschnur argumentativ aufgereihten Text, ist zwar hinlänglich bekannt, jedenfalls denjenigen, die schon etwas länger paddeln in diesem, wie bei mir immer wieder nach links ausbrechenden, weil unbegradigten Hirnbach. Dennoch will ich nichts versäumen, es mögen schließlich dem nach Neuem Gierenden nichts entgehen. Nein, eigentlich nichts weiter, das Altbekannte. Aber Benvenuto geht in diesem, seinem Wissen — hier will wohl auch und nicht zuletzt die Übersetzerin Michaela Wunderle genannt werden, das Original ist mir nicht bekannt — voran wie ein glücklicher Wanderer in der Natur, fast fröhlich-forschen Schrittes immer entlang eines mäandernden Flüßchens, daß es eine Lust am Text ist, diesen Spaziergang mal links und dann wieder rechts herum mitzugehen. Nicht einmal unterliege ich dem Eindruck der Begradigung eines Baches, und doch geht es scheinbar kerzengeradeaus, aber vielleicht ist es die in ihrer Konstanz ruhige, aber stetige Fließgeschwindigkeit, die nur einem naturbelassenen Gewässer möglich ist, bei dem sich alles im Lot befindet. Das Lot ist Benvenuto die Linke. Dabei macht er's mit links, als ob's ein leichtes wäre, beim Denken den Boden zu berühren. Leichtfüßig, bin ich geneigt, mich vor seiner sprachlichen Präzision verbeugend zu schreiben, verweist er darauf, die «Vorstellung von der Asymmetrie von rechts und links sei bloß ein antiquiertes Vorurteil, ist von den Neurowissenschaften zum Teil widerlegt worden. Der rechte Teil unseres Körpers wird vor allem von der linken, der hauptsächlich auf Sprache und Begriffe spezialisierten Hirnhälfte kontrolliert; der linke Teil des Körpers dagegen von der rechten Hirnhälfte, die auf die Raumwahrnehmung und das Gedächtnis spezialisiert ist. Philosophisch ausgedrückt: in der rechten Hirnhälfte überwiegt das Sensible, in der linken Hirnhälfte das Intelligible. Die Sprache und die Fähigkeit zur Symbolisierung sind dem Homo sapiens vorbehalten. In unserem Gehirn ist ‹rechts› jedenfalls als etwas Begriffliches, ‹Hohes› angelegt und links als etwas Rezeptives, Affektives, ‹Niedriges›. Die Hierarchie rechts/links wäre demnach kein in der jüdisch-christlichen Welt wurzelnder Aberglaube, sondem hätte neurologische Grundlagen.» So bekannt das auch immer sein mag, in dieser Asymmetrie gespiegelt führt er die linke Seite, die «stets als die Seite der Verdammten und der Hölle, der Nacht, der schlechten Omen, des unglücklichen Geschicks» ins Licht. Die Historie des Siècle des Lumierères scheint auf, jener Epoche, in der ein Denis Diderot samt seiner Mitstreiter wie Jean-Baptiste le Rond d'Alembert et all die Encyclopaédie ou Dictionnaire raisonné des siences, des arts et des métiers auf den Weg brachten, mit dem Ziel, all denen in ihre eigentliche Heimat, dem allgemeinen Wissen, zu leuchten, diesen Pfad, der von der Kirche immer im Dunklen gehalten worden war. Das waren teilweise lediglich kleine Aufsätze, es gab für die ohnehin analphabetische Allgemeinheit, aber auch für die gebildetere Schicht keine Bücher, aus denen sie Lebenshilfen beziehen konnten, wie beispielsweise die von Louis de Jaucourt zur Kosmetik, in der er anmerkte: «Celsius hat sehr richtig bemerkt, die meisten der so gepriesenen kosmetischen Mittel seien nur ein sinnloser Zeitvertreib, eine bloße Scharlatanerie; es sei zwecklos, den Sonnenbrand, die Sommersprossen, die Rötungen des Gesichts beseitigen zu wollen; es sei ein Wahn, zu hoffen, daß man die Rauheit des Teints und die natürliche Hautfarbe ändern könne, und erst recht ein Wahn, die Runzeln beseitigen zu wollen; aber die Frauen seien in die Schönheit so vernarrt und von dem Wunsch, die Spuren des Alters zu entfernen, so besessen, daß es unmöglich sei, diesen Hang bei ihnen zu überwinden und sie von der Nichtigkeit all jener schönen Geheimnisse zu überzeugen, die den Namen Kosmetische Mittel tragen.» Verfaßt und im Lauf der Jahre veröffentlicht wurden auch umfassende Abhandlungen über Gott und die seinerzeit aufkommende Veränderung der Sicht auf die Entstehung der Welt. Doch aus der heutigen Perspektive des umfänglichen Wissens um Gott und die Welt scheint mir Benvenutos Essay Hirnhälften, Hemisphären beinahe in die Kategorie der Randbemerkungen zu gehören. Und richtig, im Heft 97 von Lettre International firmiert er auch unter Briefe und Kommentare, ganz hinten im, na ja, Blatt. Dennoch hätte ich nicht schlecht Lust, diesen Text einfach abzuschreiben und hier einzustellen, weil er dazu beitragen könnte, zu befreien vom «Wahn, zu hoffen, daß man die Rauheit des Teints und die natürliche Hautfarbe ändern könne, und erst recht ein Wahn, die Runzeln beseitigen zu wollen». Aber das würde den parisischen Berlinern aus aller Welt, würde Lettre International nicht gerecht, und es wäre zudem nicht recht, wollen, sollen die doch auch etwas von dem großen Medienkuchen nach dem Krümelprinzip der brotlosen Marie-Antionette abhaben, zumal er bedeutend gehaltvoller daherkommt als das meiste des Angebots, das mir in seiner Macht der Masse, des massenhaften Vorkommens der immergleichen Quantität bisweilen vorkommt wie die biblia pauperum, die auch dafür geschaffen ward, anhand von Bildern das Wort Gottes und nicht anderes zu vermitteln. Auch die Ästhethik stimmt gemäß meiner Vorstellung von ihr, das Formale richtet sich am Inhaltlichen aus. Das linke Klo ziert kein Gold, es geht im Fuß eher zur völlig ausreichenden, nicht ganz so arg dem Leistungsprinzip unterworfenen Bronze hin, dem scheinbar ärmeren Material, ein wenig malerisch vielleicht im Sockel, aber oben ist es blitzsauber, wenn auch nicht aseptisch rein wie in den Haushalten der Bevorzuger nicht nur der Billigheimer, all jener, die keine Bakterien mehr leben lassen, die ihre Kinder nicht mehr über die Kuhkoppel hoppeln lassen wollen, auf daß bei denen die Allergien die Flucht ergreifen. So soll von dem, wie er die Linke be- oder auch aus-, ja erleuchtet, nur noch ein wenig zu lesen sein. Vielleicht greift ja außer meinen beiden Lieblingsösterreichern Enzoo und Phom daraufhin noch jemand zu und ist gleichermaßen hingerissen von dieser Aufklärung außerhalb des Reviers von Oswald Kolle. Also zitiere ich als Empfehlung für das Ganze die beiden Schlußabsätze des Essays Hirnhälften, Hemisphären des Psychoanalytikers und Philosophen Sergio Benvenuto, auf dessen Liege es mir anscheinend so heiter zugeht wie auf der des Herrn Doctor der Kunst. Jedenfalls ist die Sache der politischen Linken besonders kompliziert, versucht sie doch, ein angeborenes neurologisches Ungleichgewicht gegenüber der Rechten zu kompensieren, indem sie sich als lnteressenvertreter jenes (politischen) neglects der schwachen Seite der Gesellschaft und des Lebens hinstellt. Es ist paradox, daß die politische Linke, um den geschädigten Teil der Gesellschaft sichtbar zu machen, ausgerechnet an unsere linke Hirnhälfte appellieren muß, den rationaleren, den gerechteren Teil also. Das ist das Ende, der Schluß, einer Zusammenfassung von Internationale Briefe links, zwo, drei, Champagnertrüffel auch für Arme, denn soziale Marktwirtschaft kann durchaus auch Porsche für einen Linken meinen. Möge er rasen, so seine alte Gurke dazu überhaupt in der Lage ist, wenn er denn das Bedürfnis hat, schneller zu fahren als alle anderen. Die denkende Gemeinschaft aber fordert und fördert im nicht sponsorisierenden Sinn den Fortschritt in der Langsamkeit.
Noch einen Champagnertrüffel, vergleichsweise denen des Chocolatiers von Münchens Fäkalienmarkt, der sie noch feiner herstellt als der unter einheimischen Feinschmeckern berühmte Pariser. Nein, kein Capote anglaise (ich bedauere es noch immer zutiefst, diesen herrlichen, köstlichen, aus der Schale einer Orange modellierten, leider aus dem Internet entfernt zu wissen, den ich so gerne als Beispiel für das visuell, nicht virtuell, Lukullische dieser Art von Vergnügungsverhütung angeführt habe), die Engländer kommen später dran. Zu dem ich einst seiner wundersamen Bouchée au chocolat wegen geschleppt worden war. Einen hierzulande allgemein unter Praline bekannten Bonbon obendrauf hat es gegeben, muß es geben. Doch es ist wohl vorteilhafter und aktuell verständlicher, ich entferne mich mich aus der Cuisine, wenn sie mich auch trotz der erkenntnisreichen Botschaft von Frau Anjejackert nicht dicker werden läßt, Essen sei der Sex des Alters, und gehe nach London. Der deutsche Achter hat die Schlagzahl erhöht. Er hat gesiegt. Dieser Olympiasieger heißt Lettre International. Er war zwar mal Franzose, aber längst ist er trotz seines migrantischen Hintergrunds Deutscher, wenn er auch von seinen internationalen, früher Weltbürger- oder Kosmopolitentum genannten Eigenheiten nicht lassen will, und kommt nun statt des englischen Hoffnungsmischmaschs aus Cambridge und Oxford aufs Treppchen, auf die Seite eins. Im Vorfeld wurde er ja bereits weniger mit Näglein bestickt als vielmehr reichlich mit Lorbeerblüten der Geschmeidigkeit bedacht, nun bekommt er aus Früchten beschrieben seinen Kranz. Nicht nur, daß ich vorgestern innerhalb einer Stunde Antwort auf eine Nachfrage erhielt, heute früh hatte ich von demselben Herrn einen Brief in meinem Kasten für elektrische Post. Darin machte er mich auf meine sprachliche Schludrigkeit aufmerksam, das stammt von mir, für eine derart formulierte Unterstellung wäre er wohl zu höflich. Wenn ich auch stets bemüht bin, grundsätzlich korrekt zu schreiben, ob in eMails oder sogar im Schnatterchat, so schleichen sich auch bei mir zusehends mehr Fehler ein. Das mag damit zu tun haben, daß mir mit den Jahren des Ruhealters oder auch mit dem Internet und der damit verbundenen Wurschtigkeit die Selbstverpflichtung abhanden gekommen zu sein scheint, nichts an die Öffentlichkeit hinauszulassen, das aus einigermaßen geraden und vollständigen sowie rechtschreiberisch korrekten Wörtern und Sätzen besteht und noch einmal prüfend gelesen wurde. Es mag aber auch daran liegen, nach gut zwanzig Jahren auch der Korrekturlesung keine Lust auf Perfektion mehr zu verspüren. Daß mich jemand auf Fehler aufmerksam machen mußte, das ist jedenfalls lange her. Soweit ich mich erinnere, war es vor etwa zehn Jahren ein Germanist und Lichtenberg-Forscher, von dem ich bestätigt haben wollte, die Zuschreibung der Picabia-Äußerung von den richtungsändernden Gedanken im runden Kopf, die der Museumsleiter dem im Internet überwiegend als Sprüchelieferant bekannten Göttinger Mathematiker, erster deutscher Professor für Experimentalphysik sowie Aufklärer zugeordnet hatte, sei nicht richtig. Er bat um Verständnis für seine «Pedanterie». «Meines Wissens», schrieb er mir, «ist ein fester Ausdruck (absoluter Genetiv), ‹nach› regiert auch als Postposition den Dativ, also entweder «meines Wissens› oder ‹meinem Wissen nach›. Der Dativ ist eben doch dem Genetiv sein Tod.» Als es im Bayerischen Rundfunk noch einen Sprachpfleger gab, kam das hin und wieder vor: Für hausansässige Journalisten lag einmal im Monat eine mit Rotstift eingefärbte Kladde aus, der zu entnehmen war, man dürfe dies so nicht sprechen und auch nicht schreiben, es sei nicht den Regeln der deutschen Sprache entsprechend. Eine unwesentlich ältere Kollegin pfiff mich Mitte der Siebziger mal für ein Wort zusammen, das seit einigen Jahren den Duden ziert. Das dürfte im Fall meiner neuesten Wortschöpfung durchkultuaralisiert allerdings kaum geschehen, da mag ich noch so kreativ im Sinne von irgendwas mit Medien sein wollen und bereit sein, alles über den Haufen zu werfen, was es an Reguliarien einmal gab und vermutlich nach wie vor gibt. Doch es zeigt zumindest einen Hoffnungsschimmer auf: Es gibt noch Menschen, die, wie einst ich und rudimentär noch heute, nicht lesen können, ohne ständig über Fehler, und seien es Vertipper, zu fallen; das kann einem zum Kreuz werden, verlangsamt es den Lesefluß doch enorm. Daß aber in Zeiten, in denen der Korrektor bis hin zum Schlußredakteur nicht nur bei Zeitungen, bei denen jeder sein sehr variabel gewordenes Hausdeutsch in den Rechtschreibfilter kippt, der es letztendlich eigenartig in den auch nicht mehr existierenden Satz gibt, sondern sogar in Buchverlagen längst der Prähistorie angehört, jemand vom Vertrieb einer literarischen Revue wie Lettre International nicht ohne Konzentration zu lesen vermag, das verweist auch auf die formale Qualität eines solchen Blattes. Der aufmerksame und freundliche Herr, von dem ich unschlüssig bin, seinen Namen nennen zu dürfen, weil ein wenig Diskretion noch sein möchte, hat mir auch mitgeteilt, jemand habe aufgrund meiner ausschweifigen Werbekampagne abonniert. Es wird hier ersichtlich sein, welche Minderheiten da wieder zugeschlagen haben. Aber es besteht schließlich noch Hoffnung, es könnte mehr dieser Minoritäten geben. Auf jeden Fall macht es mich ein bißchen glücklich. Weshalb ich jetzt zum Lieferanten meines noch glücklicher machenden Kuhsafts fahren werde, ja, der mit der Gattin, die keine Ganoven jagt und neben dem Weltbeglückungsgatten auch der Haussau auf der Besucherritze das Bäuchlein krault. Gut essen und trinken ohne nahrungsmittelindustriellen Capote anglaise gehört schließlich neben der virtuellen Welt des Kopfkinos auch zum Sex des Alters. «Denn wenn man Erzählungen schreibt oder liest, sieht man Landschaften, sieht man Gestalten, hört man Stimmen: Man hat ein naturgegebenes Kino im Kopf und braucht sich keine Hollywoodfilme mehr anzusehen.»
Internationale Briefe Darauf gekommen bin ich durch eine der flammenden Reden gegen die Volksverdummung der hartlinigen «göttlichen Jungfrau Einemaria». So ein bißchen vierbuchstäbig plakativ mag der Titel ja sein, er entspricht nicht unbedingt meinem sicherlich etwas seligen, also moderaten Verlangen nach Aufklärung, aber auch ich sehe manchmal ein, daß es notwendig sein könnte, dem gerne wegsehenden Volk wegweisend zwischen die Hörner dreschen zu müssen, auf daß es lerne, wo's langgeht: Dönerterror — Totet Kinder und Frauen. Geschrieben hatte ich ihm: «Ich verdaue noch heute an der der wohlgesonnenen Vita-Zeichnung, die vom Friedensnobelengel Henry Kissinger hergestellt wurde. Bis ich vor etwa zwölf Jahren in Le Monde diplomatique über die Machenschaften dieses Kriegstreibers las (ich schaue mal, ob ich's in meinem Archiv wiederfinde; aber Sie kennen's wahrscheinlich ohnehin).» Aber es war nicht das französische Blatt, das in Übersetzung sowohl der schweizerischen WOZ als auch der deutschen taz (der Hans Pfitzinger bis zu seiner Seligkeit seine herzblütige Kritik widmete und die von anderen unter dessen Namen beziehungsweise unter Pfitzinger's Social Media Welt sozusagen unterirdisch weitergeführt wird) beiliegt, dem ich dieses Wissen entnahm, um es innerhalb meiner sentimentalen Reise Zwei Tage unter dem Liebesbrief Alles friedlich ... hier der Öffentlichkeit preiszugeben. Weblogs gab es zu dieser Zeit noch längst nicht, jedenfalls nicht im heutigen Ausmaß, über die man in der Lage gewesen wäre, an Informationen zu gelangen, die über das hinausgehen, was Fernsehen, Rundfunk und Zeitungen zu tagwacher Zeit bieten, wobei letztere nicht einmal im Redaktionstraum daran dächten, all das an Wissen zu veröffentlichen, über das sie tatsächlich verfügen. Es könnte einen potentiellen Anzeigenkunden zurückschrecken lassen, einen angestammten gar verjagen oder aber, was sich als ärgste Sünde herausstellen könnte, die demokratisch gewählten Monarchen verärgern. Das ist in Deutschland so wie in Frankreich oder anderswo. Man erzähle mir nichts von redaktioneller Unabhängigkeit, ich war lange genug dabei. Und daran hat sich nichts geändert, schon gar nicht in diesen Zeiten, in denen vor allem die Blätter medaillisch so glänzen wie aktuell in London. Das war auch vor rund zehn Jahren so unterschiedlich nicht zum aktuellen Stand. Wer tiefer einsteigen, mehr wissen wollte über Hintergründe, Ursachen und Wirkungen, der war nicht in der Lage, dem abonnierten Provinzblatt Tiefgeschürftes zu entnehmen, und auch bei Rundfunk und Fernsehen war man gezwungen, sich dann zuzuschalten, wenn die Allgemeinheit, wenn die Werktätigen längst schliefen, um am nächsten Tag ihre Arbeitskraft vollumfänglich, mittlerweile noch weitaus vollumfänglicher als vor etwa zwölf Jahren so preiswert als möglich denen zur Verfügung zu stellen, und sei es durch jahrelange Praktika oder kapitalschonende Zeitarbeit. Seinerzeit bot das Internet längst noch nicht die heutige Informationsflut, in der heutzutage die meisten überdies zu ersaufen drohen, weshalb sie die Möglichkeiten, mehr über die Welt und damit sich zu erfahren, erst gar nicht nutzen. Um die Jahrtausendwende noch waren diejenigen, die mehr wissen wollten, auf weiterführende Literatur angewiesen. Ich gehörte dabei glücklicherweise denen an, die Zugang zu Archiven hatten, in denen nicht nur gewissenhafte und durchblickende Mitarbeiter manchmal eine Vorauswahl an Artikeln oder oder auch Buchtiteln trafen, die bei einer Recherche weiterhalfen, sondern die oftmals auch Zeitschriften im Abonnement führten, die einem Orientierungen lieferten, wo man weiter suchen könnte bei seinen archäologischen Ausgrabungen der Geschichte machenden Ereignisse. Lettre Internationale, die 1984 von Antonín Jaroslav Liehm in Paris gegründete Zeitschrift, gehörte zu meinen Wegweisern, 1988 kam die deutschsprachige, die deutsche, von Frank Berberich auf den Weg gebrachte Ausgabe hinzu. Das Original ist tot, die deutschen, italienischen, rumänischen, spanischen und ungarischen Ableger leben (noch?). Es gilt, sie am Leben zu erhalten. Denn sie waren es, die einen Großteil dessen, das wir in die Jahre Gekommenen wissen, in das hineingearbeitet haben (Schlußkorrektur durch Lettre), was wir auch an Jüngere weitergegeben haben und das zu weiten Teilen auch im Internet immer wieder durchschillert wie das Goethe-Denkmal im lieblichen Vorgarten zu Weimar. Da ich durch und durch deutsch durchkulturalisiert (Endkorrektur durch Lettre) bin, ist mir am Erhalt der hiesigen Ausgabe gelegen, zumal die französische das Zeitliche gesegnet hat. Deshalb rufe ich, als wär's meine eigene flammende Rede, das hinaus, was zwar jeder anklickend nachlesen könnte, es aber in der Regel nicht tut. Soeben wurde ich gebeten, noch bis nächste Woche mit der Veröffentlichung zu warten, da die Entscheider sich noch im Urlaub befänden. Er sei ihnen gegönnt. Ich aber mag nicht warten. Wer weiß, welch neuerliches Zipperlein mich bis dahin ereilt hat und mich von der Tastatur fernhält. Außerdem bin ich ein ungeduldiger Mensch, der seine gerade in die Denkmaschine übertragenen Gedanken auch in die Welt hinausposaunen will. So bleibt mir, nur ein Fitzelchen zu zitieren: Im Land der Dichter und Denker ist es ausgerechnet die Zirkulation von Ideen, Analysen, Beschreibungen und Reflexionen, für die im Unterschied zu fast allen anderen Formen der Kunst und Kultur keine systematische Förderung der notwendigen Infrastruktur vorgesehen ist. Die wenigen Möglichkeiten, die es gibt, um eine Unterstützung aus öffentlichen Mitteln zu erhalten, zeichnen sich durch weitgehende Intransparenz hinsichtlich vorhandener Mittel, Vergabekriterien, Jurybesetzung und Entscheidungsprozesse aus.und die Bitte, anzuklicken: Unterstützung für Lettre «Spenden sind zur Zeit steuerlich nicht abzugsfähig.» Das ist schließlich keine Partei. Da mag das Blatt auch noch so Partei ergreifen. In mir keimt die Überlegung, Lettre International testamentarisch zu umarmen. Für erste hab' ich mal ein Abonnement verschenkt. Zum Erhalt von Dichtung und Wahrheit. Außerdem muß der Rentner aufs Nickerchensofa.
Mit dem Radio durch die Galaxie Nahezu schicksalhaft tauchte dieses Textlein aus dem Fundus auf, wohl die selige Erinnerung an eine Zeit gemahnend, als ich noch nicht verunsichert war von schwarzen Löchern wie etwa dem, das inmitten unserer Milchstraße ruhend darauf lauert, sie in einigen Jahren zu schlucken, während ich mir ernsthaft Gedanken darüber mache, ob die Wahlen des kommenden Wochenendes in Frankreich, Griechenland und Schleswig-Holstein Veränderungen bringen werden. Endlich ist es soweit: Die Antwort auf die Frage nach «dem Leben, dem Universum und allem» kann man vom 28. Dezember (1981) an im Bayerischen Rundfunk erhalten. In sechs Folgen zu je fünfzig Minuten versucht der britische Hörspielautor Douglas Adams mittels seiner Sience-fiction-Satire Per Anhalter ins All erschöpfend Auskunft geben über die brennenden Probleme der Menschheit: Warum wir leben, warum wir sterben und warum wir zwischendurch soviel Zeit mit Digitaluhren an Handgelenken verbringen. Der Bayernfunk hat mit diesem Sechsteiler sein bislang teuerstes Hörspiel produziert, die etwas später sendenden SWF und WDR steuerten als Coproduzenten bei zu dem 150.000-Mark-Projekt. Das Spektakel beginnt mit der Apokalypse und bringt gleich britischen Humor ins Spiel. Arthur Dent, ein Erdling wie wir, sieht sich eines Morgens Preßlufthämmern und Bulldozzern gegenüber: Sein Haus soll abgerissen werden, um Platz für eine Umgehungsstraße zu schaffen. Seinen Sitzstreik beendet Arthur allerdings nach wenigen Minuten, da sein Freund Ford Prefect auftaucht und ihm klarmacht, es gäbe Wichtigeres: Die Welt geht unter, weil draußen im All eine Bauflotte der Vogonen, eine Art milchstraßiger Techno-Faschisten, den Auftrag hat, die Erde zu beseitigen, um eine intergalaktische Umgehungsschneise zu hauen. Und es passiert tatsächlich: Unser Planet wird zerstört. Arthur und Ford können gerade noch per Anhalter mit einem Raumschiff ins All entwischen. The Hitchhiker's Guide To The Galaxy bescherte der BBC 1978 die bis dahin höchsten Einschaltquoten. In deutschen Binnenlanden wurde man erst zwei Jahre später wach, als Hans Pfitzinger den Stoff der Hörspielabteilung des Münchner Senders vorschlug. Er rannte offene Türen ein. Science-fiction, und auch noch komisch — das zündete endlich mal. Ernst Wendt, Regisseur und Chefdramaturg der städtischen Kammerspiele, übernahm die Regie, und eine Reihe prominenter Mimen trat die Sprachreise durchs All an: Dieter Borsche, Bernhard Minetti, Markus und Rolf Boysen, Hans Korte, Klaus Löwitsch, Felix von Manteuffel, Hans Reinhard Müller und Helmut Stange. Die Frauen in der Galaxie sprechen Barbara Freier und Doris Schade, die Musik komponierte Frank Duval, und die Effekte, mit denen das ganze Audio-Unternehmen steht und fällt, stammen von dem Toningenieur Günther Hess. Die beiden Helden abenteuern vorwärts und rückwärts durch Raum und Zeit, bedienen sich des galaktischen Kreuzers «Herz aus Gold» und der neuesten Entwicklung auf dem Gebiet der Fortbewegung, dem Unwahrscheinlich-keitsantrieb. Sie erfahren, daß der Mensch nicht, wie bisher angenommen, nach den Delphinen das zweit-intelligenteste Lebewesen der Erde war. Die Mäuse, jene Nager, die zur Tarnung in den wissenschaftlichen Laboratorien in Laufrädchen herumrannten, hatten ursprünglich unseren Heimatplaneten maßschneidern lassen. Sinn des Vorhabens war: Die Erdkugel sollte als gigantischer Computer die Antwort auf die Frage aller Fragen finden. Dummerweise schlugen die Vogonen fünf Minuten zu früh zu. Den Mäusen bleibt nichts anderes übrig, als noch einmal von vorn zu beginnen. Slartibartfast, Spezialist für Küstenlinien, einst Gewinner eines Preises für die Gestaltung Norwegens, macht sich wieder an die Arbeit. Bis sie die Antwort, die 42 lauten wird, erfahren, müssen Arthur und Ford noch mit allerlei lebensgefährlichen Begegnungen fertig werden, lernen den Erfinder des stärksten Drinks aller Zeiten, den Pangalaktischen Gurgelsprenger kennen und landen schließlich auf einer prähistorischen Erde, die von Sekretärinnen und Versicherungsvertretern bevölkert ist. Wenn das Spektakel einschlägt, plant der Bayerische Rundfunk fünf weitere Folgen im neuen Jahr. Titel der Fortsetzung: «Das Restaurant am Ende des Universums.» Flohmarkt: savoir-vivre, 1981
Grau ist jede Suche. Bis sie rote Sprenkel kriegt. Um eine Fußnote lesbar zu machen, fahre man mit dem Cursor mitten hinein in die jeweilige Ziffer.1 Interkulturelle Hermenautik wird heutzutage genannt, was vor noch gar nicht so langer Zeit einmal Imagologie hieß. Von diesem Terminus hat sich wie so vieles nach Bedeutsamem Klingendes in den heutigen deutschen Sprachgebrauch des Alltags das Rudiment Image eingeschlichen wie die rezeptfreie Droge Multivitamin, mit dem Lukas, Markus oder Tobias, (früher, noch ohne EiPäd, gemeinhin Fritzchen) von Irgendwas mit Medien seiner Mascha, Sascha oder Penelope (früher, noch ohne EiPhone, gemeinhin Lieschen) von hinterm Tresen seines Stammcafés mit Pappbechern von seinem aufregenden Leben als Anonymus auf den virtuellen Schlachtfeldern der grünen Planeten zeigt, seine mittelständische Vorstellungswelt von Wir nennen es Arbeit vorführt, geradezu ungeheuerlich selbstbewußt und auch -ironisch, gleichwohl nicht auf seine Befindlichkeitshieroglyphen verzichten wollend, will doch ein Image entsprechend gerahmt werden, will man es tatsächlich als Kunstwerk erkennen.2 Wie ich darauf komme? Weil ich mir nach wie vor nicht vorstellen kann, daß ich ein Buch nicht finde. Das mag an dem Bild liegen, das ich mir von ihm so vor mich hin imaginiere. Über eine sehr lange Zeit habe ich mal nach einem Buch gesucht, aus dem ich eine Fußnote nachtragen wollte, deren sofortiger Eintrag mich scheinbar zuviel Zeit im Schreibfluß gekostet hätte. Ungeschickterweise hatte ich mir, wie sonst üblich, keinen Zettel für den großen Kasten geschrieben, in dem ich mit Sicherheit irgendwann fündig geworden wäre. Die Zeit floß und floß, ich war letzten Endes kurz davor, an diesen Heraklit zugeschriebenen philosophischen Anzeigentext bei diesen seriösen Agenturen für aus paritätischen Gründen nach noch besser verdienenden Partnern Suchenden zu denken. Es mußte damit zusammenhängen, daß meine sich wirr windenden oberen Pigmentröhren die Farbe des Buchrückens in das Grün der Hoffnung umgewandelt hatten, nach dem ich fortwährend gesucht und den ich nicht gefunden hatte, so daß ich dann als Fußnote eine imaginäre, dem Inhalt sich annähernde Quelle angab, die mir leichten bis ausreichenden Ärger hätte einbringen können, wäre dieser Aufsatz prüfenden Auges genauer gelesen worden.3 Dieses unzettelig gesicherte Wissen kann einen ja enorm durcheinanderbringen. Zwei Jahre, es mögen auch drei gewesen sein, gingen in den Fluß der Zeit, sozusagen ins Panta rhei, bis ich auf das Werk stieß, das sich schließlich als grau erwiesen hatte während der immerwährenden Suche nach einem grünen. Grau, gleichwohl mit sinnlich roten, das Maurische assoziierende Sprengseln versehen, ist auch das, auf das ich heute stieß in meiner Abteilung französischer Literatur, die mich dazu bringen soll, mein freizeitliches Geklöpple des Alphabets fortzuführen. Es handelt sich um eines der neueren und neuesten spanischen; was so auch nicht mehr zutrifft, da es 1998 erschienen ist. Andererseits ist es sozusagen naheliegend, geht es dabei doch um die Imagologie, wie früher die Interkulturelle Hermenautik genannt wurde, die Forschung und Lehre dessen, das mich gute zehn Jahre lang mit wissenschaftlichen Assistenten in Kellern verschiedener Universitäten hat Pingpong spielen lassen und die, wie es in dem Buch heißt, nach dem ich nicht gesucht habe, in dem ich mich aber mittlerweile festgelesen habe, weil ich gerne in älteren Büchern (wieder-)lese und weil ich die Thematik nach wie vor für eine der spannendsten überhaupt halte, «die Erforschung des Bildes vom anderen Land». Manchmal sagt man dazu auch Komparatistik oder vergleichende Literaturwissenschaft, von der die hier hin- statt einführende Autorin in ihrem sinnig sinnlich gesprenkelten grauen Buch schreibt: «Die größere Aufmerksamkeit, die [Soziologie, hier Karin] Knorr-Cetina12 nämlich den Phänomenen Situationalismus und Interaktion zuteil werden lassen möchte, hat in der Literaturwissenschaft eine Entsprechung. Das Erkenntnisinteresse der Literaturwissenschaft richtet sich darauf, auf welche Weise eine vorgefundene außerliterarische Realität eben nicht im literarischen Text abgebildet, sondern transformiert wird. Ein Text bildet ein Gewebe aus Gelesenem, Vorgefundenem, Erfundenem. Dieses Gewebe wiederum interagiert mit der spezifischen Lebenssituation, Textkenntnis u. ä. des jeweiligen Lesers. Wenn diesem Interaktionsfeld zwischen Autor, Figuren, Leser, Vortext und Texten von imagologischen Untersuchungen die ihm gebührende Bedeutung zuerkannt würde, wäre die Handhabung von ‹Eigenem› und ‹Fremdem› als zwei eindeutig trennbaren Kategorien hochgradig problematisch. Vermutlich ist dies einer der Gründe, weshalb die Imagologie, die solche Kategorien weiterhin handhabt, das Verunsicherungspotential nicht zur Kenntnis nehmen möchte. Wenn wir uns nun erneut die eingangs erwähnte Zielvorgabe der Disziplin — die Erforschung des Bildes vom anderen Land — vergegenwärtigen, ahnen wir bereits, wie gründlich eine methodische Neuorientierung der Imagologie ausfallen müßte.»13 Außerdem erinnere ich mich gerne an die Verfasserin dieser Imagologie, nicht nur, weil ich deren Imago auch nach recht langer Zeit noch ziemlich genau im Kopf habe, die vor Beendigung des vergangenen Jahrtausends durchaus in meine Vorstellungswelt paßte von einer nicht nur wohlansehnlichen, sondern darüber hinaus klugen und intelligenten und gebildeten, also intellektuellen jungen Frau, mit der man nicht nur wesentliche Gespräche führen, sondern auch ordentlich einen trinken konnte. In ihr ertrinke ich also gerade statt zur rettenden Insel meines Freizeitwerks zu schwimmen. Sie taucht mich tief ein in meine spätere, bis heute andauernde Jugend, indem sie mich an diese Frische erinnert, mit der ich mich eine Zeitlang gerne beschäftigt habe, etwa an die von Georges Perec oder Raymond Queneau, überhaupt an die Gruppe Oulipo, an L'Ouvroir de Littérature Potentielle (etwa: Werkstatt für Potentielle Literatur), der ja auch mein inniggeliebter Italo Calvino angehörte, in der sie absolut belesen war (und vermutlich noch ist, obwohl sie vermutlich des schöden Mammons wegen in eine andere Abteilung der Imagos umzuziehen gezwungen war). Sie hat übrigens auch Zettels Wirtschaft betrieben. Als ich das Buch von meiner Galerie hinuntertrug, in der die besonderen Franzosen und Italiener und Spanier, diese Romanen also, von denen auch die die Romantiker abstammen (La vie est un roman), sowie Erstausgaben und auch während fröhlicher Feiern nicht nur um Bücher völlig kunstverkritzelte Kataloge oder, eben, gewidmete Dissertationen von schlimmen Erbkrankheiten («In Liebe») über chemische Prozesse zur Waschmittelherstellung (Ewig Dein!») bis, genau, fragwürdiger fremdländischer Literatur («Je sui un autre.») vergiftschrankt sind, entfiel ihm ein Blatt mit einer Vorrede, die einen Schluß auf ihre geistige Haltung zuläßt, in der ich es mir nach langer Zeit jetzt behaglich machen werde. Dieses Buch ist ein tolles Buch. Die Verfasserin jedenfalls kann nicht besser (und anders übrigens auch kaum). Es handelt von der schlimmen Welt, in der die Wissenschaftler schreiben und davon, was an diesem Schreiben so schlimm ist. Aber es handelt auch von Kriechwurzeln, Ikarusflügeln aus Messerklingen, kindischen Säulenheiligen und verbeulten Kaffeedosen, die ich alle selbst bezahlt habe. [...]Die Fortführung meines sicher außerordentlich wichtigen Werkes zur Weltrettung muß warten. Aber wahrscheinlich ist der Rücken des Buches ohnehin tiefschwarz und nicht grün wie die Hoffnung. Vielleicht begegnen wir uns mal wieder, die vermutlich immer noch junge und frische Frau und ich in den Jahren Verkommener. Dann würden wir sicher über Bücher sprechen, die ohne den Buchstaben E auskommen. Denn Georges Perec hat auch ein Buch geschrieben, in dem eine Frau durch die Zeilen geistert, die mich mit einem Mal im nachhinein an die da oben erinnert: So könnte sie heute als (noch?) Vierzigerin ein wenig gedankenverloren sinnierend durch das Haus in Paris streifen. Besondere Alltäglichkeiten. Friederike Heitsch Imagologie des Islam in der neueren und neuesten spanischen Literatur Edition Reichenberger, Problemata Literaria 36 Sie, die sich später — um auch in der tiefen virtuellen Maurenwelt rascher gefunden zu werden? — den zweifelsohne auch besser zu ihr passenden zweiten Vornamen Elena gab, hat auch andere schöne Stückchen geschrieben: vor der Imagologie, ihrer Dissertation: • Antonio Gala und der Islam. Kritik eines Bestsellers nach der Imagologie (auszugsweise): • Verweigerung macht sexy, in: Valio Tchenkov, 1999 - 2002 • Ornament als Verbrechen an der Volkswirtschaft. Die Geistesverwandtschaft zwischen Adolf Loos und Arnold Schönberg, ein Hörstück, 2004, Bayern 2 • Eine Piroge voller Affen. Humboldts Fahrt auf dem Orinoco, 2004, SWR 2 • Keine einzige unwahre Note. Maske und Widerstand bei Schostakowitsch, ein Hörstück, 2006, Bayern 4 (Klassik)
Besinnungsfindung Ich stehe auf und gehe in meine kleinere Arbeitshöhle, in meine Besinnungsgalerie. Dort stehen alle Standards, deckungsgleich mit den beiden wandschmückenden Totenköpfen des multitalentierten Schauspieler-Künstlers, der sich mit ihnen auf Malewitschs Schwarzes Quadrat berief und dann doch eingestand, daß sie bei ihm tief in der Romantik wurzeln. Standards sind die Bücher, die ich immer irgendwie dauernd in die Hand nehme, um dies oder das nachzulesen — die erkleckliche Summe der Kunst mit ihren manischen Interpretatoren sowie die Restphilosphen dösen drüben im großen Zimmer in den Regalen von Wand zu Wand und vom Boden bis zur Decke so vor sich hin —, durchaus die Klassiker, die ich eigentlich gerade erst zu lesen beginne. Ebenso wie die Philosophen, denn ich bin mir längst darüber im klaren, daß ich nichts, aber auch gar nichts verstanden habe von dem, was ich über zwanzig, dreißig und mehr Jahre in mich hineingestopft hatte. Deshalb gehe ich jetzt vermutlich auch erneut zu Herrn Kundera und suche nach ihm im Regal, um die Stelle zu finden, die mir seit langem eine eigenartige Verbindung herstellt zwischen Beethoven und dem fordernd fragenden Muß es sein? von Léo Ferré, die nach dessen Dirigat der Coriolan-Ouverture und in mehrfacher Orchesterbesetzung so durchdringend bei mir ankommt. Das Buch steht irgendwo zwischen Montaigne, Morgenstern, Kleist, Karl Kraus und den Œuvres Completes des Monsieur Isidore-Lucien Ducasse, Comte de Lautréamont — die einen vom andern Stern, der hier vom anderen Berge, dieser Seher vom Monte Video, L’autre à mont. Zwischen diesen Lichtgestalten, den Wortschleudern wider den Ungeist des Banalen muß er wohl auf jemanden wie meinen Besuch, diese gleichermaßen gebildete, intellektuell verzahnende und kluge Frau gewartet haben, die mit seiner Hilfe endlich den Staub aus meinem verdunkelten Hirn bläst. Das Buch ist überladen mit diesen kleinen, an sich sehr praktischen kleinen gelben Klebepapierchen. Doch wer so damit haushaltet wie ich, der tut sich schwer, besondere Stellen zu finden. Offenbar gibt es in diesem Roman nur entscheidende Stellen. Oder ich kann mir nichts merken. Ich suche und blättere. Es ist äußerst schwierig, da ich mir seit einiger Zeit die Unart abgewöhnt habe, in Bücher hineinzuschreiben, richtiger: sie vollzukritzeln — als ob ich Zettel in sie hineinklebte. Dabei bin ich mir nicht darüber im klaren, ob es aus Ehrfurcht vor der Arbeit anderer geschieht, wie die Mutter dem jugendlich grundsätzlich Andersdenkenden versucht hat klarzumachen, oder ich beginne, Sachwerte zu schätzen. Das wäre dann allerdings ein Schritt in die dauerhaft falsche Auslegung des Begriffs konservativ. Sich der Bewahrung zu besinnen wäre die richtige Suche. Denn Älterwerden hat nichts mit Stenose oder Sklerose zu tun. Oder vielleicht doch? Eine sentimentale Reise • Nach hinten losgehende Erinnerungen
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